LAG Hamm, Beschluss vom 07.06.2010 – 2 Ta 116/10

September 30, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 07.06.2010 – 2 Ta 116/10

Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 20.08.2009 – 2 Ca 2331/08 – aufgehoben.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für unzulässig erklärt.
Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Münster verwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.244,50 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über die Zulässigkeit des Rechtsweges.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die von ihm im Zeitraum August 2006 bis einschließlich Juni 2008 erbrachten Dienstleistungen in Anspruch. Er hat in dem benannten Zeitraum für die Beklagte in M1 2 Videotheken betrieben und meint, er sei zumindest als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen.
Demgegenüber vertritt die Beklagte die Auffassung, der Kläger sei als selbstständiger Unternehmer tätig gewesen.
Zur Begründung seiner persönlichen Abhängigkeit trägt der Kläger vor, er habe für die Videotheken keine Mietverträge abgeschlossen und keine Entscheidungsbefugnis bezüglich der Standorte und der Ausstattung des Ladenlokals gehabt. Ebenso seien ihm die Öffnungszeiten und die Außenpräsentation der Ladenlokale vorgegeben worden. Zur Umsetzung der Werbeverträge der Beklagten sei er verpflichtet gewesen, seine eigene Arbeitskraft oder eigenes Personal einzusetzen.
Unstreitig ist, dass der Kläger von seiner Befugnis, auf eigene Kosten Personal einzustellen, Gebrauch gemacht hat. Er hat sein eigenes Gewerbe angemeldet und wurde auf Provisionsbasis nach den erzielten Nettoverleih- und verkaufsumsätzen vergütet. Nach seinen Angaben fielen zu seinen Lasten Personalkosten in Höhe von 36.272,33 Euro an.
Die Beklagte hat erstinstanzlich die Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte gerügt und trägt vor, der Kläger habe die Filialen selbständig betrieben, denn er habe aufgrund eigener Entscheidung Hilfskräfte beschäftigt und seine Vertreter selbst bestimmt und eingesetzt. Seine Arbeitszeiten habe er selbst bestimmen können. Er sei nicht nach den geleisteten Stunden, sondern nach den erzielten Ergebnissen vergütet worden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20.08.2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Arbeitsgerichtsbarkeit sei zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, weil der Kläger zumindest als arbeitnehmerähnliche Person gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG anzusehen sei. Er habe ausschließlich für die Beklagte gearbeitet und sei in vielfältiger Weise ihren Weisungen unterworfen gewesen. Der Umstand, dass der Kläger zeitweise Mitarbeiter eingestellt habe, ändere an seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit nichts. In der Sache selbst sei die Klage unbegründet, denn er habe seine Zahlungsansprüche nicht schlüssig begründet. Wegen der Einzelheiten wird auf Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit der dagegen eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Zahlungsanspruch weiter. Auf seine Berufungsbegründung vom 23.10.2009 (Blatt 104 ff. d.A.) wird Bezug genommen.
Die Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers in ihrer Berufungserwiderung entgegen getreten. Sie macht insbesondere geltend, dem Kläger keinerlei Arbeitsanweisungen auch nicht bezüglich des einzustellenden Personals erteilt zu haben. Vielmehr habe der Kläger als Selbständiger selbst darüber entschieden, ob und in welchem Umfang er Personal einstelle.
In der Berufungsverhandlung am 17.02.2010 hat die Beklagte erklärt, ihre Rüge der Zulässigkeit des Rechtsweges bleibe aufrecht erhalten. Sie will ihre Berufungserwiderung als sofortige Beschwerde gegen die Bejahung des Rechtsweges durch die erste Instanz verstanden wissen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist gem. §§ 78, 48 ArbGG, 17 a Abs. 4 S. 3 GVG an sich statthaft und erfüllt im Übrigen nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen.
1. Die Beklagte hat erstinstanzlich die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt. Deshalb hätte das Arbeitsgericht gemäß § 17 a Abs. 3 S. 2 GVG vorab durch Beschluss darüber entscheiden müssen, ob der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist. Stattdessen hat es im Urteil selbst die Zulässigkeit des Rechtsweges bejaht, weil der Kläger zumindest als arbeitnehmerähnliche Person zu behandeln sei. Nach allgemeinen prozessualen Rechtsgrundsätzen darf ein Verfahrensfehler des Gerichts nicht zu Lasten der Parteien gehen. Ergeht eine fehlerhafte Entscheidung, kann die Partei wahlweise das Rechtsmittel einlegen, welches gegen die Entscheidung statthaft ist, die eigentlich hätte ergehen müssen (BAG 21.04.1993, 5 AZR 276/92, juris; BGH vom 17.10.1986, V ZR 169/85, NJW 1987, 424; BAG vom 26.03.1992, 2 AZR 443/91 NZA 1992, 954). Deshalb muss die Berufungserwiderung der Beklagten aufgrund ihrer zweitinstanzlichen Erklärungen als sofortige Beschwerde gegen die im erstinstanzlichen Urteil getroffene Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges behandelt werden. Hätte das Arbeitsgericht wie es geboten war, vorab durch Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtsweges entschieden, hätte der Beklagten dagegen gemäß § 17 a Abs. 4 S. 3 GVG das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zugestanden.
2. Das an sich statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist trotz Versäumung der zweiwöchigen Beschwerdefrist gemäß § 568 Abs. 1 ZPO zulässig, weil die Beklagte gemäß § 9 Abs. 5 S. 2 ArbGG über das an sich gegebene Rechtsmittel nicht belehrt worden ist. Bei unterbliebener Rechtsmittelbelehrung kann das Rechtsmittel gemäß § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG noch innerhalb eines Jahres nach Zustellung der Entscheidung eingelegt werden.
3. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet, denn der Kläger kann anders als vom Arbeitsgericht angenommen nicht als arbeitnehmerähnliche Person gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG qualifiziert werden.
a) Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige, die wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit und oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation im Vergleich zu einem Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig sind. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt die wirtschaftliche Abhängigkeit. Allerdings muss der wirtschaftlich Abhängige seiner gesamten sozialen Stellung nach in vergleichbarer Weise wie ein Arbeitnehmer schutzbedürftig und die geleisteten Dienste müssen nach ihrer soziologischen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sein (BAG vom 21.02.2007, 5 AZB 52/06, NJW 2007, 1709; BAG, 14.01.1997 5 AZB 22/96 NZA 1997, 344; Schaub/Vogelsang Arbeitsrechtshandbuch, 13. Auflage § 10 Rn. 2).
b) Diese Vergleichbarkeit mit einem Arbeitsverhältnis kann vorliegend nicht festgestellt werden, denn der Kläger brauchte seine Dienstleistungen nicht persönlich zu leisten, sondern konnte sich vertreten lassen und die von ihm erwarteten Dienstleistungen durch Hilfskräfte erbringen lassen, die er selbst bezahlte. Wer vertraglich geschuldete Leistungen nicht persönlich zu erbringen hat, sondern Hilfskräfte einstellen kann, die er selbst entlohnt, ist kein Arbeitnehmer, sondern selbständiger Unternehmer (BAG 20.01.2010, 5 AZR 99/09 DB 2010, 788); BAG vom 12.12.2001, 5 AZR 253/00 NJW 2002, 2411).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Kläger konnte als Betreiber zweier Videotheken nicht in beiden Ladenlokalen gleichzeitig anwesend sein. Er hat in erheblichem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Hilfskräfte einzustellen und einzusetzen und die von ihm an das Personal gezahlte Vergütung in dem genannten Zeitraum auf 36.272,33 Euro beziffert. Demgemäß war er gegenüber der Beklagten berechtigt, seine Leistungen durch Dritte erbringen zu lassen. In diesen Fällen liegt regelmäßig kein Arbeitsverhältnis vor (BAG vom 12.12.2001, 5 AZR 253/00, NJW 2002, 2411). Der Kläger hat während des gesamten Zeitraums zahlreiche Arbeitnehmer eingestellt und über Monate hinweg, teilweise nur in geringfügigem Umfang, beschäftigt und bezahlt. Dies rechtfertigt die Schlussfolgerung, dass er mangels persönlicher Anwesenheitspflicht seine eigenen Arbeitszeiten im Wesentlichen selbst bestimmen konnte.
Der Kläger hat auch keine mittelbaren Arbeitsverhältnisse begründet, denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihm konkrete Anweisungen zur Anstellung von Arbeitnehmern erteilt hat. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beklagte gegenüber den vom Kläger eingestellten Arbeitnehmern das arbeitsvertragliche Weisungsrecht ausgeübt hat. Er hat vielmehr die von ihm frei ausgewählten Arbeitskräfte im eigenen Namen und für eigene Rechnung eingestellt. Rechtsbeziehungen der von ihm beschäftigten Aushilfen zur Beklagten sind nicht entstanden.
Dem Kläger waren damit die unternehmerischen Freiheiten eines Selbstständigen eingeräumt, welche eine Vergleichbarkeit und Parallele zu den innerhalb eines Arbeitsverhältnisses erbrachten Dienstleistungen nicht zulassen. Wenn er wie ein selbständiger Unternehmer mit der Befugnis, Personal auf eigene Kosten einzustellen, aufgetreten ist, kann nicht mehr von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit wie bei einem Arbeitnehmer gesprochen werden.
4. Da der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet ist, war der Rechtsstreit gemäß § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen. Eine Auswahl unter mehreren zuständigen Gerichten kam hier nicht in Betracht, weil allein das Landgericht Münster als zuständiges Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen ist.
III.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft im Rechtswegbestimmungsverfahren sind davon drei Zehntel veranschlagt worden.
IV.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat gemäß § 91 ZPO der Kläger zu tragen.

Schlagworte

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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