ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15

Oktober 6, 2022

ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15 – Urteil vom 10.03.2016 – Urlaubs-/Weihnachtsgeld – Anrechnung auf Mindestlohn

1. Vergütungsbestandteile, die laufend monatlich ohne besondere Zweckbindung durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer als echte Entgeltleistung bezahlt werden, sind auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar.

Eine lediglich formale Bezeichnung der Leistungen als “Urlaubs-/Weihnachtsgeld” steht einer Anrechnung nicht entgegen.

2. Ein etwaiger (im konkreten Falle aufgehobener) vereinbarter Freiwilligkeitsvorbehalt steht einer Anrechnung nicht entgegen.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf Euro 753,76 festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung rückständiger Beträge unter dem Gesichtspunkt der Geltung des Mindestlohngesetzes (nachfolgend MiLoG).

Die Klägerin ist seit dem 01.12.2008 bei der Beklagten als Verkaufshilfe, zuletzt in Teilzeit zu 120 Stunden monatlich, beschäftigt.

Die Beklagte bezahlt an die Klägerin seit dem 01.01.2015 ein monatliches Gesamtbruttoentgelt von 1.020,50 Euro, wobei in diesem Betrag ein Betrag von 925,78 Euro brutto zuzüglich eines Betrages für „Sonderzahlung/anteiliges Weihnachtsgeld bzw. Urlaubsgeld von 38,57 Euro (58,15 Euro brutto) enthalten ist (vgl. die vorgelegten Abrechnungen für die Monate Januar 2015 bis August 2015, Anlage B4, Abl. 45 ff.). In den Zeiträumen des Krankengeldbezuges der Klägerin am 24.04.2015 und vom 24.07.2015 – 01.08.2015 wurde weder das Grundgehalt noch die Sonderzahlungen geleistet.

Die Klägerin arbeitete in den Monaten Januar 2015 bis Oktober 2015 regelmäßig unter 120 Stunden monatlich (vgl. im Einzelnen die nicht bestritten aufgeführten Zeiten im Schriftsatz der Beklagten vom 30.11.2015, Abl. 21). Die jeweiligen Abrechnungen enthalten jeweils folgenden Vermerk:

„Liebe Mitarbeiter/innen,seit 01.01.2012 werden Sonderzahlungen wie z.B. Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld als fester Gehaltsbestandteil bereits mit jeweils 1/12 der jährlichen Gesamtsumme jeden Monat ausbezahlt ….(…)“

Die Beklagte zahlt jedenfalls seit dem Jahr 2012 das Urlaubsgeld unabhängig vom Urlaubsantritt bzw. der Urlaubsnahme als festen monatlichen Betrag, auch das Weihnachtsgeld wird als fester monatlicher Betrag bezahlt. Sowohl Weihnachtsgeld als auch Urlaubsgeld wird nur bezahlt, wenn der Klägerin im Übrigen ein Entgeltanspruch zusteht.

Dem Arbeitsverhältnis der Parteien lag zunächst der unter dem Datum vom 11.11.2008 abgeschlossene Arbeitsvertrag zu Grunde. Dieser enthält in § 5 spezifische Regelungen zu „Sonderzahlungen/Zuwendungen“, insbesondere einen Freiwilligkeitsvorbehalt und eine Stichtags- und Rückzahlungsklausel (vgl. im Einzelnen Anlage B1, Abl. 33 ff.).

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Unter dem Datum vom 31.03.2012 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, dieser enthält in § 4 und § 5 nachfolgende Regelungen (vgl. im Einzelnen Anlage B2, Abl. 38 ff.):

„§ 4 Vergütung

4.1.1 Der/die Arbeitnehmer/in erhält ein monatliches Gehalt von 1.800,00 EUR brutto.

4.1.2. Freiwillige Sonderzahlungen gemäß § 5 wie:

Das Urlaubsgeld beträgt zur Zeit EUR 977,00 1/12 davon sind monatlich EUR 81,42 brutto

Das Weihnachtsgeld beträgt zur Zeit EUR 900,00 1/12 davon sind monatlich EUR 75,00 brutto

ergibt einen monatlichen Auszahlungsbetrag (beinhaltet: Gehalt, freiwillige Sonderzahlung Urlaubsgeld und freiwillige Sonderzahlung Weihnachtsgeld) von EUR 1.956,42 brutto

§ 5 Sonderzahlungen z.B. Urlaubsgeld/Weihnachtsgeld

5.1 Der/die Arbeitnehmer/in erkennt an, dass etwaige Sonderzahlungen/Zuwendungen freiwillig gezahlt werden und hierauf auch nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch erwächst.

5.2 Die jeweilige Höhe der Zahlung steht im Ermessen der Arbeitgeberin und kann von der Arbeitgeberin jeweils zum Beginn eines jeden Kalenderjahres neu festgelegt werden.

5.3 Freiwillige Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld werden derzeit in 12 gleichen Teilbeträgen mit dem laufenden monatlichen Gehalt ausgezahlt.(…)“

Unter dem Datum vom 29.08.2014 schlossen die Parteien einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag ab (vgl. Anlage K2, Abl. 10 f.), dieser enthält unter § 4 nachfolgende Regelung:

„§ 4 Vergütung

4.1. (4.1.1.) Der/die Arbeitnehmer/in erhält ein monatliches Gehalt von 897,00 EUR brutto.

4.1.2. Freiwillige Sonderzahlung gemäß §5 wie:

Das Urlaubsgeld beträgt zur Zeit EUR 673,79 1/12 davon sind monatlich EUR 56,15 brutto

Das Weihnachtsgeld beträgt zur Zeit EUR 448,50 1/12 davon sind monatlich EUR 37,38 brutto
ergibt einen monatlichen Auszahlungsbetrag (beinhaltet: Gehalt, freiwillige Sonderzahlung Urlaubsgeld und freiwillige Sonderzahlung Weihnachtsgeld) von EUR 990,53 brutto

Die Klägerin ist der Rechtsaufassung, dass weder das bezahlte Weihnachtsgeld noch das Urlaubsgeld bei der Betrachtung der Frage, ob die Beklagte den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG gewähre, Berücksichtigung finden könne.

Mit diesen Zahlungen würde keine Arbeitsleistung abgegolten. Im Übrigen fehle es an der Unwiderruflichkeit der Leistung, so dass die Sonderzuwendungen nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden könnten. Die Formulierung in den Arbeitsverträgen, wonach die Beträge „zur Zeit“ in der entsprechenden Höhe geleistet würden, belege gerade, dass kein fester Gehaltsbestandteil vorliege.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den noch offenen Betrag in Höhe von 753,76 Euro brutto nebst 5% -Punkte Zinsen seit dem 01.10.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt:

Klagabweisung.

Die Klage sei bereits unschlüssig, da die Klägerin nicht darlege, wie sie konkret in den einzelnen Monaten gearbeitet habe. Nur auf Basis von gearbeiteten Stunden bestünde ein Mindestlohnanspruch, eine abstrakte fiktive Berechnung auf Basis der monatlich vereinbarten Stunden sei nicht möglich.

Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass die gewährten Sonderzahlungen als feste, monatlich gewährte Gehaltsbestandteile auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin angerechnet werden könnten.

Ein etwaig bestehender Freiwilligkeitsvorbehalt – der im Übrigen selbst bei dessen Fortbestehen einer Anrechnung der Zahlungen auf den Mindestlohn nicht entgegenstehe – sei durch die schriftlich vereinbarten Vertragsänderungen bzw. zumindest durch die eindeutigen Hinweise im Rahmen der Abrechnungen aufgehoben worden.

Da die Zahlungen als fester Gehaltsbestandteile auch in dem nach dem Mindestlohn vorgesehenen Fälligkeitszeitraum bezahlt würden, sei – unabhängig von den Streitpunkten, welche Zahlungen im Einzelfall auf den Mindestlohn angerechnet werden können – eine Anrechnungsmöglichkeit im vorliegenden Fall eindeutig.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verhandlungsprotokolle verwiesen, vgl. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Gründe ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht kein weitergehender Zahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag zu. Die Klage erweist sich bereits als unschlüssig (vgl. I. 1 der Gründe). Im Übrigen hat die Beklagte durch die Zahlung des monatlich geleisteten „Weihnachts- und Urlaubsgeldes“ den Mindestlohnanspruch der Klägerin in jeden Fall erfüllt, da diese Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin anzurechnen sind (vgl. I. 2 der Gründe). Im Einzelnen:

I.

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1. Die (wenn nicht sogar im Hinblick auf die Anforderungen der §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 253 Abs. 2 ZPO sogar unzulässige) Klage ist bereits unschlüssig.

a) Unabhängig von der streitigen Frage, ob der Mindestlohnanspruch nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG nur für geleistete Arbeitsstunden besteht, wofür der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 MiLoG („erbrachte Arbeitsleistung“) spricht (vgl. zum Streitstand etwa Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 460 § 1 MiLoG Rz. 18 ff. m.w.N.) hat der für den Lohnanspruch darlegungs- und beweisbelastete Arbeitnehmer darzulegen, ob er den Anspruch aus geleisteter Arbeit bzw. aus sonstigen Rechtsvorschriften, die einen Zahlungsanspruch auch ohne Arbeitsleistung vorsehen (etwa § 3 EFZG, §§ 611,615 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag) begehrt (so zutreffend etwa Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 1 Rz. 37 f.).

b) Die Klägerin erfüllt – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – ihre Darlegungslast nicht. Sie trägt im Ergebnis lediglich einen „fiktiven (Mindest-)Lohnanspruch“ vor, wenn sie in der Klagebegründung ausführt, dass nach dem Arbeitsvertrag 120 Arbeitsstunden monatlich vereinbart sind und hieraus ein Anspruch nach dem MiLoG in Höhe von 1.020,00 Euro brutto monatlich resultiere, was einem monatlichen Differenzanspruch von 94,22 Euro brutto monatlich entspreche, womit für 8 geltend gemachte Monate ein Nachzahlungsanspruch von 753,76 Euro brutto bestehe.

Ob die Klägerin 120 Stunden im Monat tatsächlich gearbeitet hat bzw. aus welchem Rechtsgrund sonst ein Anspruch (gegebenenfalls in Verbindung mit dem MiloG) besteht, wird nicht dargelegt.

2. Die Klage ist auch im Übrigen unbegründet. Auch bei der Annahme, dass die Klägerin einen Mindestlohnanspruch für 120 Stunden (monatliche Arbeitszeit nach dem Arbeitsvertrag) gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 MiLoG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag schlüssig dargelegt hat, besteht aufgrund Erfüllung durch die Beklagte (§ 362 BGB) kein Anspruch der Klägerin.

Die Beklagte hat mit der monatlichen Zahlung von 1.020,50 Euro brutto einen etwaigen Mindestlohnanspruch der Klägerin in Höhe von 1.020,00 Euro brutto (120 mal 8,50 Euro brutto) erfüllt, entgegen der Ansicht der Klägerin sind die monatlich durch die Beklagte bezahlten Beträge in Höhe von 38,57 Euro bzw. 58,15 Euro brutto auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin anzurechnen.

a) Das MiLoG gibt keine ausdrücklichen Anhaltspunkte, welche Zahlungen des Arbeitgebers als mindestlohnwirksam betrachtet werden können. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass man zumindest im Ausgangspunkt auf die Rechtsprechung des EUGH zur AN-EntsendeRL 96/71/EG zurückgreifen kann (so etwa Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 460 MiLoG § 1 Rz. 11; vgl. auch Gegenäußerung BReg. BT-Drs. 18/1558, S. 67; Däubler, NJW 2014, 1924 (1926); a.A. etwa Bayreuther, NZA 2014, S. 865, 868 f.).

Nach der EUGH Rechtsprechung können Vergütungsbestandteile in den Mindestlohn einbezogen werden, wenn sie das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der Gegenleistung, die er dafür erhält, auf der anderen Seite nicht verändern (EUGH vom 14.04.2005, NZA 2005, 773; EUGH vom 07.11.2013, NZA 2013, 1359).

ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15

Das Bundesarbeitsgericht geht in Urteilen zum AentG von einer Anrechnung aus, wenn der Zweck der Leistung des Arbeitgebers mit dem Zweck des Mindestlohnes „funktionell gleichwertig“ ist, wenn also die Zahlung des Arbeitgebers die „Normalleistung“ des Arbeitnehmers abgelten soll (so etwa BAG vom 18.04.2012, NZA 2013, 392; vgl. auch BAG vom 16.04.2014, NZA 2014, 1277).

Unabhängig von Streitpunkten im Einzelnen sind Einmalzahlungen wie etwa Weihnachts- und Urlaubsgeld jedenfalls dann nach so wie ersichtlich einhelliger Meinung als mindestlohnwirksam anzusehen, wenn sie als monatliche Zahlungen bzw. zu dem für den Mindestlohn relevanten Fälligkeitsdatum (vgl. hierzu § 2 I S. 1 Nr. 2 MiLoG) unwiderruflich als echte Entgeltbestandteile – unabhängig von sonstigen weiteren Voraussetzungen wie etwa tatsächlicher Urlaubsantritt, besondere Stichtagsklausel etc. – ausbezahlt werden, d.h. keine Sonderzahlungen im klassischen Sinne, die nicht die Arbeitsleistung vergüten sollen, darstellen (vgl. nur Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, § 1 MiLoG 460 § 1 Rz. 15; vgl. auch Arbeitsgericht Herne vom 07.07.2015 – 3 Ca 684/15; vgl. auch Sittard, NJW 2016, 264; vgl. auch LAG Hamm vom 14.01.2016 – 18 Sa 1279/15; für eine fehlende Anrechnungsmöglichkeit, soweit die Zahlung des Urlaubsgeldes bzw. Weihnachtsgeldes nicht der Vergütung der Arbeitsleistung dienen soll, d.h. an andere Zwecke wie etwa die tatsächliche Urlaubsnahme anknüpft, hingegen etwa LAG-Berlin Brandenburg vom 02.10.2015 – 9 Sa 570/15; vgl. auch Arbeitsgericht Bautzen vom 25.06.2015 – 1 Ca 1094/15; vgl. auch Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 1 Rz. 44).

b) Nach den obig dargestellten Ausführungen sind die monatlich geleisteten Zahlungen der Beklagten in Höhe von 38,57 Euro brutto bzw. 58,15 Euro brutto als monatliche Zahlungen, die die Arbeitsleistung vergüten und ersichtlich keinen sonstigen Zwecken (mehr) dienen, als mindestlohnwirksam anzuerkennen.

aa) Die Beklagte erbringt die Leistungen als unwiderrufliche Leistungen. Richtig ist zwar, dass der ursprüngliche Arbeitsvertrag nicht nur einen Freiwilligkeitsvorbehalt enthielt, sondern eine Rückzahlungsklausel vorsah (vgl. Abs. 3 des § 5 des Arbeitsvertrages vom 11.11.2008).

Der Vertrag ist indes in den entscheidenden Punkten durch die Vertragsänderungen aus dem Jahre 2012 (Anlage B2) und 2014 (Anlage B3) abgeändert worden.

In dem Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2012 ist die Rückzahlungsklausel entfallen, vielmehr ist in Ziffer 5.3 geregelt, dass freiwillige Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld derzeit in 12 gleichen Teilbeträgen mit dem laufenden monatlichen Gehalt ausbezahlt werden.

In diesem Zusammenhang ist auch der Änderungsvertrag aus dem Jahre 2014 zu sehen, der in § 4.1.2 nur noch von „freiwilligen Sonderzahlungen“ in fester Höhe spricht. Im Ergebnis ist die ursprünglich vorhandene Rückzahlungsklausel aufgehoben worden.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert hieran auch der Umstand nichts, dass im Änderungsvertrag vom 29.08.2014 angeführt ist, dass das Weihnachts-bzw. Urlaubsgeld zur Zeit 673,79 Euro bzw. 448,50 Euro brutto (monatlich 56,15 bzw. 37,38 Euro brutto) betrage.

ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15

Diese Formulierung gibt nur die zur Zeit aktuelle Höhe des Betrages wieder, stellt jedoch keinen Vorbehalt der Zahlung als solcher dar und regelt auch keinen Rückzahlungsvorbehalt.

Eine derartig weitgehende Erklärung kann den Worten „zur Zeit“ nicht entnommen werden.

bb) Die Beklagte erbringt die Zahlungen als monatliche Zahlungen im maßgeblichen Fälligkeitszeitraum (im Zeitraum, den § 2 Abs. 1 MiLoG als Fälligkeitszeitraum definiert) und die Zahlungen sind echte Entgeltbestandteile, die weder ausschließlich noch parallel (sog. gemischte Zweckbindung) andere Zwecke wie etwa Betriebstreue oder ein Erholungsbedürfnis (bezüglich des Urlaubsgeldes) verfolgen.

Die Beklagte hat – klägerseits nicht bestritten – dargelegt, dass das Urlaubsgeld unabhängig von der tatsächlichen Urlaubsnahme als monatlich fester Gehaltsbestandteil bezahlt wird.

Ferner hat die Beklagte dargelegt, dass die Zahlungen nur erfolgen, wenn ein Lohnanspruch der Klägerin, etwa aus geleisteter Arbeit oder aufgrund Entgeltfortzahlung besteht.

Für die Zeit des Krankengeldbezuges erfolgte die Zahlung nicht.

Dies dokumentiert eindeutig, dass die geleisteten Zahlungen Entgelt im engeren Sinne sind.

Dies wird auch durch den im Rahmen der Abrechnung enthaltenen Hinweis bestätigt, wonach Sonderzahlungen wie z.B. Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld als fester Gehaltsbestandteil bereits mit jeweils 1/12 der jährlichen Gesamtsumme jeden Monat ausbezahlt werden.

Zusätzlich ist in der Januar 2015 Abrechnung aufgeführt, dass die Mitarbeiter ab dem 01.01.2015 eine Gehaltserhöhung erhalten. In diesem Rahmen wurden auch die monatlichen Teilbeträge angepasst, auch dies bestätigt die Auslegung als echter – von sonstigen Zwecken unabhängiger – Entgeltbestandteil.

ArbG Stuttgart 11 Ca 6834/15

cc) Die geleisteten Zahlungen der Beklagten stehen – jedenfalls bezüglich der Zeiträume, die Gegenstand der Klage sind – unter keinem Freiwilligkeitsvorbehalt. Im Übrigen würde selbst bei fortbestehendem Freiwilligkeitsvorbehalt die Mindestlohnwirksamkeit der Zahlungen nicht entfallen.

(1) Der ursprüngliche Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2008 enthält mit der Formulierung in § 5 Absatz 1 „Der/die Arbeitnehmer/in erkennt an, dass etwaige Sonderzahlungen/Zuwendungen freiwillig gezahlt werden und hierauf auch nach wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch erwächst“ einen Freiwilligkeitsvorbehalt.

Dieser führt – die AGB-rechtliche Wirksamkeit unterstellt – dazu, dass der Arbeitgeber (für die Zukunft) frei ist, ob er eine entsprechende Leistung gewährt oder nicht (vgl. nur etwa Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, 230 BGB §§ 305 – 310, Rz. 72 m.w.N.; vgl. auch BAG vom 14.09.2011, NZA 2012, S. 81).

Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt ist aufgehoben worden. Durch die Formulierung in den monatlich erteilten Abrechnungen, wonach die Zahlungen als fester monatlicher Gehaltsbestandteil erfolgen, hat die Beklagte ein Angebot auf Aufhebung des Freiwilligkeitsvorbehalts unterbreitet, welches der Kläger über § 151 BGB (als für ihn günstiges Angebot) angenommen hat.

Die Formulierung „fester Gehaltsbestandteil“ bringt gerade deutlich zum Ausdruck, dass die Zahlungen nicht einer einseitigen Änderungsmöglichkeit bzw. Einstellungsmöglichkeit der Beklagten (in der Zukunft) unterliegen sollen.

Ob im Übrigen darüber hinaus durch die Vertragsformulierung im Änderungsvertrag 2014, wonach unter § 4.1.2 nur noch auf eine „freiwillige Sonderzahlung nach § 5“ abgestellt wird (ohne die nochmalige Formulierung, dass die Leistungen nicht nur freiwillig erfolgen, sondern auch ohne Rechtsanspruch für die Zukunft), kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

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(2) Selbst wenn man nicht von einer Aufhebung des Freiwilligkeitsvorbehalts ausgehen würde, wären die Zahlungen dennoch mindestlohnwirksam. Entscheidend ist, dass auch bei einem bestehenden Freiwilligkeitsvorbehalt die geleisteten Zahlungen für den Fälligkeitszeitraum feststehen und – anders als bei einem Widerrufsvorbehalt bzw. bei einer Rückzahlungsklausel – nicht wieder (einseitig) entzogen werden können.

Die Zahlungen stellen daher auch bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt einen festen Gehaltsbestandteil im maßgeblichen Fälligkeitszeitraum dar (selbst für den Fall der Rückzahlungsklausel von einer Mindestlohnrelevanz ausgehend, da die Klausel keine Wirksamkeit entfalte, Arbeitsgericht Herne vom 07.07.2015 – 3 Ca 684/15 unter Rz. 28 der Gründe).

Die rechtsgeschäftliche Bindung bezüglich der gewährten Leistung besteht bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt fort und begrenzt nur die Bindung für die Zukunft (vgl. hierzu auch Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage, §§ 305 – 310 BGB Rz. 72 m.w.N.; vgl. auch Preis/Sagan, NZA 2012, 697).

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

II.

Die Klägerin trägt als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits, vgl. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

III.

Der Urteilsstreitwert (§ 61 Abs. 1 S. 1 ArbGG) war auf den Nennbetrag der geltend gemachten (Haupt-)Forderung festzusetzen, vgl. § 3 ZPO.

IV.

Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG bestanden nicht.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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