LAG Hamm, Beschluss vom 20.06.2011 – 10 TaBV 39/11

Juli 27, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 20.06.2011 – 10 TaBV 39/11
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 04.04.2011 – 6 BV 30/11 – wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.
Im Betrieb der Arbeitgeberin in D1 sind ca. 70 Arbeitnehmer beschäftigt, davon 20 in der Verwaltung. Ferner beschäftigt die Arbeitgeberin mehrere Einkäufer.
Im Betrieb der Arbeitgeberin in D1 ist ein Betriebsrat gewählt, der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens.
Aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung vom 04.12.2008 (Bl. 54 ff. d. A.) zur Einführung eines variablen Vergütungssystems mit Zielvereinbarungen leistete die Arbeitgeberin an acht Mitarbeiter gemäß Anlage zur Betriebsvereinbarung (Bl. 57 d. A.) variable Vergütungsbestandteile aufgrund von zuvor abgeschlossenen Zielvereinbarungen.
Zum 30.06.2010 kündigte die Arbeitgeberin diese Betriebsvereinbarung und wandte sie nicht mehr an. Eine neue Betriebsvereinbarung wurde nicht abgeschlossen.
Mit Schreiben vom 11.02.2011 (Bl. 6 d. A.) informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über eine Vertragsänderung wegen guter Leistungen, bezogen auf den Einkäufer T1, der ab dem 01.02.2011 eine Gehaltserhöhung und weiterhin eine Zieltantieme erhalten sollte.
Mit E-Mail vom 14.02.2011 (Bl. 7 d. A.) wies der Betriebsrat darauf hin, dass es im Betrieb der Arbeitgeberin keine Betriebsvereinbarungen gebe.
Mit E-Mail vom gleichen Tage (Bl. 7 d. A.) teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat daraufhin folgendes mit:
“Die Zielvereinbarungen die wir hier abschließen sind individuell, also unterschiedlich bei den verschiedenen Mitarbeitern. Hier gibt es kein Mitbestimmungsrecht durch den Betriebsrat und ist somit durch uns nur als Information zu verstehen. Es ist auch völlig unabhängig ob es schon Mitarbeiter mit Zielvereinbarungen gibt, da es, wie gesagt, individuell ist.”
Nachdem der Betriebsrat mit weiterer E-Mail vom 15.02.2011 darauf hingewiesen hatte, dass die Mitbestimmung im Betrieb in K1 anders geregelt und um ein Gespräch mit der Geschäftsleitung gebeten werde, teilte die Arbeitgeberin den Betriebsrat mit weiterer E-Mail vom 15.02.2011 (Bl. 98 d. A.) folgendes mit:
“Mit der Zustimmung für die Zielvereinbarung haben Sie sicherlich recht, wenn es sich um ein Zielvereinbarungssystem handelt, dass für alle Mitarbeiter zu gleichen Bedingungen gilt.
Hier handelt es sich um eine einzelvertragliche Vereinbarung und diese ist nicht zustimmungspflichtig durch den Betriebsrat. Wir wollten Sie gerne im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit schon zu Beginn hierüber informieren.
Davon mal abgesehen, gibt es bei der IS NRW Mitarbeiter mit einer individuellen Zielvereinbarung denen der Betriebsrat zugestimmt hat. Ich verstehe nicht, warum der Betriebsrat dem nun nicht mehr zustimmt.”
Der Betriebsrat begehrte daraufhin bei der Arbeitgeberin die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Regelung von Prämienzahlungen.
Mit Schreiben vom 01.03.2011 (Bl. 10 d. A.) hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat erneut zu einer Änderung des Vertrages mit dem Mitarbeiter T1 an. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zum Abschluss einer Zielvereinbarung. Mit Schreiben vom 02.03.2011 (Bl. 29 d. A.) wies der Betriebsrat darauf hin, dass eine Klärung im Hinblick auf den Abschluss von Zielvereinbarungen nicht habe getroffen werden können und der Betriebsrat den einstimmigen Beschluss gefasst habe, zur Klärung der Angelegenheit einen Rechtsanwalt, seinen jetzigen Verfahrensbevollmächtigten, einzuschalten.
Mit E-Mail vom 04.03.2011 wies die Arbeitgeberin darauf hin, dass der Betriebsrat hinsichtlich der Zielprämie von Herrn T1 kein Mitbestimmungsrecht habe, da es sich um einen Einzelfall handele.
Mit Schreiben vom 07.03.2011 (Bl. 8 d. A.) wies der Betriebsrat darauf hin, dass er in seiner Sitzung vom 02.03.2011 erkannt habe, dass Gespräche und Verhandlungen über eine Prämie für Kolleginnen und Kollegen gescheitert seien und ein Beschluss zur Einsetzung eines Rechtsanwalts gefasst worden sei, die Verhandlungen über den Abschluss einer BV “Prämien” seien gescheitert. Ferner solle eine Einigungsstelle einberufen werden, wozu um Zustimmung gebeten werde.
Da auch in der Folgezeit eine Einigung zwischen den Beteiligten nicht zustande kam, leitete der Betriebsrat am 16.03.2011 das vorliegende Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht ein.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die einzurichtende Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Er habe in der Vergangenheit mehrfach Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Regelung der Prämienzahlungen an Einkäufer begehrt. Dieses Begehren habe die Arbeitgeberin zurückgewiesen.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und ein kollektiver Bezug bei Prämienzahlungen ergäben sich schon daraus, dass an allgemeine Merkmale wie die Leistung angeknüpft werde.
Auch weitere Mitarbeiter im Betrieb erhielten erfolgsabhängige Prämien. Dies ergebe sich aus der eigenen Einlassung der Arbeitgeberin. Da mehrere Mitarbeiter hiervon betroffen seien, strebe der Betriebsrat eine generelle Betriebsvereinbarung über die Zahlung von variablen Vergütungen aufgrund von Vielvereinbarungen an.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht a. D. K2-W1 S2 zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand “Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die Zahlung von Prämien aufgrund von Zielvereinbarungen” bei der Arbeitgeberin zu bestellen,
die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf 2 festzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge abzuweisen.
Sie hat behauptet, die begehrte Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, weil zwischen den Beteiligten noch keine Verhandlungen über die streitigen Zielvereinbarungen stattgefunden hätten. Die Verhandlungen seien nicht gescheitert, es sei noch gar nicht verhandelt worden. Im Nachgang zu einem Telefonat mit dem Betriebsrat sei der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats angerufen worden, man habe ihn aber nicht in seiner Kanzlei angetroffen. Es sei ein Rückruf zugesichert worden, der aber nicht erfolgt sei.
Die Arbeitgeberin sei bereit, mit dem Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung “Zielvereinbarungen” auf der Grundlage der in der Vergangenheit gekündigten Betriebsvereinbarung zu führen.
Im Übrigen liege ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand nicht vor. Außer dem Mitarbeiter T1 gebe es keine weiteren Mitarbeiter, die Prämien erhielten. Die aufgrund der gekündigten Betriebsvereinbarung gezahlten variablen Vergütungen seien in feste Vergütungen umgewandelt worden. Eine mit der Mitarbeiterin B1 bestehende Zielvereinbarung sei nicht mehr relevant, da sie das Unternehmen verlasse.
Durch Beschluss vom 04.04.2011 hat das Arbeitsgericht dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben und die begehrte Einigungsstelle eingerichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Die Arbeitgeberin habe die ursprüngliche Regelung über eine variable Vergütung einseitig ohne Mitbestimmung des Betriebsrats geändert. Insoweit komme ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht. Die aufgrund der Betriebsvereinbarung eingeführte Entlohnung durch variable, erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile sei ohne Mitbestimmung des Betriebsrats geändert worden. Die zwischen den Beteiligten geführten Verhandlungen seien auch gescheitert, die Arbeitgeberin habe sich darauf beschränkt, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu bestreiten. Nachdem bis zum 16.03.2011 keine Gesprächsbereitschaft signalisiert worden sei, sei dem Betriebsrat nur die Einleitung des vorliegenden Verfahrens geblieben. Der Vorsitz der einzurichtenden Einigungsstelle und die Zahl der Beisitzer seien zwischen den Beteiligten unstreitig.
Gegen den der Arbeitgeberin am 12.04.2011 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Arbeitgeberin am 26.04.2011 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese zugleich begründet.
Die Arbeitgeberin ist nach wie vor der Auffassung, ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand liege nicht vor. Die einseitige Abschaffung variabler, erfolgsabhängiger Vergütungsbestandteile, die eine vollständige Einstellung der Entlohnung zum Inhalt habe, sei mitbestimmungsfrei. Bei der vollständigen Streichung freiwilliger Leistungen habe der Betriebsrat auch kein Initiativrecht. Aufgrund der früheren Gesamtbetriebsvereinbarung vom 04./09.12.2008 gebe es keine variablen Vergütungsbestandteile mehr. Diese seien in feste Vergütungen überführt worden. Die Gesamtbetriebsvereinbarung sei zum 30.06.2010 ausgelaufen.
Darüber hinaus handele es sich bei der beabsichtigten Regelung mit dem Mitarbeiter T1 um eine individuelle Regelung ohne kollektiven Bezug. Der Mitarbeiter T1 sei ursprünglich in einem anderen Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigt gewesen, in dem kein Betriebsrat existiert habe. Dort sei mit Herrn T1 die Zahlung einer Zieltantieme als variabler Vergütungsbestandteil vereinbart worden. Von diesem Betrieb sei Herr T1 in den Betrieb der Arbeitgeberin gewechselt. Kein anderer Arbeitnehmer im Betrieb der Arbeitgeberin erhalte eine Zieltantieme oder eine andere Art von variabler Vergütung, nachdem die Gesamtbetriebsvereinbarung mit dem 30.06.2010 ausgelaufen sei.
Der Betriebsrat könne sich auch nicht auf den vorangegangenen Schriftverkehr mit der Arbeitgeberin berufen. Das Anhörungsschreiben vom 01.03.2011 (Bl. 10 d. A.) sowie die E-Mails vom 14.02.2011 und 15.02.2011 seien missverständlich formuliert. Dem Betriebsrat seien diese Hintergründe zusätzlich mündlich erläutert worden. Im Betrieb der Arbeitgeberin würden keine variablen Vergütungsbestandteile gezahlt.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 04.04.2011 – 6 BV 30/11 – abzuändern und die Anträge des Betriebsrats zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist der Auffassung, aus den eigenen Mitteilungen der Arbeitgeberin ergebe sich, dass im Betrieb variable Vergütungsbestandteile gezahlt würden. Dass die Arbeitgeberin die Arbeitsleistung von Arbeitnehmern durch variable Vergütungsbestandteile fördern wolle, ergebe sich bereits aus der Mitteilung der Arbeitgeberin vom 11.02.2011. Auch aus der E-Mail der Arbeitgeberin vom 14.02.2011 und aus der E-Mail vom 15.02.2011 ergebe sich, dass es sich bei den getroffenen Zieltantiemen nicht nur um einen einmaligen Vorgang handele, sondern das ganz offensichtlich mehrere Beschäftigte derartige Vereinbarungen mit der Arbeitgeberin getroffen hätten. Die E-Mail vom 15.02.2011 betreffe den Einkäufer Herrn L1. Dieser Mitarbeiter sei nach wie vor Mitarbeiter des Betriebes in D1; auch wenn er zeitweise in dem Betrieb in M1 tätig sei, arbeite er nach wie vor an mehreren Tagen in der Woche im Betrieb in D1.
Auch die Mitarbeiterin B1 erhalte eine variable Vergütung. Insoweit könne ein kollektiver Tatbestand nicht geleugnet werden. Ein kollektiver Tatbestand liege bereits dann vor, wenn die Zahlung einer Vergütung nach Leistung erfolge, weil das Kriterium der Leistung notwendigerweise den Vergleich mit einer Normal-, Mindest- oder Minderleistung anderer Arbeitnehmer voraussetze.
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
B.
Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle eingerichtet.
I. Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und auf Festsetzung der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt (vgl. statt aller: LAG Hamm 07.07.2003 – 10 TaBV 92/03 – NZA-RR 2003, 637; LAG Köln 14.01.2004 – 8 TaBV 72/03 – AP BetrVG 1972 § 106 Nr. 18; LAG Hamm 09.08.2004 – 10 TaBV 81/04 – AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 14 = LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 43 m.w.N.).
II. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht dem Antrag des Betriebsrats auf Einrichtung der Einigungsstelle zu Recht stattgegeben. Die Einigungsstelle ist für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit dem Regelungsgegenstand “Zahlung von Prämien aufgrund von Zielvereinbarungen” nicht offensichtlich unzuständig.
1. Die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich nicht schon daraus, dass die Beteiligten nicht über den streitigen Regelungsgegenstand verhandelt hätten. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Betriebsrats kann insoweit nicht verneint werden.
Nach Sinn und Zweck des gerichtlichen Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG, den Betriebsparteien im Konfliktfall möglichst zügig und ohne weitere Verzögerung durch eine der Betriebsparteien eine Einigungsstelle zur Seite zu stellen, ist die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig, wenn eine der Betriebsparteien aufgrund des bisherigen Verhaltens der anderen Partei die weitere Führung von Verhandlungen für aussichtslos hält, das Scheitern der Verhandlungen erklärt und die Einigungsstelle anruft. Ist der Regelungsgegenstand hinreichend bekannt, liegt es in der Hand jeder Seite, frei zu entscheiden, wann sie die Errichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachtet. Hält ein Betriebspartner weitere Verhandlungen aufgrund des bisherigen Verhaltens der Gegenseite für aussichtslos und ruft er das Arbeitsgericht zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG an, so ist diese auch nicht deswegen offensichtlich unzuständig, weil der Verhandlungsanspruch nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG noch nicht oder noch nicht vollständig erfüllt worden ist; andernfalls hätte es die verhandlungsunwillige Seite in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren (LAG Baden-Württemberg 16.10.1991 – 12 TaBV 10/91 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 21; LAG Niedersachsen 07.12.1998 – 1 TaBV 74/95 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 35; LAG Hamm 09.08.2004 – 10 TaBV 81/04 – AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 14 = LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 41; Fitting/Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 25. Aufl., § 74 Rn. 9; GK/Kreutz, BetrVG, 9. Aufl., § 74 Rn. 28 m.w.N; a.A. noch: LAG Schleswig-Holstein, 17.11.1988 – 6 TaBV 30/88 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 13).
Nach diesen Grundsätzen kann eine offensichtliche Unzuständigkeit der begehrten Einigungsstelle im vorliegenden Verfahren nicht angenommen werden. Zwischen den Beteiligten haben über den streitigen Regelungsgegenstand ausreichende Verhandlungen stattgefunden. Dies ergibt sich aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem vorgerichtlichen Schriftverkehr.
Seit Anfang Februar 2011 streiten die Beteiligten um die Zahlung variabler Vergütungsbestandteile aufgrund von Zielvereinbarungen. Bereits mit E-Mail vom 15.02.2011 hat der Betriebsrat um Aufnahme von Gesprächen mit der Geschäftsleitung gebeten. Derartige Gespräche sind an der Arbeitgeberin gescheitert, weil diese ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats leugnete. Auch einer Bitte des Betriebsrats um Zustimmung zur Einrichtung einer Einigungsstelle hat die Arbeitgeberin nicht entsprochen. Wenn der Betriebsrat unter diesen Umständen die Einrichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachtet hat, ist dies nicht nur zu beanstanden, sondern nachvollziehbar. Die Arbeitgeberin ist nicht berechtigt, durch ihre Verhandlungsunwilligkeit die Einsetzung einer Einigungsstelle länger zu blockieren. Auch im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht und vor der Beschwerdekammer war die Arbeitgeberin nicht bereit, im Vergleichswege zur Einsetzung einer Einigungsstelle zu gelangen.
2. Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss auch davon ausgegangen, dass die Einigungsstelle nicht deshalb offensichtlich unzuständig ist, weil Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats offensichtlich nicht in Betracht kommen. Der Regelungsgegenstand “Zahlung von Prämien aufgrund von Zielvereinbarungen” ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig.
a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Das Beteiligungsrecht soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten Lohngestaltung schützen. Zugleich soll die Einbeziehung des Betriebsrats zur Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sowie zur Sicherung der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des Lohngefüges beitragen. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist dabei zwar nicht die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts. Mitbestimmungspflichtig sind aber die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. Mitbestimmungspflichtig ist auch die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze durch den Arbeitgeber (BAG 03.12.1991 – GS 2/90 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51; BAG 02.03.2004 – 1 AZR 271/03 – AP TVG § 3 Nr. 31; BAG 15.04.2008 – 1 AZR 65/07 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 133; BAG 22.06.2010 – 1 AZR 853/08 – NZA 2010, 1243 = DB 2010, 2807 m.w.N.). Das Beteiligungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bezieht sich insoweit allerdings nur auf kollektive Regelungen. Die individuelle Lohngestaltung, die mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses getroffen wird und bei der kein innerer Zusammenhang zur Entlohnung anderer Arbeitnehmer besteht, unterliegt nicht der Mitbestimmung. Liegt allerdings ein kollektiver Tatbestand vor, besteht auch ein Initiativrecht des Betriebsrats (BAG 29.02.2000 – 1 ABR 4/99 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105; BAG 10.10.2006 – 1 ABR 68/05 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 68; BAG 22.06.2010 – 1 AZR 853/08 – NZA 2010, 1243).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 nicht verneint werden. Mitbestimmungspflichtig ist beispielsweise, ob ein Prämienlohn gezahlt werden soll und wenn ja, für welche Leistung und in welchem Verhältnis zum Grundgehalt (BAG 16.12.1986 – 1 ABR 26/85 – AP BetrVG 1972 § 87 Prämie Nr. 8; Fitting/Engels/Schmidt/ Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 25. Aufl., § 87 Rn. 427). Auch Regelungen über eine Beteiligung der Arbeitnehmer an dem wirtschaftlichen Ertrag des Unternehmens fallen unter § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Zu den Entlohnungsgrundsätzen zählen auch Regelungen über die Art der Ergebnisbeteiligung, über die Bemessungsgrundlagen und über die Berechnung der Ergebnisanteile. Das betrifft auch sogenannte Zielvereinbarungen, bei denen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer individuelle Handlungsziele vereinbart werden (Fitting, a.a.O., § 87 Rn. 434).
Die Arbeitgeberin kann auch nicht darauf verweisen, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats scheitere daran, dass es lediglich individuelle Regelungen mit einem Mitarbeiter, nämlich Herrn T1 gebe. Zu Recht verweist der Betriebsrat bereits darauf hin, dass ein kollektiver Tatbestand bereits dann vorliegt, wenn die Zahlung einer Vergütung nach Leistung erfolgt, weil das Kriterium der Leistung notwendigerweise den Vergleich mit einer Normal-, Mindest- oder Minderleistung anderer Arbeitnehmer voraussetzt. Gerade Grund und Höhe der Zahlungen variabler Vergütungsbestandteile sind von allgemeinen Merkmalen abhängig (BAG 29.02.2000 – 1 ABR 4/99 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105; Fitting, a.a.O., § 87 Rn. 422). Insoweit hätte schon bei der Umwandlung der aufgrund der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 04./09.12.2008 gezahlten variablen Vergütung in feste Vergütungsbestandteile, die mehrere Mitarbeiter betraf (vgl. Anlage 1 zur Gesamtbetriebsvereinbarung), der Betriebsrat beteiligt werden müssen. Auch die Änderung von Entlohnungsgrundsätzen durch den Arbeitgeber unterliegt der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10. Dabei kommt es für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt ist, ob etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertragliche Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Denn nach der Konzeption des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hängt das Mitbestimmungsrecht nicht vom Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern nur vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab (BAG 22.06.2010 – 1 AZR 853/08 – NZA 2010, 1243, Rn. 22 m.w.N.).
Hinzu kommt, dass im vorliegenden Einigungsstellenbesetzungsverfahren nicht geklärt werden konnte, ob lediglich an den Mitarbeiter T1 variable Vergütungsbestandteile aufgrund von Zielvereinbarungen geleistet werden. Bereits aus der E-Mail der Arbeitgeberin vom 14.02.2011 geht hervor, dass die Arbeitgeberin in ihrem Betrieb mehrere Zielvereinbarungen abgeschlossen hat oder abschließt. Auch die E-Mail vom 15.02.2011 weist darauf hin, dass es im Betrieb der Arbeitgeberin mehrere Zielvereinbarungen gibt, denen der Betriebsrat zugestimmt hat. Auch hieraus folgt, dass es sich bei dem Abschluss von Zielvereinbarungen nicht um einen einmaligen Vorgang handelt, sondern dass offensichtlich mehrere Beschäftigte derartige Vereinbarungen mit der Arbeitgeberin abgeschlossen haben. Soweit die Arbeitgeberin dies in der Beschwerdeinstanz in Abrede gestellt hat, führt dies nicht zur offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle. Die Einigungsstelle ist nur dann nicht zu bestellen, wenn an ihrer Unzuständigkeit keine ernsthaften rechtlichen Zweifel möglich sind. Tatsachenfeststellungen sind im Einigungsstellenbesetzungsverfahren auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkt, in die der unstreitige Vortrag der Beteiligten sowie die streitigen Tatsachenbehauptungen des Antragstellers einzubeziehen sind. Es besteht kein Raum für die Durchführung einer Beweisaufnahme; beweisbedürftige Tatsachenbehauptungen sind nicht offensichtlich im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG (LAG Hessen 03.11.2009 – 4 TaBV 185/09 – NZA-RR 2010, 359; LAG Berlin-Brandenburg 22.01.2010 – 10 TaBV 2829/09 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 56 = BB 2010, 500 m.w.N.). Die Klärung streitiger Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Kammervorsitzenden im Bestellungsverfahren. Eine Beweisaufnahme kann nur vor der vollständig besetzten Kammer des Arbeitsgerichts erfolgen. Ob insoweit bei dem vom Betriebsrat in Anspruch genommenen Initiativrecht kollektive Tatbestände betroffen sind, hat danach die Einigungsstelle in eigener Zuständigkeit zu prüfen.
3. Gegen die Person des vom Arbeitsgericht eingesetzten Einigungsstellenvorsitzenden bestehen keine Bedenken. Bei dem vom Arbeitsgericht bestellten Vorsitzenden handelt es sich um einen äußerst fachkundigen und fähigen Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit a.D., der auch über zahlreiche Erfahrungen als Einigungsstellenvorsitzender verfügt. Insoweit sind von der Arbeitgeberin keine Einwendungen erhoben worden.
Die Zahl der Beisitzer der Einigungsstelle hat das Arbeitsgericht zu Recht auf zwei festgelegt. Dies entspricht der Regelbesetzung einer Einigungsstelle.

Schlagworte

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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