LAG Hamm, Urteil vom 07.10.2009 – 2 Sa 955/09

Oktober 14, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 07.10.2009 – 2 Sa 955/09

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 14.05.2009 – 6 Ca 1496/09 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der unstreitig bestehende Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers in Höhe von 9.967,00 Euroals Masseforderung einzuordnen oder nur als Insolvenzforderung zu berichtigen ist.
Der Kläger war bei der W3 & T2 AG, über deren Vermögen am 01.06.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, seit dem 01.6.1997 als kaufmännischer Angestellter gegen einen monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 5.203,00 Eurotätig.
Das zuständige Insolvenzgericht bestellte den Beklagten am 03.09.2007 zunächst zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. Durch Beschluss vom 21.05.2007 wurde der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Mit Schreiben vom 29.05.2007 stellte der Beklagte dem Kläger unter Anrechnung etwaiger Urlaubsansprüche unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Der Bitte des Klägers, das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2007 aufzulösen, stimmte der Beklagte zu. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.05.2007 stand dem Kläger streitlos ein Urlaubsabgeltungsanspruch für 57,5 Urlaubstage in Höhe der Klageforderung zu.
Der Kläger meint, es handele sich bei seinem Urlaubsabgeltungsanspruch um eine Masseforderung, weil er seine Arbeitsleistung bis zum 31.05.2007 erbracht und der Beklagte sie als starker vorläufiger Insolvenzverwalter in Anspruch genommen habe. Weil der Beklagte der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt habe, sei die Urlaubsabgeltungsforderung aus der Masse zu zahlen.
Demgegenüber vertritt der Beklagte den Standpunkt, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei eine Masseforderung und keine Masseverbindlichkeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 14.05.2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger könne seinen unstreitig bestehenden Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht im Wege der Leistungsklage verfolgen, denn es handele sich dabei um einen Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO. Die Leistungsklage sei unzulässig. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch sei nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Insolvenzeröffnung als Masseschuld gemäß § 55 InsO zu vergüten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter. Zur Begründung des Rechtsmittels trägt er vor, dass Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Beklagte in seiner Funktion als starker Insolvenzverwalter seine Arbeitsleistung in Anspruch genommen habe und das Arbeitsverhältnis erst nach Bestellung des Beklagten zum starken Insolvenzverwalter beendet worden sei. Durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wandele sich der Urlaubsanspruch in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um, der nunmehr als sonstige Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 2 InsO entstanden sei. Bei seiner Weiterbeschäftigung hätte der Beklagte von seinen insgesamt noch bestehenden Urlaubsansprüchen gewusst. Seine erarbeiteten Urlaubsansprüche habe er in Kauf genommen.
Der Beklagte beantragt,
die klägerseits eingelegte Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 14.05.2009 – 6 Ca 1496/09 – zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit überzeugender Begründung abgewiesen.
I.
Der Zulässigkeit der Berufung steht zunächst nicht entgegen, dass sie entgegen § 520 III Nr. 1 ZPO keinen ausdrücklichen Berufungsantrag enthält. Der Berufungsschrift und der Berufungsbegründung ist in einer für das Gericht und den Gegner erkennbaren Weise zu entnehmen, dass der Kläger an der Weiterverfolgung seines in erster Instanz gestellten Zahlungsantrags festhält. Besteht wie hier kein Zweifel am Berufungsbegehren des Klägers, führt die unterbliebene Stellung eines Berufungsantrags nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit der Berufung (BGH vom 12.07.1995 – IV ZR 369/94, NJW-RR 1995, 1469; BGH vom 20.07.2005 – XII ZR 155/04, NJW-RR 2005, 1659).
II.
In der Sache selbst ist dem Arbeitsgericht in vollem Umfang beizupflichten. Der Kläger kann seinen unstreitig bestehenden Urlaubsabgeltungsanspruch nicht im Wege einer Leistungsklage verfolgen, weil es sich dabei nicht um eine Masseforderung i. S. v. § 55 InsO handelt.
1. Allerdings können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche Masseforderungen sein, auch wenn sie wie hier aus Kalenderjahren vor der Insolvenzeröffnung stammen (BAG vom 15.02.2005 – 9 AZR 78/04, NZA 2005, 1124). Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen die vom Schuldner begründeten Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse nach Insolvenzeröffnung fort. Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Arbeitnehmer gemäß § 108 Abs. 3 InsO aber nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Urlaubsansprüche fallen darunter nicht, denn sie sind auf Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung der Bezüge gerichtet, nicht von einer Arbeitsleistung im Kalenderjahr abhängig und werden nicht monatlich verdient. Deshalb können Urlaubsansprüche nicht in einen vor und nach Insolvenzeröffnung erarbeiteten oder erdienten Teil aufgespalten
werden (BAG vom 25.03.2003 – 9 AZR 174/02, NZA 2004, 43). Wird das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet, ist der Urlaubsabgeltungsanspruch Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative InsO.
2. Vorliegend ist das Arbeitsverhältnis aber vor Insolvenzeröffnung streitlos am 31.05.2007 beendet worden. Der zu diesem Zeitpunkt entstandene Anspruch auf Urlaubsabgeltung kann daher nur als einfache Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO berichtigt werden. Daran ändert nichts, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Klägers noch bis zum 31.05.2007 in Anspruch genommen hat. Es handelt sich bei dem Urlaubsanspruch nicht um eine vom Beklagten begründete Verbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO, denn der auf Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge gerichtete Urlaubsanspruch wandelt sich bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Gesetzes wegen gemäß § 7 Abs. 4 BurlG in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um, da bestehende Urlaubsansprüche nicht mehr durch Freizeit erfüllt werden können (Hk-BurlG/Goretzki, § 7 Rdnr. 53). Der Urlaubsabgeltungsanspruch wird gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur dann für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet, wenn das Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden ist (vgl. im Einzelnen Düwell/Pulz, Urlaubsansprüche in der Insolvenz, NZA 2008, 786). Zutreffend hat bereits das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der Urlaubsanspruch nicht für bestimmte Zeitabschnitte verdient wird und deshalb auch nicht als Gegenleistung für die vom Kläger im Zeitraum 21.05.2007 bis 31.05.2007 erbrachten Arbeitsleistungen angesehen werden kann. Der Abgeltungsanspruch ist nicht durch eine Handlung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist tatbestandliche Voraussetzung für die Umwandlung des Urlaubsanspruchs in einen Abgeltungsanspruch, sodass auch durch die Zustimmung des Beklagten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.05.2007 keine Verbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet wird. Da die Berufung insoweit keine neue Begründung enthält, wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
III.
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
Für die Zulassung der Berufung bestand keine Veranlassung, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.

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