Kein Anspruch auf Verzugslohn bei Streikbeteiligung nach unwirksamer fristloser Kündigung

Juli 30, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 19.05.2011 – 8 Sa 2064/10
Kein Anspruch auf Verzugslohn bei Streikbeteiligung nach unwirksamer fristloser Kündigung
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 27.10.2010 – 2 Ca 999/10 – wird nach Abtrennung des Verfahrens wegen der Vergütungsdifferenzen aus dem Zeitraum 10. bis 12.04.2010 auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten im Anschluss an einen erfolgreich geführten Kündigungsschutzprozess – betreffend die Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 09.04.2010 – die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Dem hält die Beklagte den Einwand entgegen, der Kläger habe sich ab dem 13.04.2010 gemeinsam mit weiteren gekündigten und ungekündigten Arbeitnehmern an dem ab diesem Tage von der Gewerkschaft geführten Streik um den Abschluss eines Haustarifvertrages beteiligt. Für die Dauer der Streikteilnahme stehe dem Arbeitnehmer auch während des Annahmeverzuges kein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung zu.
Der im Jahre 1977 geborene Kläger war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 27 d. A.) seit dem Jahre 2007 im baugewerblichen Betrieb der Beklagten als Technischer Leiter beschäftigt. Nach seiner Darstellung belief sich die zu beanspruchende monatliche Arbeitsvergütung zuletzt auf 3750 Euro;, nach Darstellung der Beklagten auf 3625 Euro;. Hierüber ist ein weiterer Rechtsstreit anhängig (ArbG Herford 2 Ca 679/10 = LAG Hamm 11 Sa 90/10). Nachdem der Kläger im Zuge des Kündigungsrechtsstreits ab dem 07.06.2010 eine Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen aufgenommen hat, stehen im vorliegenden Verfahren Vergütungsansprüche für den Zeitraum vom 10.04. bis 06.06.2010 im Streit.
Wie unstreitig ist, hatte die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt, Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe mit Schreiben vom 31.03.2010 (Bl. 175 der Akte), die nicht tarifgebundene Beklagte zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrages aufgefordert. Am 08.04.2010 wurde der Kläger – neben weiteren, ebenfalls am 09.04. gekündigten und freigestellten Beschäftigten – zum Mitglied der Tarifkommission gewählt. Nachdem die Beklagte die Aufnahme von Tarifverhandlungen ablehnte, kündigte die Gewerkschaft mit Schreiben vom 13.04.2010 (Bl. 177 der Akte) die Aufnahme eines unbefristeten Streiks für den Fall an, dass bis zum 13.04.2010, 10.01 Uhr keine Bereitschaft der Beklagten erklärt werde, Tarifverhandlungen zu führen. Der hierauf am 13.04.2010 begonnene Streik endete ohne Tarifabschluss, nachdem das Arbeitsgericht durch Urteil vom 14.07.2010 die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen vom 09.04. und 22.04.2010 festgestellt hatte.
Zum Geschehensablauf am Tage vor Streikbeginn hat der Kläger vorgetragen: Wie die Beklagte im Parallelverfahren ArbG Herford 1 Ca 995/10 (LAG Hamm 8 Sa 2222/10) im Wesentlichen bestätigt habe, seien am Montag, den 12.04.2010 die gekündigten Arbeitnehmer um 6.00 Uhr morgens erschienen, um ihre Arbeitskraft anzubieten und die Rücknahme der Kündigungen zu fordern, was von Beklagtenseite abgelehnt worden sei. Gleiches habe die Beklagte gegenüber den um 7.00 Uhr erschienenen gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten der Beklagten – etwa der Hälfte der Belegschaft – erklärt, worauf diese aus Solidarität mit den Gekündigten ihre Arbeit niedergelegt hätten. Hierauf habe die Beklagte mit Abmahnungen wegen Verletzung der Arbeitspflicht und der Erteilung eines Hausverbots durch ihren früheren Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt P1, reagiert. Ob in diesem Zusammenhang der Gewerkschaftssekretär M1 gegenüber dem Betriebsleiter S2 erklärte, im Falle der Rücknahme der Kündigungen werde man den Aussicht genommenen Streik um den Abschluss eines Haustarifvertrages zunächst einmal aussetzen, ist unter den Parteien streitig.
Der Kläger hat im ersten Rechtszuge beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7001,25 Euro; brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Zustellung der Klage zu zahlen abzüglich bereits durch die Bundesagentur für Arbeit geleisteter 2550,32 Euro;.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
Durch Urteil vom 27.10.2010 (Bl. 88 ff. der Akten), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht dem Kläger Vergütung allein für drei Kalendertage (10. bis 12.04.2010) auf der Basis der von der Beklagten behaupteten Vergütungshöhe zugesprochen und die Klage im übrigen – wegen des Streits um die Höhe der Arbeitsvergütung sowie wegen des Vergütungsanspruchs für den Zeitraum vom 13.04. bis 16.06.2010 – abgewiesen. Zur Begründung der klageabweisenden Entscheidung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, durch seine Beteiligung an Streikkundgebungen und das Tragen einer Streikweste habe der Kläger dokumentiert, dass er nicht zur Arbeit bereit und leistungswillig sei, sondern sich am Streik beteilige. Allein die Tatsache, dass die Beklagte zuvor eine fristlose Kündigung ausgesprochen habe, führe nicht dazu, dass eine Streikteilnahme aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausscheide, vielmehr habe der Kläger sich mit den Streikenden aktiv solidarisiert und könne aus diesem Grunde nicht erwarten, besser gestellt zu werden als die Streikenden selbst.
Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Zahlungsbegehren unter Abzug des ausgeurteilten Betrages weiter und hält an seiner Auffassung fest, die Beklagte habe sich unabhängig von der Arbeitsniederlegung der aktiven Beschäftigten und seiner – des Klägers – Solidarisierung mit den Streikenden weiterhin in Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung befunden. Soweit das Arbeitsgericht seine Entscheidung an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Streikteilnahme bei ruhender Arbeitspflicht während bestehender Arbeitsunfähigkeit oder Urlaubs ausgerichtet habe, seien diese Grundsätze auf die Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung nicht übertragbar, wie sich aus folgenden Umständen ergebe: Ersichtlich stellten die gegenüber dem Kläger ausgesprochene fristlose Kündigung vom 09.04.2010 wie auch die zeitgleich ausgesprochenen, mit sofortiger Arbeitsfreistellung verbundenen ordentlichen Kündigungen gegenüber weiteren Beschäftigten eine Reaktion der Beklagten auf die am 08.04.2010 durchgeführte Wahl der Tarifkommission dar. Dementsprechend sei es bei der nachfolgenden Arbeitsniederlegung vorrangig oder zumindest auch darum gegangen, die Rücknahme der rechtswidrigen und später als rechtsunwirksam erklärten Kündigungen zu erreichen. In diesem Sinne habe sich der Gewerkschaftssekretär M1 auch in der Presse geäußert. Der Zusammenhang mit dem Anliegen, die Rücknahme der Kündigungen zu erreichen, werde im Übrigen auch daran deutlich, dass die Gewerkschaft den Streik ausgesetzt habe, nachdem sämtliche Kündigungen durch arbeitsgerichtliches Urteil vom 14.07.2010 für unwirksam erklärt worden seien.
Im Übrigen sei der Kläger infolge der fristlosen Kündigung jedenfalls tatsächlich aus dem betrieblichen Geschehen ausgeschieden und damit kein Arbeitnehmer der Beklagten mehr gewesen. Eben aus diesem Grunde habe er sich nicht rechtwirksam am Streik beteiligen können, sondern sich allein mit den Streikenden solidarisch gezeigt. Diese Sichtweise werde im Übrigen dadurch bestätigt, dass der Kläger als gekündigter Arbeitnehmer nach der Satzung der Gewerkschaft kein Streikgeld, sondern allein eine Solidarunterstützung mit der Maßgabe erhalten habe, diese nach erfolgreichem Kündigungsschutzverfahren zurückzuzahlen. Selbst wenn aber von einer regulären Streikbeteiligung des Klägers ausgegangen werde, könne hieraus ein Verlust des Vergütungsanspruchs allein für die konkret versäumten Arbeitsstunden oder -tage hergeleitet werden.
Wegen der Höhe der zu beanspruchenden Arbeitsvergütung verweist der Kläger ergänzend auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren Arbeitsgericht Herford 2 Ca 679/10 = LAG Hamm 11 Sa 90/2011. Mit Rücksicht hierauf ist das Verfahren, soweit die Berufung des Klägers auch den Vergütungszeitraum vom 10. bis 12.04.2010 umfasst, durch Beschluss vom heutigen Tage abgetrennt worden. Ab dem 07.06.2010 hat der Kläger eine anderweitige Beschäftigung ohne Verdiensteinbuße gefunden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 27.10.2010 – 2 Ca 999/10 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 10.04.2010 bis zum 06.06.2010 weitere 6.638,75 Euro; brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.08.2010 abzüglich bereits durch die Agentur für Arbeit geleisteter 2.416,07 Euro;.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Gründe
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.
I. In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil steht dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung für den Zeitraum vom 13.04. bis 06.06.2010 nicht zu.
Unstreitig hat der Kläger im Anspruchszeitraum keine Arbeitsleistung erbracht. Durch den Ausspruch der fristlosen und später für unwirksam erklärten Kündigung vom 09.04.2010 geriet die Beklagte jedoch in Annahmeverzug (1). Ob der Kläger am Montag, den 12.04.2010 zusätzlich seine Arbeit angeboten und/oder gemeinsam mit weiteren gekündigten und nicht gekündigten Beschäftigten mit der Forderung nach Rücknahme sämtlicher Kündigungen in zulässiger Weise von einem individualrechtlich begründeten “kollektiven Zurückbehaltungsrecht” an der Arbeitsleistung Gebrauch gemacht haben, bedarf keiner Erörterung (2). Jedenfalls ab dem 13.04.2010 hat der Kläger an dem von der Gewerkschaft geführten Arbeitskampf um den Abschluss eines Haustarifvertrages teilgenommen mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt der arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch des Klägers erlosch (3). Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte geben zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.
1. Durch den Ausspruch der später für unwirksam erklärten fristlosen Kündigung vom 09.04.2010 geriet die Beklagte in Annahmeverzug und war damit zunächst zur Zahlung von Arbeitsvergütung gem. § 615 BGB verpflichtet.
2. Soweit der Kläger gemeinsam mit weiteren gekündigten und ungekündigten Arbeitnehmern die Arbeit am 12.04.2010 im Zusammenhang mit der Forderung nach Rücknahme der Kündigungen niedergelegt hat, kann offenbleiben, ob hierin die Ausübung eines kollektiven Zurückbehaltungsrechts – unter Fortdauer der Vergütungspflicht – oder ein Arbeitskampf – unter Wegfall der Vergütungspflicht – zu sehen war. Jedenfalls für die Zeit ab dem 13.04.2010 ergibt sich jedenfalls aus der schriftlichen Verlautbarung der Gewerkschaft über die Durchführung einer Urabstimmung und einen Streikbeginn ab 10.01 Uhr mit dem Kampfziel “Abschluss eines Haustarifvertrages”, dass die vorangehende, möglicherweise individualrechtlich gestützte Arbeitsniederlegung durch die Beschäftigten gegenstandslos war. Auch wenn der Vortrag des Klägers als wahr unterstellt wird, der Gewerkschaftssekretär M1 habe gegenüber dem Betriebsleiter S2 erklärt, von der Aufnahme von Kampfmaßnahmen werde abgesehen, wenn die Kündigungen zurückgenommen würden, ändert dies nichts daran, dass es sich bei der nachfolgenden Arbeitsniederlegung um die Umsetzung des zuvor gefassten und vom Bundesvorstand genehmigten Streikbeschlusses handelte. Dies gilt auch dann, wenn – was im Hinblick auf den eindeutigen Inhalt des Schreibens vom 13.04.2010 kaum in Betracht zu ziehen ist – Streikziel nicht allein der Abschluss eines Haustarifvertrages, sondern daneben oder vorrangig die Rücknahme der Kündigungen gewesen sein sollte. Auch für den Fall des “mehrfachen Streikziels” und unabhängig von der Frage, ob als Ziel eines rechtmäßigen – die Arbeitspflicht suspendierenden – Streiks das Verlangen nach Rücknahme von Kündigungen in Betracht kommt, würde sich nichts daran ändern, dass die Arbeitsniederlegung ab dem 13.04.2010 als gewerkschaftlich geführter Streik anzusehen war. Auf die rechtliche Einordnung des Arbeitnehmerverhaltens vom 12.04.2010 kommt es danach für das Berufungsverfahren nicht an.
3. Auch der Kläger stellt den Grundsatz nicht in Frage, dass im Falle der Teilnahme an Arbeitskampfmaßnahmen die Vergütungspflicht des Arbeitgebers entfällt. Anderes soll demgegenüber nach Auffassung des Klägers hier deshalb gelten, weil die Beklagte vor Streikbeginn eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt und aufgrund dessen die Erfüllung der Arbeitspflicht unabhängig vom Streik ausgeschlossen war. Wegen der fristlosen Kündigung sei er kein Arbeitnehmer der Beklagten mehr gewesen und habe sich aus diesem Grunde im Rechtssinne nicht an einem Streik beteiligen können. Für diese rechtliche Sichtweise spreche auch die Satzung der Gewerkschaft, nach welcher gekündigten Arbeitnehmern keine Streikbeihilfe, sondern allein eine darlehnsweise Solidaritätsunterstützung gewährt werde.
a) Diese rechtliche Begründung überzeugt schon deshalb nicht, weil dem Kläger bei Fehlen eines Arbeitsverhältnisses auch ein Anspruch auf Verzugslohn nicht zustehen könnte. Im Übrigen hat der Kläger erfolgreich die Feststellung erstritten, dass das zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden ist.
b) Aber auch wenn man den vorgetragenen Einwand des Klägers in dem Sinne versteht, infolge des Ausspruchs der fristlosen Kündigung, dem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Betrieb und der Erteilung des Hausverbots sei ihm die Erbringung der Arbeitsleistung bereits vor Streikbeginn unmöglich geworden, weswegen für ihn gar nicht die Möglichkeit bestanden habe, dem Arbeitgeber durch Streikteilnahme die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung vorzuenthalten und hierdurch wirtschaftlichen Druck auszuüben, ergibt sich nichts anderes.
Wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Zusammentreffen mehrerer Leistungshindernisse – z.B. Urlaub, Krankheit, Feiertag, Teilnahme an einer Schulungsteilnahme einerseits und Arbeitsausfall wegen Teilnahme an einem Arbeitskampf andererseits – ergibt (Urt. v. 05.1988, 1 AZR 598/86; Urt. v. 15.01.1991, 1 AZR 178/90), kommt es für die Frage der Vergütungspflicht nicht auf den Gesichtspunkt zeitlicher Priorität, sondern darauf an, auf welchem Umstand die Nichterbringung der Arbeitsleistung maßgeblich beruht. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer schon vor Streikbeginn z.B. wegen Arbeitsunfähigkeit oder Urlaubs seine Arbeitspflicht nicht erfüllen kann bzw. zur Arbeitsleistung nicht verpflichtet ist, ändert nichts daran, dass er sich wirksam an dem geführten Streik beteiligen kann. Allein die Tatsache, dass für seine Person die Vorenthaltung von Arbeitsleistung als persönlicher Kampfbeitrag ausscheidet, führt nicht dazu, dass er sich auf eine “solidarische Gesinnung” im privaten Umfeld beschränken muss. Vielmehr ist auch der von der Arbeitspflicht befreite Arbeitnehmer in der Lage, sich aktiv an öffentlichkeitswirksamen Aktionen oder Maßnahmen mit dem Ziel, den Einsatz von Streikbrechern zu unterbinden, zu beteiligen. Im Unterschied zu den Fällen der Arbeitsunfähigkeit, der Urlaubsgewährung, feiertagsbedingten Arbeitsausfalls, Schulungsteilnahme oder einer Betriebsstörung beruht zwar im vorliegenden Fall die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung allein auf dem Willen des Arbeitgebers. Dies ändert aber nichts daran, dass es in der Hand des Arbeitnehmers liegt, ob er der Arbeit wegen objektiver Leistungshindernisse fernbleibt oder ob er sich in die Gruppe derjenigen Arbeitnehmer einreiht, welche im Zuge eines Arbeitskampfs aufgrund eigenen Willensentschlusses der Arbeit fernbleiben. Letzteren falls tritt die Bedeutung des arbeitgeberseitigen Willens zur Nichtbeschäftigung zurück, maßgeblich für den Arbeitsausfall ist für diesen Fall der Wille des Arbeitnehmers zur Beteiligung am Arbeitskampf, um so einen Beitrag zur Erreichung des Kampfziels erbringen. Allein der Gesichtspunkt der Priorität der Leistungshindernisse ist nicht entscheidend.
c) Zu Unrecht bezieht sich der Kläger für seine gegenteilige Auffassung auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.07.2005 (1 AZR 133/04). Soweit es dort in Rn 21 heißt, die Anwesenheit bei einer Streikkundgebung stelle eine Streikteilnahme im Rechtssinne nur dann dar, wenn der Arbeitnehmer ohne die Ausübung des Streikrechts zur Arbeitsleistung verpflichtet wäre, bezieht sich dies dem Zusammenhang nach allein auf den Sonderfall, dass der Arbeitnehmer außerhalb der Lage der für ihn geltenden täglichen Arbeitszeit an einer Streikkundgebung teilnimmt und aus diesem Grunde dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung nicht vorenthält. Auch wenn es danach zutrifft, dass eine “Streikbeteiligung” während der durch “Ausstempeln” dokumentierten Freizeit den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nicht entfallen lässt, kann hieraus nicht gefolgert werden, eine Teilnahme an Maßnahmen des Arbeitskampfes scheide generell im Falle fehlender Arbeitspflicht aus. Maßgeblich ist vielmehr, mit welcher Erklärung der Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt. Mit der Freizeitnahme erklärt der Arbeitnehmer, sich gerade nicht durch Vorenthaltung der Arbeitsleistung am Streik beteiligen zu wollen. Demgegenüber gibt der Arbeitnehmer, welcher sich während fortbestehender Arbeitsunfähigkeit an Arbeitskampfmaßnahmen – z. B. einer Streikkundgebung – beteiligt, zu verstehen, dass er sich auch bei Arbeitsfähigkeit am Arbeitskampf beteiligt und seine Arbeit niedergelegt hätte (BAG, 26.07.2005, Rn 27). Diese Grundsätze sind entsprechend auf die vorliegende Fallgestaltung anzuwenden, wenn also der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung deshalb nicht erbringen kann, weil der Arbeitgeber nach ausgesprochener Kündigung zur Entgegennahme der Arbeitsleistung nicht bereit ist. Auch in einem solchen Falle hat der Arbeitnehmer die Wahl, ob er sich für eine Teilnahme am Arbeitskampf in Form der Unterstützung der aktiven Beschäftigten entscheiden oder sich vom Streikgeschehen fernhalten will.
d) Auch in der Sache leuchtet nicht ein, aus welchem Grunde ein Arbeitnehmer, welcher sich nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung im Zeitraum des Annahmeverzuges an einem Arbeitskampf beteiligt, in vergütungsrechtlicher Hinsicht besser stehen sollte als der Arbeitnehmer im ungekündigten Arbeitsverhältnis. Der Anspruch auf Verzugslohn ist der aufrechterhaltene vertragliche Lohnanspruch und teilt dessen Schicksal. Ein Sanktionscharakter kommt der Verpflichtung zur Zahlung von Verzugslohn demgegenüber nicht zu. Dementsprechend besteht kein sachlicher Grund, dem Arbeitnehmer Verzugslohnansprüche zu gewähren, wenn auch der reguläre Vergütungsanspruch – hier: durch Streikteilnahme – entfallen wäre. Soweit der Kläger dieser hypothetischen Gegenüberstellung der Streikteilnahme gekündigter und nicht gekündigter Arbeitnehmer mit dem Einwand entgegentritt, dass im vorliegenden Fall von der Durchführung des Streiks überhaupt abgesehen worden wäre, wenn die Beklagte nicht gekündigt bzw. die ausgesprochenen Kündigungen auf das Verlangen vom 12.04.2010 zurückgenommen hätte, liegt dies neben der Sache. Gegenstand der hypothetischen Betrachtung ist allein das Verhalten des Arbeitnehmers und damit die Frage, ob dieser bei fortbestehender Arbeitspflicht am Streik teilgenommen hätte. Demgegenüber handelte es sich beim Streik um eine reale, nicht hypothetische Tatsache. Ohne Durchführung des Streiks würde sich die hier streitige Rechtsfrage gar nicht stellen.
e) Wie die Klägervertreterin ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erklärt hat, will der Kläger nicht vortragen, dass er sich, sofern die Kündigung vom 09.04.2010 ausgeblieben wäre, an dem gewerkschaftlich geführten Streik um den Haustarif nicht beteiligt haben würde. Dann muss es aber damit sein Bewenden haben, dass der Vergütungsanspruch des Klägers entfallen ist, soweit sich der Kläger am Arbeitskampf beteiligt hat. Der Annahmeverzug der Beklagten bestand zwar fort, war jedoch nicht mehr die maßgebliche Ursache für das Ausbleiben der Arbeitsleistung und den Wegfall des Vergütungsanspruchs.
f) Ob sich der Arbeitnehmer in diesem Sinne am Arbeitskampf beteiligt, hängt von seinem nach außen erkennbaren Verhalten ab (BAG, 09.02.1982, 1 AZR 567/79, AP BUrlG § 11 Nr. 16; BAG, 26.07.2005, 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 2005, 1402 ff.). Vorliegend hat sich der Kläger dem Streik der Beschäftigten dadurch angeschlossen, dass er sich in der Öffentlichkeit als Streikteilnehmer bekannt und an den öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen teilgenommen hat, durch welche auf die Arbeitgeberseite psychologischer Druck zum Eingehen auf die Kampfforderung ausgeübt werden sollte. Damit ist der Vergütungsanspruch des Klägers in vollem Umfang und nicht nur stunden- oder tageweise entfallen. Unstreitig haben die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer die Arbeit nicht nur stundenweise, sondern ganztägig und während des gesamten Anspruchszeitraums niedergelegt. Die während der Arbeitsniederlegung durchgeführten Protestveranstaltungen o.ä. haben zwar im Zweifel nicht die volle reguläre Arbeitszeit umfasst. Andererseits hat der Kläger in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass er den Streik nur für die Dauer einzelner Aktionen, stunden- oder tageweise unterstütze. Nachdem sich der Kläger einmal für die Teilnahme am Streikgeschehen entschieden und ohne erkennbare Beschränkung vollzogen hat, wäre es seine Sache gewesen, abweichendes zu erklären. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Gegensatz zu den übrigen Streikenden nur in begrenztem Maße daran mitwirken wollte, dem Arbeitgeber den Abschluss eines Haustarifvertrages abzuringen, sind nicht erkennbar.
II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat der Kläger zu tragen.
III. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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