BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 14.9.2016, 4 AZN 540/16

Mai 16, 2020

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 14.9.2016, 4 AZN 540/16
Nichtzulassungsbeschwerde – absoluter Revisionsgrund – nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts – Abordnung eines Richters erster Instanz an das Landesarbeitsgericht

Tenor

1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. März 2016 – 7 Sa 509/13 E – wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

2. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 22.534,20 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des bei der Beklagten beschäftigten Klägers und sich daraus ergebende Entgeltansprüche. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat unter dem Vorsitz des Richters am Arbeitsgericht W die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit seiner auf den absoluten Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts gestützten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.
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II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat den behaupteten absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO nicht dargelegt.
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1. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO geltend gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG die Beschwerdebegründung die Darlegung eines solchen absoluten Revisionsgrundes enthalten. Die bloße Benennung des Zulassungsgrundes genügt nicht. Es sind vielmehr die Tatsachen substantiiert vorzutragen, aus denen sich der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ergeben soll (BAG 5. Juni 2014 – 6 AZN 267/14 – Rn. 20, BAGE 148, 206; 25. Januar 2012 – 4 AZR 185/10 – Rn. 10; 5. Dezember 2011 – 5 AZN 1036/11 – Rn. 7 mwN). Das gilt insbesondere für den absoluten Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO). Zwar wird bei diesem Verfahrensmangel dessen Entscheidungserheblichkeit unwiderleglich vermutet. Das entbindet den Beschwerdeführer jedoch nicht von der Pflicht darzulegen, dass der gerügte absolute Revisionsgrund tatsächlich vorliegt. Die Anforderungen an die ordnungsgemäße Begründung der Rüge entsprechen denen bei Erhebung der Verfahrensrüge im Revisionsverfahren nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO (BAG 14. Dezember 2010 – 6 AZN 986/10 – Rn. 5 mwN). Das setzt die Angabe von Tatsachen voraus, aus denen sich der behauptete Verfahrensmangel ergeben soll. Handelt es sich dabei – wie vorliegend – um gerichtsinterne Vorgänge, muss der Beschwerdeführer zumindest darlegen, dass er eine zweckentsprechende Aufklärung versucht hat. Die Rüge darf nicht auf den bloßen Verdacht des Vorliegens eines Verfahrensmangels iSd. § 547 Nr. 1 ZPO gestützt werden (BAG 14. Dezember 2010 – 6 AZN 986/10 – Rn. 5 mwN).
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2. Gemessen daran fehlt es an einer ordnungsgemäßen Darlegung des Revisionsgrundes. Der Kläger stützt seine Rüge lediglich auf den bloßen Verdacht eines Verfahrensmangels, ohne diesen durch einen substantiierten Tatsachenvortrag zu untersetzen oder zumindest anzugeben, aus welchen Gründen ihm – trotz eines entsprechenden Aufklärungsversuchs – ein substantiierter Tatsachenvortrag nicht möglich war.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 13. November 1997 – 2 BvR 2269/93 -; 23. Januar 1996 – 1 BvR 1551/95 -; 8. Juli 1992 – 2 BvL 27/91, 2 BvL 31/91 – zu C III 2 a der Gründe mwN, BVerfGE 87, 68), des Bundesgerichtshofs (ua. BGH 16. März 2005 – RiZ (R) 2/04 – zu II 2 b der Gründe mwN, BGHZ 162, 333), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 23. August 1996 – 8 C 19.95 – BVerwGE 102, 7) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG 18. Juni 2015 – 8 AZN 881/14 – Rn. 5; 6. Juni 2007 – 4 AZR 411/06 – Rn. 34, BAGE 123, 46) sehen das Grundgesetz und die Gerichtsverfassung im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass ihr Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 GG weisungsunabhängig. Ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 2 GG institutionell gesichert. Auch Art. 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind. Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken (BVerfG 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156; BAG 18. Juni 2015 – 8 AZN 881/14 – Rn. 6). Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein. Daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist.
6

aa) Ein zwingender Grund für die Abordnung planmäßiger Richter unterer Gerichte an obere Gerichte ist die Eignungserprobung. Die Notwendigkeit, Nachwuchs auszubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG 22. Juni 2006 – 2 BvR 957/05 – Rn. 7 mwN; BAG 18. Juni 2015 – 8 AZN 881/14 – Rn. 7; vgl. auch 6. Juni 2007 – 4 AZR 411/06 – Rn. 34, BAGE 123, 46).
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bb) Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist aber die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (BVerfG 3. Juli 1962 – 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 – zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156; BAG 18. Juni 2015 – 8 AZN 881/14 – Rn. 8; 6. Juni 2007 – 4 AZR 411/06 – Rn. 34, BAGE 123, 46).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen hat der Kläger einen Besetzungsmangel des Landesarbeitsgerichts nicht dargelegt. Sein Vortrag beschränkt sich auf einen bloßen Verdacht, es lägen keine zwingenden Gründe für eine Abordnung des Richters am Arbeitsgericht W vor.
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aa) Soweit der Kläger behauptet, die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt sei dauerhaft unbesetzt (Beschwerdebegründung Seite 4 unten), es würden „seit Jahren wechselnde Vertretungsrichter auf den vakanten Stellen eingesetzt“ (Beschwerdebegründung Seite 5 oben), weshalb davon auszugehen sei, dass die am Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt anfallende Arbeitslast mit den planmäßigen Richtern nicht bewältigt werden könne, weil es entweder nur unzureichend mit Planstellen ausgestattet sei oder es der Justizverwaltung nicht „gelungen“ sei, offene Planstellen binnen einer angemessenen Frist zu besetzen (Beschwerdebegründung Seite 5 oben), fehlt es bereits an konkreten Angaben, seit wann und für welche Zeiträume welche Kammern des Landesarbeitsgerichts mit wechselnden, nicht planmäßigen Richtern besetzt waren und welche Arbeitslast des Gerichts mit welcher Anzahl von Planstellen nicht habe bewältigt werden können.
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bb) Ebenso wenig trägt der Kläger Anhaltspunkte dafür vor, dass der Einsatz des Richters am Arbeitsgericht W nicht dem Zweck der Erprobung gedient habe. Dies folgt auch nicht aus dem vom Kläger behaupteten Umstand, der Richter am Arbeitsgericht W sei bereits zum Bundesarbeitsgericht abgeordnet worden. Dies schließt den Sachgrund der Erprobung beim Landesarbeitsgericht nicht aus. Der Kläger hat weder vorgetragen, in Sachsen-Anhalt könne eine Abordnung zum Bundesarbeitsgericht eine Abordnung zur Erprobung an das Landesarbeitsgericht ersetzen (sog. Ersatzerprobung) noch hat er dargetan, der Richter am Arbeitsgericht W habe die Voraussetzungen für eine etwaige Ersatzerprobung durch die Abordnung zum Bundesarbeitsgericht erfüllt. Auch hat er keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Abordnungsdauer des Richters am Arbeitsgericht W für eine Erprobung nicht angemessen gewesen sei. Schließlich ist aus dem Vorbringen des Klägers nicht ersichtlich, dass beim Landesarbeitsgericht weit über Bedarf erprobt würde (vgl. dazu NK-GA/Düwell § 73 ArbGG Rn. 53). Der Kläger behauptet im Gegenteil gerade nicht, die Justizverwaltung habe es verabsäumt, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen, sondern dies sei der Justizverwaltung nicht „gelungen“, was eher für einen Erprobungsbedarf spricht.
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cc) Ein substantiierter Vortrag zu den Tatsachen, die auf einen fehlenden Grund für den Einsatz des Richters am Arbeitsgericht W am Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt im Zeitpunkt der Entscheidung schließen lassen und der zu erkennen gibt, der Kläger habe seine Rüge nicht auf den bloßen Verdacht des Vorliegens eines Verfahrensmangels iSd. § 547 Nr. 1 ZPO erhoben, ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil gerichtsinterne Vorgänge betroffen sind (vgl. BAG 14. Dezember 2010 – 6 AZN 986/10 – Rn. 5 mwN). Insoweit ist es der beschwerdeführenden Partei regelmäßig zumindest zumutbar, ein Auskunftsersuchen an den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts zu richten (vgl. dazu BAG 23. Juli 2014 – 7 ABR 23/12 – Rn. 28), sowie in die – öffentlich zugänglichen – Geschäftsverteilungspläne (auch der letzten Jahre) Einsicht zu nehmen. Dass der Kläger eine solche zweckentsprechende Aufklärung (erfolglos) versucht hätte, ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen.
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III. Von einer weiteren Begründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen. Weitere Ausführungen sind weder von Verfassungs wegen noch mit Blick auf die EMRK geboten (vgl. BVerfG 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11 – Rn. 18 ff.; 8. Dezember 2010 – 1 BvR 1382/10 – Rn. 10 ff., BVerfGK 18, 301).
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IV. Die Kosten seiner erfolglosen Beschwerde fallen gem. § 97 Abs. 1 ZPO dem Kläger zur Last. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 iVm. § 42 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Eylert

Klose

Rinck

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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