LAG Hamm, Urteil vom 18.11.2010 – 8 Sa 483/10

September 30, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 18.11.2010 – 8 Sa 483/10

Tarifliche Unkündbarkeit: Weiterbeschäftigung im Wege der Personalgestellung als milderes Mittel bei Fremdvergabe von Aufgaben

Der Grundsatz der “freien Unternehmerentscheidung” ist auch im Verhältnis zum tariflich unkündbaren Arbeitnehmer nicht durch eine Zweckmäßigkeits- oder Angemessenheitskontrolle beschränkt (im Anschluss an BAG, 06.10.2005, 2 AZR 372/04, AP Nr. 8 zu § 53 BAT). Im Falle der Auslagerung der bislang vom “unkündbaren” Arbeitnehmer erledigten Tätigkeit trifft den Arbeitgeber jedoch die Verpflichtung, im Zuge der Auftragsvergabe an das Fremdunternehmen für eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Wege der Personalgestellung zu sorgen, auch wenn hiermit erhöhte Personalkosten verbunden sind.
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 25.03.2010 – 2 Ca 1852/09 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand

Mit ihrer Klage wendet sich die tariflich nur noch aus wichtigem Grund kündbare Klägerin gegen die Änderung ihrer Arbeitsbedingungen durch außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung vom 26.05.2009 mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2009.

Die am 24.03.1956 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 01.05.1990 bei dem beklagten Unternehmen zu einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt ca. 1.800,– Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Sie ist durch Bescheid der Agentur für Arbeit B1 vom 26.04.2007 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Die Beklagte betreibt u.a. das L1 in H1. In der Vergangenheit war die Klägerin hier laut Arbeitsplatzbeschreibung vom 10.12.1996 (Bl. 3 d. A.) im Bereich der Kasse und als Reinigungskraft beschäftigt und zuletzt in Entgeltgruppe 4 TV-V eingruppiert. Gemäß § 22 Abs. 7 TV-V ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

Mit Schreiben vom 26.05.2009 (Bl. 5 d.A.) sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin die hier angegriffene Änderungskündigung vom 26.05.2009 mit Wirkung zum 31.12.2009 aus. Zugleich bot die Beklagte der Klägerin eine Änderung der Arbeitsbedingungen mit dem Inhalt an, künftig als Reinigungskraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 15 Stunden unter gleichzeitiger Herabgruppierung in Entgeltgruppe 1 TV-V nebst tariflicher Vergütungssicherung gemäß § 6 RatSchTV tätig zu werden. Die Klägerin hat die ihr angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen mit Schreiben vom 03.06.2009 unter Vorbehalt angenommen.

Zur Begründung der angegriffenen Änderungskündigung hat die Beklagte vorgetragen, bereits im April 2007 sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, ab dem 31.12.2007 die Teil-Aufgaben der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Bereich von Kasse und Kundenbetreuung mit der Aufstellung eines Kassenautomaten und der Neuorganisation von Kassen- und Saunadienst entfallen zu lassen. Die ursprüngliche Absicht der Beklagten, die Klägerin und ihre Kolleginnen sodann mit Reinigungsaufgaben bei der Tagesunterhaltsreinigung im L1 einzusetzen, sei an deren fehlender Bereitschaft gescheitert, eine entsprechende Vertragsänderung zu akzeptieren. Hierauf sei zunächst ein abgewandeltes Konzept mit dem Inhalt beschlossen worden, die Tagesunterhaltsreinigung vollständig auf ein Reinigungsunternehmen zu übertragen und die Arbeitsverhältnisse mit der Klägerin und ihren Kolleginnen zu beenden. Nach Scheitern der diesbezüglichen Beendigungskündigungen vom 20.06.2007 und 26.11.2007 (ArbG Bielefeld 6 Ca 1637/07 und 2 Ca 3322/07) sei schließlich die Entscheidung getroffen worden, der Klägerin im Wege der Änderungskündigung einen Teil der Tagesunterhaltsreinigung im Umfang von 10 Std/Woche bei Eingruppierung in Entgeltgruppe 1 zuzuweisen. Nachdem auch diese Änderungskündigung vom 30.05.2008 der gerichtlichen Prüfung nicht standgehalten habe (ArbG Bielefeld 5 Ca 1580/08; das unter dem Az. LAG Hamm 17 Sa 193/09 durchgeführte Berufungsverfahren endete durch Berufungsrücknahme), sei nunmehr den in jenem Verfahren zutage getretenen Bedenken Rechnung getragen worden, indem der Klägerin ein wirtschaftlich auskömmliches Arbeitsvolumen von 15 Stunden/Woche und eine Vergütungssicherung nach den Regeln des Rationalisierungstarifvertrages angeboten worden sei. Danach betrage die Stundenvergütung trotz Herabgruppierung unverändert 13,84 € entsprechend einer Monatsvergütung von nunmehr 902,44 € brutto. Abweichend vom Standpunkt der Klägerin könne ihr von dem insgesamt bestehenden Bedarf an Reinigungstätigkeiten in der Tagesunterhaltsreinigung von 53 Stunden/Woche allein ein Anteil von 15 Stunden übertragen werden, der übrige Teil der Unterhaltsreinigung müsse demgegenüber durch das Reinigungsunternehmen der Firma G2 abgedeckt bleiben. Die Übertragung eines weiteren Stundenkontingents scheide zum einen aus organisatorischen Gründen aus, da die Beklagte für diesen Fall die erforderliche Urlaubs- und Krankheitsvertretung nicht gewährleisten könne. Zum anderen führe die Beschäftigung der Klägerin als Reinigungskraft selbst bei Eingruppierung in die Entgeltgruppe 1 TV-V im Vergleich zum Einsatz der Fa. G2 zu einer deutlich höheren Kostenbelastung. Soweit die Klägerin die Beschäftigung im Bereich der Grundreinigung anspreche, scheide eine solche schon mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Klägerin aus. Hierzu verweist die Beklagte auf das von der Klägerin vorgelegte Attest vom 23.05.2008 (Bl. 109 d.A.), in welchem es heißt:

… Aufgrund dieser Erkrankung ist Frau D2 M2 nicht in der Lage, Über-Kopfarbeiten, schweres Heben und Dauerbelastungen der rechten Schulter durchzuführen.

Wie im vorangehenden Berufungsverfahren erörtert, habe sich die Beklagte auf der Grundlage des § 3 RatSchTV auch um eine anderweitige Unterbringung der Klägerin bei anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes bemüht und schließlich bei der Bemessung der Vergütung die Vergütungssicherung des § 6 RatSchTV beachtet. Nachdem auch der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört und das Integrationsamt der beabsichtigten Kündigung zugestimmt habe, könne die Klägerin die Wirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen nicht erfolgreich in Zweifel ziehen.

Demgegenüber hat die Klägerin geltend gemacht, nicht anders in den vorangehenden Verfahren – betreffend die Beendigungskündigungen vom 20.06.2007 und 26.11.2007 und die ebenfalls erfolglos gebliebene Änderungskündigung vom 30.05.2008 – müsse auch dem vorliegenden Versuch zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Erfolg versagt bleiben. Weder sei zu erkennen, dass für die Durchführung der Unterhaltsreinigung ein Kontingent von 53 Stunden genüge, noch sei nachzuvollziehen, warum nicht der Klägerin ein größerer Anteil als die angebotenen 15 Stunden Unterhaltsreinigung angeboten werden könne. Grundsätzlich sei auch der Einsatz im Bereich der Grund- und Endreinigung nicht ausgeschlossen, wenn auf die bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin Rücksicht genommen werde.

Durch Urteil vom 25.03.2010 (Bl. 131 ff d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Fassung des Klageantrages Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung der Beklagten vom 26.05.2009 ungerechtfertigt und rechtsunwirksam sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, bei der Prüfung einer außerordentlichen Änderungskündigung aus betrieblichen Gründen seien strengere Maßstäbe anzusetzen als bei einer ordentlichen Änderungskündigung. Dementsprechend habe das Gericht zu überprüfen, ob es dem Arbeitgeber im Einzelfall zumutbar sei, die betrieblichen Abläufe anders zu organisieren, so dass der Arbeitnehmer zu der bisher vereinbarten Arbeitszeit bzw. mit einer höheren Anzahl von Arbeitsstunden als angeboten weiterbeschäftigt werden könne. Andernfalls drohe die Gefahr, dass die tarifliche vorgesehene ordentliche Unkündbarkeit des Arbeitnehmers praktisch leerlaufe. Aus dem Vortrag der Beklagten lasse sich nicht erkennen, aus welchem Grund bei einem wöchentlichen Reinigungskontingent von 53 Stunden für die Klägerin allein ein Anteil von 15 Stunden verbleiben solle. Nach dem Plan für die Tagesunterhaltsreinigung erfolge am Mittwoch eine Reinigung von 7 Stunden, am Donnerstag von 13 Stunden, am Freitag ebenfalls von 7 Stunden und am Samstag von 13 Stunden, wobei die Beklagte die sonntäglichen Einsätze nicht substantiiert vorgetragen habe. Welche besonderen organisatorischen Schwierigkeiten sich bei Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ergäben, wenn die Klägerin mehr als 15 Stunden/Woche arbeite, sei nicht ersichtlich. Darüber hinaus führe die Reduzierung auf das hälftige Stundenkontingent zu einer Verdienstabsenkung, welche die Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr gewährleiste. Allein die Tatsache, dass der Einsatz der Gebäudereinigungsfirma G2 für die Beklagte wirtschaftlich vorteilhafter sei, könne trotz der vorgetragenen schlechten wirtschaftlichen Situation der Beklagten eine derart weitreichende Veränderung der Arbeitsbedingungen nicht rechtfertigen.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihren Standpunkt, sowohl aus organisatorischen wie aus wirtschaftlichen Gründen sei die mit der Änderungskündigung angebotene Herabsetzung von Arbeitszeit und -vergütung geboten und stelle somit einen “wichtigen Grund” im Sinne des § 626 BGB dar. Anders als nach der ursprünglichen unternehmerischen Konzeption, nach welcher die vormals vier im Kassenbereich beschäftigten Kräfte gemeinsam die Aufgabe der Tagesunterhaltsreinigung bewältigen sollten, sei nach Ausscheiden der übrigen drei rationalisierungsbetroffenen Arbeitnehmer eine Bewältigung der Tagesunterhalsreinigung durch die Klägerin allein bzw. ein Einsatz der Klägerin in diesem Bereich im Umfang der vertraglichen Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche aus organisatorischen Gründen nicht möglich. Unter Berücksichtigung von sechs Wochen Urlaub und durchschnittlichen krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen im Jahr scheide ein vollschichtiger Einsatz der Klägerin in diesem Bereich aus, da die Beklagte eine entsprechende Vertretung mit eigenen Kräften nicht gewährleisten könne. Abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils ergebe sich schon aus dem Einsatz der Klägerin im Rahmen von 15 Stunden/Woche eine wirtschaftliche Mehrbelastung gegenüber dem Einsatz von Fremdpersonal in Höhe von ca. 9.000,– Euro/Jahr. Bis zum Erreichen des Rentenalters in 12 Jahren entspreche dies einer Mehrbelastung von 107.000,– Euro. Damit seien die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht. Demgegenüber führe die von der Klägerin erstrebte Zuweisung zusätzlicher Reinigungsstunden zu einer weiteren und in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage der Beklagten nicht tragbaren Mehrbelastung. Eben aus diesem Grunde scheide auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht angesprochene Möglichkeit aus, die Klägerin im Wege der Personalgestellung in die Organisation des Reinigungsdienstes der Firma G2 einzugliedern. Selbst wenn auf diese Weise die dargestellten Organisations- und Vertretungsprobleme zu verringern seien, welche sich bei einer Ausweitung des Stundenkontingents zugunsten der Klägerin ergäben, verbleibe zum einen die dargestellte unzumutbare wirtschaftliche Mehrbelastung der Beklagten. Zum anderen ergebe sich aus der zwischenzeitlich eingeholten Stellungnahme der Firma G2 vom 09.09.2010 (Bl. 237 d.A.), dass es dort keinen Bedarf für die Beschäftigung einer zusätzlichen Reinigungskraft gebe. Anders als nach der Regelung des § 4 Abs. 3 TVöD sehe der hier einschlägige TV-V die Maßnahme einer Personalgestellung ohnehin nicht vor. Dann könne aber die Wirksamkeit der Änderungskündigung nicht von dem Versuch einer Personalgestellung abhängig gemacht werden.

Die Beklagte beantragt,

das am 25.03.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld AZ: 5 Ca 1852/09 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und hält an ihrem Standpunkt fest, die vorgetragenen organisatorischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte seien in Anbetracht der tariflichen Unkündbarkeit der Klägerin nicht geeignet, die ausgesprochene Änderungskündigung zu rechtfertigen. Wenn die Beklagte den Einsatz der Klägerin in der Tagesunterhaltsreinigung im Umfang von immerhin fünf Stunden an drei Tagen für realistisch halte, stelle sich die Frage, warum ihr die sechste und/oder siebente Stunde oder auch ein Wochenendeinsatz am Samstag und/oder Sonntag unzumutbar seien. Tatsächlich sei die Grenze von 15 Stunden/Woche völlig willkürlich gewählt und stehe im erkennbaren Gegensatz zu dem ursprünglich entwickelten Konzept, der Klägerin nach Wegfall der Aufgaben im Kassenbereich eine Weiterbeschäftigung in der Unterhaltsreinigung im Umfang von 30 Stunden anzubieten. Allein weil die Klägerin und ihre damaligen Kolleginnen seinerzeit nicht dazu bereit gewesen seien, eine Rückstufung von Entgeltgruppe 4 in Entgeltgruppe 1 zu akzeptieren, versuche die Beklagte nunmehr unter dem Vorwand organisatorischer Schwierigkeiten, die Arbeitsbedingungen der Klägerin unzumutbar zu verändern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte ArbG Bielefeld 5 Ca 1580/08 verwiesen. Diese war zur Ergänzung des Sachverhalts beigezogen.
Gründe

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Arbeitsbedingungen der Klägerin sind durch die angegriffene Änderungskündigung vom 26.05.2009 nicht mit Ablauf des 31.12.2009 geändert worden. Für die erstrebte Änderung der Arbeitsbedingungen fehlt es an einem “wichtigen Grund” im Sinne des § 626 BGB, da die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen sich nicht auf das zur Wahrung der beiderseitigen Interessen notwendige Maß beschränkt.

1. Soweit das Arbeitsgericht seinen Standpunkt, die vorgesehene Herabsetzung der Arbeitszeit auf 15 Stunden/Woche sei unverhältnismäßig, damit begründet, die Beklagte habe die Klägerin auch mit einem größeren Stundenkontingent in der Unterhaltsreinigung einsetzen können, steht dieser Erwägung allerdings der Grundsatz entgegen, dass auch im Verhältnis zu dem tariflich nur noch aus wichtigem Grund kündbaren Arbeitnehmer eine gerichtliche Kontrolle der Unternehmerentscheidung selbst ausscheidet, und zwar unabhängig davon, ob die bislang vom Arbeitnehmer erledigte Tätigkeit ersatzlos entfällt oder im Wege der Fremdvergabe – etwa aufgrund Werkvertrages – anderweitig erledigt wird (BAG 06.10.2005, 2 AZR 372/04, AP Nr. 8 zu § 53 BAT, juris Rn. 34; s. auch Gaul/Bonani, ArbRB 2007,116, 118).

Auch eine Modifikation der unternehmerischen Organisationsentscheidung – etwa in dem Sinne, nur einen Teil der vertraglichen Aufgaben auf ein Fremdunternehmen zu übertragen und für den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ein zur Weiterbeschäftigung ausreichendes Kontingent selbst weiterhin vorzuhalten – scheidet nach der genannten Entscheidung aus (vgl. BAG a. a. O., juris Rn 34). Der Grundsatz, dass der Arbeitgeber bei seiner Organisationsentscheidung die Tatsache berücksichtigen muss, dass er im Verhältnis zum unkündbaren Arbeitnehmer eine vertragliche Bindung eingegangen ist, wirkt sich danach nicht bei der Überprüfung der Unternehmerentscheidung selbst aus, sondern betrifft allein die Zumutbarkeit von Überbrückungsmaßnahmen sowie der Bemühungen, den Arbeitnehmer im Betrieb oder anderenorts zu beschäftigen (BAG a. a. O. Rn 43). Soweit aus der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 05.07.2007 (2 Sa 578/07, LAGE § 2 KSchG Nr. 59, juris Rn 22) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, kann dem aus den Gründen der vorstehend zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht gefolgt werden. Insbesondere kann auch gegenüber dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer keine Verpflichtung angenommen werden, eine beabsichtigte Rationalisierungsmaßnahme nur unter der Voraussetzung durchzuführen, dass sie sich “als unumgänglich darstellt”. Auch soweit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom Arbeitgeber fordert, bereits bei der Aufstellung seines geänderten Organisationskonzeptes die mit der Unkündbarkeit übernommenen Garantien und Bindungen zu berücksichtigen (BAG, 02.03.2006, 2 AZR 64/05, AP Nr. 84 zu § 2 KSchG 1969 = NZA 2006, 985), folgt hieraus allein die Notwendigkeit der Prüfung, ob die angebotene Vertragsänderung die einzige nach dem unternehmerischen Konzept verbleibende Beschäftigungsmöglichkeit darstellt (BAG a. .a. O., juris Rn 35). Da nach dem Sachverhalt der Entscheidung vom 02.03.2006 das Konzept einer “Zentralisierung der telefonischen Kundenberatung” ausweislich des abgeschlossenen Interessenausgleichs die Möglichkeit einer Beschäftigung in einem “homeoffice” nicht ausschloss, gehörte zu den in jenem Verfahren vom Arbeitgeber zu prüfenden weniger belastenden Maßnahmen auch die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes. Nicht hingegen war nach der zitierten BAG-Entscheidung die Zweckmäßigkeit der dort vorgetragenen unternehmerischen Entscheidung zu überprüfen, die technische Kundenberatung zu zentralisieren.

In Anwendung dieser Grundsätze ist sowohl die Übertragung der Unterhaltsreinigung auf die Firma G2 als solche wie auch die Beschränkung des für die Klägerin vorgesehenen Stundenkontingents der gerichtlichen Kontrolle nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entzogen. Nachdem die ursprüngliche Aufgabenstellung der Klägerin im Kassenbereich und bei der Kundenbetreuung durch Einführung von Kassenautomaten und Umverteilung restlicher Betreuungsarbeiten entfallen war, kam für die Klägerin unter Berücksichtigung der durch ärztliches Attest belegten gesundheitlichen Einschränkungen allein noch ein Einsatz im Bereich der Tagesunterhaltsreinigung in Betracht. Die ursprüngliche Planung, die Unterhaltsreinigung auf die vier ehemaligen Kassenkräfte zu übertragen, war nach Ausscheiden der drei weiteren Kassenkräfte nicht unverändert zu realisieren. Das nachfolgend beschlossene Konzept, die Unterhaltsreinigung – mit Ausnahme eines für die Klägerin vorgesehen Zeitanteils – auf ein Reinigungsunternehmen zu übertragen, umfasst sowohl die Bestimmung des erforderlichen Reinigungsbedarfs von 53 Stunden/Woche als auch die auf wirtschaftliche und organisatorische Gründe gestützte Festlegung, in welchem zeitlichen Umfang das externe Reinigungsunternehmen beauftragt werden soll. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Überprüfung, inwiefern die Klägerin auch mit einem höheren Zeitanteil in der Unterhaltsreinigung eingesetzt werden könnte, läuft damit – schon wegen der Notwendigkeit einer Regelung für Urlaubs- und Krankheitszeiten – auf eine Änderung des Organisationskonzepts hinaus und beschränkt sich nicht auf die Prüfung, ob das beschlossene Konzept auch mit weniger einschneidenden Mitteln umzusetzen ist. Allein der Umstand, dass die Beklagte einen Einsatz der Klägerin im Bereich der Unterhaltsreinigung mit zunächst 10 und später mit 15 Stunden vorgesehen hat, lässt nicht den Schluss zu, für das Organisationskonzept der Beklagten sei der zeitliche Anteil der Klägerin an der Unterhaltsreinigung ohne Belang, entscheidend sei allein, dass die für erforderlich gehaltene Unterhaltsreinigung im Umfang von 53 Stunden/Woche – gleich von fremden oder eigenen Kräften – ordentlich erledigt werde. Gegenstand der Organisationsentscheidung ist vielmehr auch die eigenständige, auf betriebsorganisatorische Erwägungen gestützte Festlegung des zahlenmäßigen Verhältnisses der Einsatzstunden von eigenem Personal und von Fremdpersonal.

2. Wie sich aus der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.10.2005 ergibt, gehört zu den Bemühungen des Arbeitgebers bei Fehlen eigener Beschäftigungsmöglichkeiten grundsätzlich auch die Unterbringung bei einem anderen Arbeitgeber im Wege der Personalgestellung, wobei etwaige Vergütungsdifferenzen vom Arbeitgeber zu tragen sind (BAG a. a. O., juris Rn 43 m. w. N.). Der hiermit verbundene Kostennachteil, welcher sich daraus ergibt, dass die vom Arbeitgeber zu leistende tarifliche Vergütung – auch wenn sich diese an der geänderten Reinigungstätigkeit orientiert – den Arbeitgeber mehr belastet als die Bezahlung externer Reinigungskräfte, muss im Hinblick auf die eingegangene vertragliche Bindung und Zusage der tariflichen Unkündbarkeit hingenommen werden. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer mit der tariflichen Unkündbarkeit eine vertragliche Beschäftigungsgarantie gegeben und muss daher alles irgendwie Mögliche tun, um diese Garantie einzuhalten (BAG a. a. O., juris Rn 45). Die Fremdvergabe von Reinigungstätigkeiten stellt damit im Verhältnis zum tariflich unkündbaren Arbeitnehmer kein geeignetes Mittel zur Kostenreduzierung dar. Demgegenüber lässt der Weg der Personalgestellung die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers unberührt, die anfallenden Reinigungstätigkeiten nicht mehr im Rahmen der eigenen – womöglich weniger leistungsfähigen – Arbeitsorganisation durchzuführen, sondern auf ein Fremdunternehmen auszulagern, um so insbesondere die Probleme der Urlaubs- und Krankheitsvertretung zu vermeiden.

3. Dem Erfordernis, den Arbeitsplatz des tariflich unkündbaren Arbeitnehmers im Wege der Personalgestellung zu erhalten, kann auch nicht der Einwand entgegen gehalten werden, nach den Regeln des Tarifvertrages über den Rationalisierungsschutz für Angestellte sei der Arbeitgeber allein gehalten, den Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes i. w .S. unterzubringen. Die genannten tariflichen Vorschriften gelten indessen für alle – auch die ordentlich kündbaren – rationalisierungsbetroffenen Beschäftigten und sind damit nicht geeignet, die Reichweite der zumutbaren Bemühungen des Arbeitgebers zum Arbeitsplatzerhalt eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers zu bestimmen. Ein Arbeitsplatzerhalt im Wege der Personalgestellung an ein privatwirtschaftliches Unternehmen ist dem Öffentlichen Dienst auch keineswegs wesensfremd. Wie die Vorschrift des § 4 TVöD zeigt, kommt im Geltungsbereich des genannten Tarifvertrages im Fall der Aufgabenverlagerung eine Beschäftigung des Arbeitnehmers im Wege der Personalgestellung auch außerhalb des öffentlichen Dienstes – und zwar ohne Zustimmung des Arbeitnehmers auf der Grundlage des Direktionsrechts – in Betracht. Auch wenn diese Vorschrift – wie nachfolgend auszuführen ist – hier nicht einschlägig ist, ist immerhin zu erkennen, dass sich die Reichweite der Verpflichtungen des Arbeitgebers aus einer “Beschäftigungsgarantie” nicht gleichsam selbstverständlich auf eine Unterbringung bei einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes beschränkt.

4. Anders als die Vorschrift des 4 TVöD erwähnt zwar der hier einschlägige TV-V die Möglichkeit einer Personalgestellung nicht. Hieraus folgt jedoch weder die Unzulässigkeit der Personalgestellung im Geltungsbereich des TV-V noch eine Beschränkung derjenigen Maßnahmen, welche der Arbeitgeber im Verhältnis zum tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ergreifen muss, wenn er dessen Tätigkeit auf ein privates Fremdunternehmen verlagert. Die Vorschrift des § 4 TVöD erlaubt dem Arbeitgeber unter den genannten Voraussetzungen die Personalgestellung ohne Änderungskündigung im Wege des Direktionsrechts und stellt sich damit als Ausweitung der Befugnisse des Arbeitgebers dar. Die Tatsache, dass die Regelung des TV-V eine entsprechende Ausweitung des Direktionsrechts nicht enthält, bedeutet dementsprechend allein, dass der Arbeitgeber hier zur Personalgestellung den Weg der Änderungskündigung beschreiten muss. Abgesehen davon, dass es einer solchen im vorliegenden Fall schon wegen der Änderung der vertraglichen Arbeitsaufgaben und der damit einhergehenden Herabgruppierung bedarf, bleibt festzuhalten, dass allein die erweiterte Ausgestaltung des Direktionsrechts in § 4 TVöD bzw. das Fehlen einer entsprechenden Regelung im TV-V für die Reichweite der Beschäftigungsgarantie zugunsten der tariflich nur noch aus wichtigem Grunde kündbaren Arbeitnehmer ohne Belang ist. Dementsprechend ist festzuhalten, dass zu denjenigen Maßnahmen, welche die Beklagte mit Rücksicht auf die Unkündbarkeit der Klägerin im Sinne eines milderen Mittels zu ergreifen hatte, auch das Angebot der Beschäftigung im Wege der “Ausleihe” an dasjenige Reinigungsunternehmen umfasste, welches künftig die ansonsten für die Klägerin geeigneten Reinigungstätigkeiten übernehmen sollte.

Mit einer solche “Ausleihe” der Klägerin an das beauftragte Reinigungsunternehmen war zugleich das Ziel der Beklagten zu erreichen, die dargestellten organisatorischen Probleme bei Urlaub und Krankheit der Klägerin zu vermeiden. Anders als die Beklagte, welche selbst über kein eigenes Vertretungspersonal im Reinigungsbereich vorhält, führt der urlaubs- oder krankheitsbedingte Ausfall einer einzelnen Reinigungskraft bei einem Reinigungsunternehmen mit mehreren Beschäftigten nicht dazu, dass die erforderliche Reinigungstätigkeit ausfällt oder nur unvollständig erledigt werden kann.

5. Soweit die Beklagte in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 16.09.2010 darauf verweist, für eine Personalgestellung in dem hier dargestellten Sinne habe es schon deshalb an den Voraussetzungen gefehlt, weil die Firma G2 nicht über eine freie Arbeitsstelle verfügt habe und aus diesem Grunde zur Eingliederung der Klägerin in ihren Betrieb nicht bereit gewesen sei, führt dies zu keiner anderen Entscheidung. Vielmehr wäre es Sache der Beklagten, im Zuge der Durchführung der beschlossenen Rationalisierungsmaßnahmen und der Fremdvergabe der Unterhaltsreinigung die Verpflichtung des beauftragten Reinigungsunternehmens zur Beschäftigung der Klägerin (zu den dort üblichen Arbeitsbedingungen) in die Vertragsgestaltung aufzunehmen. Allein der Umstand, dass sich das vergleichsweise kleine Reinigungsunternehmen der Firma G2 auf eine solche Vertragsbindung ggfls. nicht eingelassen hätte, bedeutet nicht, dass damit den erforderlichen Bemühungen, die Klägerin “unterzubringen”, Genüge getan war. Auch auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens kann nicht davon ausgegangen werden, nach den Marktverhältnissen im Zeitpunkt der Änderungskündigung sei es praktisch ausgeschlossen gewesen, bei der Vergabe eines Reinigungsauftrages eine Beschäftigung der Klägerin im Wege der Personalgestellung durchzusetzen.

6. Im Ergebnis ist damit dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils zuzustimmen, dass die Arbeitsbedingungen der Klägerin durch die angegriffene Änderungskündigung nicht wirksam geändert worden sind.

II

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

III

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

a very tall building with a moon in the sky

Ist Mobbing strafbar?

März 13, 2024
Von RA und Notar Krau:Mobbing kann je nach den Umständen strafbar sein, aber nicht immer.Es gibt kein spezifisches Gesetz, das Mobbing al…
filling cans with freshly brewed beers

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21

Februar 4, 2024
Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21 – Urteil vom 15.11.2023 – Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit…
man holding orange electric grass cutter on lawn

Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22

Februar 4, 2024
Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22 – Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes …