LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2019 – 3 Sa 1077/18

April 6, 2021

LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2019 – 3 Sa 1077/18

1.Die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers als solche schließt dessen Anhörung zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung nicht per se aus, und zwar weder die schriftliche Anhörung noch – soweit aus sachlichen Gründen vom Arbeitgeber für erforderlich gehalten – die Anhörung im Rahmen eines Personalgesprächs. Solange dem erkrankten Arbeitnehmer die Teilnahme an einem Personal-/Anhörungsgespräch nicht krankheitsbedingt unmöglich oder unzumutbar ist, kann er dementsprechend gehalten sein, daran teilzunehmen.

2.Infolgedessen ist der Arbeitgeber gehalten, auch bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Anhörungsprozess durch Einladung zum Personalgespräch oder schriftliche Anhörung einzuleiten bzw. fortzuführen und damit zu klären, ob und welche Hindernisse arbeitnehmerseitig bestehen bzw. mitgeteilt werden.

3.Die bloße Arbeitsunfähigkeit als solche hemmt den Lauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Unternimmt ein Arbeitgeber, der im Falle fortbestehender Arbeitsfähigkeit den Arbeitnehmer nunmehr zu den Verdachtsgründen angehört hätte, während einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeitsphase des Mitarbeiters nicht einmal den Versuch einer Anhörung und Kontaktaufnahme, ist die nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit und dann erfolgter Anhörung ausgesprochene außerordentliche Verdachts- und Tatkündigung verfristet und damit unwirksam.
Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 11.10.2018 – Az: 6 Ca 915/18 – teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags (Tenor und Antrag des Klägers zu Ziffer 2) abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.

IV. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018, den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers sowie über eine Zahlungsforderung der Beklagten.

Der am 08.06.1964 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 21.08.2000 als Hausmeister im Bereich Facility-Management / Belegwesen zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.350,- € bei der Beklagten beschäftigt. Er ist mit einem GdB von 30 gemäß Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 09.12.2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Die Beklagte ist ein Einkaufs- und Marketingverbund im Produktionsverbindungshandel mit über 1.200 mittelständischen Mitgliedsunternehmen und mehr als 800 Beschäftigten in ihrem X.er Betrieb, in dem auch ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung bestehen.

Der Kläger und sein Arbeitskollege, Herr T., nutzen während ihrer Arbeit tragbare Telefone, die grundsätzlich im “Hausmeisterraum” stationiert sind. Dort befinden sich die Ladestationen. Über den Tag werden die Telefone gewöhnlich vom “Telefoninhaber” mitgenommen. Das Telefon mit der Nebenstellennummer -1780 ist grundsätzlich dem Kläger und das mit der Nebenstellennummer -1734 Herrn T. zugeordnet. Herr T. war in den Monaten Juni bis August 2017 überwiegend arbeitsunfähig erkrankt und befand sich in der verbleibenden Zeit in einer Wiedereingliederung.

Der Kläger war vom Montag, 26.02.2018 bis zum Freitag, 09.03.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Er reichte bei der Beklagten hierzu zunächst am 27.02.2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 26.02. bis 02.03.2018 ein und am 02.03.2018 eine Folgebescheinigung für die Zeit bis zum 09.03.2018 (Anlage L. 13, Blatt 473 der Akte). Die Beklagte nahm während des Arbeitsunfähigkeitszeitraums keinen Kontakt mit dem Kläger auf, weder bezüglich einer Einladung zu einem Personalgespräch noch überhaupt, um abzuklären, wie lange der Kläger voraussichtlich erkrankt sein würde.

Am 13.03.2018 fand ein Personalgespräch mit dem Kläger in der Personalabteilung der Beklagten in Anwesenheit von Frau B., Frau Q. und dem Betriebsratsvorsitzenden U. statt. Dabei stritt der Kläger ab, eine Glücksspiel-Hotline angerufen zu haben. Am 14.03.2018 fand ein weiteres Gespräch zwischen dem Kläger und Frau B. im Beisein von Frau Q. und Herrn U. statt. Der Kläger stritt weiterhin ab, die Glücksspiel-Hotline angerufen zu haben.

Mit Schreiben vom 16.03.2018 beantragte die Beklagte die Zustimmung zur außerordentlichen Tat- und hilfsweise zur außerordentlichen Verdachtskündigung beim zuständigen Integrationsamt des Landschaftsverbands Rheinland. Am 04.04.2018 bestätigte das Integrationsamt gegenüber der Beklagten den Eintritt der Fiktion gemäß § 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX.

Mit Anhörungsschreiben vom 04.04.2018 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat äußerte mit seiner abschließenden Stellungnahme am 09.04.2018 Bedenken hinsichtlich der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Die Schwerbehindertenvertretung, die gleichfalls mit Schreiben vom 04.04.2018 angehört wurde, nahm die beabsichtigte Kündigung gemäß Stellungnahme vom 06.04.20108 zur Kenntnis und gab keine Stellungnahme ab.

Mit Schreiben vom 10.04.2018, dem Kläger am gleichen Tage zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Mit weiterem Schreiben vom 28.09.2018 kündigte die Beklagte nach zwischenzeitlich entsprechend erfolgter Zustimmung des Integrationsamtes das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31.03.2019; das hiergegen von dem Kläger vor dem Arbeitsgericht Wuppertal geführte Kündigungsschutzverfahren zu dem Aktenzeichen 4 Ca 2415/18 ist gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 19.04.2018 (Anlage K4, Blatt 35 der Akte) machte die Beklagte eine Forderung in Höhe von 1.913,62 € gegenüber dem Kläger geltend.

Gegen die außerordentliche Kündigung vom 10.04.2018 hat der Kläger sich mit seiner am 13.04.2018 bei dem Arbeitsgericht Wuppertal eingegangenen und der Beklagten am 20.04.2018 zugestellten Kündigungsschutzklage gerichtlich zur Wehr gesetzt, die er nachfolgend mit Schriftsatz vom 08.05.2018 um einen Weiterbeschäftigungsantrag sowie einen auf die mit dem Schreiben vom 19.04.2018 ihm gegenüber geltend gemachte Zahlungsforderung gerichteten negativen Feststellungsantrag erweitert hat. Er hat die Auffassung vertreten, die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Ein wichtiger Grund liege nicht vor, zudem sei die Zwei-Wochen-Frist nicht eingehalten worden. Eine ordnungsgemäße Anhörung zu den streitgegenständlichen Vorwürfen habe nicht stattgefunden. Zudem hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ebenso bestritten wie die ihm zur Last gelegten Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline und die Berechtigung der Zahlungsforderung zu Grund und Höhe.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018 nicht aufgelöst worden ist;

2.die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Mitarbeiter im Team Facility Management bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen;

3.festzustellen, dass der Beklagten die mit Anschreiben vom 19.04.2018 geltend gemachte Forderung in Höhe von 1.913,62 € gegenüber dem Kläger nicht zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wirksam. Hierzu hat sie behauptet, am 30.01.2018 habe die jährliche Jahresrechnungskontrolle ihrer Telefonrechnungen mit Herrn Q. von der U. vor dem Hintergrund einer möglichen Kostenreduktion im Festnetzbereich stattgefunden. Dabei sei aufgefallen, dass mehrere Verbindungen zu Glücksspiel-Hotlines abgerechnet worden seien. Die von der Beklagten angeforderten Einzelgesprächsnachweise hätten am 05.02.2018 vorgelegen. Die Beklagte habe festgestellt, dass über die zwei Nebenstellennummern des Klägers und des Herrn T. in der Zeit vom 26.06.2017 bis einschließlich 09.08.2017 insgesamt 2.756 Mal die Rufnummer 01379-4. – die in der Zeit vom 26.06.2017 bis zum 20.08.2017 geschaltete Glücksspiel-Hotline von Radio O. – gewählt worden sei. Die komplette Durchsicht der Einzelgesprächsnachweise durch die Leiterin des Geschäftsbereichs Personal der Beklagten, Frau B., sei am 13.02.2018 abgeschlossen gewesen. Aufgrund der krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Mitarbeiters T. habe die Beklagte weitere Nachforschungen angestellt. Die Auszubildende Frau B. habe eine Aufstellung über sämtliche in dem Zeitraum vom 26.06.2017 bis zum 09.08.2017 getätigten Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline mit den jeweiligen Anrufzeiten in Gegenüberstellung zu den Anwesenheitszeiten des Herrn T. und des Klägers anhand der Einzelverbindungsnachweise und anhand von Zeitnachweisen des Herrn T. und des Klägers erstellt. Die Auswertung sei erst am Freitag, 23.02.2018 abgeschlossen gewesen. Die Recherche habe ergeben, dass über den Apparat mit der Durchwahl -1780 in dem Zeitraum vom 26.06.2017 bis zum 20.08.2017 1.487 Mal die Glücksspiel-Hotline von Radio O. gewählt worden sei und über den Apparat mit der Nummer -1734 in dem genannten Zeitraum 1.269 Mal. Der Kläger sei am 13.03.2018 ebenso wie Herr T. ausführlich zu dem Vorwurf, dass er von seinem dienstlichen Telefonapparat die Glücksspiel-Hotline von Radio O. angerufen habe, angehört worden. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 26.02.2018 bis zum 09.03.2018 sei eine frühere Anhörung nicht möglich gewesen. Er sei konkret gefragt worden, ob er die Glücksspiel-Anrufe getätigt habe. Nachdem er das ebenso wie Herr T. bestritten habe, sei am 13. und 14.03.2018 durch einen Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich Personal eine weitere Auswertung dahingehend vorgenommen worden, alle Zeiträume und Uhrzeiten, in denen Anrufe bei der genannten Glücksspiel-Hotline getätigt worden seien, mit den An- und Abwesenheitszeiten aller 12 zutrittsberechtigten Mitarbeiter zu dem Hausmeisterraum abzugleichen. Mit dem Ergebnis der weiteren Nachforschungen, dem Abgleich zwischen den Daten und Uhrzeiten der bei der Glücksspiel-Hotline getätigten Anrufe und der An- bzw. Abwesenheitszeiten der in Frage kommenden maximal 12 Mitarbeiter sowie dem Ergebnis, dass für insgesamt 109 Anrufe nur er in Frage komme, sei der Kläger in dem Gespräch am 14.03.2018 konfrontiert worden. Sein erneutes Abstreiten der Vorwürfe sei nicht glaubhaft gewesen. Vielmehr sei außer dem Kläger keine/r der insgesamt nur 12 zutrittsberechtigten Mitarbeiter/innen zu jedem Zeitpunkt, zu dem ein Anruf getätigt worden sei, in dem Betrieb der Beklagten anwesend gewesen. Nur der Kläger sei zu allen Anrufzeiten zugegen gewesen. Alle anderen Mitarbeiter/innen hätten gefehlt, seien zumindest teilweise aufgrund von Krankheit oder Urlaub oder am frühen Morgen, zu Zeiten, zu denen die Anrufe getätigt worden seien, noch gar nicht im Betrieb anwesend gewesen. Es sei kein Anruf außerhalb der Anwesenheitszeit des Klägers getätigt worden. Der letzte Anruf sei am 09.08.2017 erfolgt. Ab dem 10.08.2017 sei die Hotline nicht weiter gewählt worden und der Kläger sei ab dem 10.08.2018 aufgrund von Arbeitsunfähigkeit nicht anwesend gewesen. Es spreche viel dafür, dass sämtliche Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline von Radio O. durch den Kläger getätigt worden seien. Zumindest sei davon auszugehen, dass die Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline zu Zeiten, als nur der Kläger und (noch) kein weiterer Kollege aus dem Facility Management anwesend gewesen sei, nur vom Kläger getätigt sein könnten. Hierbei handele es sich um 109 Anrufe. Die insgesamt 109 getätigten Anrufe am 21.07.2017, 28.07.2017, 31.07.2017, 04.08.2017, 07.08.2017 und 08.08.2017 seien vom Kläger geführt worden. Dies hätten die weiteren Nachforschungen durch Überprüfung der Einzelverbindungsnachweise und der Zeitnachweise der Mitarbeiter ergeben. Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger die insgesamt 2.756 Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline getätigt habe. Ein Anruf koste 0,50 € inklusive Mehrwertsteuer, daraus ergebe sich ein durch den Kläger verursachter Schaden in Höhe von 1.378,- €. Der Kläger habe für die Dauer der Telefonate, die sich insgesamt auf 4 Stunden und 30 Minuten belaufe, keine Arbeitsleistung erbracht. Hinzu würden noch die Zeiten für das Wählen kommen und die Zeit, die es brauche, bis der Anruf aufgebaut werde. Er habe durch seine Pflichtverletzung das Vertrauen der Beklagten unwiederbringlich zerstört. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung seien mit Schreiben vom 04.04.2018 ordnungsgemäß angehört worden. Ihnen seien die Einzelverbindungsnachweise sowie die Zeitnachweislisten vorgelegt worden. Bei Übergabe der Anhörungsschreiben sei darüber hinaus der Kündigungssachverhalt zusätzlich mündlich von Frau Q. erläutert worden.

Mit Urteil vom 11.10.2018 hat das Arbeitsgericht Wuppertal der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei wegen Nichteinhaltung der Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Weder die durchgeführten weiteren Ermittlungen nach dem 13.02.2018 noch die Anhörung des Klägers seien mit der gebotenen Eile durchgeführt worden. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung stehe dem Kläger auch ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu. Schließlich sei die negative Feststellungklage zulässig und begründet. Denn die Beklagte habe die Forderung der Höhe nach nicht hinreichend dargelegt. Nach ihren Ausführungen bestehe lediglich für 109 Anrufe bei der Glücksspiel-Hotline gegen den Kläger ein hinreichender Tatverdacht. Dies genüge für eine schlüssige Begründung der geltend gemachten Forderung in Höhe von 1.913,62 € nicht.

Das Urteil ist der Beklagten am 15.10.2018 zugestellt worden.

Mit zwei am 13.11.2018 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Anwaltsschriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 12. und 13.11.2018 hat sie hiergegen Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.01.2019 – mit am 17.01.2019 bei Gericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründet.

Sie greift das Urteil unter Bezugnahme und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens in vollem Umfang an und ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist überdehnt. Sie behauptet, die Mitarbeiter der Personalabteilung seien einschließlich der Personalleiterin Frau B. im Februar und März 2018 stark ausgelastet gewesen. Nach Prüfung des ihr vorgelegten Abgleichs von Einzelverbindungsnachweisen und Anwesenheitszeiten der beiden den Nebenstellen zugeordneten Mitarbeiter durch die Personalleiterin, die am 19.02.2018 abgeschlossen gewesen sei, sei festgestellt worden, dass Herr T. sich im Zeitraum vom 06.06.2017 bis 20.07.2017 in der stufenweise Wiedereingliederung befunden und daher nicht seine volle Arbeitszeit erbracht habe. Es sei zu diesem Zeitpunkt noch offen gewesen, welcher Mitarbeiter die Anrufe getätigt habe. Daher habe die Personalleiterin Frau B. beauftragt, herauszufinden, zu welchen konkreten Zeiten Herr T. und der Kläger im Betrieb anwesend gewesen seien und dies wiederum mit den Anrufzeiten bei der Glücksspiel-Hotline zu vergleichen. Frau B. habe ermittelt, dass während einer Wiedereingliederung keine Zeiterfassung über die Stempelkarte erfolge. Allerdings sei Herr T. während der Wiedereingliederung täglich etwa von 7 Uhr bis 11 Uhr im Betrieb anwesend gewesen. Der dann weiter angestellte Abgleich dieser Anwesenheitszeiten mit den Telefonlisten des Herrn T. zugeordneten Anschlusses habe ergeben, dass während der Wiedereingliederung auch nachmittags Anrufe bei der Gewinnspiel-Hotline getätigt worden seien, die Herr T. nicht vorgenommen haben könne. Dieser Abgleich sei am 22.02.2018 abgeschlossen worden. Am Freitag, den 23.02.2018 sei die Personalleiterin Frau B., da sie Teilzeit von Montag bis Donnerstag arbeite, nicht im Unternehmen gewesen. Daher habe sie ein Personalgespräch am Montag, den 26.02.2018 sowohl mit dem Kläger als auch mit Herrn T. führen wollen. Das sei wegen der dann eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers über einen Zeitraum von zwei Wochen nicht möglich gewesen. Da man beide Mitarbeiter zeitlich unmittelbar nacheinander zu einem Gespräch habe bitten wollen, damit sie keine Möglichkeit zu einem wechselseitigen Austausch und einer Abspräche hätten, habe man die Rückkehr des Klägers abgewartet und zwischenzeitlich nicht bereits zumindest Herrn T. vernommen. Es sei der Beklagten auch auf eine mündliche Anhörung angekommen, da sich Frau B. durch die persönlichen Gespräche eine unmittelbare Klarstellung und Sachverhaltsaufklärung versprochen habe und nur dies die unmittelbare Möglichkeit zu Nachfragen gegeben hätte. Da der Kläger in der Vergangenheit häufiger kurzzeiterkrankt ausgefallen sei, sei man davon ausgegangen, dass er nach kurzer Zeit wieder arbeitsfähig in den Betrieb zurückkehre. Hätte er nach den zwei vorgelegten noch eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für eine dritte Woche eingereicht, hätte man aber Kontakt mit ihm aufgenommen. Bei der Berechnung ihrer Zahlungsforderung gegenüber dem Kläger sei ihr ein Rechenfehler unterlaufen. Die Kosten für 2.756 Anrufe beliefen sich bei 0,50 Cent pro Anruf auf 1.378,- € brutto. Zuzüglich der Kosten wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung während der Arbeitszeit, die sich auf weitere 57,24 € brutto beliefen, sowie unter Berücksichtigung eines bereits für April 2018 vorgenommenen Lohnabzugs von 40,56 € brutto verbleibe ein Zahlungsanspruch von 1.394,68 € brutto.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 11.10.2018 – Az.: 6 Ca 915/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
Gründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs. 2 lit. c) ArbGG.

Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass sie mit zwei unterschiedlichen Anwaltsschriftsätzen vom 12. und 13.11.2018 eingelegt worden ist. Denn zum einen liegt auch bei einer mit zwei oder mehr Schriftsätzen eingelegten Berufung immer nur ein einheitliches Rechtsmittel vor; solange einer der Berufungsschriftsätze die gesetzlichen Form- und Fristvorgaben erfüllt, ist das Rechtsmittel insgesamt zulässig (Zöller/Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 519 Rn. 3 m.w.N.). Zum anderen sind hier sogar beide Berufungsschriftsätze form- und fristgerecht innerhalb der am 15.11.2018 ablaufenden Berufungsfrist bei dem Landesarbeitsgericht eingereicht worden.

II.

Die Berufung ist allerdings überwiegend nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben, denn die außerordentliche Kündigung vom 10.04.2018 hat das Arbeitsverhältnis schon mangels Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht beendet. Der negative Feststellungsantrag des Klägers ist gleichfalls zulässig und begründet. Allein der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist aufgrund der zwischenzeitlich ausgesprochenen und gerichtlich noch nicht überprüften ordentlichen Kündigung und des Ablaufs der Kündigungsfrist nicht mehr begründet, so dass das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit auf die Berufung der Beklagten teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen war.

Im Einzelnen:

1. Die form- und fristgerecht im Sinne der §§ 13, 4, 7 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers ist begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.04.2018 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert jedenfalls an der Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB.

a)Die außerordentliche, fristlose Kündigung kann gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB wirksam nur binnen einer Ausschlussfrist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Kündigungsberechtigten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erfolgen.

Der Lauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14; BAG vom 21.02.2013 – 2 AZR 433/12, juris, Rz. 27; BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, juris, Rz. 15). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne (BAG vom 01.06.2017 – 6 AZR 720/15, juris, Rz. 66; BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14; BAG vom 21.02.2013 – 2 AZR 433/12, juris, Rz. 27; BAG vom 25.11.2010 – 2 AZR 171/09, juris, Rz. 15).

Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG vom 01.06.2017 – 6 AZR 720/15, juris, Rz. 66; BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14). Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG vom 01.06.2017 – 6 AZR 720/15, juris, Rz. 66; BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14; BAG vom 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, juris, Rz. 54; BAG vom 12.02.2015 – 6 AZR 845/13, juris, Rz. 94; BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, juris, Rz. 15; BAG vom 02.03.2006 – 2 AZR 46/05, juris, Rz. 24). Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14; BAG vom 02.03.2006 – 2 AZR 46/05, juris, Rz. 24). Der Beginn der einwöchigen Anhörungsfrist richtet sich wie bei der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Kenntnisstand des Kündigungsberechtigten bzgl. des möglichen Kündigungsgrunds (BAG vom 01.06.2017 – 6 AZR 720/15, juris, Rz. 66; BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, juris, Rz. 22; BAG vom 05.06.2008 – 2 AZR 25/07, juris, Rz. 27).

Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14; BAG vom 21.02.2013 – 2 AZR 433/12, juris, Rz. 27). Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer innerhalb angemessener Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14;). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub im Sinne von § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten. Ein solcher nachträglicher Wegfall des ursprünglichen Aufschubs käme nur in Frage, wenn der betreffende Entschluss des Arbeitgebers auf Willkür beruhte. Davon kann die Rede nicht sein, wenn Anlass für den neuen Entschluss der Umstand ist, dass sich der Arbeitnehmer innerhalb einer ihm gesetzten, angemessenen Frist nicht geäußert hat (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 14).

b) Zur Hemmung des Fristlaufs der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei für notwendig erachteter Anhörung des Arbeitnehmers hat das Bundesarbeitsgericht bislang noch nicht entschieden, ob diese bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers per se im Falle des Zuwartens immer eintritt. Die Frage wurde in der Entscheidung vom 20.03.2014 vielmehr unter Bezugnahme auf ein Urteil des LAG Köln offen gelassen (vgl. BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 26).

Entschieden wurde bislang allein, dass der Fristlauf gehemmt bleibt, wenn die Anhörung letztlich unterbleibt, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – im Rahmen des Zumutbaren – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat und dieser sich innerhalb der gesetzten – angemessenen – Frist gleichwohl nicht geäußert hat, sei es, dass er vorsätzlich geschwiegen hat, sei es, dass er unfreiwillig beispielsweise wegen längerer krankheitsbedingter Verhinderung geschwiegen hat (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 26). Wartet der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Genesung dann nicht ab, führt das nicht automatisch dazu, dass ihm eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorzuwerfen wäre (BAG a.a.O.).

Wartet der Arbeitgeber, dem der Arbeitnehmer mitteilt, er könne sich wegen einer Erkrankung nicht, auch nicht schriftlich äußern, dessen Gesundung ab, um ihm eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, liegen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel hinreichende besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend lange hinausgeschoben wird (BAG vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12, juris, Rz. 27).

Höchstrichterlich ungeklärt ist hingegen die Frage, ob und wie lange die Ausschlussfrist gehemmt ist, wenn es keine Mitteilung des erkrankten Arbeitnehmers zur Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit und der Verhinderung hinsichtlich einer Anhörung gibt, weil der Arbeitgeber von vornherein während der Arbeitsunfähigkeit noch nicht einmal den Versuch unternommen hat, mit dem Mitarbeiter deswegen Kontakt aufzunehmen.

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers nicht bedeutet, dass kein Kontakt mehr mit ihm aufgenommen werden dürfte. Vielmehr besteht selbst das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf leistungssichernde Neben- oder Verhaltenspflichten, auf die gemäß § 241 Abs. 2 BGB bestehenden Rücksichtnahmepflichten sowie auf Geheimhaltungs- und Unterlassungspflichten des Arbeitnehmers grundsätzlich während der Arbeitsunfähigkeit fort (BAG vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15, juris, Rz. 32). Daher kann ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer beispielsweise zu einem Personalgespräch in den Betrieb beordert werden, wenn hierfür ein dringender betrieblicher Anlass besteht, die zu besprechenden Themen nicht auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit aufschiebbar sind und dem Arbeitnehmer die Teilnahme an dem Gespräch zumutbar ist (BAG vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15, juris, Rz. 33). Dabei lässt das Bundesarbeitsgericht als dringenden betrieblichen Anlass selbst die Erörterung aktuell bevorstehender Änderungen des Arbeitsablaufs mit erheblichen Auswirkungen auf den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers, zu denen er angehört werden soll, genügen (BAG vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15, juris, Rz. 33).

Vor diesem Hintergrund muss dem Arbeitgeber grundsätzlich auch zugestanden werden, den Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit zu einem Personalgespräch zwecks Anhörung zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einladen zu können. Denn hier sind grundlegende beiderseitige Interessen der Vertragsparteien unmittelbar betroffen und aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 626 Abs. 2 BGB ist regelmäßig besondere Eilbedürftigkeit gegeben. Solange dem erkrankten Arbeitnehmer also nicht die Teilnahme an einem Personal-/Anhörungsgespräch krankheitsbedingt unmöglich oder unzumutbar ist, kann er auch während bestehender Arbeitsunfähigkeit gehalten sein, an einem solchen teilzunehmen, soweit nicht auch eine schriftliche Stellungnahme ausreichend ist.

Damit ist dann allerdings zunächst einmal der Arbeitgeber gehalten, auch bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Anhörungsprozess durch Einladung zum Personalgespräch oder schriftliche Anhörung einzuleiten bzw. fortzuführen und damit zu klären, ob und welche Hindernisse arbeitnehmerseitig bestehen bzw. mitgeteilt werden. Die bloße Arbeitsunfähigkeit als solche hemmt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB eben nicht ohne weiteres (ebenso LAG Hessen vom 15.10.2014 – 2 Sa 274/14, juris, Rz. 43 f.; LAG Köln vom 25.01.2001 – 6 Sa 1310/00, juris, Rz. 8; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2206; Mennemeyer/Dreymüller, NZA 2005, 382, 384).

Es ist Sache des Arbeitgebers, zumindest den Versuch zu unternehmen, in Erfahrung zu bringen, ob der Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit in der Lage ist, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben oder an einer für notwendig erachteten Anhörung im Rahmen eines Personalgesprächs teilzunehmen (Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2206; Mennemeyer/Dreymüller, NZA 2005, 382, 384). Denn weder ist Arbeitsunfähigkeit per se ein Anhörungshindernis noch ist ihr Ende ohne nähere Informationen absehbar, so dass es mit dem gesetzlichen Gebot zur Eile gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht vereinbar wäre, ohne jedes Bemühen des Arbeitgebers um Fortführung der Sachverhaltsaufklärung durch Anhörung auch des erkrankten Arbeitnehmers gleichwohl den Fristlauf weiter als gehemmt zu betrachten (LAG Hessen vom 15.10.2014 – 2 Sa 274/14, juris, Rz. 44). Lediglich bei zügiger Ermittlung und dem Bemühen um die Anhörung auch des erkrankten Mitarbeiters kann der Fristlauf weiter gehemmt sein, falls dieser sich dann der Anhörung unter Hinweis auf seine Erkrankung verweigert und der Arbeitgeber daher das Ende der Arbeitsunfähigkeit abwartet.

c)In Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall der Fristbeginn spätestens am 26.02.2018 eingetreten. Denn selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sie bis 23.02.2018 zügig ermittelt und die Sachverhaltsaufklärung vorangetrieben hat und die Abwesenheit der Personalleiterin und anderer anhörungsbefugter Personen am 23.02.2018 ihr gleichfalls insoweit nicht angelastet werden kann, hätte sie jedenfalls am 26.02.2018 trotz der ab diesem Tag eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers zumindest den Versuch unternehmen müssen, ihn zu den Vorwürfen anzuhören. Denn die Ermittlungen waren am 23.02.2018 nach ihrem eigenen Vortrag soweit abgeschlossen, dass ein hinreichender Verdacht gegen den Kläger bestanden und lediglich noch dessen Anhörung ausgestanden habe. Diese sei für den Montag, 26.02.2018 vorgesehen gewesen. Dann war aber die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab diesem Tag als solche kein Hindernis.

Selbst wenn man der Beklagten weiter darin folgt, dass eine schriftliche Anhörung des Klägers im vorliegenden Fall wegen einer dann möglichen Absprache mit dem damals gleichfalls noch verdächtigten Kollegen T. nicht zweckmäßig war, sondern allein eine persönliche Anhörung im Personalgespräch zeitnah mit der dann ebenfalls anstehenden Anhörung des Arbeitnehmers T. erfolgversprechend bei der Sachverhaltsaufklärung erschien, war ein Personalgespräch mit dem Kläger weder aufgrund dessen Arbeitsunfähigkeit von vornherein rechtlich ausgeschlossen noch im konkreten Fall erkennbar, ob und welche Hindernisse ihm angesichts der konkreten – und eben nicht bekannten – Krankheitsursache des Klägers entgegenstehen könnten. Damit war die Beklagte aber gehalten, zumindest den Versuch zu unternehmen, mit dem Kläger in Kontakt zu treten und ihn zu einem Personalgespräch zwecks persönlicher Anhörung einzuladen.

Die Beklagte hingegen hat während der zwei Wochen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 26.02.2018 bis zum 09.03.2018 unstreitig überhaupt nichts mehr unternommen, sondern einfach abgewartet. Damit hat sie die Aufklärung nicht mehr mit der gebotenen Eile betrieben, so dass die Ausschlussfrist spätestens ab 26.02.2018 nicht mehr gehemmt war. Sie lief damit mit Ablauf des 12.03.2018 ab. Sowohl zum Zeitpunkt der dann nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 13.03.2018 durchgeführten Anhörung als auch erst Recht zum Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung am 10.04.2018 war die Frist des § 626 Abs. 2 BGB längst abgelaufen. Das führt automatisch zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung.

Soweit die Beklagte einwendet, sie habe angesichts in der Vergangenheit häufiger nur kurzzeitiger Krankheitszeiten des Klägers abgewartet und hätte aber bei einer dritten Krankheitswoche Kontakt mit ihm aufnehmen wollen, ist letzteres zum einen eine durch keine objektiv überprüfbaren Tatsachen belegbare Absichtsbekundung. Zum anderen hindert ihre Erklärung den Fristbeginn nicht, da bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit in keiner Weise für sie absehbar war, wie lange diese fortbestehen würde. Da der Arbeitgeber in der Regel eine Anhörung binnen Wochenfrist vorzunehmen hat, hier aber schon die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über genau diesen Zeitraum eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, war die Beklagte gehalten, aktiv zu werden und sich um eine Anhörung des Klägers wenigstens zu bemühen. Nur dann hätte der Lauf der Ausschlussfrist ausnahmsweise weiter gehemmt sein können. Bei völliger Untätigkeit während der Arbeitsunfähigkeit wie hier kommt eine Hemmung hingegen nicht mehr in Betracht.

d) Die damit unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht in eine wirksame ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden. Denn das setzte zumindest voraus, dass das Ersatzgeschäft – hier die ordentliche Kündigung – wirksam wäre. Das scheitert im Falle der streitgegenständlichen Kündigung an der für die ordentliche Kündigung zum Zugangszeitpunkt noch nicht vorliegenden, aber erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX (vgl. insoweit auch BAG vom 23.01.2014 – 2 AZR 372/13, juris, Rz. 25 ff.). Da diese für die außerordentliche Kündigung im Kündigungszeitpunkt nur aufgrund des Eintritts der Fiktionswirkung nach § 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX vorlag, fehlte es noch an einer ausdrücklichen und auch die ordentliche Kündigung umfassenden Zustimmung des Integrationsamtes. Jedenfalls trägt die Beklagte hierzu auch nichts Abweichendes vor.

2.Der negative Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen zu III. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Die Berufungskammer folgt insoweit der Entscheidung des Arbeitsgerichts und macht sich seine Begründung zu eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht insbesondere ausgeführt, dass die von der Beklagten vorgetragenen – streitigen – Verdachtsmomente zwar für einen dringenden Tatverdacht gegenüber dem Kläger ausreichen mögen, nicht aber zur Überzeugungsbildung im Sinne eines auch für die Zahlungsforderung, derer sie sich berühmt, erforderlichen Tatnachweises. Selbst für die 109 Telefonanrufe, bei denen die Beklagte letztlich überhaupt nur behauptet, die Tat nachweisen zu können, gilt, dass insoweit selbst bei unterstellt zutreffendem Sachvortrag im Übrigen lediglich Verdachtsindizien gegenüber dem Kläger benannt sind. Denn gesehen und/oder gehört hat ihn niemand auch nur bei einem einzigen der hier streitgegenständlichen 109 oder insgesamt 2.756 Telefonanrufe. Der Umstand, dass der Kläger zum Zeitpunkt der besagten 109 Anrufe der einzige eingestempelte Mitarbeiter mit Zutrittsberechtigung zum Hausmeisterraum gewesen sein soll, belegt gleichfalls nicht, dass er diese Anrufe getätigt hat. Ein Tatverdacht mag insoweit bestehen, ein Tatnachweis ist es nicht. Denn auszuschließen ist damit insbesondere nicht, dass sich ein anderer Mitarbeiter Zutritt zum Hausmeisterraum und den Telefonen verschafft hat, ohne zuvor frühmorgens eingestempelt zu haben. Da die hier in Rede stehende Tat (insgesamt 2.756 unerlaubte Anrufe bei einer kostenpflichtigen Glücksspiel-Hotline) schon ein hohes Maß an krimineller Energie voraussetzt, ist selbstredend nicht auszuschließen, dass der Täter gerade zum Zwecke der Lenkung des Verdachts auf Dritte bei solchen frühmorgens vorgenommenen Telefonaten nicht auch noch zuvor einstempelte, womit der Verdacht automatisch auch auf ihn (bzw. sie) fallen musste. Man mag diese Erwägungen spekulativ nennen. Die Verdächtigung des Klägers ist dies insoweit dann aber ebenfalls. Die Tatbegehung lässt sich damit nicht nachweisen. Der dringende Verdacht mag die ordentliche Kündigung des Klägers, über die noch im Parallelverfahren zu entscheiden ist, begründen; dies kann und muss hier offen bleiben. Für den Nachweis einer Bereicherung oder einer Pflichtverletzung reicht er nicht aus. Damit fehlt der geltend gemachten Forderung der Beklagten von vornherein jede Anspruchsgrundlage, so dass die negative Feststellungsklage begründet ist.

3. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers hingegen ist nicht begründet und das Urteil des Arbeitsgerichts daher insoweit auf die begründete Berufung der Beklagten abzuändern sowie die Klage teilweise abzuweisen.

Zwar steht dem gegen eine Kündigung im Instanzenzug erfolgreich klagenden Arbeitnehmer grundsätzlich ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Ende des Verfahrens zu, da ab dem der Kündigungsschutzklage stattgebenden erst- oder zweitinstanzlichen Urteil sein Beschäftigungsinteresse wieder das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiegt. Das gilt aber dann nicht mehr, wenn eine erneute und nicht bereits offensichtlich rechtswidrige Folgekündigung erfolgt und – soweit es eine ordentliche Kündigung ist – deren Kündigungsfrist abgelaufen ist (BAG vom 19.12.1985 – 2 AZR 190/85, juris, Rz. 26 ff.; ebenso LAG Köln vom 12.08.2010 – 6 Sa 789/10, juris, Rz. 45).

Da die außerordentliche Kündigung hier wegen Nichtbeachtung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB als unwirksam erachtet wird, hindert die auf denselben Kündigungsgrund gestützte ordentliche Kündigung vom 28.09.2018 mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31.03.2019 den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers. Denn offensichtlich unwirksam ist diese Kündigung nicht, hierzu trägt wiederum der Kläger auch nichts weiter vor. Ob sie letztlich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen wird, bleibt ggfs. der Entscheidung im Parallelverfahren vorbehalten. Mit Ablauf der Kündigungsfrist überwiegt zunächst jedenfalls aber wieder das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 92 Abs. 1 ZPO und entspricht dem Anteil von Obsiegen und Unterliegen beider Parteien in beiden Instanzen.

IV.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird für die Beklagte nach § 72 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Soweit der Kläger unterlegen ist, folgt die Entscheidung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, so dass kein Anlass für eine Revisionszulassung besteht.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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