BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 16.11.2016, 4 AZR 128/15

Mai 20, 2020

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 16.11.2016, 4 AZR 128/15

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.11.2016, 4 AZR 127/15.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 24. Juli 2014 – 5 Sa 1455/13 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juli 2013 – 15 Ca 421/13 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin und daraus resultierende Vergütungsdifferenzen.
2

Die Beklagte ist eine Hotelbetriebsgesellschaft, die in F ein Hotel mit einem großen Bankett- und Veranstaltungsbereich nebst Restaurant unterhält. Sie ist Mitglied im Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Hessen e. V.
3

Die Klägerin, die Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist, ist nach einer Vorbeschäftigung jedenfalls seit dem 1. Januar 2008 bei der Beklagten als sogenannte „F & B Waitress“ im Restaurant beschäftigt. Sie ist in dem ihr zugewiesenen Servicebereich im Wesentlichen für die Gästebetreuung einschließlich Eindecken, Nachdecken und Kassieren sowie die Abrechnung zum Schichtende zuständig. Zusätzlich obliegen ihr Hostessentätigkeiten wie das Buchen von Guest Checks, die Entgegennahme von Reservierungen und administrative Aufgaben. Die Beklagte zahlt dafür eine Vergütung gemäß der Bewertungsgruppe 5 des Entgelttarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe des Landes Hessen (ETV) sowie eine übertarifliche Zulage.
4

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2012 forderte die Klägerin die Beklagte unter Hinweis auf die aus ihrer Sicht zutreffende Eingruppierung in die Bewertungsgruppe 6.2 ETV vergeblich zur Zahlung von insgesamt 402,00 Euro brutto für die Monate Juli bis September 2012 auf.
5

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Entgeltdifferenzen für die Monate Juli bis Dezember 2012 nebst Zinsen sowie die Feststellung eines Vergütungsanspruchs gemäß der Bewertungsgruppe 6.2 ETV ab dem 1. Januar 2013 begehrt. Sie ist der Auffassung, dass die Eingruppierung in die Bewertungsgruppe 5 ETV bei ihrer Einstellung zwar korrekt gewesen sei, sie jedoch aufgrund der Dauer ihrer Tätigkeit spätestens mit Ablauf des Monats Januar 2010 in die Bewertungsgruppe 6.2 ETV hätte höhergruppiert werden müssen.
6

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 796,76 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in näher bestimmter Höhe und zeitlicher Staffelung zu zahlen;

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie ab dem 1. Januar 2013 in Bewertungsgruppe 6.2 des Entgelttarifvertrages Hotel- und Gaststättengewerbe Hessen einzugruppieren und entsprechend zu vergüten.
7

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, für die Eingruppierung sei nur die ausgeübte Tätigkeit maßgeblich. Allein eine zweijährige Berufserfahrung führe noch nicht zu einer Höhergruppierung von der Bewertungsgruppe 5 in die Bewertungsgruppe 6 ETV. Vielmehr seien zusätzlich eine Änderung der Aufgaben sowie eine Steigerung der mit den ausgeübten Tätigkeiten verbundenen Wertigkeit notwendig. Die Bewertungsgruppen des Entgelttarifvertrags spiegelten den Willen der Tarifvertragsparteien wieder, die typische Berichtslinie in einem Hotel abzubilden.
8

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.
10

A. Die Klage ist auch mit dem auf die begehrte Eingruppierung bezogenen Feststellungsantrag zu 2. zulässig. Dieser bedarf allerdings der Auslegung. Danach handelt es sich insoweit um eine typische Eingruppierungsfeststellungsklage. Dies hat auch das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
11

Der Klageantrag zu 2. beinhaltet dem Wortlaut nach die Feststellung zweier Verpflichtungen der Beklagten. Der erste Teil des Antrags – Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin in die „Bewertungsgruppe 6.2 des Entgelttarifvertrages Hotel- und Gaststättengewerbe Hessen einzugruppieren“ – wäre als solcher unzulässig, weil es sich bei der Eingruppierung zunächst um einen rein geistigen Akt der wertenden Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einem Tätigkeitsmerkmal einer Vergütungsordnung handelt. Für die Feststellung einer entsprechenden Verpflichtung der Beklagten ist ein gesondertes Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO nicht erkennbar. Dieser Antragsteil ist jedoch lediglich als Begründungselement für den zweiten Teil des Antrags anzusehen (vgl. zur Auslegung eines ähnlichen Antrags BAG 22. Oktober 2008 – 4 AZR 735/07 – Rn. 16; vgl. allg. zur Auslegung von Klageanträgen 17. Dezember 2015 – 2 AZR 304/15 – Rn. 14 mwN, BAGE 154, 20; 13. November 2012 – 3 AZR 444/10 – Rn. 23, BAGE 143, 273; 6. Juli 2011 – 4 AZR 568/09 – Rn. 25 mwN), der als Eingruppierungsfeststellungsklage – auch in der Privatwirtschaft – ohne Weiteres zulässig ist (st. Rspr., siehe nur BAG 16. März 2016 – 4 AZR 502/14 – Rn. 10 mwN).
12

B. Die Klage ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Klägerin weder seit dem 1. Januar 2013 nach der Bewertungsgruppe 6.2 ETV zu vergüten noch hat sie für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2012 Anspruch auf die geltend gemachte Differenz zwischen der Vergütung nach der Bewertungsgruppe 5 und der Bewertungsgruppe 6.2 ETV. Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt nicht deren Anforderungen dieser Tarifgruppe.
13

I. Der ETV findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1 TVG) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (§ 4 Abs. 1 TVG).
14

II. Die für die Eingruppierung der Klägerin maßgebenden Regelungen lauten in den hier maßgebenden Fassungen des ETV vom 22. Juni 2011 sowie vom 11. Oktober 2012 wie folgt:

㤠4

Bewertungsgrundsätze

1.

Eingruppierung des Arbeitnehmers

Jeder Tarifarbeitnehmer ist vom Arbeitgeber unter Beachtung der nachfolgenden Verfahrensgrundsätze in eine Bewertungsgruppe einzugruppieren.

Diese Eingruppierung erfolgt bei der Einstellung, bei einer Versetzung bzw. wesentlichen Veränderung der Arbeitsinhalte sowie bei Einführung dieses Tarifvertrages.

4.

Zuordnung in die Bewertungsgruppen

Die Zuordnung der verschiedenen Tätigkeiten erfolgt unter Anwendung der jeweiligen Bewertungskriterien in den Oberbegriffen.

Die Beispiele dienen der Erläuterung, sie sind kein abschließender Katalog.

Maßgebend für die Ein- und Umgruppierung sind die Oberbegriffe.

Bei der Eingruppierung in die Bewertungsgruppen sind nicht berufliche Bezeichnungen, sondern die Art der verrichteten Tätigkeit und die Anforderungen an die Arbeitnehmer maßgebend.

5.

Grundsätze für die Ein- und Umgruppierung

Maßgebend ist die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit, die den jeweiligen Oberbegriffen zuzuordnen ist.

Von Bedeutung sind

das fachliche und berufliche Können;

der Grad der Selbständigkeit und Verantwortung;

besondere Erfahrungen und Kenntnisse;

Art und Umfang der Berufsausbildung, soweit es sich hierbei um eine Ausbildung für Berufe handelt, die im Gastgewerbe Anwendung finden;

die Einweisung oder Anlehnung am Arbeitsplatz;

erhöhte Belastungen oder Erschwernisse bei der Arbeitsdurchführung.

Bereits während der Einarbeitungszeit / Probezeit erfolgt die volle Bezahlung in der jeweiligen Bewertungsgruppe.

Eine fünfjährige fachbezogene Tätigkeit steht einer abgeschlossenen Berufsausbildung gleich, sofern durch die Tätigkeit einer Berufsausbildung vergleichbare Kenntnisse vermittelt werden.

Das wird vermutet, wenn der Arbeitnehmer in jedem Jahr in den wesentlichen Bereichen des entsprechenden Ausbildungsberufes in einem zeitlichen Umfang von mindestens einem Drittel der tariflichen Regelarbeitszeit tätig sein konnte.

Bei der Ermittlung der Bewertungsgruppe ist zu berücksichtigen, dass bei gleicher Stellenbezeichnung die Qualifikationsanforderungen in Betrieben unterschiedlicher Kategorien verschieden sein können.

6.

Aufstiegsgruppen

Ein Arbeitnehmer, der bereits mit Aufgaben betraut wird, die einer höheren Tarifgruppe zuzuordnen sind, kann in die Aufstiegsgruppe dieser Tarifgruppe eingruppiert werden. Nach spätestens 12 Monaten erfolgt in der Regel die Eingruppierung in die Endgruppe.

Eine Neuanstellung in eine Aufstiegsgruppe ist nicht zulässig. Die Eingruppierung in eine Aufstiegsgruppe setzt eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 6 Monaten voraus.

§ 5

Bewertungsgruppen

1.

Bewertungsgruppen 1-5 [bzw. im ETV v. 11. Oktober 2012 ‚2-5‘]

Bewertungsgruppe 4

Angelernte Hilfskräfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung mit Tätigkeiten, die fachliche Kenntnisse erfordern, die durch Anleitung in betrieblicher Praxis in dem betreffenden gastgewerblichen Tätigkeitsbereich erworben wurden.

4.1 im 1. + 2.

Jahr

4.2 im 3. + 4.

Jahr

4.3 im 5.

Jahr

4.4 ab 6.

Jahr

Tätigkeitsbeispiele:

Handwerker/-in, Kraftfahrer/-in, Hausmeister/-in, Portierassistent/-in, Wagenmeister/-in, Telefonist/-in mit Sprachkenntnissen, Buffetkraft ohne Abrechnung, Verkäufer/-in mit Abrechnung, Restaurantkassierer/-in, Fachgehilfe/-in im Gastgewerbe im 1. Jahr nach der Ausbildung, Zimmermädchen ab dem 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit, Topfspüler/-in mit deutlich überwiegender manueller Tätigkeit.

Bewertungsgruppe 5

Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung.

Tätigkeitsbeispiele:

Fachgehilfe/-in im Gastgewerbe ab 2. Jahr nach der Ausbildung, Anfangs-Hausdame, Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau, Hotelfachmann/-frau, Konditor/-in, Metzger/-in, kaufmännische und Empfangsangestellte, Bäcker/-in, Hallenangestellte, Nachtportier, Handwerker/-in, Empfangssekretär/-in, Buffet-/Barkraft mit Abrechnung.

2. Bewertungsgruppen 6-10

Den Bewertungsgruppen 6-9 werden jeweils eine Aufstiegsgruppe im Sinne von Paragraph 4 Ziffer 6 angegliedert. Die Aufstiegsgruppen tragen die Bezeichnungen 6.1, 7.1, 8.1 und 9.1.

Die Endgruppen tragen die Bezeichnungen 6.2, 7.2, 8.2 und 9.2.

Bewertungsgruppe 6

Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung und mindestens zweijähriger Berufserfahrung im fachlich entsprechenden Tätigkeitsbereich.

Tätigkeitsbeispiele:

Demichef/-in, Hausdame, Portier, Handwerker/-in, Empfangsherr/-dame, Steward/-ess, Magazin-/Lagerverwalter/-in, Diätassistent/-in.

Bewertungsgruppe 7

Fachkräfte mit erweiterten Fachkenntnissen und erhöhter Verantwortung.

Tätigkeitsbeispiele:

Chef de partie, Alleinkoch/-köchin ohne Hilfskräfte in der Küche, Chef de rang, Hausdame, Portier, Küchenbeschliesser/-in, Empfangsherr/-dame als Schichtleiter/-in, Handwerker/-in, Lohnbuchhalter/-in, Finanzbuchhalter/-in, Sekretär/-in mit fachlicher und kaufmännischer Ausbildung.

…“
15

III. Danach ist die Klägerin nicht nach der Bewertungsgruppe 6.2 ETV zu vergüten, weil sie die Anforderungen deren Tätigkeitsmerkmals nicht erfüllt.
16

1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist für die Eingruppierung einer Arbeitnehmerin in die Bewertungsgruppe 6 ETV in erster Linie deren Tätigkeit und nicht deren Beschäftigungszeit maßgebend. Das ergibt die Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des ETV (zu den Kriterien der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags vgl. etwa BAG 10. Dezember 2014 – 4 AZR 503/12 – Rn. 19 ff., BAGE 150, 184; 7. Juli 2004 – 4 AZR 433/03 – zu I 1 b aa der Gründe, BAGE 111, 204).
17

a) Tarifvertragsparteien sind bei der Vereinbarung von Kriterien für die Zuordnung von Tätigkeiten und/oder Arbeitnehmern zu bestimmten Entgeltgruppen ihres eigenen Vergütungsschemas weitgehend frei. In der Regel wird die jeweilige Tätigkeit der Arbeitnehmer tariflich bewertet. Es ist aber auch möglich und zulässig, stattdessen oder zusätzlich personenbezogene Anforderungen, wie Ausbildung, Beschäftigungszeit usw. heranzuziehen (vgl. die Beispiele bei Schaub/Treber ArbR-HdB 16. Aufl. § 64 Rn. 16).
18

b) Die Tarifvertragsparteien des ETV haben vorrangig eine Bewertung der Tätigkeiten der betroffenen Beschäftigten gewählt. Es kann dahinstehen, ob die sich an einzelnen Stellen der Vergütungsordnung aufzufindenden eher personenbezogenen Merkmale eine zusätzliche Anforderung darstellen sollen. Ohne die Erfüllung der jeweiligen Anforderungen an die Tätigkeit ist das jeweilige Tätigkeitsmerkmal der Bewertungsgruppe unabhängig von etwaigen, ggf. zusätzlichen personellen Voraussetzungen jedenfalls nicht gegeben.
19

aa) Der ETV enthält in § 4 die Grundsätze, die der Eingruppierung zugrunde liegen. Dabei ist allein die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit maßgebend (§ 4 Abs. 5 Unterabs. 1 ETV). Grundlage der Eingruppierung ist die „Zuordnung der verschiedenen Tätigkeiten“ (§ 4 Abs. 4 Unterabs. 1 ETV), die nicht durch die beruflichen Bezeichnungen der Arbeitnehmer, sondern durch „die Art der verrichteten Tätigkeit und die Anforderungen an die Arbeitnehmer“ (§ 4 Abs. 4 Unterabs. 4 ETV) gekennzeichnet sind. Ein und dieselbe Tätigkeit kann daher grundsätzlich nur einer Bewertungsgruppe zugeordnet werden, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes im ETV bestimmt ist.
20

bb) Dies wird durch die tariflichen Verfahrensbestimmungen bestätigt. In § 4 Abs. 1 Unterabs. 2 ETV sind diejenigen Situationen benannt, in denen überhaupt eine Eingruppierung nach dem ETV erfolgt. Es sind dies – außer bei der Einführung des ETV – die Einstellung und sodann die Versetzung oder die wesentliche Änderung der Arbeitsinhalte. Eine Änderung der Eingruppierung außerhalb dieser Konstellationen, insbesondere bei einem bloßen Ablauf einer bestimmten Zeit der Beschäftigung ohne sonstige Änderung der Tätigkeit, ist nicht vorgesehen.
21

cc) Eine Änderung des Entgelts nach dem bloßen Ablauf bestimmter Beschäftigungszeiten findet allerdings ausdrücklich dann statt, wenn in der Bewertungsgruppe 4 ETV (Angelernte Hilfskräfte) nach zwei, vier, fünf und sechs Jahren jeweils eine Höherstufung innerhalb der Bewertungsgruppe 4 ETV vorgenommen wird. Dies bestätigt das Grundprinzip, wonach bloße Beschäftigungszeiten bei der Eingruppierung außer Betracht bleiben, in zweifacher Hinsicht. Zum einen bezeichnet der hier vorgesehene „Zeitaufstieg“ keine Höhergruppierung im tariflichen Sinne, sondern lediglich eine Höherstufung innerhalb derselben Bewertungsgruppe. Die Tarifvertragsparteien waren sich danach einig, dass bei diesen Tätigkeiten keine höhere – abstrakte – tarifliche Bewertung erfolgt, auch wenn sie längere Zeit ausgeübt werden, sondern dass bei gleichbleibender Tätigkeit nach Ablauf bestimmter Zeitabschnitte lediglich ein höheres Entgelt als bisher gezahlt werden soll. Zum andern ergibt sich aus dieser ausdrücklichen Regelung einer Entgeltänderung aufgrund Zeitablaufs bei unveränderter Beschäftigung – ebenso wie bei § 5 Abs. 2 ETV (dazu sogleich) -, dass es sich dabei gerade nicht um ein ungeschriebenes Prinzip der Eingruppierung selbst handelt.
22

dd) Wie der „Zeitaufstieg“ innerhalb der Bewertungsgruppe 4 ETV, so ist auch der zur Entgelterhöhung führende zeitliche Faktor innerhalb derjenigen tariflichen Bewertungsgruppen des ETV, die sog. „Aufstiegsgruppen“ vorsehen, ausdrücklich geregelt.
23

(1) § 5 Abs. 2 ETV befasst sich mit den Tätigkeitsmerkmalen der Bewertungsgruppen 6 bis 10 ETV. Diesen ist gemeinsam, dass sie innerhalb einer tariflichen Bewertungsgruppe zwei Stufen vorsehen, von denen die erste mit der Bezeichnung „Aufstiegsgruppe“ (zB 6.1, 7.1 usw.) und die zweite mit der Bezeichnung „Endgruppe“ (zB 6.2, 7.2 usw.) versehen ist (§ 4 Abs. 6, § 5 Abs. 2 Eingangssätze ETV).
24

(2) Die jeweilige Aufstiegsgruppe wird bei einer Neueinstellung erst nach 6-monatiger Betriebszugehörigkeit erreicht (§ 4 Abs. 6 Unterabs. 2 ETV). Wird ein Arbeitnehmer „mit Aufgaben betraut …, die einer höheren Tarifgruppe zuzuordnen sind“, dh. ändert sich seine Tätigkeit in dieser Weise, dann kann er in die Aufstiegsgruppe dieser Tarifgruppe eingruppiert werden (§ 4 Abs. 6 Unterabs. 1 ETV).
25

(3) Die Zuordnung zur nächsthöheren Stufe innerhalb der Bewertungsgruppe, nämlich zur „Endgruppe“, erfolgt in der Regel nach „spätestens 12 Monaten“ (§ 4 Abs. 6 Unterabs. 1 ETV), also auch nach einer bestimmten Beschäftigungszeit innerhalb der Bewertungsgruppe.
26

ee) Auch aus der tariflichen Zuweisung von bestimmten Tätigkeitsbeispielen zu den einzelnen Bewertungsgruppen ergibt sich die tätigkeitsbezogene Zuordnung in das Entgeltschema durch die Tarifvertragsparteien.
27

(1) In der Regel liegt der ausdrücklichen Nennung von Tätigkeits-, Regel- oder Richtbeispielen zu bestimmten Entgeltgruppen die Einigkeit der Tarifvertragsparteien dahingehend zugrunde, dass bei der Ausübung der in diesen Beispielen genannten Tätigkeiten von der Erfüllung der abstrakten Anforderungen der jeweiligen Entgeltgruppe auszugehen ist. Den Gerichten für Arbeitssachen ist es in einem solchen Fall verwehrt, die Erfüllung der abstrakten Oberbegriffe der jeweiligen Entgeltgruppen eigenständig zu überprüfen, weil sie dadurch in die Tarifhoheit der Tarifvertragsparteien eingreifen würden (BAG 20. Juni 2012 – 4 AZR 438/10 – Rn. 16 mwN). Lediglich wenn ausdrücklich geregelt oder aus anderen Bestimmungen des Tarifvertrags zuverlässig zu entnehmen ist, dass diese Wirkung gerade nicht eintreten soll, sondern es auch bei Vorliegen eines Tätigkeitsbeispiels auf die Erfüllung der in den Oberbegriffen niedergelegten Merkmale ankommt, reicht die Ausübung einer in einem Tätigkeitsbeispiel genannten Aufgabe noch nicht aus (vgl. zB der ETV zur Systemgastronomie bei BAG 28. September 2005 – 10 AZR 34/05 -, in dem die Tarifvertragsparteien im Anschluss an die Tätigkeitsbeispiele der einzelnen Tarifgruppen angefügt haben: „… soweit die in der Überschrift/den Oberbegriffen … geforderten Voraussetzungen erfüllt sind“; vgl. auch zum TV ERA für die Metall- und ElektroIndustrie Thüringen 16. März 2016 – 4 ABR 32/14 – BAGE 154, 235).
28

(2) Die im ETV zu den einzelnen Bewertungsgruppen genannten „Tätigkeitsbeispiele“ sind jedenfalls insofern von Bedeutung als sie den jeweiligen abstrakten Oberbegriffen weitgehend unterschiedliche konkrete Tätigkeiten zuordnen. Die Eingruppierung in eine der Bewertungsgruppen ist damit hinreichend an die Ausübung einer zumindest entsprechend zu bewertenden konkreten Tätigkeit gebunden. Sind die jeweiligen Beispielstätigkeiten aber unterschiedlich, kann nicht angenommen werden, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgehen, bei unveränderter Tätigkeit sollten allein durch den Zeitablauf nunmehr derselben Tätigkeit ganz andere Beispiele einer anderen, höheren Bewertungsgruppe als gleichwertig zugeordnet werden.
29

Dabei kann dahinstehen, ob sich ansonsten dem ETV eine von der Regelbedeutung der Tätigkeitsbeispiele abweichende Absicht der Tarifvertragsparteien entnehmen lässt. § 4 Abs. 4 Unterabs. 2 ETV stellt insoweit nur klar, dass die Tätigkeitsbeispiele nicht abschließend aufgeführt sind, die Zuordnung einer Tätigkeit zu einer Bewertungsgruppe daher auch dann möglich ist, wenn sie nicht als Tätigkeitsbeispiel dieser Gruppe ausdrücklich genannt worden ist. Die Klägerin beruft sich auch nicht auf die Erfüllung eines der Tätigkeitsbeispiele.
30

(3) Die hier streitige Bewertungsgruppe 6 ETV weist neun verschiedene Tätigkeitsbeispiele auf. Der Bewertungsgruppe 5 ETV sind 16 und der Bewertungsgruppe 7 ETV sind 11 Tätigkeitsbeispiele zugeordnet. Lediglich das Tätigkeitsbeispiel „Handwerker/-in“ ist dabei identisch, ferner ist die „Hausdame“ in Bewertungsgruppe 6 und 7 ETV genannt. Alle übrigen Tätigkeitsbeispiele sind unterschiedlich. Hinsichtlich eines identischen Tätigkeitsbeispiels gilt nach der Rechtsprechung des Senats, dass bei der Nennung einer Tätigkeit in verschieden wertigen Tarifgruppen zur genauen Bestimmung auf die Oberbegriffe zurückzugreifen ist (BAG 23. September 2009 – 4 AZR 333/08 – Rn. 20 mwN). Die übergroße Anzahl der voneinander abweichenden Tätigkeitsbeispiele in den „Nachbargruppen“ 5 und 7 ETV verdeutlicht im Einzelnen die hierarchische Struktur der betreffenden Bewertungsgruppen und damit auch der Tätigkeitsbeispiele im Übrigen. So ist zur Bewertungsgruppe 5 ETV das Beispiel „Empfangsangestellte“, zur Bewertungsgruppe 6 ETV das Beispiel „Empfangsherr/-dame“ und zur Bewertungsgruppe 7 ETV das Beispiel „Empfangsherr/-dame als Schichtleiter/-in“ genannt. Angesichts dessen ist es auszuschließen, dass die Tarifvertragsparteien eine unveränderte Tätigkeit allein durch die Dauer ihrer Ausübung einer unterschiedlichen tariflichen Wertigkeit zuordnen wollten, soweit dies nicht ausdrücklich geregelt ist.
31

(4) Die Höhergruppierung allein durch den Zeitablauf, die das Landesarbeitsgericht durch den Vergleich der abstrakten Anforderungen zu den Bewertungsgruppen 5 und 6 ETV annimmt, würde dazu führen, dass alle Tätigkeiten, die der Bewertungsgruppe 5 ETV zugeordnet sind, im Hinblick auf die Formulierung der abstrakten Anforderungen in den Oberbegriffen nach zwei Jahren einer Höhergruppierung in die Bewertungsgruppe 6 ETV unterzogen würden. Die den beiden Bewertungsgruppen zugeordneten Tätigkeitsbeispiele schließen dies jedoch aus.
32

ff) Demgegenüber tritt der Umstand, dass der Wortlaut einiger Eingruppierungsregelungen im ETV auf eine gewisse Relevanz von personenbedingten Merkmalen hinzudeuten scheint, zurück. So ist zwar die isolierte Betrachtung von § 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 4 ETV geeignet, die dort genannten personenbezogenen Anforderungskriterien (etwa fachliches und berufliches Können, besondere Erfahrungen und Kenntnisse, die Substitution einer abgeschlossenen Berufsausbildung durch eine fünfjährige fachbezogene Tätigkeit) für die tarifliche Bewertung und Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Bewertungsgruppen heranzuziehen. Soweit die Klägerin jedoch auf die Formulierung verweist, wonach auch „die Anforderungen an die Arbeitnehmer maßgebend“ seien (§ 4 Abs. 4 Unterabs. 4 ETV), ist dieses – gerade vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Senats (vgl. zB BAG 27. Januar 2010 – 4 AZR 567/08 – Rn. 19; 21. April 2010 – 4 AZR 735/08 – Rn. 22 ff.) – so zu verstehen, dass sich die Anforderungen an die Arbeitnehmer in den jeweiligen Oberbegriffen der einzelnen Bewertungsgruppen auf deren zu bewertende Tätigkeit bezieht. Wird demnach eine bestimmte Ausbildung im Oberbegriff einer Bewertungsgruppe vorausgesetzt, bedeutet dies, dass die bei einer solchen Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Arbeitnehmers grundsätzlich erforderlich sind, um die von dieser Bewertungsgruppe erfassten Tätigkeiten überhaupt verrichten zu können. Damit ist der Oberbegriff der Bewertungsgruppe 5 ETV („Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung“) nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Beschäftigte, die diese Voraussetzung erfüllt, ungeachtet ihrer konkreten Tätigkeit nach der entsprechenden Bewertungsgruppe des ETV zu vergüten ist. Vielmehr ist weitere – ungeschriebene – Voraussetzung, dass sie tatsächlich mit Tätigkeiten betraut ist, die eine solche abgeschlossene Ausbildung voraussetzen, was in vielen Tarifverträgen ausdrücklich geregelt ist („… mit entsprechender Tätigkeit …“) und was sich vorliegend auch aus der Einleitung von § 4 Abs. 4 Unterabs. 4 ETV ergibt. Der Gegenstand der Eingruppierung ist die Tätigkeit des Arbeitnehmers und die bei deren Ausübung erforderlichen Anforderungen. Dementsprechend setzt auch die Eingruppierung in der Bewertungsgruppe 5 ETV – wie bei der Klägerin – nicht zwingend die Absolvierung der dort im Oberbegriff genannten Berufsausbildung voraus, sondern die Ausübung von Tätigkeiten, deren Anforderungen im Regelfall eine solche Ausbildung bedingen.
33

2. Danach erfüllt die Klägerin das Tätigkeitsmerkmal der Bewertungsgruppe 6 des § 5 ETV nicht.
34

a) Das Landesarbeitsgericht und die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die von der Klägerin nach ihrer Einstellung ausgeübte Tätigkeit trotz der fehlenden Berufsausbildung die Anforderungen der Bewertungsgruppe 5 ETV erfüllt hat und dass sie diese Tätigkeit im Weiteren unverändert ausführt.
35

b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, dass allein durch die ununterbrochene Ausübung dieser Tätigkeit für mindestens zwei Jahre eine Höhergruppierung in die Bewertungsgruppe 6 ETV zu erfolgen hat. Eine Höhergruppierung kommt nach den tarifvertraglichen Regelungen nur dann in Betracht, wenn der Klägerin eine neue Aufgabe übertragen worden ist, die – anders als die bisherige – im Regelfall nicht lediglich eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt, sondern darüber hinaus Fähigkeiten und Kenntnisse, die aufgrund einer danach ausgeübten mindestens zweijährigen Berufserfahrung erworben worden sind. Dies ist bei der Klägerin schon deshalb nicht der Fall, weil sich ihre Tätigkeit nicht verändert hat und deshalb auch keine – gegenüber dem Zeitpunkt ihrer Einstellung – veränderten Anforderungen stellt.
36

c) Die weiteren von der Klägerin in ihrer Revisionserwiderung hiergegen vorgebrachten Gesichtspunkte hat der Senat eingehend geprüft und sie nicht als durchgreifend erachtet.
37

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Eylert

Klose

Creutzfeldt

Drechsler

Gey-Rommel

Schlagworte

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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