LAG Hamm, Beschluss vom 26.11.2010 – 13 TaBV 54/10

September 1, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 26.11.2010 – 13 TaBV 54/10

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 11.05.2010 – 2 BV 19/10 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt lautet:

Die Betriebsratswahl vom 17./18.03.2010 wird für unwirksam erklärt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

A.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit der durchgeführten Betriebsratswahl.

Die Arbeitgeberin ist im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs tätig. Zur Wahl eines 15köpfigen Betriebsrates in ihrem Betrieb am 17./18.03.2010 erließ der Wahlvorstand am 26.01.2010 ein Wahlausschreiben, das auszugsweise wie folgt lautet:

8. Wahlvorschläge in Form von Vorschlagslisten sind beim Wahlvorstand einzureichen. Wahlvorschläge können nur berücksichtigt werden, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Erlass dieses Wahlausschreibens, also spätestens bis zum Ablauf

des 09.02.2010

um 16.00 Uhr

beim Wahlvorstand schriftlich eingereicht werden.

12. Einsprüche, Wahlvorschläge und sonstige Erklärungen gegenüber dem Wahlvorstand sind an den Vorsitzenden des Wahlvorstandes

Herrn N1 K3, Raum 216 im Verwaltungsgebäude in H1 zu richten.

Am 09.02.2010 fand ab 15.30 Uhr in den durch eine geöffnete Tür verbundenen Räumen 216 und 217 des Verwaltungsgebäudes in H1 eine Sitzung des Wahlvorstandes statt, an der auch mehrere Gäste teilnahmen.

Um 15.53 Uhr wurde die Vorschlagsliste “Vestische” eingereicht, auf die sich die beiden im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ver.di und Komba zur Ermöglichung einer Personenwahl verständigt hatten.

Als der große Zeiger der Funkuhr des Wahlvorstandsvorsitzenden um 16.00 Uhr auf “12” sprang, stellte dieser die Uhrzeit “16.00 Uhr” fest und fragte, ob noch weitere Listen eingereicht würden. Daraufhin übergab Herr A2 eine Liste “ver.di”, anschließend Herr J2 eine Liste “Offene Liste” und schließlich Herr B5 eine Liste “Komba”.

Bei der anschließenden Prüfung ließ der Wahlvorstand die Liste “Vestische” mangels ausreichender Stützunterschriften und die Liste “ver.di” wegen fehlender Unterschriften zweier Gewerkschaftsbeauftragter zur Wahl nicht zu.

Nachdem ein einstweiliges Verfügungsverfahren, gerichtet gegen die Durchführung der Wahl, nicht erfolgreich war (ArbG Herne 4 BVGa 2/10 = LAG Hamm 13 TaBVGa 6/10), wurde am 17./18.03.2010 mit den zugelassenen zwei Listen “Offene Liste” und “Komba” die Wahl eines neuen Betriebsrates durchgeführt.

Gegen deren Wirksamkeit wendet sich die antragstellende Gewerkschaft ver.di. Sie hat die Auffassung vertreten, die beiden genannten Vorschlagslisten hätten ebenfalls nicht zur Wahl zugelassen werden dürfen, weil sie beim Wahlvorstand nach 16.00 Uhr, also verspätet eingereicht worden seien. In dem Zusammenhang hat sie bestritten, ob die Listen überhaupt vor 16.01 Uhr dem Wahlvorstand übergeben worden seien.

Soweit hier noch von Interesse, hat die Gewerkschaft ver.di beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 17.03.2010 und 18.03.2010 unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hat die Meinung vertreten, die beiden Listen seien fristgerecht eingereicht worden, weil der Zeitraum bis 16.00.59 Uhr noch zur eingeräumten Frist “um 16.00 Uhr” gehöre.

Im Übrigen seien die anwesenden Listenvertreter nicht vor 16.00 Uhr gefragt worden, ob noch weitere Listen übergeben werden sollten.

Davon abgesehen verhalte sich die antragstellende Gewerkschaft widersprüchlich, weil sie nach ihrem Zeitverständnis die eigene Liste auch verspätet eingereicht habe.

Mit Beschluss vom 11.05.2010 hat das Arbeitsgericht dem Antrag stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Vorschlagslisten “Offene Liste” und “Komba” seien verspätet erst nach Ablauf der gesetzten Frist eingereicht worden. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ende nämlich eine “bis zum Ablauf des 09.02.2010 um 16.00 Uhr” gesetzte Frist präzise um 16.00.00 Uhr, so dass die 59 Sekunden danach bereits zur folgenden Stunde zählen würden.

Auf ein möglicherweise davon abweichendes Verständnis des Wahlvorstandes bzw. seines Vorsitzenden könne es nicht ankommen.

Im Übrigen hätte für die anwesenden Listeneinreicher ausreichend Zeit bestanden, rechtzeitig vor 16.00 Uhr zumindest eine entsprechende Absicht zu signalisieren.

Ein widersprüchliches Verhalten stehe dem durch die Gewerkschaft ver.di angestrengten Wahlanfechtungsverfahren nicht entgegen, weil dieses allgemein der Klärung diene, ob ein Betriebsrat beanstandungsfrei gebildet worden sei.

Dagegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Beschwerde.

Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und bekräftigt nochmals, dass die beiden verbliebenen Vorschlagslisten fristgerecht im Zeitraum bis 16.00.59 Uhr abgegeben worden seien und damit fristgerecht “um 16.00 Uhr”. Dementsprechend habe der Wahlvorstandsvorsitzende auch noch die Möglichkeit eingeräumt, die Listen zu übergeben.

Unter Berücksichtigung der seitens der Gewerkschaft vorgenommenen Präzisierung des Antrags dahingehend, dass die Betriebsratswahl vom 17./18.03.2010 für unwirksam erklärt wird, beantragt der Betriebsrat,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 11.05.2010 – 2 BV 19/10 – abzuändern und den Antrag abzuweisen.

Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrages beantragt die Gewerkschaft ver.di,

die Beschwerde zurückzuweisen.

B.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist unbegründet. Die am 17./18.03.2010 durchgeführte Betriebsratswahl ist nämlich nach § 19 Abs. 1 BetrVG anfechtbar und damit unwirksam.

Es liegt ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (§ 19 Abs. 1 3. Fall BetrVG) vor, weil der Wahlvorstand entgegen der Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 WO nach Ablauf der zweiwöchigen Einreichungsfrist noch zwei Vorschlagslisten zugelassen hat, obwohl sie gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 WO für ungültig hätten erklärt werden müssen.

I. In dem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass unter Ziffer 8 des am 26.01.2010 erlassenen Wahlausschreibens der letzte Tag der zweiwöchigen Ausschlussfrist zulässigerweise uhrzeitmäßig begrenzt wurde. Denn im Rahmen der als bloße Auslegungsvorschriften zu verstehenden §§ 186 ff. BGB (i.V.m. § 41 WO) ist es rechtmäßig, dass ein Wahlvorstand sich am üblichen Arbeitszeitende im Betrieb, hier 15.00 Uhr, orientiert und dementsprechend als Endzeitpunkt am 09.02.2010 “um 16.00 Uhr” festgelegt hat (vgl. BAG, 04.10.1977 – 1 ABR 37/77 – AP BetrVG 1972 § 18 Nr. 2).

II. Die so auch uhrzeitmäßig abgegrenzte Frist war abgelaufen, als die Listen “Offene Liste” und “Komba” – und übrigens auch die Liste “ver.di” – dem Wahlvorstand am 09.02.2010 erst zu einem Zeitpunkt übergeben wurden, als der große Zeiger der Funkuhr des Wahlvorstandsvorsitzenden bereits auf die “12” gesprungen war.

In dem Zusammenhang folgt die Beschwerdekammer den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und nimmt auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

Die Ausführungen in der Beschwerdeinstanz geben lediglich zu folgenden ergänzenden Bemerkungen Anlass:

1) In der Rechtsordnung ist es allgemein üblich, dass Uhrzeiten “nur” in vier Ziffern nach Stunden und Minuten angegeben werden. Daran hat sich auch der Wahlvorstand gehalten, als er unter Ziffer 8) seines Wahlausschreibens für den 09.02.2010 als Enduhrzeit “um 16.00 Uhr” auswies. Durch das Voranstellen der Präposition “um” wurde nach allgemeinem Sprachverständnis ein genauer Zeitpunkt bezeichnet (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl., Stichwort “um”). Die Frist sollte enden, als am 09.02.2010 insgesamt 16 Stunden abgelaufen waren, also präzise zu einem Zeitpunkt, als der Minutenzeiger der Funkuhr des Wahlvorstandsvorsitzenden auf “12” sprang. Schon mit der Folgesekunde begann nämlich die 17. Stunde des Tages.

Dieses allgemeine Zeitverständnis wird bestätigt, wenn z.B. im Fahrplan einer von der Arbeitgeberin betriebenen Straßenbahn als Abfahrtzeit “16.00 Uhr” ausgewiesen ist. Fährt die Bahn pünktlich ab, kommt eine nur Sekunden danach eintreffende Person zu spät.

Nach alledem ist es zutreffend, dass eine Stundenfrist, die, wie hier “um 16.00 Uhr” abläuft, exakt noch bis zum Umschlagen des Minutenzeigers auf “12” gewahrt werden kann, aber nicht mehr danach (vgl. MünchKommZPO/Gehrlein, Bd. 1, 3. Aufl., § 222 Rn. 6).

Dem hätten die bereits seit 15.30 Uhr vor Ort anwesenden Herren J2 und B5, wären sie tatsächlich schon dazu gewillt gewesen, ohne Weiteres Rechnung tragen können, indem sie in der verbleibenden halben Stunde ihre Listen übergeben hätten. Stattdessen trafen sie ihre Entscheidung offensichtlich aber erst als Reaktion auf das Verhalten des Herrn A2 Sekunden nach Ablauf der im Wahlausschreiben gesetzten Frist und damit verspätet.

Dementsprechend hätte der Wahlvorstand (auch) die Listen “Offene Liste” und “Komba” als ungültig zurückweisen müssen, weil die zweiwöchige Einreichungsfrist des § 6 Abs. 1 Satz 2 WO nicht eingehalten wurde (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 WO). Konsequenterweise wäre dann gemäß § 9 WO eine Nachfrist zur Einreichung gültiger Vorschlagslisten zu setzen gewesen.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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