Urteil zu Mobbing und Persönlichkeitsrecht am Arbeitsplatz

November 1, 2025

Urteil zu Mobbing und Persönlichkeitsrecht am Arbeitsplatz

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht Datum: 10. April 2001 Aktenzeichen: 5 Sa 403/00

Dieses Urteil ist ein grundlegendes, sehr detailliertes Urteil im deutschen Arbeitsrecht zum Thema Mobbing und dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und liefert wichtige Klarstellungen für die Praxis.

Der Fall: Degradierung und Systematische Schikane

Ein langjähriger, zuvor hochgelobter Führungskraft (Kläger), der nach BAT II (einer hohen Vergütungsgruppe) eingruppiert war, wurde von seinem Arbeitgeber (einer Sparkasse, der Beklagten) nach Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Vorstand schrittweise und systematisch aus seiner Position gedrängt.

Die Maßnahmen der Sparkasse umfassten:

  • Sofortige Entbindung von Führungsaufgaben und Verbot von Gesprächen mit Mitarbeitern und Kunden.
  • Androhung eines Aufhebungsvertrages und Erteilung unbegründeter, zeitlich verzögerter Abmahnungen (insgesamt 7).
  • Versetzung in die Rechtsabteilung als Sachbearbeiter für Pfändungsangelegenheiten, eine Tätigkeit, die nur nach der viel niedrigeren Vergütungsgruppe BAT VIb bewertet war.
  • Zuweisung von sinnlosen oder entehrenden Aufgaben und Verweigerung angemessener Einarbeitung in der Zwischenzeit.

Der Kläger litt daraufhin unter gesundheitlichen Problemen (Neurasthenie, depressive Episode). Er klagte im Wege einer einstweiligen Verfügung auf Aufhebung der Versetzung und auf Unterlassung der Zuweisung von Aufgaben unterhalb seiner vertraglich vereinbarten Vergütungsgruppe BAT II.

Die Entscheidung des Gerichts (Kernaussagen)

Das Gericht stellte fest, dass die Maßnahmen der Sparkasse eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers darstellten und wertete das Verhalten des Arbeitgebers als systematisches Mobbing.

1. Zum Begriff „Mobbing“

Das Gericht betonte, dass Mobbing kein eigenständiger Rechtsbegriff ist. Es ist ein Sammelbegriff für Verhaltensweisen, die – isoliert betrachtet vielleicht harmlos – in ihrer Gesamtheit und Systematik darauf abzielen, einen Arbeitnehmer zu schikanieren, anzugreifen oder zu diskriminieren.

  • Definition: Mobbing erfasst fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende Verhaltensweisen, die der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienen und die insgesamt das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit verletzen.
  • Zielsetzung: Ein vorgefasster Plan ist nicht nötig; es reicht, wenn die Handlungen einer übergeordneten, rechtswidrigen Zielsetzung (wie hier: den Arbeitnehmer zum Aufgeben des Jobs zu bewegen) förderlich sind.
  • Beweislast: Das Gericht erkannte die Beweisnot von Mobbing-Opfern an und forderte eine faire Beweiswürdigung, die auch die Anhörung der betroffenen Partei und Indizien (wie typische Motivationslagen, Abläufe und gesundheitliche Veränderungen) berücksichtigt.

Urteil zu Mobbing und Persönlichkeitsrecht am Arbeitsplatz

2. Zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Der Arbeitgeber hat eine arbeitsvertragliche Pflicht, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu schützen.

  • Pflichten des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber muss Eingriffe in die Persönlichkeits- und Freiheitssphäre vermeiden, vor Belästigungen schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz bieten und die Arbeitnehmerpersönlichkeit fördern.
  • Verletzung durch Beschäftigung: Eine Verletzung kann nicht nur im vollständigen Entzug der Arbeit liegen, sondern auch in einer nicht vertragsgemäßen Beschäftigung (Degradierung, Zuweisung minderwertiger Aufgaben).
  • Zweck der Maßnahmen: Die Rechtsverletzung liegt insbesondere dann vor, wenn Maßnahmen wie die Zuweisung einer niedrigeren Tätigkeit zielgerichtet als Mittel der Zermürbung eingesetzt werden, um den Arbeitnehmer zur Selbstkündigung zu bringen (sog. „kalter Weg“).

3. Zur Versetzung und Degradierung

Die Versetzung des Klägers in eine 6 Stufen niedrigere Vergütungsgruppe und die Zuweisung von Aufräumarbeiten (statt seiner Managementtätigkeit) war eine unverhältnismäßige und nicht gerechtfertigte Sanktion.

  • Keine Rechtfertigung: Weder die vorübergehende Natur der Versetzung noch die Fortzahlung des höheren Gehalts konnten den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtfertigen.
  • Mobbing als Ursache: Das Gericht sah die Versetzung und die vorgeschobenen Abmahnungen als Bestandteil des systematischen Mobbing-Verhaltens des Arbeitgebers an. Die Handlungen waren auf die Zersetzung der Persönlichkeit des Klägers gerichtet, was in diesem Fall sogar die Grenze zur strafbaren Körperverletzung berührte (durch psychische und physische Schädigung).
  • Konsequenz: Dem Kläger stand daher ein Anspruch auf Unterlassung der Zuweisung von Aufgaben zu, die nicht mindestens der vertraglich vereinbarten Vergütungsgruppe BAT II entsprachen.

4. Zur einstweiligen Verfügung

Das Gericht bejahte, dass der Kläger die Unterlassung im Eilverfahren (einstweilige Verfügung) durchsetzen durfte, da ihm andernfalls bis zum Ende eines langwierigen Hauptsacheverfahrens ein irreparabler Schaden (die nicht nachholbare vertragsgemäße Beschäftigung und die fortgesetzte Schädigung seiner Persönlichkeit) entstanden wäre. Die Verweigerung des Schutzes wäre eine Rechtsschutzverweigerung gewesen.


Fazit

Dieses Urteil ist ein Meilenstein im Kampf gegen Mobbing am Arbeitsplatz. Es stellt klar, dass Arbeitgeber Mitarbeiter nicht einfach so in niedrigere, nicht vertragsgemäße Positionen versetzen dürfen, auch wenn das Gehalt weitergezahlt wird. Entscheidend ist der Schutz der Arbeitnehmerpersönlichkeit und der beruflichen Ehre. Wenn Handlungen des Arbeitgebers darauf abzielen, einen Mitarbeiter psychisch zu zermürben, um ihn loszuwerden, liegt ein rechtswidriges Mobbing-Verhalten vor, gegen das man sich auch im Eilverfahren erfolgreich wehren kann.

RA und Notar Krau

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