LAG Hamm, Urteil vom 04.07.2011 – 8 Sa 726/11

Juli 27, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 04.07.2011 – 8 Sa 726/11
1. Bietet der Arbeitnehmer nach längerer psychischer Erkrankung unter Vorlage einer vom behandelnden Facharzt ausgestellten “Arbeitsfähigkeitsbescheinigung” erfolglos seine Arbeitskraft an und verlangt er aus diesem Grunde Vergütungszahlung wegen Annahmeverzuges, so hat der Arbeitgeber die fehlende Arbeitsfähigkeit zu beweisen (h. M.).
2. Verneint der gerichtlich bestellte Sachverständige aufgrund eigener Untersuchung und Beurteilung, jedoch ohne Beiziehung der fachärztlichen Behandlungsunterlagen die vom Arbeitgeber behauptete Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit zu dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, so ist der auf Ergänzung des Gutachtens gerichtete Beweisantrag des Arbeitgebers, der Gutachter möge die fachärztlichen Behandlungsunterlagen beiziehen, zum Nachweis der fehlenden Arbeitsfähigkeit nur geeignet, wenn zugleich die Möglichkeit dargelegt wird, dass deren Auswertung einen solchen Widerspruch zwischen ärztlicher Dokumentation einerseits und diagnostizierter Besserung der Symptomatik nebst Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit andererseits aufzeigt, dass hieraus überzeugungskräftig das Gegenteil – die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit – herzuleiten sei.
3. Zu den gebotenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX gehört auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung. Die frühere Auffassung, dem Arbeitgeber stehe die Entscheidung hierüber frei, ist nach Einführung des § 84 SGB IX überholt. Im Weigerungsfall kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 280 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX in Betracht.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 28.09.2010 – 5 Ca 1035/10 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im zweiten Rechtszuge über die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt von Annahmeverzug und/oder Schadensersatz für den Zeitraum vom 01. bis 26.03.2009 und vom 09.04. bis 30.04.2009, während dessen der Kläger nicht beschäftigt worden ist. Außergerichtlich hat der Kläger Ansprüche auch für nachfolgende Monate geltend gemacht.
Der Kläger ist seit dem 01.07.2003 aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 10 f. d. A.) beim beklagten DRK-Kreisverband gegen ein monatliches Bruttoentgelt von durchschnittlich 1.812,37 Euro; beschäftigt und war zuletzt als Disponent in der Sicherheitszentrale eingesetzt. Ab dem 30.04.2008 und jedenfalls bis zum 03.11.2008 war der Kläger aufgrund einer depressiven Erkrankung arbeitsunfähig erkrankt und nicht für den Beklagten tätig. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 20.10.2008 (Bl. 15 d. A.) eine ärztlicherseits vorgeschlagenen stufenweise Wiedereingliederung unter Hinweis auf Sicherheitsbedenken abgelehnt hatte, bot der Kläger unter Vorlage einer ärztlichen Arbeitsfähigkeitsbescheinigung vom 04.11.2008 (Bl. 21 d. A) erfolglos seine Arbeitskraft an und legte weiter mit Schreiben vom 20.11.2008 eine Bestätigung der Techniker-Krankenkasse (Bl. 24 d. A.) vor, welche aufgrund einer Vorstellung des Klägers beim MDK die Fähigkeit zur Wiederaufnahme der Arbeit bestätigte. Auf Veranlassung des Beklagten stellte sich der Kläger sodann am 09.03.2009 beim “Werksarztzentrum D” vor, welches in seiner Stellungnahme vom 19.03.2009 (Bl. 25 d. A.) gegen einen Einsatz des Klägers Bedenken erhob und zunächst eine zweiwöchige Wiedereingliederung unter Aufsicht empfahl, was der Beklagte mit Schreiben vom 26.03.2009 (Bl. 26 d. A.) erneut wegen bestehender Sicherheitsbedenken ablehnte. Hierauf erlitt der Kläger einen Rückfall und war vom 27.03 bis 08.04.2009 erneut arbeitsunfähig. Nachfolgend bestätigte der MDK mit Schreiben vom 08.04.2009 (Bl. 28 ff.) die Einsatzfähigkeit des Klägers für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Disponent. Weiter heißt es insoweit, eine Personenbeförderung solle wegen der Medikation mit Citalopram aus Vorsichtsgründen nicht erfolgen. Am 11.04.2009 bot der Kläger erneut erfolglos seine Arbeitskraft an.
Nachdem die Beklagte die Arbeitsvergütung für die Monate November und Dezember 2008 gezahlt hatte, stellte sie in der Folge die Zahlung ein und forderte vom Kläger die geleistete Vergütung zurück.
Der Kläger hat vorgetragen, seine vorangehende Arbeitsunfähigkeit sei bereits ab dem 03.11.2008 beendet gewesen, weswegen der Beklagte zu Unrecht Beschäftigung und Zahlung verweigere. Demgegenüber hat der Beklagte geltend gemacht, abweichend von der Beurteilung der behandelnden Ärztin und des medizinischen Dienstes der Krankenkasse sei der Kläger weiter für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Sicherheitszentrale arbeitsunfähig gewesen. Wegen der weiter erforderlichen Einnahme des Medikaments Citalopram sei es im Übrigen unzumutbar gewesen, den Kläger mit der zuletzt ausgeübten Tätigkeit in der Sicherheitszentrale zu betrauen, da die hier anfallenden Tätigkeiten eine uneingeschränkte psychische Belastbarkeit und die Fähigkeit zu sicheren und schnellen Entscheidungen voraussetze. Eben aus diesem Grunde habe auch der ärztlicherseits vorgeschlagenen stufenweisen Wiedereingliederung ab dem 23.10.2008 nicht zugestimmt werden können. Schon die Tatsache, dass die behandelnde Ärztin zunächst selbst von der Notwendigkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung ausgegangen sei, dann aber – nach Verweigerung der Zustimmung durch den Beklagten – dem Kläger Arbeitsfähigkeit ab dem 03.11.2008 attestiert habe, begründe erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt und auch im hier maßgeblichen Anspruchszeitraum den Anforderungen des Arbeitsplatzes gesundheitlich gewachsen und damit arbeitsfähig gewesen sei. Auch das von der Beklagten beauftragte Werksarztzentrum habe in seiner Stellungnahme vom 19.03.2009 (Bl. 25 d. A.) gesundheitliche Bedenken gegen die Beschäftigung des Klägers in den bisher durchgeführten Tätigkeitsbereichen erhoben und jedenfalls eine Wiedereingliederungsmaßnahme für erforderlich gehalten. Gegen die vollständige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit spreche auch der Rückfall in der Zeit vom 27.03. bis 08.04.2009 Soweit der Kläger auf anderweitige Einsatzmöglichkeiten verweise, fehle es teils auch diesbezüglich an der gesundheitlichen Eignung des Klägers, im Übrigen fehle es für andere Tätigkeiten an der erforderlichen Qualifikation des Klägers oder einem entsprechenden Bedarf. Erst nachdem im Zuge des vorliegenden Rechtsstreits durch das vom Arbeitsgericht eingeholte Sachverständigengutachten die bestehenden Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in der Sicherheitszentrale ausgeräumt worden seien, sei ab diesem Zeitpunkt Arbeitsfähigkeit des Klägers anzunehmen, weswegen der Kläger nunmehr seit dem 07.06.2010 weiterbeschäftigt werde. Demgegenüber könne der Kläger für die Vergangenheit und insbesondere für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Zahlung von Arbeitsvergütung beanspruchen.
Durch Urteil vom 28.09.2010 (Bl. 286 ff. d. A.), auf welches wegen der Fassung der Klageanträge und des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B1 (Bl. 236 ff. d. A.) gemäß dem Beweisbeschluss vom 25.03.2010 (Bl. 214 d. A.) den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.03.2009 bis einschließlich 26.03.2009 und 09.04.2009 bis einschließlich 30.04.2009 verurteilt und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits, auch soweit die Parteien den zunächst vom Kläger verfolgten Beschäftigungsanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt haben, auferlegt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, gemäß § 615 BGB könne der Kläger die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges verlangen, nachdem er die geschuldete Arbeitsleistung ab dem 03.11.2008 ordnungsgemäß angeboten habe. Abweichend vom Standpunkt des Beklagten sei der Annahmeverzug weder wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Klägers ausgeschlossen, noch sei dem Beklagten die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers unzumutbar gewesen. Wie sich aus dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. B1 ergebe, sei der Kläger für die Tätigkeit als Disponent in der Einsatzzentrale des Beklagten ab dem 03.11.2008 uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen. Dies habe der Sachverständige überzeugend auf der Grundlage eigener Untersuchungen und Auswertung der Gerichtsakte begründet. Soweit der Beklagte beanstande, dass der Gutachter die Befundberichte der behandelnden Ärztin R1 nicht beigezogen habe, stelle dies keinen Mangel des Gutachtens dar, da der Sachverständige lt. Mitteilung seiner Praxis die genannten Unterlagen nicht benötigt habe. Soweit das Gutachten bei der Einnahme von Citalopram aus Vorsichtsgründen von einer Fahruntüchtigkeit des Klägers ausgehe, stehe dies dem verfolgten Verzugslohnanspruch nicht entgegen. Selbst wenn nämlich der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr sämtliche vertraglich vereinbarten Tätigkeiten ausüben könne, sei der Arbeitgeber jedenfalls gehalten, sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben und gegebenenfalls dem nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer eine leidensgerechte Tätigkeit zuzuweisen. Da der Kläger nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages umfassend einsetzbar sei, habe der Beklagte dem Kläger gegebenenfalls eine Tätigkeit ohne Fahrtätigkeiten zuweisen müssen. Schließlich sei dem Beklagten die Annahme der Arbeitsleistung auch nicht deshalb unzumutbar gewesen, weil sich der Kläger geweigert habe, die behandelnden Ärzte ihm – dem Beklagten – gegenüber umfassend von der gesetzlichen Schweigepflicht zu entbinden. Zwar könne der Arbeitgeber bei begründeten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitnehmer verlangen, dass dieser konkret seine Leistungsfähigkeit überprüfbar belege, diese Pflicht habe der Kläger jedoch durch die Vorlage der Bescheinigungen der behandelnden Ärztin sowie des sozialmedizinischen Gutachtens des MDK vom 08.04.2009 erfüllt. Demgegenüber scheide eine weitergehende Verpflichtung des Klägers zur umfassenden Offenlegung sämtlicher Diagnosen gegenüber dem Beklagten aus. Der Höhe nach stehe dem Kläger nach dem Lohnausfallprinzip die entgangene Arbeitsvergütung als Bruttobetrag zu, ohne dass die Beklagte gegen die Berechnung Einwendungen erhoben habe. Jedenfalls mit Klagezustellung habe der Kläger auch die einschlägige Ausschlussfrist des § 37 TVöD/VKA gewahrt.
Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält der Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens an seiner Behauptung fest, im Anspruchszeitraum sei der Kläger arbeitsunfähig gewesen. Dies ergebe sich zum einen aus dem Umstand, dass die behandelnde Ärztin R1 den Kläger noch am 27.10.2008 weiterhin nicht für voll arbeitsfähig gehalten, sondern eine stufenweise Wiedereingliederung empfohlen habe. Erst nachdem der Beklagte eine solche Maßnahme als unzumutbar abgelehnt habe, habe ihn die Ärztin offensichtlich “aus taktischen Gründen” gesund geschrieben. Zum anderen folge auch aus dem Umstand, dass der Kläger über den Zeitpunkt der angeblichen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit hinaus das Medikament Citalopram verordnet erhalten habe, dass eine volle Einsatzfähigkeit des Klägers im hier streitbefangenen Zeitraum nicht vorgelegen haben könne. Bei dem benannten Medikament handele es sich um ein Antidepressivum mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen, welches bei plötzlichem Absetzen zu erheblichen körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen führen könne. Eben wegen der sich hieraus ergebenden Sicherheitsbedenken habe der Beklagte das Werksarztzentrum Deutschland als unabhängige Institution mit der Begutachtung beauftragt, welches die erhobenen Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers geteilt und zunächst die Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme empfohlen habe. Abweichend von der Darstellung des Klägers treffe es auch nicht zu, dass eine ärztliche Untersuchung in diesem Zusammenhang nicht stattgefunden habe, im Gegenteil habe eine umfangreiche Untersuchung stattgefunden. Zum Beweis hierfür beruft sich der Beklagte auf den bei der Gerichtsakte befindlichen Bericht des Werksarztzentrums, das sachverständige Zeugnis des geschäftsführenden Arztes Dr. N1 und die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Soweit demgegenüber der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dr. B1 zu einer abweichenden Einschätzung gekommen sei, liege jedenfalls ein eindeutiges und zweifelsfreies Ergebnis nicht vor, da der Gutachter die Befundunterlagen der behandelnden Ärztin nicht zur Hand gehabt und sich allein auf die eigene Untersuchung des Klägers gestützt habe. Eine rückwirkende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Klägers für den hier maßgeblichen Zeitpunkt müsse auf dieser Grundlage ausscheiden. Selbst wenn aber vom Beklagten der Nachweis nicht geführt werden könne, dass im Anspruchszeitraum weiter Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, müsse aus rechtlichen Gründen beachtet werden, dass allenfalls ein Anspruch auf Schadensersatz, nicht hingegen auf Zahlung von Verzugslohn gemäß § 615 BGB in Betracht komme. Wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergebe, sei der Kläger nach Auffassung des Gutachters zwar in der Aufgabenstellung des Disponenten einsetzbar, demgegenüber habe der Kläger auch nach Auffassung des Gutachters wegen der Einnahme des Medikamentes Cetalopram nicht in dem Rahmen der Personenförderung eingesetzt werden können. Voraussetzung für einen Anspruch auf Zahlung des Verzugslohns sei jedoch nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitnehmer für alle arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten arbeitsfähig sei. Könne er nur einen Teil der vertraglich vorgesehenen Arbeitsaufgaben erledigen, komme allein ein Schadensersatzanspruch in Betracht, wenn der Arbeitgeber schuldhaft die Pflicht zur Zuweisung leidensgerechter Arbeit verletze. Dies setze voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt habe, wie er sich seine weitere Tätigkeit vorstelle. Zwar beziehe sich die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausdrücklich nur auf die Fallgestaltung, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden könne; weitergehend müsse jedoch ganz allgemein angenommen werden, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit voraussetze, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und mitgeteilt habe, wie er sich seine Weiterbeschäftigung vorstelle. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe scheide der verfolgte Anspruch auf Zahlung von Vergütung aus. Wegen der Medikamenteneinnahme sei der Kläger nicht uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen. In welchem Rahmen der Kläger tatsächlich einsatzfähig gewesen sei, habe der Beklagte nicht beurteilen können, da der Kläger seine Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts verweigert habe.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 12.10.2010 verkündeten und am 18.10.2010 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen – 5 Ca 1035/10 – die Klage abzuweisen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und tritt insbesondere dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils bei, der Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis einer fehlenden Arbeitsfähigkeit nicht geführt. Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige sämtliche zur Verfügung gestellten Unterlagen ausgewertet und das von der Beklagten eingeholte werksärztliche Gutachten als nicht nachvollziehbar beurteilt habe, seien die vom Beklagten vorgetragenen Zweifel an der Arbeitsfähigkeit ausgeräumt, ohne dass die allgemeinen Ausführungen des Beklagten zu möglichen Nebenwirkungen des Medikaments Citalopram eine abweichende Beurteilung rechtfertigten. Im Übrigen habe selbst das vom Beklagten beauftragte Werksarztzentrum seinerzeit eine stufenweise Wiedereingliederung befürwortet, nicht hingegen eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit festgestellt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Beklagte zwischenzeitlich selbst dem Werksarztzentrum unter Hinweis auf eine “Falschbegutachtung” den Streit verkündet habe, sei der Versuch, den eingenommenen Standpunkt auch im Berufungsrechtszug zu verteidigen, wenig überzeugend. Sofern das Gericht dies für erforderlich halte, möge der Sachverständige sein Gutachten unter Berücksichtigung der Befundberichte der behandelnden Ärztin ergänzen. Unabhängig hiervon müsse bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auch der Umstand berücksichtigt werden, dass der Beklagte mit seiner Weigerung, eine stufenweise Eingliederung des Klägers zu ermöglichen, die Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verletzt habe. Bei Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung wäre diese bereits im Dezember 2008 beendet gewesen, so dass sich jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitraum eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht begründen lasse. Die Einnahme des Medikaments Citalopram stehe jedenfalls der zuletzt ausgeübten Tätigkeit in der Einsatzzentrale nicht entgegen, da hier Fahrtätigkeiten nicht anfielen.
Gründe
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.
I. In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil steht dem Kläger für die Zeiträume vom 01.03. bis 26.03.2009 und vom 09.04. bis 30.04.2009 ein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung zu, und zwar in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gem. § 615 BGB (1). Zugleich rechtfertigt sich das Klagebegehren auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen unzureichender Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 280 BGB i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX (2).
1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht den vom Kläger verfolgten Zahlungsanspruch nach den Regeln des Annahmeverzuges (§ 615 BGB) geprüft und auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens die vom Beklagten erhobenen Bedenken gegen die Arbeitsfähigkeit des Klägers als unbegründet angesehen. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte sind nicht geeignet, die Vollständigkeit und Brauchbarkeit des eingeholten Gutachtens in Frage zu stellen.
a) Soweit der Beklagte auch im zweiten Rechtszuge an seiner Behauptung festhält, der Kläger sei im Anspruchszeitraum weiter arbeitsunfähig für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Sicherheitszentrale gewesen, vermögen die vorgetragenen Einwände gegen das vorliegende Sachverständigengutachten nicht zu überzeugen.
(1) Weder die Tatsache, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig krank war und diese Erkrankung nach Einschätzung der behandelnden Ärztin weiterhin die Einnahme des Medikaments Citalopram erforderlich machte, noch der “Rückfall” des Klägers in der Zeit vom 27.03. bis 08.04.2009 sind geeignet, die vom gerichtlich bestellten Gutachter im Einzelnen begründete Schlussfolgerung in Zweifel zu ziehen, der Kläger sei im streitigen Zeitraum arbeitsfähig gewesen. Berücksichtigt man die gesetzliche Beweislastverteilung und damit die Tatsache, dass nicht die Arbeitsfähigkeit, sondern deren Fehlen zu beweisen ist, bleibt festzuhalten, dass das eingeholte Sachverständigengutachten nicht geeignet ist, den Standpunkt der Beklagten zu stützen.
Der Sachverständige hat bei der Beantwortung der Beweisfrage die Krankengeschichte und die Einnahme des Medikaments Citalopram in seine fachliche Beurteilung einbezogen, ohne dass der Vortrag des Beklagten eine Unrichtigkeit der getroffenen Feststellungen erkennen lässt. Dass der Sachverständige hierbei eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit für einen länger zurückliegenden Zeitraum treffen muss, stellt nichts Ungewöhnliches dar und kann damit keinen durchgreifenden Einwand gegen die Brauchbarkeit des Gutachtens begründen.
(2) Richtig ist zwar, dass der Sachverständige bei seiner Beurteilung allein die aus der Gerichtsakte ersichtlichen ärztlichen Unterlagen und Gutachten, nicht hingegen die Befundberichte der behandelnden Ärztin R1 ausgewertet hat. Hierin kann indessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kein methodischer Mangel der Begutachtung oder eine Unvollständigkeit des Gutachtens gesehen werden, welcher die Ergänzung des Gutachtens erfordert. Nachdem der Beklagte die Richtigkeit der von der behandelnden Ärztin getroffenen Feststellung – Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit – ausdrücklich als “taktisch motiviert” und fehlerhaft angreift, ist nicht ersichtlich, inwiefern der gerichtlich bestellte Sachverständige eben durch Auswertung der zugrundeliegenden ärztliche Aufzeichnungen zu einem für die Beklagte günstigen Begutachtungsergebnis (Feststellung der Arbeitsunfähigkeit) gelangen soll. Derartiges wäre alleinganz für den ungewöhnlichen Fall denkbar, dass zwischen ärztlich attestierter Arbeitsfähigkeit und dokumentiertem Befund ein offensichtlicher Widerspruch läge, welcher nicht nur Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Beurteilung, sondern weitergehend die volle Überzeugung des Gerichts begründen könnte, abweichend vom gutachterlich erhobenen Befund habe im maßgeblichen Zeitpunkt weiterhin Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Auch wenn ein Widerspruch zwischen dokumentiertem Befund und ärztlicher Diagnose nicht in jedem Falle auszuschließen ist – so etwa bei der fehlerhaften Auswertung von Röntgenbildern – , ist für die vorliegende Fallgestaltung einer psychischen Erkrankung zu beachten, dass der behandelnde Facharzt in seinen Unterlagen die von ihm selbst erhobenen Befunde – so über die klare gedankliche Orientierung des Patienten und seine psychische Stabilität – dokumentiert. Dass sich zwischen dem vom Facharzt selbst erhobenen und dokumentierten Befund einerseits und der positiven Feststellung der Arbeitsfähigkeit andererseits ein derart offensichtlicher Widerspruch zeigt, dass hieraus die positive Überzeugung des Gegenteils gewonnen werden kann, erscheint danach als ausgesprochen unrealistisch und kann ohne nähere Anhaltspunkte nicht angenommen werden. Die vom Beklagten für erforderlich gehaltene Beiziehung der Behandlungsunterlagen des behandelnden Arztes erweist sich damit als zur Beweisführung ungeeignet. Träfe den Kläger die Beweislast für das Bestehen von Arbeitsfähigkeit, könnte mit dem Beweisantrag des Beklagten möglicherweise das dem Kläger günstige Sachverständigengutachten zu Fall gebracht werden. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, inwiefern mit der beantragten Beiziehung der – vom Beklagten selbst für unbrauchbar gehaltenen – fachärztlichen Befundunterlagen der Nachweis geführt werden könnte, der Kläger sei abweichend vom gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten jedenfalls im Anspruchszeitraum noch weiterhin arbeitsunfähig krank gewesen.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten scheitert der verfolgte Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn gemäß § 615 BGB auch nicht an dem Umstand, dass der Kläger nicht sämtliche arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten ausüben konnte, sondern – wie zugunsten des Beklagten angenommen wird – jedenfalls Fahrtätigkeiten mit einer Personenbeförderung wegen der Einnahme des Medikaments Citalopram nicht ausführen konnte. Die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Abgrenzung von Vergütungsansprüchen aus Annahmeverzug und Ansprüchen auf Schadensersatz betrifft, wie der Beklagte selbst ausführt, den Fall, dass der Arbeitnehmer die ihm aufgrund des Direktionsrechts zugewiesene Tätigkeit nicht ausüben kann, jedoch im Rahmen der vertraglich geschuldeten Tätigkeit eine andere, leidensgerechte Tätigkeit ausüben könnte. Für diesen Fall scheitert nach dem Standpunkt des Bundesarbeitsgerichts ein Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn daran, dass der Arbeitnehmer die ihm kraft Direktionsrechts konkret zugewiesene Tätigkeit nicht ausüben kann. Die in § 296 BGB vorausgesetzte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers beschränkt sich auf die Bereitstellung der Beschäftigungsmöglichkeit am zugewiesenen Arbeitsplatz. Hiervon zu unterscheiden ist die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer im Rahmen billigen Ermessens einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz zuzuweisen. Der Verstoß gegen diese Verpflichtung begründet keinen Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn, sondern führt zur Verpflichtung zum Schadensersatz (so bereits LAG Hamm, 14.01.1999, LAGE § 14 SchwbG 1986 Nr.2; BAG, 23.01.2001, NZA 2001,1020).
Zu Unrecht folgert der Beklagte aus der zitierten Entscheidung des BAG, dass der Anspruch auf Zahlung von Verzugslohn eine Leistungsfähigkeit für sämtliche, nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages geschuldete Tätigkeiten voraussetzt. So wie die Frage der Arbeitsunfähigkeit auf die konkret zugewiesene Tätigkeit (und nicht auf sämtliche vertragliche zuweisbaren Tätigkeiten) bezogen ist und der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht nach Maßgabe des weit gefassten Arbeitsvertrages, sondern allein für die ihm zugewiesene Tätigkeit anbieten kann, weil der Inhalt der Arbeitspflicht durch die Ausübung des Weisungsrechts konkretisiert worden ist, kommt es bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung darauf an, ob der Kläger die ihm vor der Erkrankung zugewiesene Tätigkeit in der Notrufzentrale ausüben kann. Hierzu gehört unstreitig nicht die Erledigung von Fahrdiensten oder gar der Personenbeförderung. Dass der Beklagte nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages berechtigt wäre, dem Kläger auch eine Fahrtätigkeit oder Personenbeförderung zuzuweisen, ist für die Abgrenzung von Verzugslohnansprüchen und Ansprüchen auf Schadensersatz ohne Belang. Dementsprechend hat das Arbeitsgericht zu Recht das Begehren des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges beurteilt.
c) Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Beschäftigung des Klägers in der Notrufzentrale auch nicht unzumutbar, weil sie berechtigte Sicherheitsbedenken hegte und vom Kläger zu Recht eine Mitwirkung bei der Klärung seiner Arbeitsfähigkeit verlangen konnte.
(1) Unstreitig hat sich der Kläger schon im Zusammenhang mit dem Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 21.08.2008 (Bl. 12 d. A.) – also weiträumig vor dem streitgegenständlichen Zeitraum – bereit erklärt, sich untersuchen zu lassen und allein die Durchführung eines Drogentestes verweigert, da insoweit keine erkennbaren Gründe angegeben seien. Dass sich die Untersuchung durch das Werksarztzentrum sodann bis zum Monat März 2009 hingezogen hat, ist ersichtlich nicht dem Kläger anzulasten. In Anbetracht der gegensätzlichen ärztlichen Stellungnahmen – behandelnde Ärztin und medizinischer Dienst der Krankenkasse einerseits, Untersuchungsbericht des Werksarztzentrums andererseits – verblieb es zwar aus Sicht der Beklagten bei der bestehenden Unsicherheit. Hieraus folgt jedoch nicht die Berechtigung des Beklagten, dauerhaft die Beschäftigung des Klägers bzw. die Annahme der angebotenen Arbeitsleistung zu verweigern. Vielmehr muss der Beklagte das Risiko tragen, dass sich im Nachhinein – im Zuge des gerichtlichen Verfahrens – die Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in der Notfallzentrale nicht haben bestätigen lassen. Im Übrigen hätte der Beklagte bei zügiger und sachgerechter Vorgehensweise noch weit vor dem streitgegenständlichen Zeitraum eine zuverlässigere Klärung der Fragestellung erreichen können, als dies mit der verzögert eingeholten und ausgesprochen knappen Stellungnahme des Werksarztzentrums versucht worden ist.
(2) Etwas anderes ergibt auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger keine umfassende Schweigepflichtsentbindung zugunsten des Beklagten abgegeben, sondern sich allein damit einverstanden erklärt hat, dass das Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen dem Beklagten mitgeteilt wird. Zu Unrecht beruft sich der Beklagte für ihren gegenteiligen Standpunkt auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der Entgeltfortzahlung bei Fortsetzungserkrankungen. Richtig ist zwar, dass der Arbeitnehmer, welcher bei erneuter Erkrankung vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung verlangt, dem Arbeitgeber diejenigen Tatsachen offenlegen muss, welche die Beantwortung der Frage ermöglichen, inwiefern frühere und erneute Erkrankung “dieselbe” Krankheit darstellen. Dies wird regelmäßig nur bei konkreter Benennung der maßgeblichen Diagnose möglich sein. Demgegenüber geht es sowohl beim Streit um die Frage der Arbeitsunfähigkeit als auch bei der hier maßgeblichen Frage der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht unmittelbar um die zugrundeliegende Erkrankung, sondern um deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit. Besteht hierüber Streit, genügt es regelmäßig den Interessen des Arbeitgebers, dass sich der Arbeitnehmer der vom Arbeitgeber geforderten Untersuchung durch den Werksarzt unterzieht. Verweigert der Arbeitnehmer eine solche Untersuchung, so mag dies je nach den Umständen den Arbeitgeber berechtigen, Beschäftigung und Vergütungszahlung zu verweigern mit der Folge, dass der Arbeitnehmer auch dann keine Arbeitsvergütung zu beanspruchen hat, wenn sich im Nachhinein die vom Arbeitgeber geäußerten Sicherheitsbedenken als unbegründet herausstellen. Hat sich demgegenüber der Arbeitnehmer der geforderten werksärztlichen Untersuchung unterzogen, besteht für ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers keine Grundlage. Hält die durchgeführte werksärztliche Untersuchung einer fachlichen Überprüfung nicht stand, trifft den Arbeitgeber das Vergütungsrisiko.
d) Der Höhe nach sind gegen die Berechnung der Klageforderung Bedenken nicht zu erkennen. Zinsen stehen dem Kläger seit Rechtshängigkeit zu.
2. Unabhängig von der Frage des Annahmeverzuges kann der Kläger seinen Anspruch im Übrigen auch auf die Vorschriftender §§ 280, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 84 Abs.2 SGB IX stützen. Zutreffend hat der Kläger darauf hingewiesen, dass sowohl die behandelnde Ärztin als auch das Werksarztzentrum eine stufenweise Wiedereingliederung vorgeschlagen hatten, um auf diesem Wege die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zu fördern.
a) Auch wenn die Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung während bestehender Arbeitsunfähigkeit erfolgt und dementsprechend den Arbeitgeber während dieses Zeitraums keine Beschäftigungs- und Vergütungspflicht trifft und die sozialrechtlichen Vorschriften weder einen klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung noch eine diesbezügliche sozialrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers begründen (Rose/Ghorai, BB 2011,949,951), steht dem Arbeitgeber in arbeitsrechtlicher Hinsicht die Entscheidung nicht frei, sich auf eine ärztliche empfohlene stufenweise Wiedereingliederung einzulassen oder nicht. Wie sich aus der Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX ergibt, trifft den Arbeitgeber unter den dort genannten Voraussetzungen die Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Ziel dieser Maßnahme ist die Suche nach Möglichkeiten, dem länger oder häufiger erkrankten Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu erhalten und geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Zu denjenigen Maßnahmen, welche im Zuge eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zur Verfügung stehen, gehört auch die stufenweise Wiedereingliederung (Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, § 84 Rn 60). Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements oder der in diesem Zuge als geeignet in Betracht kommenden Maßnahmen, so zieht dies eine Verpflichtung zum Schadensersatz gemäß § 280 BGB nach sich (Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 3. Aufl., § 84 Rn 89 m.w.N.; vgl. auch Kamanabrou in Dornbusch/Fischermeier/Löwisch 2. Aufl., § 611 BGB Rn 335). Soweit demgegenüber eingewandt wird, es fehle an einer nebenvertraglichen Rechtspflicht, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen begründen könne, da das BEM lediglich ein Verfahren zur Suche nach bestehenden Möglichkeiten darstelle, überzeugt dies nicht. Allein die Tatsache, dass § 84 SGB IX selbst keine Rechtsfolgenregelung umfasst, rechtfertigt nicht die Annahme einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit eines Gesetzesverstoßes. In Übereinstimmung mit Düwell (a.a.O.) und von Seggern (in Däubler/Hjort/Hummel/Wolmerath, Arbeitsrecht, § 84 SGB IX Rn 5) dient § 84 Abs. 2 SGB IX dem Schutz länger erkrankter Arbeitnehmer vor nachteiligen Auswirkungen auf die Möglichkeit der Beschäftigung und stellt damit zugleich ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB dar.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten standen der Durchführung der ärztlicherseits empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme keine unabweisbaren Sicherheitsbedenken entgegen. Auch wenn nachvollzogen werden kann, dass der Beklagte dem Kläger eine alleinverantwortliche Tätigkeit in der Notdienstzentrale während der noch fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht zutraute, war damit die Möglichkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung nicht ausgeschlossen. Unstreitig ist die Notdienstzentrale mit mehreren Arbeitnehmern besetzt, so dass eine Überwachung der Aufgabenerledigung möglich war und für den Fall, dass sich der Kläger der Aufgabenstellung nicht als gewachsen gezeigt hätte, Eingriffsmöglichkeiten bestanden. Darüber hinaus folgt aus der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, dass sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken kann, eine dem aktuellen Gesundheitszustand des Arbeitnehmers angepasste und damit ggfls. hinsichtlich der übertragenen Verantwortung eingeschränkte anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu suchen. Vielmehr soll mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement in erster Linie das Ziel erreicht werden, dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, durch geeignete organisatorische Maßnahmen die Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit zu fördern, soweit dies den Umständen nach möglich und zumutbar erscheint. Soweit also der Kläger seine frühere Tätigkeit im Rahmen der ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung mit Rücksicht auf die besonderen Sicherheitsbedenken nur unter Aufsicht durchführen konnte, kann der Beklagte nicht mit dem allgemeinen Einwand durchdringen, er sei zu einer solchen Maßnahme schon im Grundsatz nicht verpflichtet. Inwiefern der mit der Beaufsichtigung des Klägers für die Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung verbundene Aufwand aus tatsächlichen Gründen nicht zu leisten oder wirtschaftlich nicht tragbar gewesen sei, lässt sich dem Vorbringen des Beklagten auch nicht ansatzweise entnehmen.
c) Allein aus dem Verstoß des Beklagten gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines effektiven betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements folgt allerdings nicht zwingend, dass der Kläger hierdurch die Arbeitsfähigkeit zum Zeitpunkt der vorgesehenen Beendigung der Wiedereingliederungsmaßnahme bzw. im hier maßgeblichen Anspruchszeitraum wiedererlangt hätte. Auch wenn die Beweislast für die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs beim Anspruchsteller liegt und dementsprechend der Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidrigem Unterlassen der Wiedereingliederungsmaßnahme und der verzögerten Genesung den Kläger trifft, wäre es zumindest Sache des Beklagten, Anhaltspunkte dafür zu benennen, dass die vorgeschlagene stufenweise Wiedereingliederung etwa wegen der Besonderheiten des Krankheitsbildes oder aus sonstigen Gründen ohnehin nicht geeignet war, eine zeitnahe Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit bzw. eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ab dem Monat März 2009 zu bewirken. Letztlich beruft sich der Beklagte allein auf die Unzumutbarkeit der Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme und behauptet, die Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe noch im April 2009 angedauert. Dass der Kläger bei zeitgerechter Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung noch im Jahre 2008 auch noch im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig gewesen wäre, weil ohnehin keinerlei Besserungsaussichten bestanden hätten und der Versuch einer Wiedereingliederung medizinisch sinnlos gewesen sei, behauptet der Beklagte weder ausdrücklich, noch lässt sich dies aus der Art der Erkrankung und dem weiteren Geschehensablauf herleiten.
d) Auf dieser Grundlage kann der Kläger die Zahlung von Arbeitsvergütung für die Monate März und April 2009 unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes selbst dann verlangen, wenn er – wie der Beklagte behauptet – weiterhin als arbeitsunfähig anzusehen war.
II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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