LAG Hamm, Beschluss vom 03.03.2010 – 14 Ta 649/09

Oktober 6, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 03.03.2010 – 14 Ta 649/09

1. Bereits zum ursprünglichen Bewilligungszeitpunkt bestehende, bislang von der bedürftigen Partei jedoch nicht angegebene Belastungen sind vor der Entscheidung über eine Aufhebung nach § 124 Nr. 4 ZPO bei der Prüfung, ob der Rückstand mit der Zahlung einer Monatsrate oder eines sonstigen Betrags verschuldet ist, zu berücksichtigen. Das Gericht darf die Bewilligung nicht allein mit der Begründung aufheben, der Bedürftige habe keine nachträgliche Änderung der Verhältnisse dargetan.

2. Eine Abänderung der Prozesskostenhilfeentscheidung gemäß § 120 Abs. 4 ZPO nach Eintritt einer wesentlichen Veränderung darf nicht isoliert nach dieser Veränderung vorgenommen werden, sondern nach den bestehenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist zu überprüfen, ob und in welcher Höhe die Anordnung von Raten- bzw. Einmalzahlungen gerechtfertigt ist. Das umfasst auch die Berücksichtigung von ursprünglich bei Bewilligung bereits bestehenden, aber bislang nicht geltend gemachten Belastungen. Voraussetzung bleibt aber, dass überhaupt eine wesentliche Veränderung vorliegt.
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 22. September 2009 aufgehoben.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

Gründe :

Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 46 Abs. 2, § 78 ArbGG, § 127 Abs. 2, §§ 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Rückstand der Klägerin mit der Zahlung der Raten seit dem Monat Mai 2009 ist nicht verschuldet.

1. Nach § 124 Nr. 4 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate in Rückstand ist. Nach ihrem Wortlaut setzt die Vorschrift nur einen “Rückstand” voraus. Zwar ist streitig, ob damit ein – schuldhafter – Verzug gemeint ist oder das Gericht lediglich im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat, ob der Rückstand unverschuldet ist (vgl. Nachweise bei BGH, 9. Januar 1997, IX ZR 61/94, NJW 1997, 1077). Nach übereinstimmender Meinung darf aber die Prozesskostenhilfebewilligung nicht aufgehoben werden, wenn die unterbliebene Ratenzahlung nicht auf einem Verschulden der bedürftigen Partei beruht (vgl. BGH, 9. Januar 1997, a.a.O.; LAG Hamm, 19. März 2003, 18 Ta 60/03, NZARR 2003, 382; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl., 2010, Rn. 849; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., 2010, § 124 Rn. 19; Natter/Groß/Perschke, ArbGG, 2010, § 11a Rn. 118). Eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe wegen Rückstands mit der Ratenzahlung ist unzulässig, wenn die festgesetzten Raten der Leistungsfähigkeit der Partei nicht (mehr) entsprechen. Eine Aufhebung nach § 124 Nr. 4 ZPO wegen der in diesen Zeitraum fallenden rückständigen Beträge kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht (vgl. LAG Hamm, 2. September 2004, 4 Ta 695/03; 22. September 2005, 4 Ta 395/04, FA 2006, 192; 12. Oktober 2007, 4 Ta 221/07).

Bereits zum ursprünglichen Bewilligungszeitpunkt bestehende, bislang von der bedürftigen Partei jedoch nicht angegebene Belastungen sind vor der Entscheidung über eine Aufhebung nach § 124 Nr. 4 ZPO bei der Prüfung, ob der Rückstand mit der Zahlung einer Monatsrate oder eines sonstigen Betrags verschuldet ist, zu berücksichtigen. Das Gericht ist nicht an die Feststellungen und Bewertungen im Rahmen des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses gebunden. Für die Prüfung des Verschuldens erwachsen die der früheren Zahlungsanordnung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nach allgemeinen Regeln nicht in Rechtskraft (vgl. BGH, 9. Januar 1997, a.a.O.). Im Rahmen der Entscheidung nach § 124 Nr. 4 ZPO hat vielmehr eine nochmalige Prüfung der Leistungsfähigkeit der Partei zu erfolgen (vgl. Schoreit/Groß, Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe, § 124 Rn. 22). Das Ausbleiben der Zahlungen ist demnach unverschuldet, wenn das Einkommen der Partei so gering ist, dass ihr Prozesskostenhilfe ohne Raten gewährt werden müsste, wenn sie erneut Prozesskostenhilfe beantragen würde (vgl. Zöller/Geimer, a.a.O). Das Verschulden fehlt auch dann, wenn die Ratenzahlung von Anfang an zu hoch festgesetzt wurde. Es handelt sich nicht um eine Kontrolle der Richtigkeit der ursprünglichen Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, sondern um die Prüfung der Aufhebungsvoraussetzung “verschuldeter Rückstand”. Es verbleibt zwar, wenn eine Beschwerde nicht erhoben wurde, bei den ursprünglich festgesetzten Raten, die auch weiterhin eingezogen werden können. Mangels Verschuldens kommt es aber nicht zu einer Aufhebung der Bewilligung mit der Folge, dass die Vergünstigungen insgesamt entfallen (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn 850). Das Gericht darf die Bewilligung nicht allein mit der Begründung aufheben, der Bedürftige habe keine nachträgliche Änderung der Verhältnisse dargetan. Vielmehr hat das Gericht grundsätzlich auch neuen Vortrag darüber zu berücksichtigen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bedürftigen von Anfang an ungünstiger waren, als von Gericht angenommen (vgl. BGH, 9. Januar 1997, a.a.O.).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall war die Klägerin nicht verpflichtetet ab Mai 2009 eine monatliche Rate von 45,00 € zu zahlen. Zwar hatte sie die bereits bestehende Kreditverbindlichkeit über monatlich 122,47 € nicht angegeben und belegt. Im Rahmen der Prüfung des Verschuldens ergibt sich jedoch, dass nicht das vom Arbeitsgericht ermittelte verfügbare Einkommen von 150,00 € bestand, sondern lediglich ein solches von abgerundet (§ 115 Abs. 2 ZPO) 37,00 €. Zwar wären hieraus nach der Tabelle des § 115 Abs. 2 ZPO bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung monatliche Raten von 15,00 € anzuordnen gewesen, daraus ergibt sich aber zugleich die fehlende Leistungsfähigkeit bezüglich der angeordneten Ratenzahlung von 45,00 €.

Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht – aufgrund der von ihm vertretenen Rechtsauffassung zur Berücksichtigungsfähigkeit konsequent – im Rahmen der Prüfung des Verschuldens nicht aufgeklärt, ob tatsächlich die von der Klägerin angegebene Verbindlichkeiten von monatlich 150,00 € aus einem Vollstreckungsbescheid besteht sowie ein Dispositionskredit mit monatlich 25,00 € zurückgezahlt wird. Zwar hat die Klägerin Belege hierüber nicht vorgelegt. Auf diesen Mangel ist sie jedoch vom Arbeitsgericht nicht hingewiesen worden. Eine Leistungsfähigkeit und damit ein Verschulden ist mangels hinreichender Aufklärung des Sachverhalts nicht feststellbar. Im Ergebnis ist die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt.

3. Das Arbeitsgericht wird nunmehr im Hinblick auf die Angaben der Klägerin im Schriftsatz vom 6. Oktober 2009 bezüglich des Vollstreckungsbescheids und der Rückzahlung des Dispositionskredits den Sachverhalt aufzuklären und eine etwaige Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses hinsichtlich der Ratenzahlungsanordnung gemäß § 120 Abs. 4 ZPO zu prüfen haben. Eine Berücksichtigungsfähigkeit scheidet nicht von vornherein aus, auch wenn diese Belastungen erst nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entstanden sein sollten (vgl. LAG Hamm, 23. März 2009, 14 Ta 586/08; 21. Oktober 2009, 14 Ta 159/09). Dabei wird es auch in Betracht zu ziehen haben, dass ausweislich des vorgelegten Bescheids der Bundesagentur für Arbeit vom 30. Mai 2009 die Bewilligung von Arbeitslosengeld nur bis zum 28. Februar 2010 erfolgt ist. Insoweit wird im Rahmen der Prüfung nach § 120 Abs. 4 ZPO auch aufzuklären sein, ob der Klägerin noch ein Einkommen danach ab 1. März 2010 zur Verfügung steht, welches die Anordnung einer Ratenzahlung rechtfertigen kann. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine Abänderung der Prozesskostenhilfeentscheidung nach Eintritt einer wesentlichen Veränderung nicht isoliert nach dieser Veränderung vorgenommen werden kann, sondern nach den jetzt bestehenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu überprüfen ist, ob und in welcher Höhe die Anordnung von Raten- bzw. Einmalzahlungen gerechtfertigt ist, was die Berücksichtigung von ursprünglich bei Bewilligung bereits bestehenden, aber bislang nicht geltend gemachten Belastungen mit umfasst (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 394). Voraussetzung bleibt aber, dass überhaupt eine wesentliche Veränderung vorliegt. Hier gilt nichts anderes als bei einer Abänderungsklage im Sinne des § 323 ZPO. Nicht im ursprünglichen Prozess vorgetragene Alttatsachen können ein Abänderungsverlangen allein nicht begründen, sind aber zu berücksichtigen, wenn eine Abänderung wegen anderer Tatsachen erfolgen soll (vgl. BGH, 1. Oktober 1997, XII ZR 49/96, NJW 198, 162).

4. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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