LAG Hamm, Urteil vom 09.12.2010 – 16 Sa 1209/10

September 1, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 09.12.2010 – 16 Sa 1209/10

Die urlaubsrechtlichen Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie stellen kein vom Gesetzesrecht losgelöstes eigenständiges tarifliches Urlaubsregime, das dazu führt, dass der tarifliche Mehrurlaub eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers erlischt und nicht abzugelten ist, dar.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 11.06.2010 – 1 Ca 194/10 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung.
Der am 15.04.1950 geborene Kläger war seit dem 04.08.1975 bei der Beklagten als Energieanlagenelektroniker beschäftigt. Seit 1996 ist die Schwerbehinderung des Klägers festgestellt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 17,26 € brutto bei einer Arbeitszeit von 168 Stunden im Monat. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie Anwendung.
In der Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2010 befand sich der Kläger in Altersteilzeit mit einer Arbeitsphase vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2007 und anschließender Freistellungsphase. Seit Mitte August 2007 war der Kläger über das Ende der Arbeitsphase hinaus arbeitsunfähig krank. Im Jahre 2007 hatte der Kläger 21 Tage Urlaub genommen. Bei einem Jahresurlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen und fünf Arbeitstagen Zusatzurlaub aufgrund seiner Schwerbehinderung betrug der anteilige Urlaub des Klägers für das Jahr 2007 30 Arbeitstage. Für neun Urlaubstage errechnet sich ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 1.087,38 euro;. Urlaub in Höhe von neun Arbeitstagen waren in der Entgeltabrechnung für den letzten Beschäftigungsmonat des Klägers neben sogenannten AZV-Tagen ausgewiesen. Bei einer persönlichen Vorsprache im Lohnbüro nach seinem letzten Beschäftigungsmonat wies der Kläger darauf hin, dass ihm diese Ansprüche noch zuständen. Er erhielt hierauf von dem zuständigen Mitarbeiter, nachdem dieser sich erkundigt hatte, die Auskunft, dass die AZV-Tage beglichen würden, die Urlaubsansprüche aber verwirkt seien. Mit seiner Entgeltabrechnung für den Monat November 2007 wurden dem Kläger die AZV-Tage ausgezahlt, seine Urlaubstage wurden in dieser Abrechnung auf Null gesetzt. Der Kläger, dem die erteilte Auskunft durch seine Gewerkschaft bestätigt wurde, akzeptierte dies zunächst. Erst mit Schreiben vom 08.08.2009 hat der Kläger die Abgeltung der neun Urlaubstage gefordert unter Hinweis auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009 in der Sache S1-H1. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29.09.2009 (Bl. 12 d.A.) ab. Mit seiner am 09.12.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger diesen Anspruch weiter.
Im Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie vom 15.03.1989 in der Fassung vom 05.03.1997 (MTV-Stahl) finden sich die folgenden Urlaubsregelungen (Bl. 14 bis 18 d.A.):
“…
§ 12
Grundsätze der Urlaubsgewährung
1. Jeder Arbeitnehmer hat nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
2. Für jugendliche Arbeitnehmer gilt die Urlaubsregelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Jedoch gilt § 14 Ziff. 1 dieses Tarifvertrages.
3. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
4. Der Urlaub soll der Erholung dienen. Der Arbeitnehmer darf während der Urlaubszeit keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit ausüben.
Unter Beachtung des Grundsatzes von Abs. 1 Satz 1 soll bei Urlaubsteilung – bei einem Urlaubsanspruch von mehr als 15 Arbeitstagen – einer der Urlaubsteile mindestens 15 aufeinanderfolgende Arbeitstage umfassen. Davon kann abgewichen werden, wenn das Interesse des Arbeitnehmers oder die Belange des Betriebs dies erforderlich machen.
5. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur zulässig, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Urlaubsansprüche bestehen.
6. Eine Rückvergütung für bereits genommenen Urlaub kann nicht verlangt werden.
7. Die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze (z.B. Betriebsurlaub) ist durch Betriebsvereinbarung bis spätestens 4 Wochen vor Beginn des Urlaubsjahres zu vereinbaren.
Der Urlaubsplan ist so frühzeitig wie möglich durch Betriebsvereinbarung festzulegen.
Persönliche Wünsche der Arbeitnehmer hinsichtlich der zeitlichen Lage ihres Urlaubs sind nach Möglichkeit zu berücksichtigen.
Die Mitbestimmung des Betriebsrates erstreckt sich auch auf die Festlegung der zeitlichen Lage des Urlaubs gemäß Betriebsverfassungsgesetz.
Protokollnotiz zu § 12:
Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Rechtsnatur des Urlaubs eine Vererblichkeit des Anspruchs im Todesfall des Arbeitnehmers ausschließt.
In diesem Fall ist eine soziale Beihilfe in entsprechender Höhe an die nach § 19 Berechtigten zu gewähren. Bei mehreren Anspruchsberechtigten kann der Arbeitgeber mit befreiender Wirkung an einen der Anspruchsberechtigten zahlen.
§ 13
Allgemeine Urlaubsbestimmungen
1. (gegenstandslos)
2. Der Zeitpunkt des Urlaubs richtet sich nach dem aufgestellten Urlaubsplan. Soweit kein Urlaubsplan besteht, kann der Urlaubsanspruch, abgesehen vom Eintrittsjahr, ab 1. April in voller Höhe geltend gemacht werden.
3. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer gegen den alten und neuen Arbeitgeber auf so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs Anspruch, als er Monate bei ihnen gearbeitet hat (Beschäftigungsmonate). Ein angefangener Monat wird voll gerechnet, wenn die Beschäftigung mindestens 10 Kalendertage bestanden hat. Dieser Anspruch kann bei Eintritt bis zum 31. Mai nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit, bei Eintritt nach dem 31. Mai ab 1. Dezember geltend gemacht werden.
Für eine Beschäftigung bis zu zwei Wochen besteht kein Urlaubsanspruch.
4. Ergeben sich bei dem anteiligen Urlaubsanspruch Bruchteile von Tagen, so werden Bruchteile von weniger als einem halben Tag nicht berücksichtigt. Bruchteile von einem halben Tag und mehr werden auf volle Tage aufgerundet.
5. Ein Urlaubsanspruch besteht insoweit nicht, als dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr bereits von einem anderen Arbeitgeber Urlaub gewährt oder abgegolten worden ist. Beim Ausscheiden aus dem Betrieb ist dem Arbeitnehmer ein Nachweis über seine Urlaubsverhältnisse zu erteilen. Dieser Nachweis ist im neuen Betrieb dem Arbeitgeber vorzulegen.
6. In den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren ist der volle Jahresurlaub zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird.
7. Für Beschäftigte, die wegen Erhalts einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Betrieb ausscheiden, gilt § 13 Ziff. 3 Abs. 1. **)
**) § 13 Ziff. 7 mit Wirkung vom 01.01.1998 geändert durch Tarifvertrag vom 05.03.1997
Bis zum 31.12.1997 gilt folgende Fassung:
Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Betrieb ausscheiden, haben – unabhängig vom Termin ihres Ausscheidens – Anspruch auf den vollen Jahresurlaub.
8. Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, den Arbeitgeber über seine Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
Wird dem Beschäftigten von einem Träger der Sozialversicherung, einer Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation gewährt, so dürfen die hierauf entfallende Zeit sowie eine ärztlich verordnete Schonungszeit im Anschluss daran auf den Urlaub nicht angerechnet werden. ***)
9. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass der Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.
Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, erlischt der Urlaubsanspruch zwölf Monate nach Ablauf des Übertragungszeitraums nach Abs. 1. ****)
****) § 13 Ziff. 9 mit Wirkung vom 01.01.1998 geändert durch Tarifvertrag vom 05.03.1997.
Bis zum 31.12.1997 gilt folgende Fassung:
Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass der Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte.
§ 14
Urlaubsdauer
1. Der Urlaub beträgt 30 Arbeitstage im Kalenderjahr.
Aufgrund des Schwerbehindertengesetzes erhalten Schwerbehinderte einen zusätzlichen Urlaub.
2. Arbeitnehmer, die 2/3 ihres Urlaubs in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. März nehmen, erhalten einen Urlaubstag zusätzlich.
3. Arbeitstage sind Kalendertage, an denen der Arbeitnehmer in regelmäßiger Arbeitszeit zu arbeiten hat.
Auch wenn die regelmäßige Arbeitszeit auf mehr oder weniger als fünf Tage in der Woche – gegebenenfalls auch im Durchschnitt mehrerer Wochen – verteilt ist, gelten fünf Tage je Woche als Arbeitstage. Gesetzliche Feiertage, die in den Urlaub fallen, werden nicht als Urlaubstage gerechnet. Arbeitnehmer in Betrieben, in denen in regelmäßiger Wechselschicht kontinuierlich gearbeitet wird, sowie Teilzeitbeschäftigte haben unter Beachtung der jeweiligen Schichtpläne einen Urlaubsanspruch, der dem Urlaub eines Arbeitnehmers entspricht, der im Ein-Schicht-Betrieb an fünf Tagen in der Woche regelmäßig beschäftigt wird.
4. Die Dauer des Urlaubs wird durch Kurz- oder Mehrarbeit des Betriebes nicht beeinflußt.
§ 15
Urlaubsentgelt
1. Während des Urlaubs ist der regelmäßige Arbeitsverdienst (§ 20) weiterzuzahlen.
2. Auf Wunsch des Arbeitnehmers ist vor Antritt des Urlaubs ein entsprechender Abschlag auf das bis Urlaubsantritt erarbeitete Arbeitsentgelt sowie auf das Urlaubsentgelt zu zahlen, sofern der Urlaub mindestens zwei Wochen umfaßt.
…”
Darüber hinaus enthält der Tarifvertrag über Altersteilzeit vom 20.06.2000 in § 7 Abs. 3 die folgende Regelung:
“Während der Arbeitsphase erworbener Urlaub ist grundsätzlich während der Arbeitsphase zu nehmen, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte. In diesem Fall ist der Resturlaub im ersten Monat der Freistellungsphase abzugelten.
Urlaubsansprüche in der Freistellungsphase gelten mit der Freistellung als erfüllt.”
Nach § 22 MTV-Stahl sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen. Sie sind verwirkt, wenn sie nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, es sei denn, dass der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Fristen einzuhalten. Bleibt die Geltendmachung erfolglos, so tritt der Ausschluss nicht ein, es wird vielmehr auf die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Ziffer 9 BGB verwiesen.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die vom Europäischen Gerichtshof und dem Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zum Erhalt von Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankungen im vorliegenden Fall für den gesetzlich garantierten Mindesturlaub wie auch für den darüber hinausgehenden tarifvertraglichen Urlaub anwendbar seien. Im Übrigen sei der übergesetzliche tarifvertragliche Urlaub zuerst gewährt worden, sodass es sich bei den restlichen neun Tagen um gesetzlich garantierten Mindesturlaub handele.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.087,38 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf verwiesen, dass der Resturlaubsanspruch des Klägers aufgrund der einschlägigen tarifvertraglichen Regelung spätestens mit Ablauf des 31.03.2009 verfallen sei. Das Tarifwerk der Eisen- und Stahlindustrie enthalte gegenüber dem Gesetz eigenständige Urlaubsregelungen. Bei den gewährten 21 Urlaubstagen handele es sich um den dem Kläger anteilig für das Jahr 2007 zustehenden gesetzlichen Urlaub.
Durch Urteil vom 11.06.2010 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass der Urlaubsanspruch nicht gemäß § 13 Ziffer 9 MTV-Stahl verfallen sei, da der Kläger nicht die tatsächliche Möglichkeit gehabt habe, den Urlaub vollständig zu nehmen. Für dieses Ergebnis könne dahinstehen, ob es sich bei den urlaubsrechtlichen Regelungen in den Tarifverträgen der Eisen- und Stahlindustrie um ein eigenständiges Regelungswerk handele und der übergesetzliche Urlaub auch im Falle von Langzeiterkrankungen verfallen könne. Denn die Beklagte habe, indem sie dem Kläger im Jahre 2007 21 Urlaubstage gewährt habe, zunächst den übergesetzlichen und erst dann – teilweise – den gesetzlichen Urlaub erfüllt, sodass dieser allein noch offen sei. Dies ergebe sich aus der Regelung des § 366 Abs. 2 BGB. Sei bei der Gewährung des Urlaubs keine Tilgungsbestimmung getroffen worden, so sei nach der Rangfolge des § 366 Abs. 2 BGB eine Differenzierung nach dem Grad der “Sicherheit” vorzunehmen. Nach der Änderung der Rechtsprechung sei der übergesetzliche Anspruch jedoch der “unsicherere”.
Gegen dieses ihr am 02.07.2010 zugestellte Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat die Beklagte am 29.07.2010 Berufung eingelegt und diese am 31.08.2010 begründet.
Unter Verweis insbesondere auf die tarifliche Regelung des § 13 Nr. 9 MTV-Stahl wiederholt sie ihre Ansicht, dass eine deutliche Unterscheidung zwischen den tarifvertraglichen und gesetzlichen Urlaubsansprüchen bestehe und deshalb der übergesetzliche tarifvertragliche Urlaub aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Urlaubsnahme infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen sei. Außerdem beruft sie sich darauf, dass das Arbeitsgericht außer Acht gelassen habe, dass eine Tilgungsbestimmung nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent getroffen werden könne. Diese könne sich insbesondere aus der Interessenlage des Schuldners ergeben. Ihr habe es vorrangig nur darum gehen können, diejenigen Ansprüche zu erfüllen, die als gesetzliche Mindestansprüche im Unterschied zu den tarifvertraglichen (Mehr)ansprüchen von Rechts wegen keinem Verfall unterlägen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 11.06.2010, Az.: 1 Ca 194/10, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass eine konkludente Erklärung der Beklagten aus der bloßen Interessenlage ohne entsprechendes schlüssiges Verhalten nicht angenommen werden könne. Dies widerspräche der in § 366 Abs. 2 BGB getroffenen Regelung, wonach dann, wenn der Schuldner keine Bestimmung getroffen habe, unter mehreren fälligen Schulden diejenige getilgt werde, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit biete. Es sei nicht zulässig, ohne ein dahingehendes schlüssiges Verhalten anzunehmen, dass gerade die Schuld getilgt werden solle, die dem Gläubiger die größere Sicherheit biete.
Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass ein Anspruch des Klägers auf Abgeltung seines Resturlaubs von neun Urlaubstagen aus dem Jahre 2007 besteht. Dieser Anspruch ist nicht deshalb verfallen, weil der Kläger ihn wegen seiner Arbeitsunfähigkeit in der Arbeitsphase seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses und darüber hinaus nicht hat nehmen können.
1) Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers richtet sich ausschließlich nach § 7 Abs. 4 BUrlG i.V.m. § 12 Abs. 5 MTV-Stahl. § 7 Abs. 4 BUrlG gilt für tarifliche Ansprüche, wenn die Tarifvertragsparteien keine abweichenden Regelungen getroffen haben. § 12 Abs. 5 MTV-Stahl entspricht inhaltlich der gesetzlichen Vorschrift. Danach ist die Abgeltung des Urlaubsanspruchs nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig. Dies gilt grundsätzlich auch für Altersteilzeit im Blockmodell (vgl. BAG vom 15.03.2005, 9 AZR 143/04, NZA 2005, 994).
Im vorliegenden Fall haben die Tarifvertragsparteien freilich eine vom gesetzlichen Modell abweichende Regelung vereinbart. § 7 Abs. 3 TV ATZ vom 20.06.2000 sieht wie § 9 Abs. 2 des Arbeitsvertrages beim Übergang von Arbeits- in die Freistellungsphase unter bestimmten Voraussetzungen die Abgeltung eines aus der Arbeitsphase noch vorhandenen Resturlaubs vor. Der Kläger befand sich zwar seit dem 01.11.2007 in der Freistellungsphase seiner Altersteilzeit. Er besaß zu diesem Zeitpunkt noch einen Resturlaubsanspruch aus der Arbeitsphase. Die Abgeltung dieses Anspruchs konnte er im November 2007 jedoch schon deshalb nicht verlangen, weil die tariflichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt waren. Die mögliche Urlaubsabgeltung im ersten Monat der Freistellungsphase ist davon abhängig, dass der in der Arbeitsphase erworbene Urlaubsanspruch entweder erfolglos geltend gemacht wurde oder aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte. Der Kläger konnte seinen Resturlaub von neun Tagen aber wegen seiner seit Mitte August über das Ende der Arbeitsphase hinaus anhaltenden Arbeitsunfähigkeit, also aus in seiner Person liegenden Gründen, nicht realisieren. Über ihren Wortlaut hinaus kann die tarifliche Bestimmung ebenso wie die arbeitsvertragliche Regelung nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie in den Fällen, in denen aus Erwägungen, wie sie nach der Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an die Entscheidung S1-H1 des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009 anzustellen sind, nunmehr zum Zuge kommt. An diesen von der Kammer zunächst angestellten Überlegungen wird nicht festgehalten. Die Auslegung des Tarifvertrages ließe ein solches Ergebnis nicht zu. Ihm steht sowohl der Wortlaut als auch der systematische Zusammenhang als auch die Tarifgeschichte entgegen. Erkennbar ist vielmehr, dass die tariflichen Urlaubsregelungen – §§ 12 bis 14 MTV-Stahl und § 7 Abs. 3 TV ATZ – auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts konzipiert worden sind.
2) Allerdings lässt der erste Halbsatz des § 7 Abs. 3 Satz 1 TV ATZ Spielraum für eine weite Auslegung, indem lediglich “grundsätzlich” festgelegt wird, dass in der Arbeitsphase erworbener Urlaub auch während der Arbeitsphase zu nehmen sei. In welchen Fällen dieser allgemeine Grundsatz durchbrochen wird, ist jedoch im zweiten Halbsatz ausdrücklich dahingehend beschrieben, dass er entweder erfolglos geltend gemacht wurde oder aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte. Dies entspricht § 13 Abs. 9 MTV-Stahl, der den Fall des Erlöschens von Urlaubsansprüchen regelt und die Ausnahmen hiervon zunächst wortgleich festgelegt hat. Allerdings kann ein “erfolglos geltend” gemachter Urlaub auch an einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gescheitert sein. Andererseits ist in § 13 Abs. 9 MTV-Stahl jedoch der wegen Krankheit nicht genommene Urlaub ausdrücklich geregelt, und zwar dahingehend, dass für ihn ein längerer Übertragungszeitraum als drei Monate gilt, nämlich zwölf weitere Monate. Hieraus wird erkennbar, dass diese Fälle nicht als solche angesehen werden, in denen ein Urlaub erfolglos geltend gemacht wurde, was im Übrigen in der bis zum 31.12.1997 gültigen Fassung des § 13 Abs. 9 MTV-Stahl deutlich zum Ausdruck gekommen war. In dieser Fassung stand der Fall eines wegen Krankheit nicht genommenen Urlaubs neben den anderen Ausnahmen. Wird des Weiteren der im Arbeitsleben übliche Sprachgebrauch berücksichtigt, so ist unter “erfolglos geltend gemacht” zu verstehen, dass ein Recht beansprucht, dies jedoch von der Gegenpartei nicht anerkannt wurde. Im Urlaubsrecht können in solchen Fällen Urlaubsersatzansprüche ausgelöst werden. Diese komplizierten rechtlichen Zusammenhänge sind in beiden tariflichen Regelungen dahingehend aufgebrochen worden, dass in solchen Fällen ein Urlaubsanspruch bestehen bleibt, ohne dass weitere Voraussetzungen, wie sie bei Urlaubsersatzansprüchen in Betracht kommen, erfüllt sein müssen.
II
Der bei Beendigung der Arbeitsphase am 31.10.2007 noch bestehende Urlaubsanspruch ist nicht gemäß § 13 Ziff. 9 Abs. 2 MTV-Stahl erloschen.
1) In dieser Tarifbestimmung ist zwar ausdrücklich geregelt, dass ein Urlaubsanspruch, der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, zwölf Monate nach Ablauf des im vorangegangenen Absatz geregelten dreimonatigen Übertragungszeitraums erlischt, das wäre hier der 31.03.2009 gewesen. Diese tarifliche Regelung steht jedoch mit der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wie sie sich im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Sache S1-H1 (Urteil vom 20.01.2009 – C 350/06 – NZA 2009, 135) entwickelt hat, nicht im Einklang. Sie ist deshalb jedenfalls insoweit unwirksam, als sie die gesetzlichen Urlaubsansprüche erfasst. Im Streitfall gilt dies aber auch für den tariflichen Mehrurlaub. Bei den urlaubsrechtlichen Bestimmungen des MTV-Stahl handelt es sich nicht um ein eigenständiges Regelungswerk – in der Diktion des Bundesarbeitsgerichts “Urlaubsregime” (laut Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1980, veraltet für “System, Schema, Ordnung”). Nur für den Fall, dass nach dem Regelungswillen der Tarifvertragsparteien zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen zu unterscheiden ist, können tarifliche Urlaubsansprüche verfallen oder erlöschen. Die Tarifvertragsparteien sind frei, Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den gesetzlichen Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, zu regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG beschränkt (BAG vom 24.03.2009, 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538; vom 23.03.2010, 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810).
2) Die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat zur Folge, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch entsteht. Er ist für den Fall, dass der Urlaubsanspruch wegen Arbeitsunfähigkeit als Freistellung von der Arbeitspflicht bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht realisiert werden konnte, nicht mehr an dieselben Voraussetzungen wie der Urlaubsanspruch gebunden (BAG vom 23.03.2010, aaO.; vom 04.05.2010, 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011). Folgt der tarifliche Mehrurlaub im Sinne eines “Gleichlaufs” den gesetzlichen Urlaubsansprüchen, so handelt es sich ebenfalls um einen reinen Geldanspruch (s. auch Entscheidungen der Kammer vom 22.04.2010, 16 Sa 1502/09, NZA 2011, 106; vom 24.06.2010, 16 Sa 371/10, juris).
3) Es kann vorliegend nicht dahinstehen, ob die Tarifvertragsparteien mit den urlaubsrechtlichen tariflichen Regelungen ein eigenständiges Urlaubsregime geschaffen haben oder nicht, da durch die Gewährung von 21 Urlaubstagen im Jahr 2001 der “unsicherere” tarifliche Mehrurlaub im Sinne des § 366 Abs. 2 BGB erfüllt worden ist. Die Frage, ob mit der Urlaubsgewährung ein bestimmter Urlaubsanspruch – der gesetzliche Anspruch oder der tarifvertragliche Mehrurlaub – erfüllt werden soll, kann sich nur dann stellen, wenn eine eigenständige tarifliche Regelung vorliegt. Ist dies nicht der Fall, liegt also ein “Gleichlauf” der Ansprüche vor, so kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner gesetzliche oder übergesetzliche Urlaubsansprüche erfüllen wollte, da sich auch der übergesetzliche Urlaub nach den gesetzlichen Regeln richtet (so auch Natzel, NZA 2011, 77, 78 unter II).
4) Die urlaubsrechtlichen Regelungen in den §§ 12 bis 14 MTV-Stahl enthalten kein eigenständiges Urlaubsregime im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen unterscheidet, müssen deutliche Anhaltspunkte bestehen. Solche liegen allerdings dann schon vor, wenn sich die Tarifvertragsparteien in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubsregime lösen und stattdessen eigene Regeln aufstellen. Im Fall einer solchen eigenständigen, zusammenhängenden und in sich konsistenten Regelung ist ohne entgegenstehende Anhaltspunkte in der Regel davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien Ansprüche nur begründen und fortbestehen lassen wollen, soweit eine gesetzliche Verpflichtung besteht. Eine ausdrückliche Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen ist dann nicht notwendig (vgl. BAG vom 23.03.2010, aaO., Rn. 50).
5) Die Voraussetzungen für eine Loslösung der Tarifvertragsparteien vom Gesetzesrecht sind hier nach Tarifwortlaut, -zusammenhang, -zweck und -geschichte nicht erfüllt. Zwar enthalten die tariflichen Regelungen Abweichungen vom Gesetzesrecht, ohne dass jedoch ein eigenständiges Regime im Sinne eines Systems oder einer Ordnung erkennbar wäre. Vor allem haben die Tarifvertragsparteien von ihrem Gestaltungsrecht nach § 13 Abs. 1 BUrlG nur in geringem Maße Gebrauch gemacht. Den tariflichen Regelungen ist vielmehr zu entnehmen, dass sie sich deutlich am Bundesurlaubsgesetz, so wie es durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgestaltet worden ist, orientieren und somit einen “Gleichlauf” der Ansprüche enthalten.
a) Dies gilt zunächst für § 12 MTV-Stahl, der die Grundsätze der Urlaubsgewährung festlegt. Entsprechend § 1 BUrlG wird in Absatz 1 der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub herausgestellt. Soweit es dabei “nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen” heißt, findet hierdurch keine Loslösung vom gesetzlichen Urlaubsrecht statt, da vor allem in § 12 MTV-Stahl eine weitgehende Übereinstimmung mit dem Gesetzesrecht besteht. So ist das Urlaubsjahr das Kalenderjahr, der Erholungszweck des Urlaubs wird herausgestellt und eine dem Erholungszweck widersprechende Erwerbstätigkeit in fast vollständiger Übernahme des Gesetzeswortlauts des § 8 BUrlG verboten. Das Gebot der zusammenhängenden Urlaubsgewährung folgt inhaltlich weitgehend dem § 7 Abs. 2 BUrlG, wenn auch unter Berücksichtigung des höheren tariflichen Urlaubsanspruchs. Insoweit liegt ein Gleichlauf vor. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist wie in § 7 Abs. 4 BUrlG von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig. Bei zu viel gewährtem Urlaub kann, was § 5 Abs. 3 BUrlG entspricht, eine Rückvergütung nicht verlangt werden.
Der Verweis in § 12 Abs. 2 MTV auf die Urlaubsregelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes besitzt einen lediglich deklaratorischen Charakter und lässt somit erkennen, dass es den Tarifvertragsparteien nicht auf die Schaffung eigenständiger Regelungen ankommt.
Auch eine Reihe von Bestimmungen des § 13 MTV-Stahl entsprechen dem Gesetzesrecht. § 13 Abs. 5 stimmt fast wörtlich mit § 6 BUrlG überein. Die Regelungen bei Krankheit und bei Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation stehen im Einklang mit §§ 8 und 9 BUrlG.
Die Bestimmungen zur Urlaubsdauer in § 14 MTV-Stahl scheinen in Absatz 3 und 4 vordergründig zwar eine erhebliche Abweichung vom Gesetzesrecht zu enthalten. Tatsächlich handelt es sich aber um die Umsetzung insbesondere der §§ 3 Abs. 2 und 11 Abs. 1 BUrlG unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen der Stahlindustrie in das Tarifrecht.
b) Gegenüber diesen am Gesetzesrecht orientierten Regelungen sind die Abweichungen vom gesetzlichen Modell nicht von besonderem Gewicht. So bestimmt § 12 Nr. 7 Abs. 3 MTV-Stahl, dass die persönlichen Wünsche des Arbeitnehmers hinsichtlich der zeitlichen Lage ihres Urlaubs nur nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind. Der Arbeitgeber ist danach freier als bei Anwendung des Bundesurlaubsgesetzes sich über Urlaubswünsche hinwegzusetzen.
Die Protokollnotiz zu § 12 MTV-Stahl enthält dagegen keine eigenständige urlaubsrechtliche Regelung. Sie basiert vielmehr auf der Rechtsprechung zur mangelnden Vererblichkeit des Urlaubsanspruchs und begründet für den Todesfall einen anders gearteten Anspruch als soziale Beihilfe für unterhaltsberechtigte Ehegatten und Kinder, allerdings in Höhe eines eventuellen Urlaubsabgeltungsanspruchs.
Eine größere Anzahl von Abweichungen sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Arbeitnehmer enthält § 13 MTV-Stahl. Während das Bundesurlaubsgesetz für den Vollanspruch des Arbeitnehmers auf Urlaub nach Erfüllung der Wartezeit keine zeitlichen Vorgaben statuiert, kann nach § 13 Nr. 2 MTV-Stahl der Urlaub in voller Höhe erst ab dem 01.04. eines Jahres geltend gemacht werden. Der 01.04. als Stichtag ist auch nach Nr. 6 der tariflichen Bestimmung von Bedeutung. Der volle Jahresurlaub ist danach zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Arbeitgebers nach diesem Termin endet – eine den Arbeitnehmer gegenüber dem Bundesurlaubsgesetz begünstigende Regelung, da ein Anspruch auf Vollurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz erst bei Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte besteht, dann allerdings unabhängig vom Ausscheidensgrund. Über die Ansprüche des Bundesurlaubsgesetzes hinaus geht auch die Zwölftelungsregelung des § 13 Ziffer 3 Abs. 1 und Ziffer 7 MTV-Stahl. Während nach § 5 Abs. 1 BUrlG der Anspruch auf Teilurlaub auf der Grundlage eines vollen Monats berechnet wird, wird nach der tariflichen Regelung ein angefangener Monat bereits dann voll gerechnet, wenn die Beschäftigung mindestens zehn Kalendertage bestanden hat. Für eine Beschäftigung bis zu zwei Wochen besteht allerdings kein Urlaubsanspruch, insoweit ist abweichend eine Übereinstimmung mit § 5 Abs. 1 BUrlG wiederhergestellt.
Zu Lasten der Arbeitnehmer weicht außerdem § 13 Ziffer 4 Satz 1 MTV-Stahl für die Berechnung eines Anspruchs auf einen Teilurlaubstag von weniger als einem halben Tag von der gesetzlichen Regelung ab. Während der gesetzliche Anspruch in der konkret errechneten Summe zu erfüllen oder abzugelten ist (vgl. BAG vom 26.01.1989, 8 AZR 730/87, DB 1989, 2129) werden solche Urlaubsansprüche nach der tariflichen Regelung nicht berücksichtigt. Möglicherweise haben allerdings die Tarifvertragsparteien die Änderung der Rechtsprechung, die mit der zitierten Entscheidung einherging, nicht wahrgenommen, sondern an einer mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.11.1968 begründeten Rechtsprechung festgehalten (5 AZR 133/68, DB 1969, 354).
Eine sich deutlicher vom Gesetzesrecht unterscheidende Regelung enthält § 13 Ziffer 9 MTV-Stahl. Während § 7 Abs. 3 BUrlG zum einen statuiert, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss und eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr nur ausnahmsweise, nämlich wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt sind, statthaft ist, hat die Regelung in § 13 Ziffer 9 Abs. 1 MTV-Stahl zur Folge, dass ein Urlaubsanspruch immer für die ersten drei Monate des neuen Kalenderjahres erhalten bleibt. § 13 Ziffer 9 Abs. 1 MTV-Stahl sieht darüber hinaus den unbefristeten Erhalt des Urlaubsanspruchs vor, wenn die aufgeführten Ausnahmen erfüllt sind. In der Sache unterscheidet sich diese Regelung vom Gesetzesrecht allerdings nur hinsichtlich der unbefristeten Übertragung des aus betrieblichen Gründen nicht genommenen Urlaubsanspruchs. Wird ein Urlaub erfolglos geltend gemacht, so ist dieser unter den Voraussetzungen des Urlaubsersatzanspruchs auch nach allgemeinem Gesetzesrecht nicht mehr befristet. Zudem regelt § 13 Ziffer 9 Abs. 2 MTV-Stahl den Fall einer Erkrankung. Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, so verlängert sich der Übertragungszeitraum nach Abs. 1 um weitere zwölf Monate. Die reine Verlängerung des Übertragungszeitraums stellt eine Begünstigung des Arbeitnehmers dar und kann als solche, ähnlich wie die Erhöhung des Urlaubsanspruchs, als Gleichlauf angesehen werden. Anders als § 7 Abs. 3 BUrlG enthält die tarifliche Bestimmung schließlich die ausdrückliche Anordnung, dass der Urlaubsanspruch nach Ablauf der maßgeblichen Zeiträume erlischt. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 3 BUrlG ist jedoch ebenfalls das Erlöschen des Urlaubsanspruchs, auch wenn dies in der gesetzlichen Vorschrift nicht ausdrücklich angeordnet worden ist. Insoweit unterscheiden sich Gesetzes- und Tarifrecht im Grundsatz nicht. Da die Tarifbestimmung zudem nicht zwischen gesetzlichem und tariflichem Anspruch differenziert, spricht auch dies für einen Gleichlauf beider Ansprüche. Die Regelung in § 13 Ziffer 9 Abs. 2 MTV-Stahl lässt im Vergleich zu seiner Vorgängerregelung darüber hinaus erkennen, dass die Tarifvertragsparteien sich bei der Neuregelung durch die Änderung vom 05.03.1997 an der Rechtsprechung zum Bundesurlaubsgesetz orientiert haben. Zuvor wurde der Fall, dass Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, behandelt wie die beiden anderen in § 13 Ziffer 9 Abs. 1 MTV-Stahl aufgeführten Ausnahmefälle.
Mit der in § 14 Abs. 1 MTV-Stahl geregelten Urlaubsdauer befinden sich die Tarifvertragsparteien ebenfalls im “Gleichlauf” mit der gesetzlichen Regelung. § 14 Ziffer 1 MTV-Stahl enthält mit der Begründung eines Anspruchs von 30 Urlaubstagen lediglich eine Erhöhung des gesetzlichen Anspruchs, die als solche keine Loslösung von den gesetzlichen Urlaubsbestimmungen erkennen lässt. § 14 Ziffer 2 MTV-Stahl gewährt allerdings unter besonderen Bedingungen einen zusätzlichen Urlaubstag, nämlich dann, wenn die Arbeitnehmer zwei Drittel ihres Urlaubs in der Zeit vom 01.10. bis 31.03. nehmen. Diese Bestimmung besitzt eine Anreizfunktion, die ihren Grund in den Besonderheiten der Stahlindustrie mit vollkontinuierlicher Arbeit finden dürfte. Mit der Gewährung eines einzigen Urlaubstages bei einer Urlaubsnahme von immerhin vier Wochen in einer Zeit, die für Urlaub nicht begehrt ist, dürfte die Anreizfunktion allerdings von geringer Bedeutung sein.
Gleiches gilt für die Abweichungen in § 15 MTV-Stahl. Während Ziffer 1, die für die Höhe des Urlaubsentgelts auf den regelmäßigen Arbeitsverdienst verweist, § 11 Abs. 1 BUrlG der Sache nach entspricht, wird gemäß Ziffer 2 das Urlaubsentgelt abweichend von § 11 Abs. 2 BUrlG nicht vor Antritt des Urlaubs ausgezahlt. Vielmehr muss der Arbeitnehmer einen Wunsch äußern, der dann dazu führt, dass er einen entsprechenden Abschlag bezieht. Diese Regelung dürfte abrechnungstechnischen Interessen der Arbeitgeber geschuldet sein. Eine Unterscheidung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen tariflichen Ansprüchen ist aus diesen Gründen gar nicht möglich.
c) Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die festzustellenden Abweichungen die Bewertung, dass sich die Tarifvertragsparteien in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubsregime lösen und stattdessen eigene Regeln aufstellen wollten, nicht ziehen lässt. Ist die Regel der “Gleichlauf” der Ansprüche und die Ausnahme ihr unterschiedliches rechtliches Schicksal, so sind für den vorliegenden Tarifvertrag jedenfalls nicht hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Ausnahme zum Zuge kommen soll. Dies hat zur Folge, dass dem Kläger auch der übergesetzliche Urlaub zusteht. Da dieser wegen der Erkrankung des Klägers bzw. seiner Freistellung aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung nicht erfüllt werden konnte und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestand, ist er abzugelten.
6) Die Höhe des Abgeltungsanspruchs des Klägers ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 288, 291 BGB.
III
Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht aufgrund der tariflichen Ausschlussfristen verfallen. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger sie bereits geltend gemacht, der vorliegende Rechtsstreit war bereits anhängig. Allerdings hätte der Kläger, wäre auf eine Fälligkeit seines Anspruchs im ersten Monat der Freistellungsphase abzustellen, mit seinem Schreiben vom 08.08.2009 die tarifliche Ausschlussfrist des § 22 Ziffer 1 MTV-Stahl nicht eingehalten. Wie bereits ausgeführt ist für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung jedoch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich. Unabhängig davon dürfte der Kläger, der bei Beginn seiner Freistellungsphase die Abgeltung seines Urlaubs persönlich durch Vorsprache im Lohnbüro geltend gemacht hat, die tarifliche Ausschlussfrist auch dann eingehalten haben, wenn für die Fälligkeit des Anspruchs auf dem Beginn der Freistellungsphase abzustellen wäre.
IV
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Das Gericht hat die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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