BAG, 25.10.1988 – 3 AZR 483/86

März 29, 2019

BAG, 25.10.1988 – 3 AZR 483/86
Amtlicher Leitsatz:

1. Eine Betriebsvereinbarung über betriebliche Ruhegelder, die Einschränkungen der betrieblichen Leistungen vorsieht, wirkt nicht hinsichtlich derjenigen früheren Arbeitnehmer, die beim Inkrafttreten der neuen Betriebsvereinbarung bereits im Ruhestand leben und Bezüge nach einer früheren Regelung erhalten.

2. Mit seinem Ausscheiden erwirbt der Arbeitnehmer, dessen Ansprüche auf einer Betriebsvereinbarung beruhten, gegen den Arbeitgeber einen selbständig-schuldrechtlichen Anspruch. Dieser Anspruch besteht über die Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung hinaus (Bestätigung des Beschlusses des Großen Senats des BAG vom 16.3.1956 VersR 57, 281 = BAGE 3, 1 [BAG 16.03.1956 – 2 AZR 211/54] = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG für das BetrVG 1972).
Tatbestand:
1

Die Parteien streiten darüber, ob die Betriebsrente des Klägers durch eine Betriebsvereinbarung wirksam gekürzt worden ist.

Der Kläger, geboren am 9. November 1923, war seit dem 1. Mai 1966 bei der beklagten Rundfunkanstalt beschäftigt. Aufgrund Bezugnahme im Arbeitsvertrag fand der Manteltarifvertrag für den Südwestfunk Anwendung. Nach Nr. 721 dieses Tarifvertrags ist die Beklagte verpflichtet, ihren Arbeitnehmern entsprechend ihrer Versorgungsregelung Versorgungszusagen zu erteilen. Am 30. Juni 1983 trat der Kläger wegen Erwerbsunfähigkeit in den Ruhestand. Seither erhält er von der Beklagten ein betriebliches Ruhegeld.

Maßgebend für die Versorgung der Mitarbeiter der Beklagten war zunächst die Versorgungsordnung der Beklagten vom 1. Juli 1976, die Gegenstand einer Betriebsvereinbarung zwischen Gesamtpersonalrat und Beklagter war (VersO 1976). Um die nach dieser Regelung zu erwartenden Überversorgungen zu vermeiden, schlossen der Gesamtpersonalrat und die beklagte Anstalt am 2. Januar 1985 eine neue Betriebsvereinbarung, die die Rentenleistungen kürzte (VersO 1985). Für den Kläger ergab sich eine Absenkung von 1.854,20 DM auf 1.110,90 DM monatlich. Die Differenz von 743,30 DM wurde zunächst als Ausgleichsbetrag weitergezahlt, sie wird jedoch beginnend mit dem Jahre 1987 in sechs Jahresschritten abgebaut. Die Nettogesamtversorgung des Klägers von 114,34 % am 1. Januar 1985 wurde hierdurch zum 31. Dezember 1992 auf 94,22 % gekürzt.

Bei der Berechnung der Rente des Klägers sind nur die Dienstzeiten bei der Beklagten berücksichtigt worden, nicht frühere Dienstzeiten beim ZDF und anderen Rundfunkanstalten.

Der Kläger will die Kürzung seiner Rente nicht hinnehmen. Er hat die Auffassung vertreten, seine Erwerbsunfähigkeitsrente müsse auch weiterhin nach der VersO 1976 berechnet werden. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand abgeschlossene Betriebsvereinbarungen könnten seine Rechte nicht mehr schmälern. Es sei auch unbillig, den schon in Ruhestand lebenden früheren Arbeitnehmern die in voller Höhe erdienten Versorgungsrechte zu kürzen. Eine Überversorgung sei im übrigen nicht allgemein, sondern nur bei einem Teil der demnächst in den Ruhestand tretenden Arbeitnehmer zu befürchten.

Die Regelung in Nr. 721 des Manteltarifvertrages für den Südwestfunk führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Vorschrift enthalte keine Regelung, die auf eine jeweils abgeschlossene Dienstvereinbarung verweise; sie mache die Versorgung nicht abhängig von späteren Änderungen der Versorgungsordnung. Schließlich müßten bei der Berechnung der Rente seine Vordienstzeiten bei ARD, ZDF und Hessischem Rundfunk berücksichtigt werden; ihm müßten weitere neun Jahre, zehn Monate und 15 Tage zugute kommen.

Der Kläger hat beantragt 1. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, die ihm ab dem 01. 07. 1983 zustehende Südwestfunk-Rente auch über den 31. 12. 1984 hinaus nach der Versorgungsordnung des Südwestfunks vom 01. 07. 1976, letztmals geändert am 21. 11. 1983 zu Ziffer 721 Manteltarifvertrag zu berechnen, und – im Wege der Anschlußberufung – 2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, bei der Berechnung der ihm ab 01. 07. 1983 zustehenden Südwestfunk-Rente mit Wirkung ab 01. 01. 1985 eine ruhegehaltsfähige Dienstzeit von 27 Jahren zugrunde zu legen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Anschlußberufung zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die VersO 1985 gelte auch für den Kläger. Das ergebe sich aus der tarifvertraglichen Ermächtigung zum Abschluß von Betriebsvereinbarungen über die betriebliche Altersversorgung. Aufgrund tarifvertraglicher Normsetzung könne in die Rechte von Rentnern eingegriffen werden. Die tarifliche Vorschrift wirke wie eine Jeweiligkeitsklausel, weil sie die betrieblichen Versorgungszusagen unter den Vorbehalt späterer Änderungen stelle. Im übrigen könnten Dienst- oder Betriebsvereinbarungen – entgegen der Ansicht des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. März 1956 (BAGE 3, 1 [BAG 16.03.1956 – 2 AZR 211/54] = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG) auch Ansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmer regeln. Die neue Versorgungsordnung sei inhaltlich nicht zu beanstanden. Sie folge den Regelungen im öffentlichen Dienst und entspreche der Billigkeit. Selbst die im Jahre 1993 vom Kläger erreichbare Nettogesamtversorgung von 94,22 % sei noch sehr hoch.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und der Anschlußberufung des Klägers teilweise stattgegeben; es hat festgestellt, daß der Rentenberechnung eine ruhegehaltsfähige Dienstzeit von 21 Jahren zugrunde zu legen ist.
Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten Rundfunkanstalt ist unbegründet. Durch die Betriebsvereinbarung vom 2. Januar 1985 konnte die Rente des zu diesem Zeitpunkt schon in Ruhestand lebenden Klägers nicht gekürzt werden. Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, daß die ruhegeldfähige Dienstzeit des Klägers 21 Jahre beträgt.

I. Der Kläger hat Anspruch auf Ruhegeld nach Maßgabe der Versorgungsordnung 1976.

1. Die Parteien sind davon ausgegangen, daß sich der Versorgungsanspruch des Klägers zunächst nach der Versorgungsordnung 1976 richtete, also auf einer Betriebsvereinbarung beruhte.

Ob Betriebsvereinbarungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Bereich des beklagten Senders zulässig waren, erscheint fraglich. Nach § 61 des inzwischen aufgehobenen Staatsvertrages zwischen den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz über das Personalvertretungsrecht der Arbeitnehmer des Südwestfunks vom 19. Februar/25. März 1963 (GBl. Baden-Württemberg 1964, 1), waren Betriebsvereinbarungen zulässig, soweit sie der Staatsvertrag ausdrücklich vorsah, also für soziale Angelegenheiten, bei denen der Personalrat mitzubestimmen hat (§ 64 Abs. 1 und 2 des Staatsvertrags). Entgeltfragen oder Fragen der betrieblichen Altersversorgung gehörten nicht zu den mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten im Sinne von § 64 Abs. 1 des Staatsvertrags. Allerdings erlaubt § 66 Satz 2 des Staatsvertrags Betriebsvereinbarungen, “wenn ein Tarifvertrag den Abschluß ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zuläßt”. Ob diese Bestimmung eine ausreichende Rechtsgrundlage bildete, oder ob damit nur eine Regelungssperre zum Schutze der Tarifautonomie aufgehoben wurde (entsprechend § 77 Abs. 3 BetrVG), braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Zugunsten des beklagten Senders kann der Senat unterstellen, daß der Anspruch zunächst ein Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung war. Dieser Anspruch ist aber im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis zu einem selbständigen schuldrechtlichen Anspruch geworden (BAG – Großer Senat – BAGE 3, 1, 10 [BAG 16.03.1956 – 2 AZR 211/54] = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG, zu I 3 der Gründe). Wäre der Anspruch des Klägers von vornherein nur als vertraglicher Anspruch entstanden, hätte er auch nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis als selbständiger schuldrechtlicher Anspruch weiterbestanden. Soweit es um Eingriffe in bereits bestehende Versorgungsansprüche geht, ist die Rechtsfolge dieselbe.

2. Durch die spätere Betriebsvereinbarung vom 2. Januar 1985 – maßgebend war jetzt für die frühere Dienststelle des Klägers das Personalratsvertretungsrecht des Landes Rheinland-Pfalz (LPersVG vom 5. Juli 1977 – GVBl. Rheinland-Pfalz 1977, 213) konnten Arbeitgeber und Personalrat nicht in diese vertraglichen Ansprüche des Klägers eingreifen. Das gilt unabhängig davon, ob die neue Betriebsvereinbarung auf einer ausreichenden personalvertretungsrechtlichen Grundlage beruht. Diese Betriebsvereinbarung über betriebliche Ruhegelder, die eine Veränderung der betrieblichen Ruhegeldleistungen gegenüber dem bisherigen Stand vorsieht, wirkt nicht hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer, die beim Inkrafttreten der neuen Betriebsvereinbarung bereits im Ruhestand lebten und schon Ruhegeld nach der früheren Regelung erhielten. Das hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits 1956 für Betriebsvereinbarungen im Sinne des Betriebsverfassungsrechts (damals BetrVG 1952) entschieden (vgl. Beschluß vom 16. März 1956 – BAGE 3, 1, 8 [BAG 16.03.1956 – 2 AZR 211/54] = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG, zu I 3 der Gründe). Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat für Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, die für Verwaltungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen des Personalvertretungsrechts abgeschlossen werden. Die Gründe, die für die Auffassung des Großen Senats sprechen, überzeugen nach wie vor mehr als die Gründe, die gegen diese Rechtsprechung angeführt werden.

a) Der Große Senat hat seine Auffassung mit der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung begründet. Die normative Wirkung erfasse nur die in einem Arbeitsverhältnis stehenden Betriebsangehörigen. Davon zu unterscheiden sei das Ruhestandsverhältnis. Hier bestehe kein die Betriebszugehörigkeit vermittelndes Band. Daß noch rechtliche Beziehungen der Betriebsrentner zum Arbeitgeber als Folge der früheren Betriebszugehörigkeit bestünden, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Jedenfalls fehle dem Betriebsrat das Recht, die ausgeschiedenen Mitarbeiter zu vertreten. Der Betriebsrat werde nur von der aktiven Belegschaft gewählt.

b) Der Beschluß des Großen Senats ist unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Oktober 1952 (BGBl. I, 681) ergangen. Durch das Betriebsverfassungesetz vom 15. Januar 1972 (BGBl. I, 13) hat sich die Rechtslage nicht geändert. Auch Betriebsvereinbarungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 gelten in persönlicher Hinsicht nur für die aktiven Arbeitnehmer. Das hat die Rechtsprechung wiederholt bestätigt (Urteil vom 15. Mai 1977 – BAGE 29, 169, 173 f. = AP Nr. 175 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu I der Gründe; Urteil vom 28. April 1977 – 3 AZR 300/76 – AP Nr. 7 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, zu I 3 a der Gründe; Urteil vom 17. Januar 1980 – BAGE 32, 293, 295 [BAG 17.01.1980 – 3 AZR 456/78] = AP Nr. 185 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu 2 der Gründe). Dem ist auch die Literatur ganz überwiegend gefolgt (W. Blomeyer, RdA 1977, 1, 10; W. Blomeyer/Otto, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 1984, Einl. Rz 192; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl. 1982, § 77 Rz 62/63; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl. 1983, § 77 Rz 23; v. Hoyningen-Huene, RdA 1983, 225; Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG 1979, § 77 Rz 11; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl. 1986, § 77 Rz 11; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, 6. Aufl. 1981, D II 3, S. 107; Höfer/Abt, Betriebliche Altersversorgung, Bd. I, 2. Aufl. 1981, ArbGr. Rz 204, 434; Heissmann, Die betrieblichen Ruhegeldverpflichtungen, 6. Aufl. 1967, S. 76, 173; Hueck/Nipperdey/Säcker, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl. 1970, Bd. II 2, S. 1259; Thiele in: GK BetrVG, § 77 Rz 51; vgl. auch Däubler, Arbeitsrecht, 1976, S. 241 und zu Ruhegeldverbesserungen Dieterich/Rühle, AR-Blattei Betriebliche Altersversorgung (Direktzusagen) unter H II; vgl. auch Schulin DB Beilage 10/1984).

c) Neuerdings wird diese Auffassung von einigen Autoren in Frage gestellt (vgl. z. B. Dieterich, NZA 1984, 273, 278; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 77 Rz 28; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 77 Rz 26, 26 a). Schwerdtner hat in dem vorliegenden Rechtsstreit ein umfangreiches Gutachten erstattet; er kommt zu dem Ergebnis, daß zwar viele Mitbestimmungstatbestände ausschließlich auf die aktive Belegschaft zugeschnitten seien, daß aber solche Regelungsgegenstände, die sich auf die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstreckten, der Regelung durch die Betriebspartner zugänglich sein müßten.

Der Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Die Befugnis der Betriebspartner zur Regelung von Ruhestandsverhältnissen mag zwar wünschenswert erscheinen. Nach geltendem Recht besteht eine solche Befugnis aber nicht. Schwerdtner führt unter Berufung auf verschiedene Autoren aus, es sei zweifelhaft, ob das geltende Betriebsverfassungsrecht die Regelungsmacht der Betriebspartner auf die aktive Belegschaft begrenze. Er kann aber nicht leugnen, daß die ausgeschiedenen Arbeitnehmer an den Betriebsratswahlen nicht teilnehmen und daß sie auch kein Ausschluß- oder Auflösungsverfahren einleiten können (§§ 7, 23 Abs. 1 BetrVG). Entgegen der Auffassung Schwerdtners lassen sich hieraus durchaus Schlüsse auf die Grenzen der Regelungsbefugnis der Betriebspartner ableiten. Wenn der Betriebsrat seine Legitimation zur Wahrnehmung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes aus der Wahl durch die aktive Belegschaft bezieht, kann er auch nur deren Rechtsverhältnisse regeln. So wird auch nicht bestritten, daß Betriebsvereinbarungen nicht für leitende Angestellte gelten (§ 5 Abs. 3 BetrVG).

Bei dieser Lösung kommt es einerseits nicht darauf an, ob Befürchtungen berechtigt sind, der Betriebsrat werde die Interessen derjenigen Arbeitnehmer vernachlässigen, die an der Betriebsratswahl nicht beteiligt sind (Herschel, Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 311 ff.). Andererseits ist nicht entscheidend, daß der Betriebsrat die Interessen des Betriebs wahrzunehmen hat und die Interessen des Betriebs durch die Belastung mit laufenden Versorgungsverbindlichkeiten erheblich berührt werden können (so Stege/Weinspach, aaO, § 77 Rz 28). Das Betriebsverfassungsgesetz räumt dem Betriebsrat keine umfassende Kompetenz ein, die Interessen sämtlicher Mitarbeiter und früherer Mitarbeiter wahrzunehmen, sondern es regelt seine Befugnisse abschließend: Nur soweit die gesetzliche Ermächtigung reicht, kann der Betriebsrat zusammen mit dem Arbeitgeber durch den Abschluß von Betriebsvereinbarungen betriebliche Normen setzen.

Entgegen der Auffassung Schwerdtners führt die herrschende Meinung auch nicht zu Widersprüchen bei Betriebsvereinbarungen, die eine für die Rentner günstigere Regelung vorsehen. Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 16. März 1956 (aaO) können die Ruheständler durch Betriebsvereinbarungen nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nur mittelbar begünstigt werden. Der Arbeitgeber kann das Ruhestandsverhältnis mit den Mitteln des Vertragsrechts beeinflussen. Ansprüche auf verbesserte Leistungen können nicht über spätere Betriebsvereinbarungen erworben werden. Der Arbeitgeber kann sich in einer Betriebsvereinbarung allenfalls verpflichten, auf die Ansprüche der Rentner mit den ihm zur Verfügung stehenden vertraglichen Mitteln einzuwirken; er kann sich verpflichten, den Rentnern ein Angebot auf verbesserte Leistungen zu unterbreiten.

d) Danach ist die Auffassung des Großen Senats in der wissenschaftlichen Literatur nicht widerlegt. Nach geltendem Betriebsverfassungsrecht können Betriebsvereinbarungen nicht in die Versorgungsrechte von Ruheständlern eingreifen, die schon bei Abschluß der betreffenden Betriebsvereinbarung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden waren. Gründe der Zweckmäßigkeit, etwa um eine flexiblere Gestaltung von betrieblichen Versorgungswerken in Ruhestandsverhältnissen zu erreichen, rechtfertigen weder eine andere rechtliche Beurteilung noch eine Erweiterung der Regelungskompetenz im Wege der Rechtsfortbildung.

3. Der Kläger hat sich – entgegen der Auffassung des beklagten Senders – nicht den jeweiligen Regelungen seiner Versorgungsansprüche durch spätere Betriebsvereinbarungen unterworfen (vgl. dazu BAG – Großer Senat – BAGE 53, 42, 57 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu C II 1 c der Gründe). Für eine Jeweiligkeitsklausel auf vertraglicher Grundlage ist nichts vorgetragen. Durch die Versorgungsordnung, also die Betriebsvereinbarung, konnte eine solche Jeweiligkeitsklausel nicht begründet werden. Insoweit ist zu unterscheiden: Betriebsvereinbarungen enthalten stets – wenn auch unausgesprochen – eine Jeweiligkeitsklausel. Jede Betriebsvereinbarung kann durch eine neue Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Im Verhältnis der beiden Betriebsvereinbarungen zueinander gilt nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern die Zeitkollisionsregel. Die jüngere Norm ersetzt die ältere (BAGE 54, 261, 269 f. [BAG 17.03.1987 – 3 AZR 64/84] = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung). Dies sagt jedoch nichts darüber aus, ob eine ablösende Betriebsvereinbarung noch Ruhestandsverhältnisse erfassen kann. Insoweit muß es dabei bleiben, daß die Regelungskompetenz der Betriebspartner ihr Ende mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses findet. Läßt sich die Regelungsmacht der Betriebspartner allein aus dem Betriebsverfassungsgesetz ableiten, können sich die Betriebspartner diese Regelungsmacht auch nicht in der Weise vorbehalten, daß alle Ruheständler späteren Abänderungen unterworfen werden (so zutreffend Schwerdtner, Gutachten S. 40; GK-Thiele, aaO, Rz 54 und Wiedemann/Stumpf, TVG, 5 Aufl., § 1 Rz 144).

II. Das Berufungsgericht hat die anzurechnenden Vordienstzeiten zutreffend ermittelt.

1. Entgegen der Auffassung der beklagten Rundfunkanstalt ist die vom Kläger begehrte Anrechnung für die Höhe seiner Betriebsrente von Bedeutung. Die Beklagte ist bei der Berechnung der Rente des Klägers auf der Grundlage von 17 Dienstjahren zu einer Höhe von 47 % der ruhegeldfähigen Bezüge gelangt (Schreiben der Beklagten vom 19. Juni 1985). Nach § 3 VersO 1976 (BV VII/76) betrug die Rente des Klägers in den ersten zehn Dienstjahren 35 % des ruhegeldfähigen Einkommens und konnte dann um zunächst 2 % und später um 1 % jährlich bis zur Höchstgrenze von 60 % ansteigen. Die anrechnungsfähige Dienstzeit wirkt sich daher beim Kläger ruhegeldsteigernd aus.

2. Über die ruhegeldfähige Dienstzeit bestimmt § 5 VersO 1976, daß dazu “auch die bei einer Rundfunkanstalt der ARD oder beim ZDF zurückgelegten Dienstzeiten und angerechneten Vordienstzeiten” zählen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger beim Hessischen Rundfunk und beim ZDF eine Dienstzeit von aufgerundet (§ 5 Abs. 8 VersO 1976) vier Jahren zurückgelegt hat. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß es für die Berücksichtigung dieser Zeiten keiner besonderen Anerkennung bedurfte. Die Versorgungsordnung der Beklagten schreibt keine besondere “Anerkennung” vor. Vordienstzeiten “gelten” vielmehr gemäß § 5 Abs. 2 VersO 1976 als ruhegeldfähige Dienstzeiten.

Daß der Kläger beim ZDF nach einer fristlosen Kündigung ausschied, ist nach der Versorgungsordnung unerheblich. Zudem ist das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht aufgrund dieser Kündigung, sondern aufgrund eines nachträglich geschlossenen Auflösungsvertrags beendet worden.

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Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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