ArbG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2012 – 27 BV 8/12

April 4, 2021

ArbG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2012 – 27 BV 8/12

Tenor

Der Betriebsrat wird aufgelöst.
Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1. begehrt die Auflösung des Beteiligten zu 2.

Die Beteiligte zu 1. (nachfolgend auch Arbeitgeberin) führt ein … Restaurant in Hamburg-B.. In diesem Restaurant werden ca. 25 Mitarbeiter beschäftigt. Der Beteiligte zu 2. (nachfolgend auch Betriebsrat) ist der dort erstmals am 27.04.2010 gewählte dreiköpfige Betriebsrat, bestehend aus Frau M., der Vorsitzenden, Herrn S., dem stellvertretenden Vorsitzenden und Frau K.. Das letzte verbliebene Ersatzmitglied ist Frau A..

Der Beteiligte zu 2. hat im Jahr 2010 zahlreiche Rechtsstreitigkeiten angestrengt, die zum Teil noch im Jahr 2010 und zum Teil im Laufe des Jahres 2011 beendet wurden. Hierbei ging es u.a. um die Teilnahme an Betriebsratsschulungen und die Übernahme der entstandenen Kosten durch die Beteiligte zu 1. In diesem Verfahren zu dem Aktenzeichen 8 BV 26/10 wurden Betriebsratsbeschlüsse vom 11.08.2010 vorgelegt. In weiteren Verfahren ging es um die Mitbestimmung bei der Dienstplaneinteilung und die Zurverfügungstellung von Betriebsratsequipment. Es haben seit der Wahl des Betriebsrats keine Betriebsversammlungen stattgefunden. Auch gab es keine Einladungen zu Betriebsversammlungen. In weiteren Rechtsstreitigkeiten wurde u.a. um die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern gestritten.

Unter dem Aktenzeichen 27 BV 12/12 ist ein weiteres Verfahren anhängig, in dem 22 Mitarbeiter der Beteiligten zu 1. die Auflösung des Beteiligten zu 2. begehren. In diesem Verfahren tragen die Mitarbeiter u.a. vor, dass der hiesige Beteiligte zu 2. nicht für ihre Sorgen und Nöte zur Verfügung stehe und nicht aktiv werde. Die Beteiligte zu 1. ist auch diesem Verfahren beteiligt.

Die Beteiligte zu 1. meint, dass der Beteiligte zu 2. keine Betriebsratsaufgaben wahrnehme. Sie habe den Beteiligten zu 2. nicht an der Ausübung seiner Tätigkeit gehindert. Auch seien ihm Dienstpläne zur Verfügung gestellt worden. In der zweiten Hälfte des Jahres 2010 und im gesamten Jahr 2011 hätten keine Betriebsratssitzungen stattgefunden. Das Ersatzmitglied A. sei zu keiner Betriebsratssitzung eingeladen worden. Bereits aus der Nichtdurchführung der Betriebsversammlungen ergebe sich, dass der Beteiligte zu 2. aufzulösen sei. Der Beteiligte zu 2. sei im Übrigen auch nicht handlungsfähig, da Frau M. im Jahr 2010 an 135 Tagen, im Jahr 2011 an 293 Tagen und im Jahr 2012 an bereits 158 Tagen arbeitsunfähig gewesen sei. Frau K. sei 2010 an 162 Tagen, 2011 an 204 Tagen und 2012 an 171 Tagen arbeitsunfähig gewesen. Zu den Krankheitszeiten wird auf die Anlagen ASt 2 (Bl. 114 d.A.) und ASt 3 (Bl. 115 d.A.) verwiesen.

Der Beteiligte zu 1. beantragt,

den Betriebsrat aufzulösen.

Der Beteiligte zu 2. beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2. trägt vor, dass er seit seiner Gründung von der Beteiligten zu 1. an der Ausübung seines Amtes gehindert worden sei. Mitglieder seien drangsaliert worden durch Kündigungen, Abmahnungen oder Versetzungen. Der Vorsitzenden sei das Gehalt im Rahmen ihres Urlaubs nicht gezahlt worden. Den Mitgliedern sei die Teilnahme an Schulungen verweigert worden. Auch die Mitbestimmung bei der Dienstplangestaltung sei verweigert worden. Dies ergebe sich aus den zahlreichen Gerichtsverfahren. Das Vorgehen der Beteiligten zu 1. sei verwerflich gewesen. Die Mitglieder litten unter psychischen Qualen, was eine längere Dauer von Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt hätte, sodass die Betriebsratstätigkeit nur noch schwer zu realisieren gewesen sei. Vor der Einleitung der Beschlussverfahren hätten Betriebsratssitzungen stattgefunden. Betriebsversammlungen seien in der Vergangenheit geplant worden, jedoch aufgrund der grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Beteiligten zu 1. nicht durchgeführt worden. Im Übrigen sei es richtig, dass er, der Betriebsrat, nie wirklich im Rahmen seiner Aufgaben tätig gewesen sei.

Wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 80 Abs. 2, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 313 Abs. 2 ZPO).

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist zulässig. Die Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. folgt unmittelbar aus § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Die Beteiligte zu 1. begehrt die Auflösung des Beteiligten zu 2. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG können mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Vorliegend wurde der Antrag vom Arbeitgeber, dem Beteiligten zu 1., gestellt. Dieser ist nach der vorgenannten Vorschrift antragsbefugt.

2. Der Antrag begründet. Der Beteiligte zu 2. war nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG aufzulösen.

a. Nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG kann ein Betriebsrat aufgelöst werden, wenn er seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt hat. Voraussetzung ist zunächst die Verletzung gesetzlicher Pflichten. Allerdings reicht nicht jede Verletzung aus. Vielmehr muss diese auch grob sein. Nach der Rechtsprechung des BAG, der sich die Kammer anschließt, ist maßgeblich, ob die Pflichtverletzung objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist. Dies kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der betrieblichen Gegebenheiten und des Anlasses der Pflichtverletzung beurteilt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Auflösung des Betriebsrats eine besonders einschneidende Sanktion ist. Dementsprechend ist ein grober Verstoß des Betriebsrats nur anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die weitere Amtsausübung des Betriebsrats untragbar erscheint (BAG v. 22.06.1993, 1 ABR 62/92, juris, Rn. 53).

aa. Eine Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn die im BetrVG vorgesehenen Betriebsversammlungen nicht durchgeführt wurden. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat der Betriebsrat einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen und in ihr einen Tätigkeitsbericht zu erstatten. Hierbei handelt es sich um eine Pflicht des Betriebsrats (vgl. Thüsing-Annuß, BetrVG, 13. Aufl. 2012, § 43 Rn.22). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG sowie aus der Systematik. Nach § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG „hat“ der Betriebsrat die Betriebsversammlungen einzuberufen. Demgegenüber „kann“ der Betriebsrat nach § 43 Abs. 1 S. 4 BetrVG in besonderen Fällen in jedem Kalendervierteljahr eine weitere Betriebsversammlung einberufen. Das Gesetz geht hier also davon aus, dass lediglich bei den zusätzlichen Betriebsversammlungen ein Ermessensspielraum besteht, im Übrigen der Betriebsrat jedoch gebunden ist. Die Belegschaft hat einen Anspruch auf kontinuierliche Unterrichtung, den der Betriebsrat durch die Betriebsversammlungen erfüllen muss (vgl. Vogt, Die Betriebs- und Abteilungsversammlung, 3. Aufl. 1977, S. 34). Die Nichteinberufung von Pflichtversammlungen kommt – abhängig von dem Umständen des Einzelfalls – nach der Rechtsprechung als grobe Pflichtverletzung grundsätzlich in Betracht (vgl. die Übersicht bei DKK-Trittin, BetrVG, 13. Aufl. 2012, § 23 Rn.162 Fn.176). Nach einer Entscheidung des LAG Frankfurt fanden in zwei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils lediglich zwei und im dritten Jahr eine Betriebsversammlung statt (Hessisches LAG v. 12.08.1993, 12 TBV 203/92). In dem Fall des LAG Hamm fand innerhalb von eineinhalb Jahren nach der Betriebsratswahl keine Versammlung statt (LAG Hamm v. 25.09.1959, DB 1959, 1227). Das ArbG Göttingen sah in der Nichtdurchführung einer Versammlung trotz Antrags einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft einen groben Verstoß (ArbG Göttingen v. 30.5.1996, 2 BV 6/96). In einer Entscheidung des LAG Mainz lehnte diese einen groben Pflichtenverstoß nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles ab. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der im April 1959 gewählte Betriebsrat nur im Januar 1960 und im März 1960 eine Betriebsversammlung einberufen (LAG Mainz v. 5.4.1960, 1 Sa BV 1/60, BB 1960, 982).

bb. Eine grobe Pflichtverletzung kann auch bei der Nichtwahrnehmung der im BetrVG dem Betriebsrat zugewiesenen Rechte gesehen werden. Dies ist die allgemeine Ansicht in Rechtsprechung und Literatur. In § 23 BetrVG 1952 kam im Wortlaut deutlich zum Ausdruck, dass eine Auflösung des Betriebsrats bei der „groben Vernachlässigung gesetzlicher Befugnisse“ (BGBl. I 1952, 681, 684) in Betracht kam. Das BAG hat hierzu festgestellt, dass es sich bei der „Verletzung der gesetzlichen Pflichten“ um einen weitergehenden Begriff handelt, der die Vernachlässigung der gesetzlichen Befugnisse umfasst. Die ausdrückliche Erwähnung im BetrVG 1952 diene offenbar einer Verdeutlichung der Tatbestandsmöglichkeiten (BAG v. 05.09.1967, 1 ABR 1/67, juris, Rn. 32; ebenso Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/2, 1970, S. 1183 f.). Durch die Änderung des Wortlauts des § 23 BetrVG 1972 sollte hieran nichts geändert werden (vgl. GK-Oetker, BetrVG, 9. Aufl. 2009, § 23 Rn. 18). Die dem Betriebsrat nach dem BetrVG gegebenen Rechte und Befugnisse bestehen nicht um ihrer selbst willen. Vielmehr ist der Betriebsrat verpflichtet, hiervon im Rahmen eines pflichtgemäßen Ermessens Gebrauch zu machen. Andernfalls würde der Betriebsrat seine Funktion als Repräsentant der Belegschaft (vgl. Richardi-ders., BetrVG, 13. Aufl. 2012, Einl. Rn. 101) verfehlen. Das BetrVG würde bei der Untätigkeit des Betriebsrats leer laufen. Da die Wahl eines neuen Betriebsrats unzulässig ist, solange noch ein Betriebsrat besteht, Neuwahlen also für die gesamte Amtszeit blockiert sind, ist § 23 Abs. 1 BetrVG die einzige Möglichkeit, um vorzeitig die Wahl eines neuen Betriebsrat zu erzwingen. Andernfalls blieben die Arbeitnehmer faktisch für eine gesamte Amtsperiode ohne Interessenvertretung. Auch der Arbeitgeber wäre blockiert, da er beispielsweise im Rahmen der Tatbestände des § 87 BetrVG zwingend auf die aktive Mitarbeit des Betriebsrats angewiesen ist. Dementsprechend ist in der Vernachlässigung gesetzlicher Befugnisse ein Anwendungsfall der Verletzung gesetzlicher Pflichten zu sehen (GK-Oetker, BetrVG, 9. Aufl. 2009, § 23 Rn. 18, 103; ErfK-Koch, 11. Aufl. 2011, § 23 BetrVG Rn. 3; Fitting, 26. Aufl. 2012, § 23 Rn. 36; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/2, 1970, S. 1183 f.; Richardi-Thüsing, 13. Aufl. 2012, § 23 Rn. 4; DKK-Trittin, 13. Aufl. 2012, § 23 Rn. 7, 166; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. II: Betriebsverfassung, 2008, S. 489).

b. Der Beteiligte zu 2. hat in grober Weise gegen seine Pflichten verstoßen.

aa. Der Beteiligte zu 2. hat seit seiner Wahl im April 2010 bis zum Tag der Anhörung vor der Kammer am 27.06.2012 keine Betriebsversammlung durchgeführt. In diesem Zeitraum hätte der Beteiligte zu 2. neun Betriebsversammlungen durchführen müssen. Dieser Verstoß gegen die Pflicht aus § 43 Abs. 1 BetrVG ist auch als grob anzusehen. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, ob überhaupt Betriebsversammlungen geplant waren. Trotz Auflage des Gerichts hat der Beteiligte zu 2. nicht vorgetragen, wann eine Betriebsversammlung geplant worden wäre und aufgrund welcher Umstände er davon ausgeht, dass der Arbeitgeber diese Betriebsversammlung verhindert hätte. Der Beteiligte zu 2. hat damit über einen langen Zeitraum mehrfach seine Pflichten verletzt, zumindest jedes Vierteljahr. Es waren keine betrieblichen Besonderheiten ersichtlich, dass der Beteiligte zu 2. von der Durchführung der Betriebsversammlungen absehen durfte. Zwar ist grundsätzlich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber den Beteiligten zu 2. an der Durchführung von Betriebsversammlungen gehindert hat. Hierzu hat der Beteiligte zu 2. – abgesehen von der pauschalen Behauptung – nichts vorgetragen. Im Übrigen entschuldigt ein mögliches Verhalten des Arbeitgebers den Beteiligten zu 2. auch nicht dahingehend, nicht einmal eine Betriebsversammlung geplant zu haben. Aufgrund des Zeitraums und der Anzahl der nicht durchgeführten Betriebsversammlungen ist der Verstoß gegen die Pflichten aus § 43 Abs. 1 BetrVG besonders schwerwiegend. Die damit einhergehende fortgesetzte Verletzung des Anspruchs der Belegschaft auf kontinuierliche Unterrichtung macht die weitere Amtsausübung nicht tragbar.

Der Verstoß gegen § 43 Abs. 1 BetrVG betrifft nicht bloß einzelne Betriebsratsmitglieder, insbesondere seine Vorsitzende und deren Stellvertreter, sondern den Beteiligten zu 2. als Gremium. Insofern waren nicht bloß einzelne Mitglieder aus dem Betriebsrat auszuschließen.

bb. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 2. ab der zweiten Jahreshälfte 2010 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 27.06.2012 seine Betriebsratsaufgaben in irgendeiner Form wahrgenommen hat. Der Beteiligte zu 2. hat sogar eingeräumt, „nie wirklich im Rahmen seiner Aufgaben tätig gewesen zu sein.“ Dem Betriebsrat wurde mit Beschluss des Gerichts aufgegeben, konkretisiert nach Datum darzulegen, welche Betriebsratstätigkeit er seit seiner Wahl entfaltet hat – insbesondere welche der in § 80 Abs. 1 BetrVG genannten Aufgaben er wahrgenommen hat – und welche Betriebsratssitzungen stattgefunden haben. Hierauf hat der Beteiligte zu 2. lediglich auf die Aktenzeichen einzelner Beschlussverfahren sowie der Urteilsverfahren seiner Mitglieder verwiesen. Soweit es sich hierbei um Verfahren handelt, die in anderen Kammern des Arbeitsgerichts anhängig waren, kann nicht von einer Kenntnis der Kammer ausgegangen werden. Die Kammer war auch nicht verpflichtet, die zahlreichen anderen Akten beizuziehen, solange nicht der Beteiligte zu 2. zumindest allgemein darlegt, welche Erkenntnis sich aus den Akten gewinnen lassen sollte. So weit reicht der im Beschlussverfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz nicht. Zu einer Ermittlungstätigkeit „ins Blaue hinein“ ist das Gericht nicht verpflichtet (Weth, in: Schwab/Weth, ArbGG, 3. Aufl. 2011, § 83 Rn. 6). Im Übrigen wurde der Beteiligte zu 2. darauf hingewiesen, dass die bloße Nennung von Aktenzeichen nicht ausreichend ist. Insofern ist der Beteiligte zu 2. seiner Pflicht zur Mitwirkung nach § 83 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht nachgekommen. Zudem sind die vom Beteiligten zu 2. genannten Verfahren – soweit es sich um Beschlussverfahren handelt – bereits im Jahr 2010 eingeleitet worden. Dementsprechend können hieraus keine Rückschlüsse gezogen werden, dass der Beteiligte zu 2. auch in den Jahren 2011 und 2012 Betriebsratstätigkeit entfaltet hat oder durch die Beteiligte zu 1. hieran gehindert wurde. Aus Sicht der Kammer bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass in den Jahren 2011 und 2012 noch Betriebsratstätigkeit entfaltet wurde. Weder haben Betriebsratssitzungen stattgefunden noch ist der Beteiligte zu 2. seinen Überwachungsaufgaben nach § 80 BetrVG nachgekommen. Auch die Aufgaben der Förderung aus § 80 Abs. 1 Nr. 2a, 2b, 4, 6 bis 9 (vgl. GK-Oetker, BetrVG, 9. Aufl., § 23 Rn. 18) hat er nicht wahrgenommen. Dieses Unterlassen der Ausübung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben über einen langen Zeitraum stellt bei einer wertenden Gesamtbetrachtung eine grobe Verletzung der Pflichten dar. Etwaige Gründe für die Untätigkeit sind nicht ersichtlich. Der Beteiligte zu 2. hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass und wie der Arbeitgeber so weitreichende Maßnahmen ergriffen haben soll, dass nicht einmal eine Betriebsratssitzung möglich gewesen sein soll. Soweit Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer Erkrankung an der Ausübung des Betriebsratsmandats gehindert gewesen sind, betrifft dies zwar – entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1. – nicht die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats. Allerdings wären die verbliebenen Mitglieder und das Ersatzmitglied in der Pflicht gewesen, die Betriebsratsrechte wahrzunehmen. Dies haben sie nicht getan. Damit sind die Mitarbeiter des Betriebs jedenfalls seit dem Jahr 2011 faktisch ohne Interessenvertretung, was einen Teil der Mitarbeiter auch bewogen haben mag, ihrerseits ein Verfahren auf Auflösung des Betriebsrats anzustrengen (Az. 27 BV 12/12). Dieser Zustand ist nicht länger hinzunehmen. Die weitere Amtsausübung ist weder für die Mitarbeiter noch für die Beteiligte zu 1. weiter tragbar.

3. Es war nicht zusammen mit der Entscheidung über die Auflösung des Betriebsrats ein Wahlvorstand einzusetzen. Einen entsprechenden Antrag hat die Beteiligte zu 1. zurückgenommen. Dementsprechend kann offen bleiben, ob dem Arbeitgeber ein Vorschlagsrecht zur Zusammensetzung des Wahlvorstands überhaupt zusteht (bejahend Richardi-Thüsing, BetrVG, 13. Aufl. 2012, § 23 Rn. 71a; verneinend Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 23 Rn. 47). Gemäß § 13 Abs. 2 BetrVG setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein, wenn ein Betriebsrat aufgelöst wird. Allerdings erfordert die Einsetzung eines Wahlvorstandes die Rechtskraft der Auflösungsentscheidung (Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 23 Rn. 46; GK-Oetker, BetrVG, 9. Aufl. 2009, § 23 Rn. 121). Zwar wird hierzu in der Literatur vertreten, dass zusammen mit der Auflösungsentscheidung die Einsetzung des Wahlvorstandes erfolgen kann, wenn im Tenor zum Ausdruck gebracht wird, dass die Einsetzung für den Fall der Rechtskraft erfolgen soll (vgl. Fitting, BetrVG, 26. Aufl. 2012, § 23 Rn. 46 m.w.N.). Hiergegen bestehen jedoch Bedenken, da ungewiss ist, ob die eingesetzten Mitglieder im Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung noch zur Verfügung stehen. Insofern sprechen auch verfahrensökonomische Gründe dagegen, zeitgleich einen Wahlvorstand einzusetzen. Jedenfalls besteht unstreitig die Möglichkeit, in einem gesonderten Verfahren den Wahlvorstand einzusetzen.

4. Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei (§ 2 Abs. 2 GKG i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG). Eine gesonderte Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten ist wegen der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens nicht zu treffen (BAG v. 20.4.1999, Az. 1 ABR 13/98, juris).

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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