LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.2015 – 7 Sa 1242/14

November 3, 2020

LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.2015 – 7 Sa 1242/14

Vom Begriff der Rente im Sinne des § 22 Abs. 4 TVöD wird auch eine Teilerwerbsminderungsrente erfasst.

§ 22 Abs. 4 TVöD ist nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, denn die Klägerin wird durch den Ausschluss von der Zahlung des Krankengeldzuschusses wegen anderweitiger Absicherung durch den Bezug einer Teilerwerbsminderungsrente nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt.
Tenor

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.09.2014, 14 Ca 3145/14, wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III.

Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand

Mit ihrer am 22.05.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht die Klägerin die Auszahlung einbehaltener Lohnbeträge geltend. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagten ein Rückforderungsrecht bezüglich gezahlter Krankengeldzuschüsse zusteht.

Die Klägerin, die seit dem 02.04.2010 mit einem Grad von 60 schwerbehindert ist, ist bei der Beklagten seit dem 01.07.1993 als Angestellte, zuletzt zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.650,00 €, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (TVöD) Anwendung.

Die Klägerin war seit dem 14.04.2010 arbeitsunfähig erkrankt und erhielt bis zum 22.10.2010 einen tariflichen Krankengeldzuschuss sowie eine anteilige Jahressonderzuwendung in Höhe von insgesamt 2.882,51 € von der Beklagten.

Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 20.12.2010 erhielt die Klägerin entsprechend ihrem Antrag vom 30.06.2010 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung rückwirkend zum 01.07.2010 bewilligt. Wegen des Inhalts des Rentenbescheids im Einzelnen wird auf Bl. 46 bis 62 der Akte Bezug genommen.

Am 29.12.2010 erhielt die Klägerin einen Bescheid, demzufolge ihr ab dem 01.01.2011 bis 30.06.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde. Dem dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wurde in der Form stattgegeben, dass der Bescheid vom 29.12.2010 aufgehoben wurde und ein gesonderter Bescheid über die Zahlung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.01.2011 ergehen sollte.

Nachdem die Beklagte von der Rentengewährung Kenntnis erlangt hatte, meldete sie bei der Deutschen Rentenversicherung einen Erstattungsbetrag in Höhe von 2.882,51 € an. Mit Bescheid vom 01.03.2011 teilte die Deutsche Rentenversicherung der Beklagten mit, dass es im Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2010 zu einer Rentennachzahlung in Höhe von 2.981,34 € gekommen sei, der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe erfüllt werden könne, weil für die Zeit vom 01.07. bis 21.12.2010 vorrangig der Erstattungsanspruch der Techniker Krankenkasse nach § 103 SGB X zu erfüllen gewesen sei. Erstattet wurde von der Deutsche Rentenversicherung sodann einen Betrag in Höhe von 160,29 €.

Zunächst mit Email vom 17.05.2011, sodann mit Schreiben vom 22.06.2011 machte die Beklagte gegenüber der Klägerin unter Bezugnahme auf § 22 Abs. 4 TVöD die Rückzahlung des Betrages in Höhe von 2.722,22 € mit der Begründung geltend, dass es mit der Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu einer Überzahlung des Entgelts der Klägerin gekommen sei.

Da die Beklagte keinen Zahlungseingang verzeichnen konnte, schlüsselte sie mit Schreiben an die Klägerin vom 05.06.2012 (Bl. 68 der Akte) ihre Forderung im Einzelnen auf und erklärte die Aufrechnung mit Entgeltansprüchen der Klägerin. Sodann behielt die Beklagte – mit Zustimmung der Klägerin gemäß Schreiben vom 14.06.2012 unter dem Vorbehalt der rechtlichen Klärung – ab Juni 2012 monatlich 100,00 € vom Arbeitsentgelt der Klägerin ein.

§ 22 Abs. 4 TVöD lautet:

“Entgelt im Krankheitsfall wird nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus gezahlt; § 8 EFZG bleibt unberührt. Krankengeldzuschuss wird zudem nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt, von dem an Beschäftigte eine Rente oder eine vergleichbare Leistung aufgrund eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, aus einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung oder aus einer sonstigen Versorgungseinrichtung erhalten, die nicht allein aus Mitteln der Beschäftigten finanziert ist. Überzahlter Krankengeldzuschuss und sonstige Überzahlungen gelten als Vorschuss auf die in demselben Zeitraum zustehenden Leistungen nach Satz 2; die Ansprüche der Beschäftigten gehen insoweit auf den Arbeitgeber über. Der Arbeitgeber kann von der Rückforderung des Teils des überzahlten Betrags, der nicht durch die für den Zeitraum der Überzahlung zustehenden Bezüge im Sinne des Satzes 2 ausgeglichen worden sind, absehen, er sei denn, die/der Beschäftigte hat dem Arbeitgeber die Zustellung des Rentenbescheids schuldhaft verspätet mitgeteilt.”

Mit Schreiben vom 28.12.2012 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Rückzahlungsanspruch wegen der einbehaltenen Lohnbeträge geltend.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 2.200,00 € gemäß § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf § 22 Abs. 4 TVöD. Der dort aufgeführte Rentenbegriff betreffe den der üblichen gesetzlichen Altersrente oder eine mit dieser Rente vergleichbare Versorgung. Der Krankengeldzuschuss solle dem Arbeitnehmer denjenigen finanziellen Nachteil ausgleichen, welchen er dadurch erleide, dass er aufgrund seiner Krankheit nicht die volle Arbeitsleistung erbringen könne. Die Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erfolgt, weil sie, die Klägerin, aufgrund ihres Gesundheitszustandes und ihrer Behinderung nicht die volle Arbeitsleistung erbringen könne. Es liege also gerade keine Rente nach dem Rentenbegriff des § 22 Abs. 4 TVöD vor. Außerdem stelle der monatliche Einbehalt der 100,00 € netto eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG dar. Werde der Krankengeldzuschuss zurückgefordert, weil sie – die Klägerin – eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalte, werde sie gegenüber anderen kranken Arbeitnehmern, die diesen Zuschuss erhielten, benachteiligt und diskriminiert. Für eine Differenzierung, die alleine vom Grad der Erkrankung abhänge, bestehe kein Rechtfertigungsgrund. Zwar erhalte der behinderte Beschäftigte aufgrund seiner Behinderung soziale Ausgleichsleistungen. Eine solche Ausgleichsleistung solle allerdings die Nachteile der Behinderung ausgleichen und nicht weitere an die Behinderung anknüpfende arbeitsrechtliche Nachteile. Die Regelung des § 22 Abs. 4 S. 2 TVöD sei im Übrigen wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam. Sie verstoße gegen Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000-78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie

1.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2012,

2.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2012,

3.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2012,

4.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2012,

5.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.11.2012,

6.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2012,

7.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2013,

8.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2013,

9.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2013,

10.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2013,

11.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2013,

12.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2013,

13.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2013,

14.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2013,

15.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2013,

16.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2013,

17.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.11.2013,

18.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2013,

19.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2014,

20.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2014,

21.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2014,

22.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2014

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund der Überzahlung im Sinne des § 22 Abs. 4 TVöD stehe ihr ein entsprechender Rückzahlungsanspruch zu. Entgegen der Auffassung der Klägerin falle die gesetzliche Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung unter den Rentenbegriff des § 22 Abs. 4 TVöD. Der überzahlte Betrag gelte als Vorschuss auf die Rentenzahlung im selben Zeitraum. Eine Benachteiligung aus Gründen der Behinderung liege nicht vor. Bei der Beklagten würden überzahlte Beträge regelmäßig zurückgefordert, so dass eine Gleichbehandlung stattfinde.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Zahlungsanspruch der Klägerin sei durch die wirksame Aufrechnung der Beklagten erloschen. Der Beklagten stehe ein aufrechenbarer Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin aus § 22 TVöD zu. Aus der Auslegung dieser Norm ergebe sich, dass auch die Teilerwerbsminderungsrente vom Rentenbegriff erfasst werde. Der Wortlaut der Norm differenziere nicht nach unterschiedlichen Rentenbegriffen. Dies werde auch durch systematische Erwägungen gestützt. Auch der Sinn und Zweck der Regelung spreche für diese Auslegung. Die Norm beabsichtige, den Arbeitnehmer für den Fall der Erkrankung über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus möglichst finanziell so zu stellen, wie er stünde, wenn er arbeiten würde. Im Falle des Auslaufens der Entgeltfortzahlung würden ihm daher Krankengeldzuschüsse gewährt. Würden aber von anderer Seite Ausgleichszahlungen geleistet, so bedürfe es eines Ausgleichs seitens des Arbeitgebers nicht mehr. Der Anspruch scheitere auch nicht daran, dass die Tarifvertragsparteien ihre Regelungskompetenz überschritten hätten. Auch eine Ungleichbehandlung im Sinne des AGG beziehungsweise der Rahmenrichtlinie liege nicht vor. Es fehle bereits an einer tatbestandlichen Benachteiligung vergleichbarer Personen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass eine mittelbare Diskriminierung von zwei Gruppen anhand des Merkmals “nichtbehindert” bzw. “behindert” vorliege. Die Klägerin behaupte lediglich, dass die Personengruppe, die eine Teilerwerbsminderungsrente erhielte, “behindert” sei und die Personengruppe, die eine derartige Rente nicht erhalte, sondern “nur” Krankengeldzuschuss, eben nicht “behindert” sei. Dafür sei nach dem Vortrag der Klägerin nichts ersichtlich. Die Klägerin habe damit bereits eine Vergleichsgruppe anhand eines – mittelbar greifenden – Diskriminierungsmerkmals nicht dargelegt. Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin unterstellt werde, die Arbeitnehmer, die eine Teilerwerbsminderungsrente erhielten, seien im Gegensatz zu den Erkrankten, die noch Krankengeldzuschuss erhielten, “behindert” im Sinne des § 1 AGG, sei die finanzielle Lage Behinderter und Nichtbehinderter nur bis zu dem Zeitpunkt vergleichbar, in dem für den Behinderten erstmals eine Teilerwerbsminderungsrente gezahlt werde. Danach ändere sich die objektive Ausgangslage, denn der Behinderte habe anders als der Nichtbehinderte Anspruch auf eine gesetzliche Rente, die es ihm ermögliche, seinen Lebensstandard auch ohne den Krankengeldzuschuss angemessen zu erhalten. Arbeitnehmer mit Rentenbezügen und solche ohne seien daher in unterschiedlicher Weise auf Beihilfen durch ihren Arbeitgeber angewiesen und befänden sich insoweit finanziell in einer unterschiedlichen Lage. Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin unterstellt werde, dass eine Benachteiligung grundsätzlich vorläge, so wäre diese nicht unzulässig, denn die Regelung des TVöD sei durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels seien angemessen und erforderlich. Die Begrenzung auf sozial Schutzwürdige stelle ein legitimes rechtmäßiges Ziel dar. Aus diesen Gründen liege auch kein Verstoß gegen die Rahmenrichtlinie vor. Die Beklagte habe die Aufrechnung gegenüber der Klägerin auch wirksam erklärt.

Gegen das ihr am 13.11.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 15.12.2014 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13.012015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts stehe der Beklagten kein aufrechenbarer Anspruch zu. Insbesondere verstoße § 22 Abs. 4 TVöD gegen höherrangiges Recht, denn diese Vorschrift stelle eine mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung dar. Kranke Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die einen Krankengeldzuschuss im Sinne des § 22 TVöD erhielten, aber nicht so erheblich erkrankt seien, dass es die Ausmaße einer Behinderung im Sinne der Richtlinie darstellten, erhielten in den Grenzen des § 22 Abs. 3 TVöD unbegrenzt Krankengeldzuschuss. Ein kranker Beschäftigter, der so erheblich erkrankt sei, dass er auf Grund seiner Behinderung im Sinne des Art. 2 der Richtlinie eine teilweise Erwerbsminderung der Deutschen Rentenversicherung erhalte, verliere allein auf Grund des Umstandes seiner Behinderung einen weiteren Anspruch auf Krankengeldzuschuss. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien die Personengruppe, die eine Teilerwerbsminderungsrente, und die Personengruppe, die “nur” Krankengeldzuschuss erhalte, vergleichbar. Beide Personengruppen seien arbeitsunfähig erkrankt und hätten daher dem Grunde nach einen Anspruch auf Krankengeld und den tarifvertraglichen Krankengeldzuschuss. Innerhalb dieser Gruppe werde nun jedoch auf Grund der Behinderung zwischen den nicht behinderten arbeitsunfähigen Arbeitnehmern und den behinderten arbeitsunfähigen Arbeitnehmern in unzulässiger Weise differenziert. Erhalte ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer eine Erwerbsminderungsrente, sei er denknotwendig auch behindert im Sinne der Richtlinie, denn nur wenn die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers auf nicht absehbare Zeit erheblich eingeschränkt sei, erfülle er die Voraussetzung einer Erwerbsminderungsrente im Sinne des § 43 SGB VI. Er sei damit immer langzeitkrank und folgerichtig behindert im Sinne der Richtlinie. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe für eine Differenzierung, die alleine vom Grad der Erkrankung abhänge, keine notwendige Rechtfertigung. Insbesondere könne keine Rechtfertigung aus dem Umstand der Rentenleistung geschlussfolgert werden. Zwar erhalte der Behinderte auf Grund seiner Behinderung eine soziale Ausgleichsleistung. Eine solche Ausgleichsleistung solle allerdings lediglich die Nachteile der Behinderung ausgleichen und nicht weiter an die Behinderung anknüpfende arbeitsrechtliche Nachteile. Eine soziale Ausgleichsleistung, die ausschließlich an Behinderte gezahlt werde, müsse bei Betrachtung der Rechtfertigung ausgeblendet werden. Beide Leistungen dienten unterschiedlichen Zwecken. Die Erwerbsminderungsrente solle den teilweisen Verlust der Erwerbsfähigkeit auf Dauer ausgleichen, während der Krankengeldzuschuss die finanziellen Einbußen ob des Krankengeldbezuges abmildern solle. Dieses Ergebnis werde durch folgende Kontrollüberlegung bestätigt: Nehme der Arbeitnehmer nach seiner Genesung wieder seine Tätigkeit auf, erhalte er selbstverständlich weiterhin seine teilweise Erwerbsminderungsrente neben seinem Entgelt. Hierbei handele es sich nicht um eine Besserstellung, sondern um einen finanziellen Ausgleich für die erlittenen Gesundheitsschäden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.09.2014, 14 Ca 314514, abzuändern, und die Beklagte zu verurteilen, an sie

1.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2012,

2.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2012,

3.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2012,

4.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2012,

5.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.11.2012,

6.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2012,

7.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2013,

8.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2013,

9.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2013,

10. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2013,

11. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2013,

12. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2013,

13. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2013,

14. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2013,

15.100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2013,

16. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2013,

17. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.11.2013,

18. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2013,

19. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2014,

20. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2014,

21. 100,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2014

zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Berufung sei bereits unzulässig, weil die Klägerin sich nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des Urteils des Arbeitsgerichts auseinander gesetzt habe. Die Berufung sei jedoch auch unbegründet, weil sich den Ausführungen der Klägerin nach wie vor nicht entnehmen lasse, warum sie zum Kreis von Diskriminierten gehören und weshalb ihr deshalb ein Nachteil entstanden sein solle. Außerdem argumentiere die Klägerin völlig losgelöst von der tarifpolitischen Zielsetzung, die der Schaffung des § 22 TVöD erkennbar zugrunde gelegen habe. Die Klägerin sei der Auffassung, dem Bezieher einer Erwerbsminderungsrente stehe der Krankengeldzuschuss noch zusätzlich zu der Rentenleistung zu. Genau dies hätten weder der Gesetzgeber noch die Tarifvertragsparteien gewollt. Diese hätten vielmehr Erleichterung für denjenigen schaffen wollen, der krankheitsbedingt Lohnfortzahlungsansprüche verliere, allerdings nur solange, bis andere Quellen des Sozialsystems diesen Verlust ausgleichten. Eine Denkweise, wonach demjenigen, der krankheitsbedingt nicht arbeite, mehr an Vergütung zufließe als demjenigen, der arbeite, widerspreche vollkommen allen Lohnfindungsgrundsätzen des Rechtssystems. Zielsetzung der Klage sei offensichtlich nicht eine Gleichbehandlung, sondern eine Besserstellung. Die These der Klägerin, Krankengeldzuschuss und Erwerbsminderungsrente dienten einem unterschiedlichen Zweck, finde werde im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzessystematik eine Stütze. Insbesondere träfe die “Kontrollüberlegung” der Klägerin nicht zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.

Nach Verkündung des Urteils ist um 14.40 Uhr ein handschriftliches Fax der Klägerin eingegangen.
Gründe

I.

Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt worden.

Die Berufung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mangels Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung unzulässig.

Die Berufungsbegründung muss nach § 64 Abs. 4 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der angegriffenen Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständige Angabe, welche bestimmten Punkte der angefochtenen Entscheidung bekämpft und welche Argumente geltend gemacht werden sollen.

Zweck des § 520 ZPO ist es, die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und den Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorzubereiten.

Ausgehend von diesem Zweck genügt die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO nur dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann zwar nicht verlangt werden, doch muss die Berufungsbegründung auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (vgl. BAG, Urteil vom19.10.2010, 6 AZR 118/10, zitiert nach juris, m.w.N.). Es reicht auch nicht aus, die Auffassung des Erstrichters als falsch oder die Anwendung einer bestimmten Vorschrift als irrig zu rügen. Werden nur die erstinstanzlichen Rechtsausführungen angegriffen, dann muss die eigene Rechtsansicht dargelegt werden (vgl. dazu BGH, Urteil vom 09.03.1995, IX ZR 143/94, zitiert nach juris).

Gemessen an diesen Anforderungen muss die Berufung als zulässig angesehen werden, denn die Klägerin hat sich mit der streitgegenständlichen Entscheidung auseinandergesetzt und die Auffassung des Arbeitsgerichts nicht nur als falsch gerügt, sondern eine eigene Rechtsauffassung, die nach ihrer Ansicht zu einem anderen Ergebnis führen muss, dargelegt.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit zutreffender Begründung, die die Berufungskammer sich – auch zur Vermeidung von Wiederholungen – zu Eigen macht, abgewiesen. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die geltend gemachten Zahlungsansprüche der Klägerin nach § 398 BGB durch Aufrechnung erloschen sind. Der Beklagten steht gegen die Klägerin ein aufrechenbarer Rückzahlungsanspruch zu, da die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch gemäß § 22 Abs. 4 TVöD vorliegen. Dazu ist unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens Folgendes auszuführen:

In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht geht die Berufungskammer zunächst davon aus, dass auch eine Teilerwerbsminderungsrente vom Begriff der Rente im Sinne des § 22 Abs. 4 TVöD erfasst wird. Entsprechend dem eindeutigen Wortlaut, dem tariflichen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Vorschrift fällt hierunter auch die befristet gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (vgl. BAG, Urteil vom 07.02.2007, 5 AZR 260/06, zitiert nach juris). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht angegriffen, so dass weitere Ausführungen seitens der Berufungskammer insoweit nicht erforderlich sind.

Die Tarifvertragsparteien haben ausdrücklich bestimmt, dass Krankengeldzuschüsse nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt werden, von dem an der Angestellte Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Nach § 22 Abs. 4 TVöD gelten Beträge, die als Krankenbezüge über diesen Zeitpunkt hinaus gezahlt worden sind, als Vorschüsse auf die zustehenden Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Insoweit gehen die Ansprüche des Angestellten auf den Arbeitgeber über. Dadurch tragen die Tarifvertragsparteien dem Umstand Rechnung, dass der Rentenversicherungsträger oft zu einem viele Monate zurückliegenden Zeitpunkt den Eintritt von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit anerkennt und von diesem Zeitpunkt an rückwirkend die Rentenversicherungsleistung zahlt. Der arbeitsunfähige Angestellte soll in diesem Fall nicht neben dem Rentenanspruch den Anspruch auf Krankenbezüge behalten. Deshalb endet die Zahlung der Krankenbezüge an dem Tag, der im Bescheid des Rentenversicherungsträgers als der Tag bezeichnet ist, von dem an die Versicherungsleistung erstmals gewährt wird. Unbedeutend ist, wann der Rentenbescheid erstellt wurde, dem Empfänger zugegangen ist oder wann der Angestellte die erste Rentenzahlung erhalten hat. Dadurch, dass die Tarifvertragsparteien die über den Beginn der Rentenversicherungsleistung hinaus gezahlten Krankenbezüge als Vorschüsse auf die Rentenversicherungsleistung fingiert haben, haben sie geregelt, dass diese Krankenbezüge ihre Arbeitsentgelteigenschaft verlieren. Die Bezeichnung dieser Zahlungen als Vorschüsse bewirkt, wie bereits die Auslegung nach dem Tarifwortlaut ergibt, dass der Angestellte als Empfänger der Leistung zur Rückzahlung verpflichtet ist, wenn, wie hier, die tariflichen Voraussetzungen der Vorschussfiktion vorliegen (st. Rspr. des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG, Urteil vom 30.09.1999, 6 AZR 130/98, zitiert nach juris zu der insoweit gleichlautenden Regelung in § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Buchst. b BAT in der Fassung des 69. Änderungstarifvertrags; BAG, Urteil vom 25.02.1993, 6 AZR 334/91 m.w.N. zur insoweit gleichlautenden Regelung in § 37 BAT in der Fassung des 67. Änderungstarifvertrags).

Danach steht der Beklagten ein Rückzahlungsanspruch aus § 22 TVöD in Höhe von 2.722,22 € gegenüber der Klägerin zu. Der Zahlungsanspruch ist der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig.

Das von der Klägerin zitierte Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.01.2014, B 5 R 36/12 R, zitiert nach juris, steht der Annahme eines Rückzahlungsanspruchs nicht entgegen. Das Bundessozialgericht hat zu § 22 Abs. 4 Satz 4, 2. Halbsatz TVöD entschieden, dass auf der Grundlage dieser Tarifnorm kein Forderungsübergang bezüglich der sozialrechtlichen Ansprüche gegen den gesetzlichen Rentenversicherungsträger erfolgen könne. Unwirksam ist aufgrund der Entscheidung des Bundessozial-

gerichts mithin der tariflich vorgesehene Forderungsübergang gegenüber der gesetzlichen Rente. Das Bundessozialgericht hatte über die tarif- und arbeitsrechtlichen Rückforderungsansprüche nicht zu entscheiden und hat insoweit auch selbst in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, dass es nicht von den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 25.02.1993, 6 AZR 334/91, vom 29.06.2000, 6 AZR 50/99 sowie vom 30.09.1999, 6 AZR 130/98, abweicht. Insoweit hat es bei der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu verbleiben, wonach der überzahlte Krankengeldzuschuss gegenüber dem Beschäftigten als Vorschuss gilt und vom Arbeitgeber zurückgefordert werden kann, soweit er darauf nicht ausnahmsweise verzichtet.

§ 22 Abs. 4 TVöD ist nicht nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Nach § 7 Abs. 1, § 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Darunter fallen auch tarifliche Regelungen (vgl. BAG, Urteil vom 14.01.2015, 7 AZR/13, zitiert nach juris).

Entgegen der Auffassung der Klägerin führt § 22 Abs. 4 S. 2 TVöD nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 7, 3 Abs. 1 AGG wegen einer Behinderung.

§ 7 Abs. 1 AGG regelt das Verbot der Benachteiligung Beschäftigter wegen aller Merkmale des § 1 AGG. Als Benachteiligung gelten alle Verhaltensweisen gemäß § 3 AGG. Das AGG dient zugleich der Konkretisierung der Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 3 GG. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden; eine Schlechterstellung Behinderter ist nur zulässig, wenn dafür zwingende Gründe vorliegen. Untersagt sind auf die Behinderung bezogene Ungleichbehandlungen, die für den behinderten Menschen zu einem Nachteil führen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.2015, 1 BvR 2803/11, zitiert nach juris).

Eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG setzt voraus, dass eine Person eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in vergleichbarer Situation erfährt. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG, die ebenfalls eine vergleichbare Situation voraussetzt, unverändert umgesetzt. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass eine unmittelbare Benachteiligung nur dann vorliegt, wenn sich die betroffenen Personen in einer vergleichbaren Lage befinden. Die Situationen müssen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Dies ist nicht allgemein und abstrakt, sondern spezifisch und konkret von den nationalen Gerichten im Einzelfall anhand des Zwecks und der Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2014, 7 AZR 1002/12, zitiert nach juris, m.w.N. aus der Rspr. des EuGH).

Ausgehend von diesen Grundsätzen wird die Klägerin durch den Ausschluss von der Zahlung des Krankengeldzuschusses wegen anderweitiger Absicherung durch den Bezug einer Teilerwerbsminderungsrente nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt.

Der den Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente regelnde § 43 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 SGB VI stellt allein auf die Fähigkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt ab. Für einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung genügt nach § 43 Abs. 1, S. 2, Abs. 2 S. 2 SGB VI auch eine vorübergehende Krankheit. Eine Erwerbsminderungsrente wird daher grundsätzlich nur auf Zeit gewährt, weil die Erwerbsminderung wieder entfallen kann (§ 102 Abs. 2 SGB VI). Die Orientierung auf die Fähigkeiten am Arbeitsmarkt ist nicht identisch mit § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX, der allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellt und an dessen Vorgängernorm (§ 3 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz) sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG orientiert hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.2015, 1 BvR 2803/11, zitiert nach juris).

Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente ist danach grundsätzlich als Einkommensersatz gedacht für den Fall, dass ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch eine Leistungsfähigkeit von weniger als 3 Stunden – bzw. bei einer teilweisen Erwerbsminderung nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich – hat. Die Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist eine Einkommensersatzleistung. Zweck der Erwerbsminderungsrente ist mithin die wirtschaftliche Sicherung bei Minderung der Erwerbsfähigkeit und nicht – wie die Klägerin meint – ein Ausgleich für Nachteile wegen einer Behinderung.

Eine unmittelbare Ungleichbehandlung liegt allerdings nicht nur vor, wenn die weniger günstige Behandlung ausdrücklich wegen eines in § 1 AGG aufgeführten Grundes erfolgt. Von § 3 Abs. 1 AGG wird vielmehr auch eine sog. verdeckte unmittelbare Ungleichbehandlung erfasst, bei der die Differenzierung zwar nicht ausdrücklich wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt, sondern an ein in dieser Vorschrift nicht enthaltenes Merkmal anknüpft, das jedoch in einem untrennbaren Zusammenhang mit einem in dieser Vorschrift genannten Grund steht. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund steht und damit kategorial ausschließlich Träger des Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG, Urteil vom 14.01.2015, 7 AZR/13, zitiert nach juris).

Ob dies vorliegend der Fall ist, kann letztlich dahinstehen, denn selbst wenn zu Gunsten der Klägerin die Möglichkeit einer unmittelbaren Ungleichbehandlung wegen der Behinderung unterstellt würde, läge keine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG vor, da Beschäftigte, die eine Teilerwerbsrente erhalten, nicht gegenüber Personen in einer “vergleichbaren Situation” benachteiligt werden.

Diesbezüglich hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn unterstellt wird, dass die Arbeitnehmer, die eine Teilerwerbsminderungsrente erhalten, im Gegensatz zu den Erkrankten, die noch Krankengeldzuschuss erhielten, “behindert” im Sinne des § 1 AGG sind, die finanzielle Lage Behinderter und Nichtbehinderter nur bis zu dem Zeitpunkt vergleichbar ist, in dem für den Behinderten erstmals eine (Teil)-Erwerbsminderungsrente gezahlt wird. Danach ändert sich die objektive Ausgangslage, denn der Behinderte hat – anders als der Nichtbehinderte – Anspruch auf eine gesetzliche Rente, die es ihm ermöglicht, seinen Lebensstandard auch ohne den Krankengeldzuschuss angemessen zu erhalten. Arbeitnehmer mit Rentenbezügen und solche ohne sind daher in unterschiedlicher Weise auf Beihilfen durch ihren Arbeitgeber angewiesen und befinden sich insoweit finanziell in einer unterschiedlichen Lage. Es handelt sich mithin um nicht vergleichbare Personengruppen.

Die Verpflichtung zur Rückzahlung des Krankengeldzuschusses nach § 22 Abs. 4 TVöD bewirkt auch keine mittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG wegen einer Behinderung.

Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine unzulässige mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Rechtmäßiges Ziel im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG ist jedes legitime Ziel, das von einem berechtigten Interesse getragen wird. Geeignet ist die Differenzierung, wenn durch sie das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Erforderlich ist sie, wenn es bei gleicher Erfolgsgeeignetheit kein milderes Mittel gibt. Angemessen ist die Differenzierung, wenn aufgrund einer Zweck-Mittel-Relation die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zur Bedeutung des Ziels zurücktritt. Rechtmäßige Ziele iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG können alle von der Rechtsordnung anerkannten Gründe sein, die nicht ihrerseits diskriminierend sind (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2014, 7 AZR 1002/12, zitiert nach juris, m.w.N. aus der Rspr. des EuGH).

Danach bewirkt § 22 Abs. 4 TVöD keine mittelbare Diskriminierung wegen der Behinderung. Für diesen Fall hat das Arbeitsgericht eine mittelbare Benachteiligung zu Recht verneint, da die Regelung des § 22 Abs. 4 TVöD durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die auflösende Bedingung zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Die diesbezüglichen Ausführungen auf S. 12 bis 14 des Urteils des Arbeitsgerichts macht die Berufungskammer sich – auch zur Vermeidung von Wiederholungen- zu Eigen.

Der Einwand der Klägerin, die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Frage der sachlichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung überzeugten nicht, denn eine soziale Ausgleichsleistung, die ausschließlich an behinderte Versicherte gezahlt werde, müsse bei der Betrachtung der Rechtfertigung ausgeblendet werden, greift nicht. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angestellte Kontrollüberlegung, der Arbeitnehmer erhalte nach seiner Genesung und Wiederaufnahme der Arbeit seine teilweise Erwerbsminderungsrente neben seinem Entgelt, ist jedenfalls dann unzutreffend, wenn die Klägerin meint, der Arbeitnehmer, der wieder in der Lage ist, Vollzeit tätig zu sein, erhalte zusätzlich noch die Teilerwerbsminderungsrente. Gerade weil eine Erwerbsminderung wieder entfallen kann, wird die Erwerbsminderungsrente grundsätzlich nur befristet gewährt. Liegen die Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente nicht mehr vor, entfällt sie. Die von der Klägerin angedachte Doppelzahlung tritt in diesem Fall gerade nicht ein.

Das von der Klägerin persönlich – zudem nach Verkündung des Urteils – zur Akte gereichte Fax war bei der Entscheidungsfindung nicht zu berücksichtigen.

Die Berufung der Klägerin war danach zurückzuweisen.

III.

Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin aufzugeben.

IV.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Revision wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

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