Unterhaltungspflicht des Dienstbarkeitsberechtigten bei vom Eigentümer mitgenutzter Anlage

Juni 12, 2025

Unterhaltungspflicht des Dienstbarkeitsberechtigten bei vom Eigentümer mitgenutzter Anlage

BGH, Urteil vom 12.11.2004 – V ZR 42/04

RA und Notar Krau

In diesem Fall ging es um einen Streit zwischen Nachbarn in Frankfurt am Main, die sich einen gemeinsamen Hinterhof teilten.

Die Kläger sind Eigentümer von fünf nebeneinander liegenden Grundstücken (H. gasse 15, 17, 19, 21, 23). Die Beklagten besitzen das Grundstück T. gasse 32. Der Hinterhof ist über zwei Tordurchfahrten erreichbar: eine auf dem Grundstück H. graben 3 und eine auf dem Grundstück der Beklagten.

Das Recht der Kläger, die Durchfahrt auf dem Grundstück der Beklagten zu nutzen, ist durch eine alte Grunddienstbarkeit gesichert. Das bedeutet, dass die Kläger das Grundstück der Beklagten auf eine bestimmte Weise nutzen dürfen, obwohl es ihnen nicht gehört.

Dieses Recht wurde bereits 1964 von einem Gericht bestätigt und 1965 in einem Vergleich nochmals anerkannt.

Im Jahr 2002 brachten die Beklagten ein abschließbares Eisentor an ihrer Hofdurchfahrt an und verlangten von den Klägern Geld für die Schlüssel.

Was die Parteien wollten:

  • Die Kläger wollten, dass die Beklagten ihnen jederzeit kostenlosen Zugang durch das Tor gewähren und das Tor sogar entfernen.
  • Die Beklagten forderten im Gegenzug, dass die Kläger einen Teil der Kosten für die Errichtung des Tores, die Erneuerung der Hofdurchfahrt und die Entfernung von Graffiti tragen. Außerdem wollten sie gerichtlich feststellen lassen, dass die Kläger auch zukünftige Instandhaltungskosten anteilig übernehmen müssen.

Die Entscheidungen der unteren Gerichte:

  1. Landgericht:
    • Die Beklagten mussten den Klägern jederzeit kostenlosen Zugang durch das Tor ermöglichen.
    • Die Klage auf Entfernung des Tores wurde abgewiesen.
    • Die Kläger mussten die Kosten für die Erneuerung der Hofeinfahrt und zukünftige Instandhaltungskosten grundsätzlich anteilig ersetzen.
  2. Oberlandesgericht (Berufungsgericht):
    • Bestätigte, dass die Beklagten den Klägern jederzeit freien und kostenlosen Zugang gewähren müssen.
    • Entscheidung: Das Tor muss nicht entfernt werden, solange die Kläger kostenlose Schlüssel erhalten. Das Tor sei eine geringfügige Beeinträchtigung, die die Kläger im Sinne einer „schonenden Ausübung der Dienstbarkeit“ hinnehmen müssten, da es den Sicherheitsinteressen der Beklagten diene.
    • Widerklage abgewiesen: Die Kläger mussten keine Kosten für Tor, Hofdurchfahrt oder zukünftige Instandhaltung tragen. Das Gericht begründete dies damit, dass § 1020 Satz 2 BGB (der die Unterhaltspflicht des Dienstbarkeitsberechtigten regelt) nicht greife, wenn der Eigentümer (hier die Beklagten) die Anlage ebenfalls nutzt. Eine Kostenbeteiligung sei nur bei einer (dinglichen) Vereinbarung möglich, die hier fehle.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH):

Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts teilweise auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück.

Unterhaltungspflicht des Dienstbarkeitsberechtigten bei vom Eigentümer mitgenutzter Anlage


Wichtige Punkte des BGH-Urteils:

1. Zulässigkeit der Revisionen:

  • Revision der Kläger (wegen Torbeseitigung): Der BGH erklärte diese als unzulässig. Das Berufungsgericht hatte die Revision nur für Fragen der Unterhaltspflicht (Widerklage) zugelassen, nicht aber für die Frage der Torbeseitigung.
  • Revision des Widerbeklagten zu 5 (persönlich haftender Gesellschafter der Klägerin zu 4): Ebenfalls unzulässig, da er nicht ausreichend von dem Urteil betroffen war und seine Revision nicht form- und fristgerecht eingelegt wurde.
  • Revision der Beklagten (wegen Kostenbeteiligung): Diese war zulässig, da das Berufungsgericht die Revision wegen der Frage der Anwendung des § 1020 BGB bei Mitbenutzung zugelassen hatte.

2. Begründung des BGH zur Kostenbeteiligung (§ 1020 Satz 2 BGB):

Der BGH widersprach der Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Kläger keine Kosten tragen müssen, weil die Beklagten die Durchfahrt ebenfalls nutzen.

  • Anwendbarkeit von § 1021 Abs. 1 Satz 2 BGB (Unterhaltungspflicht durch Vereinbarung): Der BGH stellte fest, dass die alten Verträge, die die Grunddienstbarkeit begründen, keine klare Vereinbarung über eine Beteiligung der Kläger an den Unterhaltungskosten enthalten. Die Verträge sahen zwar eine Verständigung über „Unterhaltung, Reinigung, Beleuchtung und den Verschluß des Hofs und der Zufahrt“ vor, aber dies wurde eher als eine Aufgabe für die Käufer untereinander verstanden, nicht als eine direkte Verpflichtung gegenüber dem Verkäufer oder als Inhalt der Dienstbarkeit selbst. Daher kann aus dieser Vorschrift kein Anspruch der Beklagten abgeleitet werden.
  • Anwendbarkeit von § 1020 Satz 2 BGB (gesetzliche Unterhaltungspflicht):
    • Der BGH entschied, dass ein Anspruch der Beklagten auf Kostenbeteiligung sich aus § 1020 Satz 2 BGB ergibt.
    • Diese Vorschrift besagt, dass der Inhaber einer Grunddienstbarkeit eine Anlage, die zur Ausübung der Dienstbarkeit dient, in ordnungsgemäßem Zustand halten muss.
    • Der BGH stellte klar, dass die herrschende Meinung, die § 1020 Satz 2 BGB nur anwendet, wenn der Dienstbarkeitsberechtigte das alleinige Benutzungsrecht hat, nicht korrekt ist.
    • Der BGH argumentierte, dass die Pflicht zur schonenden Ausübung der Dienstbarkeit (aus der § 1020 Satz 2 BGB abgeleitet wird) immer gilt, unabhängig davon, ob der Eigentümer das Grundstück mitbenutzt oder nicht. Die Mitbenutzung durch den Eigentümer kann diese Pflicht nicht abschwächen.
    • Folge: Auch wenn der Eigentümer (Beklagte) die Anlage (Hofdurchfahrt) mitbenutzt, ist der Dienstbarkeitsberechtigte (Kläger) verpflichtet, sich an den Kosten der Unterhaltung und Instandsetzung zu beteiligen.
  • Umfang der Pflicht und Kostenverteilung:
    • Die Verpflichtung zur Unterhaltung nach § 1020 Satz 2 BGB ist nicht unbegrenzt, sondern auf das Interesse des Eigentümers beschränkt (sein „Integritätsinteresse“, z.B. Vermeidung von Schäden, Gewährleistung der Verkehrssicherheit, ordentliches Aussehen).
    • Der BGH stellte fest, dass die Kosten für die Instandsetzung der Durchfahrt dazu gehören. Auch die Kosten für das Tor können dazu zählen, wenn es notwendig war, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten oder Schäden am Eigentum der Beklagten zu verhindern. Dies muss noch vom Berufungsgericht geklärt werden.
    • Da der Eigentümer (Beklagte) die Anlage mitbenutzt, ist er nicht berechtigt, die vollen Kosten von den Klägern zu verlangen. Stattdessen müssen die Kosten anteilig getragen werden.
    • Für die Kostenverteilung verwies der BGH auf das Gemeinschaftsrecht (insbesondere §§ 748, 742 BGB), wonach die Kosten im Zweifel je zur Hälfte zu tragen wären. Es muss aber im neuen Verfahren geprüft werden, ob eine andere Aufteilung, z.B. nach dem Grad der Nutzung, sinnvoller ist, oder ob die Nutzung des Lagerraums durch die Beklagten die Kosten beeinflusst.

3. Kosten für bereits erfolgte Maßnahmen (Geschäftsführung ohne Auftrag):

  • Kosten für bereits erfolgte Instandhaltungsmaßnahmen, denen die Kläger nicht widersprochen haben und die ihrem mutmaßlichen Willen entsprachen, können über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 Satz 1 BGB) eingefordert werden.
  • Für die Kosten des Tores, dem die Kläger ausdrücklich widersprochen hatten, kommt diese Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Hier können die Beklagten aber einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung haben (§§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1, 2 BGB), wenn die Kläger sich an den Kosten der Errichtung des Tores nach § 1020 Satz 2 BGB beteiligen müssen.

Fazit:

Der BGH stellte klar, dass der Eigentümer eines dienenden Grundstücks (hier die Beklagten) auch dann einen Anspruch auf anteilige Beteiligung an den Unterhaltungskosten einer Anlage (hier die Hofdurchfahrt) hat, wenn er diese selbst mitbenutzt.

Dieser Anspruch ergibt sich aus der gesetzlichen Pflicht zur schonenden Ausübung der Dienstbarkeit (§ 1020 Satz 2 BGB).

Das Berufungsgericht muss nun klären, in welchem Umfang die Kläger tatsächlich Kosten für die Instandsetzung der Durchfahrt und eventuell für das Tor tragen müssen und wie diese Kosten zwischen den Parteien aufzuteilen sind, gegebenenfalls unter Anwendung der Regeln des Gemeinschaftsrechts.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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