LAG Hamm, Urteil vom 16.06.2011 – 15 Sa 538/11

Juli 27, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 16.06.2011 – 15 Sa 538/11
Den Arbeitgeber trifft keine besondere Informations- oder Aufklärungspflicht, wenn bei einer Umgruppierung der einschlägige Tarifvertrag als Rechtsfolge eine bestimmte Stufenzuordnung nach sich zieht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.02.2011 – 4 Ca 4785/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die korrekte Eingruppierung der Klägerin und um einen Anspruch auf Differenzentgelt.
Die seit August 1980 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin war zunächst als Pflegefachkraft eingesetzt und in der Zeit von 2003 bis zum 26.04.2010 als Wohnbereichsleiterin in der Einrichtung “Seniorenheim M1 A1” der Beklagten in L1 tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der Arbeiterwohlfahrt in Nordrhein-Westfalen Anwendung. In ihrer Funktion als Pflegefachkraft erhielt die Klägerin ein Entgelt nach der Entgeltgruppe 9 Stufe 4 des Tarifvertrages AWO NRW (im Folgenden: TV AWO NRW).
Mit Wirkung ab dem 27.04.2010 änderten die Parteien ihren Arbeitsvertrag einvernehmlich dahin, dass die Klägerin nicht mehr als Wohnbereichsleiterin, sondern als Pflegefachkraft beschäftigt wird. Dies zog eine Zuordnung der Klägerin zur Entgeltgruppe 7 a Stufe 4 des Entgelttarifvertrages nach sich. Hierauf wies die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 21.07.2010 (Bl. 5 d.A.) hin, nachdem die Klägerin zuvor vergeblich um eine Einzelfallentscheidung bezüglich der Zuordnung in die individuelle Endstufe gebeten hatte.
Die Beklagte bezieht sich für die Herabgruppierung der Klägerin auf § 21 Abs. 4 TV AWO NRW, der wie folgt lautet:
“(4) Bei Eingruppierung in eine höhere Entgeltgruppe werden die Beschäftigten derjenigen Stufe zugeordnet, in der sie mindestens ihr bisheriges Tabellenentgelt erhalten, mindestens jedoch der Stufe 2. Beträgt der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Tabellenentgelt und dem Tabellenentgelt nach Satz 1 weniger als 25 Euro in den Entgeltgruppen 1 bis 8 bzw. weniger als 50 Euro in den Entgeltgruppen 9 bis 15, so erhalten die Beschäftigten während der betreffenden Stufenlaufzeit anstelle des Unterschiedsbetrags einen Garantiebetrag von monatlich 25 Euro (Entgeltgruppen 1 bis 8 ) bzw. 50 Euro (Entgeltgruppe 9 bis 15). Die Stufenlaufzeit in der höheren Entgeltgruppe beginnt mit dem Tag der Höhergruppierung. Bei einer Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe ist der Beschäftigte der in der höheren Entgeltgruppe erreichten Stufe zuzuordnen. Der Beschäftigte erhält vom Beginn des Monats an, in dem die Veränderung wirksam wird, das entsprechende Tabellenentgelt aus der in Satz 1 oder Satz 2 festgelegten Stufe der betreffenden Entgeltgruppe, ggf. einschließlich des Garantiebetrags.”
Nachdem die Klägerin von der Beklagten außergerichtlich vergeblich ihre Zuordnung zur Stufe 6 verlangt hatte, hat sie mit ihrer Klage vom 22.10.2010, beim Arbeitsgericht eingegangen am 25.10.2010, ihr Begehren weiter verfolgt und zugleich die Zahlung von Differenzentgelt von monatlich 280,39 Euro; brutto für den Zeitraum von Mai 2010 bis Januar 2011 verlangt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, § 24 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW sei wegen seines ungenügenden und lückenhaften Wortlauts, der den streitigen Sachverhalt nicht hinreichend berücksichtige, auszulegen. Sinn und Zweck der Regelung zu den Stufen der Entgelttabelle sei es, eine Schlechterstellung durch Höher- oder Herabgruppierung zu vermeiden. Hätte sie in 2003 nicht die Wohnbereichsleitung übernommen, richtete sich ihr jetziges Entgelt nach der Stufe 6 in der Entgeltgruppe 7 a. Sie erleide auch einen erheblichen Entgeltverlust, weil sie zwischenzeitlich die Funktion einer Wohnbereichsleiterin übernommen hätte. Die Tarifvertragsparteien hätten diesen Sachverhalt im Tarifvertrag geregelt, hätten sie diese Problematik bei Abschluss gesehen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin beginnend mit dem Monat Mai 2010 Lohn nach Maßgabe der Entgeltgruppe 7a Stufe 6, individuelle Endstufe des Tarifvertrages für die Arbeiterwohlfahrt Nordrhein-Westfalen vom 05.01.2008 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.523,51 Euro; nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Zinssatz der EZB seit dem 05.08.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der Wortlaut des § 21 Abs. 4 TV AWO NRW, der inhaltlich § 17 Abs. 4 TVöD entspreche, sei klar und einer weiteren Auslegung nicht zugänglich. Auch unterlägen Tarifverträge keiner Billigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle.
Mit Urteil vom 24.02.2011 hat das Arbeitsgericht Dortmund die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
§ 21 Abs. 4 Satz 3 TV AWO NRW (gemeint ist: § 21 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW) lege konkret fest, wie im Hinblick auf die Stufenzuordnung bei Herabgruppierungen zu verfahren sei. Die Bestimmung des § 21 Abs. 4 TV AWO NRW sei klar formuliert und regele dezidiert die Fälle der Höher- und Herabgruppierung. Bei einer Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe sei der Beschäftigte der in der höheren Entgeltgruppe erreichten Stufe zuzuordnen. Garantiezahlungen seien nicht vorgesehen. Wie im Geltungsbereich des § 17 Abs. 4 TVöD hätten die Tarifvertragsparteien für den Fall der Herabgruppierung einen Entgeltverlust in Kauf genommen. Mangels Vorliegens einer unbewussten Lücke sei eine ergänzende Tarifauslegung unzulässig. Der Umstand, dass die Klägerin wegen ihrer zwischenzeitlichen Funktion als Wohnbereichsleiterin einen erheblichen Entgeltverlust erleide, sei unbeachtlich. Die Regelung des TV AWO NRW bewege sich im Rahmen der Tarifautonomie; eine Billigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle sei nicht vorzunehmen.
Gegen das ihr am 14.03.2011 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Klägerin mit am 04.04.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 15.04.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin bezieht sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt, dieses vertiefend, vor, die Regelung des § 21 Abs. 4 TV AWO NRW sei im Hinblick auf die Herabgruppierung eines Beschäftigten unbewusst lückenhaft. Im Vergleich zu der die Eingruppierung in eine höhere Entgeltgruppe beinhaltenden Regelung des § 21 Abs. 4 Satz 1 TV AWO NRW fehle für den Fall der Herabgruppierung in § 21 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW eine Mindestgrenze der Stufenzuordnung. Die Tarifvertragsparteien hätten – dies zeige die Regelung des § 21 Abs. 4 Satz 1 TV AWO NRW -, wäre ihnen bei Tarifvertragsabschluss der vorliegende Sachverhalt bekannt und bewusst gewesen, eine Schlechterstellung bei Herabgruppierung vermieden.
Die Tarifvertragsparteien hätten, so die Klägerin weiter, dadurch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen, dass sie den vorliegenden Sachverhalt bei Tarifvertragsabschluss unberücksichtigt gelassen hätten. Hätte sie niemals die Wohnbereichsleitung übernommen, wäre sie jetzt der Stufe 6 der Entgeltgruppe 7 a zugeordnet. Sie müsse nun weitere zehn Jahre arbeiten, um in die entsprechende Stufe 6 eingruppiert zu werden. Der Entgeltverlust von 33.646,80 Euro; stelle eine bedeutsame Ungleichheit dar, die nicht unberücksichtigt gelassen werden könne. Zumindest könne sie Schadensersatz beanspruchen, da die Beklagte es schuldhaft unterlassen habe, sie auf die entgeltrechtlichen Auswirkungen der Aufgabe der Funktion einer Wohnbereichsleitung und der daraus folgenden Herabgruppierung hinzuweisen.
Im Wege der Klageerweiterung hat die Klägerin ihren Anspruch auf Differenzentgelt um insgesamt 841,17 Euro; für die Monate Februar bis April 2011 erhöht.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.02.2011 Az: 4 Ca 4785/10 wird abgeändert,
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin beginnend mit dem Monat Mai 2010 Lohn nach Maßgabe der Lohngruppe Entgeltgruppe 7 a, Stufe 6, individuelle Endstufe des Tarifvertrages für die Arbeiterwohlfahrt NRW vom 05.01.2008 zu zahlen,
3. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.364,68 Euro; nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB aus 2.523,51 Euro; seit dem 05.08.2010 und
841,17 Euro; seit Rechtshängigkeit
zu zahlen,
4. die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der TV AWO NRW eine unbewusste Regelungslücke nicht enthalte und daher nicht auslegungsfähig sei. Die Regelung der stufengleichen Herabgruppierung entspreche inhaltlich § 17 Abs. 4 TVöD; wie hoch der Entgeltverlust sei, spiele keine Rolle. Auch hätten die Tarifparteien die vorliegende Problematik sehr wohl gesehen, denn die Regelung über eine Herabgruppierung folge direkt auf die Regelung über eine Höhergruppierung und die dazu gehörige Garantieregelung.
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor. Die tarifliche Regelung richte sich nämlich nach keinem der Differenzierungskriterien, die einen Bezug zu den Differenzierungsverboten in Art. 2 oder 3 GG hätten, sondern stelle allein ab auf eine ununterbrochene Tätigkeit in derselben Entgeltgruppe; ebenso wenig liege Willkür vor.
Die Beklagte trägt weiter vor, dass die Klägerin mit der Vertragsänderung ausdrücklich einverstanden gewesen sei. Unrichtige Auskünfte seien ihr nicht erteilt worden.
Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Sitzungsniederschriften, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.
Gründe
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 lit. b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO.
II
In der Sache bleibt die Berufung ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung zutreffend erkannt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Feststellung hat, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin ab dem Monat Mai 2010 ein Entgelt zu zahlen, das sich nach der Entgeltgruppe 7 a Stufe 6 des Entgelttarifvertrages der AWO NRW richtet. In Konsequenz besteht auch kein Zahlungsanspruch in Höhe des zuletzt in der Berufungsinstanz verlangten Betrages.
Einen Anspruch der Klägerin besteht nicht aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Parteien.
1. Die Klägerin ist seit dem 27.04.2010 zutreffend in die Entgeltgruppe 7 a des Entgelttarifvertrags der AWO NRW eingruppiert. Ebenso zutreffend hat die Beklagte die Stufenzuordnung in die Stufe 4 vorgenommen, § 21 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW.
a) Bis zum 26.04.2010 war die Klägerin bei der Beklagten als Wohnbereichsleiterin beschäftigt und demzufolge richtig in die Entgeltgruppe 9 b Stufe 4 eingruppiert.
b) Auf ihren Wunsch änderten die Parteien den Tätigkeitsbereich der Klägerin mit Wirkung zum 27.04.2010 dahin ab, dass die Klägerin fortan als Pflegefachkraft beschäftigt wird. Das Entgelt für eine Pflegefachkraft richtet sich – unstreitig – nach der Entgeltgruppe 7 a.
c) Gemäß § 21 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW ist die Klägerin der Stufe 4 zuzuordnen. Die Beklagte hat die Stufenzuordnung, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, zutreffend vorgenommen.
Bei der Herabgruppierung der Klägerin von der Wohnbereichsleiterin zur Pflegefachkraft war die Klägerin der Stufe zuzuordnen, die sie als Wohnbereichsleiterin erreicht hatte, mithin der Stufe 4. Diese Stufenzuordnung folgt aus der tariflichen Bestimmung des § 21 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW. Diese hat den nachstehenden Wortlaut:
“Bei einer Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe ist der Beschäftigte der in der höheren Entgeltgruppe erreichten Stufe zuzuordnen.”
aa) § 21 Abs. 4 TV AWO NRW regelt die Fälle der Höher- und Herabgruppierung dezidiert unterschiedlich. Eine unbewusste Tariflücke, die es den Gerichten erlauben kann, sie aus einem eindeutig feststellbaren Sinn und Zweck des Tarifvertrags heraus zu schließen (so BAG in st.Rspr., vgl. etwa BAG vom 25.02.2009 – 4 AZR 964/07, AP Nr. 215 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 15.06.1994 – 4 AZR 330/93, BAGE 77, 94), liegt nicht vor.
Die Gerichte sind nicht befugt, entgegen dem Willen der Tarifvertragsparteien ergänzendes Tarifrecht zu kreieren, da dies einen unzulässigen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie bedeuten würde (BAG vom 24.09.2008 – AZR 642/07, EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46; BAG vom 15.06.1994, a.a.O.).
(1) Der Wortlaut des § 21 Abs. 4 TV AWO NRW ist klar und eindeutig. Im Falle einer Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe ist dem Arbeitnehmer die Stufe zuzuordnen, die er zuvor in der höheren Entgeltgruppe innehatte. Das bedeutet, dass die Stufenzuordnung zwischen zuvor höherer und nun niedrigerer Entgeltgruppe dieselbe zu bleiben hat. Die tarifliche Regelung bestimmt nichts für den Fall, dass ein Beschäftigter in der niedrigeren Entgeltgruppe bereits einer höheren Stufe zuzuordnen wäre, wäre es nicht zwischenzeitlich für einen gewissen Zeitraum zu einer Höhergruppierung gekommen. Auch sieht der Tarifvertrag bei Herabgruppierungen keine Garantiezahlungen vor.
(2) Gegen die Annahme einer unbewussten Tariflücke bei der Stufenzuordnung im Falle von Herabgruppierungen spricht auch, dass § 21 TV AWO NRW im selben Absatz 4 zunächst Regelungen zu einer Höhergruppierung trifft (Sätze 1 bis 3) und sodann folgend zur Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe (Satz 4). Daraus ist ersichtlich, dass den Tarifvertragsparteien ein Versehen bei der Festlegung im Falle der Herabgruppierung nicht unterlaufen ist. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr die Problematik gesehen, aber sich bewusst dafür entschieden, die Fälle der Höher- und der Herabgruppierung unterschiedlich zu regeln, insbesondere keine Garantieregelung bei Herabgruppierungen zu vereinbaren.
bb) Der Einwand der Klägerin, sie erleide einen erheblichen Einkommensverlust (angegeben mit mehr als 33.000,00 Euro; in zehn Jahren) dadurch, dass sie zwischenzeitlich die Tätigkeit der Wohnbereichsleitung ausgeübt habe und nicht durchgehend als Pflegefachkraft beschäftigt gewesen sei, führt nicht zu einem anderen, für die Klägerin günstigen Ergebnis. Der Wortlaut des § 21 Abs. 4 TV AWO NRW ist eindeutig. Eine ihn übersteigende Auslegung ist daher nicht angezeigt. Es stellte einen grundgesetzwidrigen Eingriff in die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG dar, wenn Gerichte am klaren und eindeutigen Wortlaut einer tariflichen Bestimmung vorbei ergänzende tarifliche Regelungen schafften (vgl. BAG vom 25.02.2009, a.a.O.). Tarifverträge unterliegen insbesondere keiner Billigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle, worauf das Arbeitsgericht unter Zitierung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.03.2010 (5 AZR 317/09, DB 2010, 1406) zutreffend hinweist.
cc) Auch ein Vergleich des § 21 Abs. 4 Satz 4 TV AWO NRW mit dem diesem inhaltlich entsprechenden § 17 Abs. 4 TVöD bestätigt das bis hierher gefundene Ergebnis. Das Tarifwerk des öffentlichen Dienstes führt die Herabgruppierung ebenfalls stufengleich durch, ohne Rücksicht auf einen sich möglicherweise ergebenden Entgeltverlust (Dassau/Wiesend-Rothbrust, TVöD, 5. Aufl., § 17 Rn. 27).
dd) Zu verneinen ist ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dadurch, dass die Tarifvertragsparteien den hier streitigen Sachverhalt bei Tarifvertragsabschluss unberücksichtigt gelassen haben. § 21 Abs. 4 TV AWO NRW greift keines der Differenzierungskriterien auf, die einen Bezug zu den Differenzierungsverboten in Art. 3 Abs. 2 oder 3 GG haben, sondern stellt allein ab auf eine ununterbrochene Tätigkeit des Arbeitnehmers innerhalb derselben Entgeltgruppe. Daher ist die tarifliche Regelung allein einer Willkürkontrolle zu unterziehen (vgl. LAG Hamm vom 29.02.2008 – 12 Sa 1677/07, juris). Die Grenze willkürlichen Verhaltens ist ersichtlich indes nicht erreicht.
Weitere Ansätze für eine Ungleichbehandlung sind nicht vorgetragen und waren auch nicht erkennbar.
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 282, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Die Klägerin kann der Beklagten nicht mit Erfolg vorwerfen, sie habe es schuldhaft unterlassen, die Klägerin auf die vergütungsrechtlichen Auswirkungen der Aufgabe der Funktion der Wohnbereichsleitung und der damit einhergehenden Herabgruppierung hinzuweisen. Die Beklagte traf zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Vertragsänderung keine Aufklärungspflicht dahin, dass mit der Aufgabe der Wohnbereichsleitung und der Übernahme der Tätigkeit einer Pflegefachkraft vergütungsrechtliche Konsequenzen aufgrund der spezifischen Regelungen des TV AWO NRW mit der Folge einer nicht unerheblichen Entgeltminderung verbunden waren.
a) Der Arbeitgeber ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, den Arbeitnehmer über wesentliche Umstände des Arbeitsverhältnisses und seiner Abwicklung zu informieren (vgl. BAG vom 14.01.2009 – 3 AZR 71/07, AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Auskunft). Allerdings muss er den Arbeitnehmer nicht auf sämtliche für den Zweck des Arbeitsverhältnisses wesentlichen Umstände hinweisen, sondern nur auf besondere, atypische Risiken für den Arbeitnehmer. Zudem beruhen Hinweis- und Aufklärungspflichten auf den besonderen Umständen des Einzelfalls und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind zu beachten (BAG vom 15.06.2010 – 3 AZR 861/08, AP Nr. 32 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt). Auch darf die Aufklärungs- und Informationsverpflichtung keine übermäßige Belastung für den Arbeitgeber begründen. Kann sich der Arbeitnehmer die Informationen auf zumutbare Weise anderweitig verschaffen, besteht keine Unterrichtungspflicht (BAG vom 13.06.1996 – 8 AZR 415/94, juris). Insbesondere hat der Arbeitnehmer, der sich beruflich verändern will, sich selbst darüber zu informieren, ob die Veränderung für ihn von Vorteil ist. Es gehört zum allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers, wenn sich seine Erwartungen nicht erfüllen (BAG vom 13.06.1996, a.a.O.).
b) Eine besondere Informations- und Aufklärungspflicht ergab sich für die Beklagte vorliegend nicht. Die rechtlichen Folgen hinsichtlich des Entgelts der Klägerin beruhten nicht auf einer Tarifrechtsänderung, sondern die der Klägerin bewusste Umgruppierung zog nach dem geltenden TV AWO NRW die Rechtsfolge einer bestimmten Stufenzuordnung nach sich. Dies stellte kein atypisches Risiko für den Arbeitnehmer dar, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag, vorliegend aus § 21 Abs. 4 TV AWO NRW. Der Arbeitnehmer hat insoweit ein bei ihm bestehendes Informationsbedürfnis selbst zu befriedigen. Dass ihm dies leicht möglich ist, folgt bereits aus der Pflicht des Arbeitgebers, die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifverträge an geeigneter Stelle auszulegen. Dass die Beklagte ihrer entsprechenden Pflicht nicht nachgekommen ist, behauptet auch die Klägerin nicht. Angesichts der bereits vom Wortlaut her eindeutig formulierten Regelungen in § 21 Abs. 4 TV AWO NRW wäre es Sache der Klägerin und ihr auch zumutbar gewesen, sich selbst über die Auswirkungen der tariflichen Regelung auf ihr zukünftiges Monatsentgelt zu informieren.
3. Mangels unzutreffender Eingruppierung bzw. Stufenzuordnung der Klägerin besteht auch kein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte, und zwar weder in Höhe des erstinstanzlich begehrten Betrages noch in Höhe des mit der Berufung zuletzt eingeklagten Differenzentgeltbetrages.
III
1. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren der mit dem Rechtsmittel unterlegenen Klägerin aufzuerlegen, § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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