LAG Hamm, Urteil vom 22.04.2010 – 16 Sa 1502/09

Oktober 1, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 22.04.2010 – 16 Sa 1502/09

Aus der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Urlaubsabgeltungsanspruch des langandauernd arbeitsunfähigen Arbeitnehmers folgt die Vererblichkeit des Abgeltungsanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers.
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird hinsichtlich des Hauptantrages als unzulässig zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte auf den Hilfsantrag hin verurteilt, an die Erbengemeinschaft nach Herrn T1 H1 3.230,50 Euro; brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 87 %, die Klägerin zu 13 %.
Die Revision wird hinsichtlich der Zahlungsverurteilung zugelassen.
Soweit die Berufung zurückgewiesen worden ist, wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Urlaubsabgeltungsanspruch.
Die Klägerin ist gemeinsam mit ihrem am 30.09.1988 geborenen Sohn Erbin des am 16.04.2009 verstorbenen T1 H1, ihres Ehemannes.
Der Ehemann der Klägerin war seit dem 23.04.2001 bei der Beklagten als Kraftfahrer zu einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 2.000,– Euro; brutto beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht abgeschlossen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Ehemann der Klägerin ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen oder von 28 Arbeitstagen zustand. Am 14.04.2008 erkrankte der Ehemann der Klägerin und war durchgängig bis zum 16.04.2009, dem Tag seines Todes, arbeitsunfähig. Ihm war weder der Urlaub des Jahres 2008 noch der des Jahres 2009 gewährt worden.
Mit Schreiben vom 22.08.2009 forderte die Klägerin die Beklagte auf, den Urlaub ihres Ehemannes für die Jahre 2008 und 2009 abzugelten. Diese Forderung wies die Beklagte mit Schreiben vom 03.06.2009 zurück. Mit ihrer am 17.06.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Auf der Grundlage eines jährliches Urlaubsanspruchs von 30 Arbeitstagen berechnet sie den Abgeltungsanspruch für 2008 und anteilig für 2009 mit 3.692,31 Euro; brutto.
Durch Urteil vom 16.10.2009, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig, da die Klägerin den in Frage stehenden Anspruch als Erbin in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft klageweise geltend machen könne. Eine Leistung an sich allein, die sie mit dem Hauptantrag begehre, könne sie solange die Erbengemeinschaft bestehe, aber nicht verlangen. Jedoch habe auch die Erbengemeinschaft keinen Urlaubsabgeltungsanspruch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB erworben. Der dem Ehemann der Klägerin zustehende Urlaubsanspruch sei mit dessen Tod erloschen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestehe der Inhalt des Urlaubsanspruchs nach §§ 1, 3 BUrlG in der Beseitigung der Arbeitspflicht für die Dauer der Urlaubszeit. Die Arbeitspflicht sei regelmäßig an die Person des Arbeitnehmers gebunden, sodass sie nach seinem Tod nicht mehr entstehe, der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch also auch nicht mehr erfüllen könne. Hieraus ergebe sich zugleich, dass der Ehemann der Klägerin auch keinen Abgeltungsanspruch erworben habe. Ein solcher setze voraus, dass der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses lebe. Schließlich habe dem Erblasser auch kein Schadensersatzanspruch zugestanden. Die Beklagte habe die Unmöglichkeit der Abgeltung nicht schuldhaft verursacht. Diese folge allein aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Ehemanns der Klägerin.
Gegen dieses, ihr am 27.10.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.11.2009 Berufung eingelegt und diese am 28.12.2009 begründet.
Sie steht auf dem Standpunkt, dass nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechtes die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Problematik der Urlaubsabgeltung nach dem Tod des Arbeitnehmers zu überdenken und teilweise abzuändern sei. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG eröffne die finanzielle Vergütung von Mindesturlaub bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Urlaubsanspruch des verstorbenen Ehemannes der Klägerin für das Jahr 2008 habe sich nach Ablauf des Übertragungszeitraums in einen nach § 1922 BGB übertragbaren Vermögensanspruch umgewandelt, was entsprechend für den anteiligen Urlaubsanspruch des Jahres 2009 beim Tod gegolten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 16.10.2009, 2 Ca 1497/09, aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 3.692,31 Euro; brutto Urlaubsabgeltung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2009 zu zahlen;
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft nach Herrn T1 H1 3.692,31 Euro; brutto Urlaubsabgeltung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und verweist auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach mit dem Tod des Arbeitnehmers kein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehe, der auf den Erben übergehen könne. Bezüglich der Vererbbarkeit ergebe sich keine andere Auslegung aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie. Im Übrigen wären auf der Grundlage des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs für das Jahr 2008 allenfalls 20 Tage und für das Jahr 2009 anteilig fünf Tage abzugelten, sodass sich ein maximaler Abgeltungsbetrag von 2.307,75 Euro; brutto errechne. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass der ursprüngliche Anspruch des verstorbenen Ehemannes der Klägerin 28 Arbeitstage betragen habe. Dieser habe einen angeblichen Urlaubsabgeltungsanspruch ihr gegenüber auch nicht geltend gemacht.
Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung der Klägerin ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie überwiegend begründet.
Die Berufung der Klägerin ist unzulässig, soweit sie ihren Hauptantrag im Berufungsverfahren weiter verfolgt.
Der Hauptantrag der Klägerin ist darauf gerichtet, dass die begehrte Zahlung an sie, die Klägerin, vorzunehmen sei. Dies hat das Arbeitsgericht mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin als Mitglied einer Erbengemeinschaft gemäß § 2039 BGB nur die Leistung an alle Erben verlangen könne. Der Hauptantrag, mit dem sie Leistung an sich allein begehre, sei daher unbegründet.
Auf diese Begründung des Arbeitsgerichts zur Abweisung des Hauptantrages ist die Berufung in keiner Weise eingegangen. Nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung jedoch die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufung der Klägerin diesen Anforderungen, bezogen auf den Hauptantrag nicht genügt, war sie gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO insoweit als unzulässig zu verwerfen.
II
Die Berufung ist jedoch zulässig und teilweise begründet, soweit das Arbeitsgericht die Klage auch insoweit abgewiesen hat, als die Klägerin die Zahlung der Urlaubsabgeltung an die Erbengemeinschaft verlangt.
1) Zutreffend ist das Arbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, dass die durch die Klägerin allein erhobene Klage zulässig ist.
Die Klägerin bildet zusammen mit ihrem Sohn eine Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB). Nach § 2039 BGB besitzt jeder einzelne Miterbe ein Einziehungs- und Prozessführungsrecht für Ansprüche, die zum Nachlass gehören. Er ist insoweit nicht Vertreter der anderen Miterben, sondern kann Ansprüche sogar gegen deren Widerspruch verfolgen. Allerdings kann jeder Miterbe die Leistung nur an alle Erben fordern. Es handelt sich um den Fall einer gesetzlichen Prozessstandschaft.
Diesen rechtlichen Voraussetzungen hat die Klägerin, die im eigenen Namen Klage erhoben hat, mit ihrem Hilfsantrag entsprochen. Sie hat die Zahlung der geltend gemachten Forderung an die Erbengemeinschaft beantragt.
2) Diese Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Ein Anspruch besteht jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe.
Der Ehemann der Klägerin hatte bei seinem Tod Urlaubsansprüche für 35 Urlaubstage. Dieser Anspruch ist nicht mit seinem Tod erloschen. Vielmehr besteht ein Urlaubsabgeltungsanspruch, der als Geldforderung nach § 1922 Abs. 1 BGB ohne weiteres auf die Erben übergegangen ist.
a) Freilich entspricht es bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs voraussetzt. Danach wäre auch für diesen Anspruch maßgeblich, dass der Arbeitnehmer, in dessen Person der Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden ist, ihn verwirklichen kann, wenn er bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses jedenfalls für die Dauer seines Urlaubs seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Hieran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer gestorben ist. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung schied die Vererblichkeit von gesetzlichen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen schon deshalb aus, weil mit dem Tod des Arbeitnehmers das ausschlaggebende Merkmal der Erfüllbarkeit der Ansprüche endgültig entfallen ist (vgl. BAG vom 18.07.1989, 8 AZR 44/88, DB 1989, 2490; vom 26.04.1990, 8 AZR 517/89, DB 1990, 1925; vom 23.06.1992, 9 AZR 111/91, DB 1992, 2404).
b) An dieser Rechtsprechung ist, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, nicht festzuhalten. Ihr Anspruch ist durch europarechtliche Vorgaben geprägt.
aa) Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 983/07, NZA 2009, 538), der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 in der Sache S6-H5 (RS – C – 350/06, NZA 2009, 135) folgend, seine Rechtsprechung aufgegeben, wonach gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraumes erkrankt, deswegen arbeitsunfähig sind und ihren Urlaubsanspruch nicht haben realisieren können. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, dass viel dafür spreche, das Ergebnis einer möglichen und gebotenen richtlinienkonformen Auslegung bereits aus einer einschränkenden Gesetzesauslegung im engeren Sinne zu gewinnen und darauf hingewiesen, dass das Erfordernis der Erfüllbarkeit der Freistellung, der Verfall des Urlaubsanspruchs und der Surrogationscharakter des Abgeltungsanspruchs im Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich angelegt und dem Gesetzeszusammenhang nicht in einer Weise zu entnehmen sei, die jede andere Auslegung ausschließe. Der Verfall sei in § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG nicht ausdrücklich angeordnet. Die Abgeltung sei im Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG nicht davon abhängig gemacht, dass der Urlaubsanspruch erfüllbar sei. Deshalb habe auch der für das Urlaubsrecht zuständige 5. Senat vor 1982 angenommen, dass Urlaubsabgeltungsansprüche bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Urlaubsjahres und des Übertragungszeitraumes nicht verfielen (vgl. RdNr. 60 – 62 des Urteils). Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht eine einschränkende Auslegung innerhalb der Grenzen des Wortlauts des nationalen Rechts offen gelassen und jedenfalls eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen des §§ 7 Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 BUrlG in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des jeweiligen Übertragungszeitraumes für geboten und vorzunehmen gehalten. Die für eine solche Reduktion notwendige verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ergebe sich daraus, dass die Gesetzesmaterialien den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht behandelten und dass gerade bei der letzten Modifikation des § 7 BUrlG 1994 das gesundheitspolitische Anliegen des Gesetzgebers unterstrichen worden sei, das sich mit den Zielen der Richtlinie decke (vgl. hierzu RdNr. 64 – 67).
Auch im vorliegenden Fall hat der verstorbene Ehemann der Klägerin seinen Urlaubsanspruch wegen einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit nicht realisieren können. Er hat den Anspruch 2008 damit auf der Grundlage der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über den Übertragungszeitraum hinaus behalten. Diesen und seinen anteiligen Urlausanspruch des Jahres 2009 hat er wegen seiner Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 16.04.2009 nicht nehmen können. Damit bestand grundsätzlich ein Urlaubsabgeltungsanspruch.
bb) Ob dieser Anspruch vererblich ist, ist freilich unklar. Soweit hierzu Stellungnahmen vorliegen, wird – wie auch vom Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung – vertreten, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes jedenfalls keinen Anlass gebe, die Rechtslage anders zu beurteilen als bisher (Bauer/Arnold, NJW 2009, 631). Dem ist jedoch deshalb nicht zu folgen, weil die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs durch die Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht als Merkmal des Abgeltungsanspruchs angeknüpft hat. Dieses Merkmal ist für Fälle der vorliegenden Art nicht mehr von Bedeutung.
Mit Verweis darauf, dass nach der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes die Abgeltung nicht mehr als Surrogat zu verstehen sei, wird dementsprechend auch die Konsequenz gezogen, dass mit dem Tod des Arbeitnehmers den Erben ein Abgeltungsanspruch einzuräumen sei (MüArbR/Düwell. 3. Aufl., 2009, § 78 RdNr. 18). Dieses Ergebnis dürfte auch für die Ansicht folgerichtig sein, die vertritt, dass nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.03.2009 der Abgeltungsanspruch eine Geldleistung ohne strikte Zweckbindung sei (vgl. Kothe/Beetz, Anm. zu BAG vom 24.03.2009, Juris PR-ArbR 25, 2009).
cc) Freilich hat der Europäische Gerichtshof das Bestehen eines Abgeltungsanspruchs gerade damit begründet, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2009/88/EG dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dient und deshalb seine Bedeutung nicht verliert, weil die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaubs durch eine Ruhezeit verwirklicht werden kann, die zu einem späteren Zeitpunkt genommen wird (EuGH vom 20.01.2009, aaO., RdNr. 30). Dieser Zweck ist mit dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr zu verwirklichen. Wäre bei der durch das Bundesarbeitsgericht vorgenommenen richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion dieser Zweck zu beachten, so ergäben sich Zweifel daran, dass im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers ein Abgeltungsanspruch besteht. Jedoch sind auch andere Fälle denkbar, bei denen mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Zweck des Gesundheitsschutzes seine Bedeutung verliert, z.B. bei Eintritt in den Ruhestand. Die Gebote der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit verbieten es, für jede einzelne Fallgestaltung eine erneute Auslegung des § 7 Abs. 4 BUrlG unter Beachtung der Europäischen Vorgaben vorzunehmen. Insoweit ist der Ansicht zu folgen, die in dem Abgeltungsanspruch eine Geldleistung ohne strikte Zweckbindung sieht.
dd) Schließlich steht auch die weitere Besonderheit, dass der verstorbene Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seines Todes einen Geldleistungsanspruch nicht besessen hat, der Vererblichkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht entgegen. Dieser entsteht, da die Urlaubsabgeltung das Ende des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, erst mit dem Tod des Arbeitnehmers. Es handelt sich um einen noch nicht fertigen, im Werden begriffenen Anspruch. Für solche Ansprüche ist indes grundsätzlich anerkannt, dass sie vererbbar sind (Palandt, BGB 69. Aufl., § 1922 RdNr. 26; Marotzke in Staudinger, § 1922 RdNr. 303 ff.), wobei eine Ausnahme bei höchstpersönlichen Angelegenheiten besteht.
Wie bereits ausgeführt ist der Urlaubsabgeltungsanspruch jedoch nicht durch das Merkmal “höchstpersönlich” gekennzeichnet. Höchstpersönlich ist nach § 613 BGB die Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Hieraus hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit geschlossen, dass bei Ende des Arbeitsverhältnisses eines dauerhaft erkrankten Arbeitnehmers der Urlaubsanspruch nicht mehr erfüllt werden könne, weil dieser nicht von seiner Arbeitspflicht befreit werden könne. Ist daran aber aus europarechtlichen Gründen nicht festzuhalten, entsteht vielmehr ein Geldleistungsanspruch, so ist dieser nicht durch die höchstpersönliche Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung charakterisiert. Deutlich wird dies daran, dass bei vollendetem Rechtserwerb des Erblassers – wäre er beispielsweise einen Tag nach aus anderen Gründen beendeten Arbeitsverhältnis verstorben – der noch nicht erfüllte Urlaubsabgeltungsanspruch ohne Bedenken Bestandteil der Erbmasse wäre. Im Übrigen gilt auch für den über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, dass die Erbringung der Arbeitsleistung, die höchstpersönlicher Natur ist, nicht mehr möglich ist. Dieser behält nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gerade seinen Urlaubsabgeltungsanspruch.
3) Der Urlaubsabgeltungsanspruch des verstorbenen Ehemannes der Klägerin bestand im Umfang von 28 Arbeitstagen. Die Klägerin hat zwar behauptet, dass sich der arbeitsvertragliche Urlaub ihres verstorbenen Ehemannes auf 30 Arbeitstage belaufen hätte. Dieser Vortrag der Klägerin ist jedoch von der Beklagten unter Überreichung von Belegen substantiiert bestritten worden. Einen Beweis zu ihrem Vorbringen hat die Klägerin nicht angetreten.
4) Die Klägerin kann Abgeltung sowohl des gesetzlichen Mindesturlaubs als auch des vertraglichen Mehrurlaubs verlangen. Die Arbeitsvertragsparteien haben zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen nicht unterschieden. Nach §§ 133, 157 BGB ist damit davon auszugehen, dass das rechtliche Schicksal des übergesetzlichen Urlaubs dem des gesetzlichen folgt (s. BAG vom 24.03.2009, aaO). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsvertragsparteien ihren Vereinbarungen einen anderen Regelungsgehalt beigemessen haben. Im Gegenteil lassen die Erklärungen, die der verstorbene Ehemann jährlich zu seinem Urlaubsanspruch abgegeben hat, erkennen, dass sich der gesamte Urlaubsanspruch auch hinsichtlich der Übertragbarkeit nach den gesetzlichen Bestimmungen richtet.
5) Auf der Grundlage eines Jahresurlaubs von 28 Arbeitstagen ergibt sich für den in Frage stehenden Zeitraum ein Abgeltungsanspruch für 35 Arbeitstage. Neben dem vollen Urlaubsanspruch für das Jahr 2008 sind anteilige Ansprüche für das Jahr 2009 in Höhe von acht Arbeitstagen abzugelten, insgesamt also 35 Arbeitstage.
6) Jedoch kann die Klägerin pro Urlaubstag nur eine Abgeltung in Höhe von 92,30 Euro; verlangen. Dies ergibt sich auf der Grundlage eines von beiden Parteien angenommenen monatlichen Entgeltanspruchs von 2.000,– Euro;. Die Klägerin hat ihre Berechnung, mit der sie zu einem höheren urlaubstäglichen Abgeltungsanspruch kommt, nicht näher erläutert. Bei einer Forderung von 3.692,31 Euro; brutto und 38 Urlaubstagen ergibt sich jedoch ein Betrag von 97,16 Euro; brutto pro Urlaubstag. Dieser Satz wird mit dem vom Gericht angenommenen Urlaubsentgelt in Höhe von 92,30 Euro; nicht überschritten (§ 308 Abs. 1 ZPO).
7) Der Anspruch der Klägerin ist nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die Zulassung bzw. Nichtzulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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