LAG Hessen, 01.12.2014 – 17 Sa 757/14

April 30, 2019

LAG Hessen, 01.12.2014 – 17 Sa 757/14
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Mai 2014, 9 Ca 99/14, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten, die diese damit begründet, der Kläger habe einen Kollegen, den Zeugen A, tätlich angegriffen.

Der am 14. November 1968 geborene, verheiratete und vier Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit 16. Februar 2009 bei der Beklagten als Busfahrer mit einem zuletzt erzielten durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von ca. 2.150,00 € beschäftigt.

Am 18. Februar 2014 hatte er zu Schichtbeginn auf dem Stellplatz Oberroden Kontakt mit dem als “Hofdienst” eingesetzten Mitarbeiter A. A teilte dem Kläger mit, dieser habe am 19. Februar 2014 seinen Dienst in Weiterstadt und nicht in Oberroden zu beginnen. Die weiteren Einzelheiten sind streitig. Wegen des Vorgangs hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 20. Februar 2014 (Bl. 73 f d.A.) zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 24. Februar 2014. Mit Schreiben vom 25. Februar 2014 (Bl. 4 f d.A.), am selben Tag um 15.05 Uhr in den Wohnungsbriefkasten des Klägers eingeworfen, erklärte die Beklagte die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlich unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort zuletzt gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 122 bis 124R d.A.).

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen A (Bl. 118R f d.A.) durch am 13. Mai 2014 verkündetes Urteil, 9 Ca 99/14, abgewiesen. Zur Begründung hat es, soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 25. Februar 2014 sei als außerordentliche Kündigung wirksam. Ein wichtiger Grund liege vor, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger den Zeugen A am 18. Februar 2014 tätlich angegriffen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 125 bis 128R d.A.).

Gegen dieses ihm am 26. Mai 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Juni 2014 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Er beanstandet die erstinstanzliche Beweiswürdigung und hält daran fest, den Zeugen A nicht tätlich angegriffen oder geschlagen zu haben. Er behauptet, der sog. Hofdienst sei nicht berechtigt, Anweisungen hinsichtlich Einsatzzeiten und Einsatzort zu erteilen. Er behauptet, eine Anweisung, am 19. Februar 2014 seinen Dienst in Weiterstadt zu beginnen, sei unsinnig. Da am 19. Februar 2014 eine Betriebsratssitzung stattfand und vier Betriebsratsmitglieder “vom Standort Oberroden seien”, mache es keinen Sinn, jemanden aus Oberroden abzuziehen und in Weiterstadt einzusetzen. Der Kläger behauptet, der Zeuge A habe die Anweisung zu Unrecht erteilt, um ihn zu provozieren. Er wiederholt seine erstinstanzliche und von der Beklagten nicht bestrittene Behauptung, am 18. Februar 2014 von einem Disponenten angerufen worden zu sein, der ihm mitgeteilt habe, er solle am 19. Februar 2014 in Oberroden starten, was er auch tatsächlich getan habe. Der Kläger behauptet nunmehr im Berufungsverfahren, der Zeuge B habe während der gesamten Zeit das Geschehen im Bus sehen können, habe es auch gesehen und könne bestätigen, dass er – der Kläger – den Zeugen A nicht tätlich angegriffen habe. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 3. Juni 2014 (Bl. 138 f d.A.), 14. Juni 2014 (Bl. 149 d.A.), 26. September 2014 (Bl. 220 f d.A.) und 20. November 2014 (Bl. 229 f d.A.) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Mai 2014, 9 Ca 99/14, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25. Februar 2014 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 5. August 2014 (Bl. 190 f d.A.) und 7. November 2014 (Bl. 226) verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B, wie aus der Sitzungsniederschrift vom 1. Dezember 2014 (Bl. 234 f d.A.) ersichtlich.
Entscheidungsgründe

A. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 13. Mai 2014, 9 Ca 99/14, ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

B. Sie ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Kündigungsschutzantrag zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. Februar 2014 ist wirksam.

I. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

1. a) Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist im Rahmen einer zweistufigen Prüfung zu beurteilen. Im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich, d.h. typischerweise, geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 32/11 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 50; BAG 19. April 2012 – 2 AZR 258/11 – AP BGB § 626 Nr. 238; BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – AP BGB § 626 Nr. 236; BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – AP BGB § 626 Nr. 229).

b) Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt ferner das Prognoseprinzip. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst die erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11 – AP BGB § 626 Nr. 239; BAG 19. April 2012 – 2 AZR 186/11 – AP KSchG 1969 § 14 Nr. 13; BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 284/10 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64).

c) Tätlichkeiten unter Kollegen sind grundsätzlich geeignet, auch ohne vorherige einschlägige Abmahnung einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – DB 2009, 964; BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 25; BAG 9. März 1995 – 2 AZR 461/94 – NZA 1995, 678; BAG 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 32).

2. Danach liegt ein Sachverhalt vor, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Denn der Kläger hat am 18. Februar 2014 während der Arbeitszeit einen Mitarbeiter, den Zeugen A, tätlich angegriffen, ihn am Hemdkragen gefasst, geschüttelt, angebrüllt und trotz mehrmaliger Aufforderung nicht losgelassen.

a) Dies ist bewiesen durch die glaubhaften Angaben des Zeugen A und entspricht den erstinstanzlichen Feststellungen.

aa) Nach §§ 529 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG ist das Berufungsgericht an die Feststellungen des Arbeitsgerichts gebunden, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

bb) Konkrete Anhaltspunkte, die die Bindung des Berufungsgerichts an vorinstanzliche Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (BAG 3. Juni 2014 – VI ZR 394/13 – NJW 2014, 2797). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist darüber hinaus jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen; konkrete Anhaltspunkte können sich hierbei aus gerichtsbekannten Tatsachen, aus dem Vortrag der Parteien oder aus dem angefochtenen Urteil selbst ergeben (BGH 8. Juni 2004 – VI ZR 230/03 – BGHZ 159, 254). Zweifel i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse, nicht notwendig überwiegende, Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH 3. Juni 2014 – VI ZR 394/13 – a.a.O.; BGH 2. Juli 2013 – VI ZR 110/13 – NJW 2014, 74). Solche Zweifel können sich auch aus vorgebrachten Bedenken gegenüber der Glaubwürdigkeit eines vernommenen Zeugen ergeben (BGH 3. Juni 2014 – VI ZR 394/13 – a.a.O.), ebenso, wenn das erstinstanzliche Gericht die Aussage nur zum Teil oder gar nicht gewürdigt hat, diese aber nach ihrem protokollierten Inhalt mehrdeutig ist (BGH 10. Oktober 2013 – VII ZR 269/12 – zitiert nach ). Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte reichen allerdings nicht aus (BGH 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04 – NJW 2006, 152; BGH 8. Juni 2004 – VI ZR 230/03 – a.a.O.).

(1) Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts bei der Feststellung des Sachverhalts sind nicht erkennbar.

(2) Soweit der Kläger die erstinstanzliche Beweiswürdigung mit vermeintlich widersprüchlichen Angaben des Zeugen A angreift, wird dem nicht gefolgt.

(a) Soweit der Kläger auf Angaben des Zeugen A abstellt, wonach der Kläger “von hinten gekommen” sei, löst sich der vermeintliche Widerspruch durch die ergänzenden Angaben des Zeugen auf. Die Angaben des Zeugen lassen sich zwanglos mit den Örtlichkeiten des Busses in Einklang bringen. Nach den Angaben des Zeugen hatte der Kläger sich von hinten in Richtung Fahrersitz begeben, m.a.W. vom Beobachtungsort Fahrersitz aus vom hinteren Teil des Busses – in Fahrtrichtung gesehen – her. Dass die Angaben so zu verstehen waren, folgt aus den Angaben des Zeugen auf Vorhalt des Lichtbilds Bl. 115 d.A. und den weiteren Angaben des Zeugen, wonach der Kläger seine Tasche auf den ersten Sitzen, der Sitzreihe “hinter” dem Fahrersitz abgestellt habe und dann “hinter” ihn gekommen sei. Die Bezeichnung “hinter” gibt die Bewegungsrichtung des Klägers, bezogen auf den Standort Fahrersitz innerhalb des Busses wieder.

Die Bezeichnung “hinter” gibt dagegen nicht die Körperregion wieder, an der der Kläger den Zeugen “am Hals” gepackt habe. Dies hat der Zeuge ausdrücklich klargestellt. Hiernach kam der Kläger “von hinten”, also dem hinteren Teil des Busses, packte ihn aber “von vorn”. Dies hat der Zeuge auf Befragen erläutert. Die Erläuterung der Bezugspunkte der Begriffe “hinten” und “vorn” ist keine neue Version der Zeugenangaben.

Die Ausführungen des Klägers, der Zeuge habe “kleinlaut” zugestanden, der Kläger sei von vorn gekommen und habe ihn gepackt, sind unrichtig. Ausweislich des Protokolls ist der Zeuge dabei geblieben, der Kläger sei “von hinten” gekommen. Er hat gesagt: “Für mich war das von hinten”.

(b) Soweit der Kläger die erstinstanzliche Beweiswürdigung mit vermeintlichen Widersprüchen in der Aussage des Zeugen A zur Stelle, an der er gepackt worden sei, angreift, folgt die Kammer dem ebenfalls nicht. Soweit der Zeugen zunächst bekundete, am “Hals” gepackt worden zu sein, bezeichnet dies zunächst die Körperregion, gibt aber nicht zwingend darüber Aufschluss, ob der Kläger den Hals direkt anfasste oder das Kleidungsstück, dass der Zeuge “am Hals” trugt, also das Hemd, konkret: den Hemdkragen. Dass er nach seinen Angaben am Hemdkragen gepackt wurde, erschließt sich aus den weiteren Angaben des Zeugen. Der vermeintliche Widerspruch besteht nicht.

(c) Soweit der Kläger die erstinstanzliche Beweiswürdigung mit einem vermeintlichen Widerspruch in den Zeugenangaben zum Festhalten am Hemdkragen und Schlag mit einer Flasche angreift, folgt die Kammer dem ebenfalls nicht. Der behauptete Widerspruch besteht nicht. Es mag sein, dass der Kläger nicht mit einer Flasche schlagen konnte, wenn er gleichzeitig mit zwei Händen den Hemdkragen des Zeugen packte. Allerdings hat der Zeuge nicht bekundet, der Kläger habe ihn mit beiden Händen gepackt. Er hat auch nicht bekundet, den Schlag mit der Flasche überhaupt zu der Zeit erhalten zu haben, als er vom Kläger “am Hals” gepackt worden sei.

(d) Soweit der Kläger die Glaubwürdigkeit des Zeugen mit den Argumenten angreift, der Zeuge habe keinen Arzt aufgesucht, habe die Polizei nicht eingeschaltet und habe Stunden zugewartet, bevor er die Beklagte informierte, folgt die Kammer dem ebenfalls nicht. Dass kein Arzt aufgesucht wurde, lässt sich darauf zurückführen, dass keine gesundheitliche Beeinträchtigung des Zeugen eintrat. Bei dem vom Zeugen geschilderten Vorfall war auch nicht zwangsläufig mit der Erstattung einer Strafanzeige zu rechnen. Außerdem hat der Zeuge plausibel dargelegt, warum er zunächst mit einer Benachrichtigung der Beklagten zuwartete und auch davon ausging, eine Anzeige “bringe nichts”, nämlich weil er zunächst auf eine Entschuldigung wartete, sich dann aber nach Dienstschluss wegen etwaiger künftiger Fälle entschloss, einen Disponenten zu benachrichtigen, und im Übrigen davon ausging, es werde Aussage gegen Aussage stehen. Dass der Zeuge A das zerrissene Hemd nicht aufbewahrte, spricht ebenfalls nicht gegen seine Glaubwürdigkeit. Dass er einmal wegen des Vorgangs vom 18. Februar 2014 als Zeuge würde vernommen werden, musste er seinerzeit nicht in Erwägung ziehen, damit auch nicht, dass er als Beleg für seine Glaubwürdigkeit weitere Beweismittel aufbewahren sollte. Eigenes Interesse an Aufbewahrung des zerrissenen Hemdes liegt für den Zeugen nicht vor. Insbesondere hat der Personalleiter der Beklagten im Verhandlungstermin vom 1. Dezember 2014 bestätigt, dass das Hemd von der Beklagten gestellt wurde. Von daher war auch nicht zu erwarten, dass der Zeuge A das Hemd etwa zur Sicherung eigener Ersatzansprüche aufbewahren würde.

(3) Die Behauptung des Klägers, der Zeuge A habe ihm zu Unrecht und nur, um ihn zu provozieren, die Anweisung erteilt, am nächsten Tag seinen Dienst in Weiterstadt zu beginnen, ist kein objektivierbarer tatsächlicher Einwand gegen die tatsächlichen Feststellungen der ersten Instanz, sondern allenfalls die subjektive Vermutung der Unrichtigkeit ohne greifbaren Anhaltspunkt. Der Zeuge A hatte bereits in seiner schriftlichen Stellungnahme von 18. Februar 2014 darauf hingewiesen, den Wochenplan vom Disponenten C erhalten zu haben. Es sind keine Anhaltspunkte für die Annahme ersichtlich, der Zeuge A habe dem Kläger bewusst eine unzutreffende Einsatzplanung mitgeteilt und dies dann auch noch durch sein Schreiben an die Beklagte vom 18. Februar 2014 dieser gegenüber dokumentiert. Dies gilt umso mehr, als der Kläger betont, zum Zeugen A ein gutes Verhältnis gehabt zu haben. Der Umstand, dass der Kläger nach seiner Darstellung noch am 18. Februar 2014 von einem anderen Disponenten angerufen wurde, der ihm für den 19. Februar 2014 einen Einsatz ab Oberroden mitteilte, spricht ebenfalls nicht gegen Glaubwürdigkeit des Zeugen A oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Aus welchen Gründen dieser Anruf erfolgt sei, wird vom Kläger nicht mitgeteilt. Auch wenn ein Anruf erfolgt ist, spricht dies nicht dagegen, dass der Kläger für den 19. Februar 2014 zunächst für einen Einsatz ab Weiterstadt eingeplant war – wie vom Zeugen A mitgeteilt – und dies aus welchen Gründen auch immer geändert wurde. Insbesondere erscheint ein Anruf eines Disponenten beim Kläger nur dann als sinnvoll, wenn damit eine Änderung der bisherigen Planung kommuniziert werden soll, nicht dagegen, wenn dieser nur mitteilt, dass es bei einem ohnehin geplanten Einsatz ab Oberroden verbleiben soll. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Disponenten die Fahrer regelmäßig davon unterrichten, dass keine Planänderung eintritt.

(4) Die Behauptung des Klägers, der Zeuge B habe den Vorfall beobachtet und könne bestätigen, dass kein tätlicher Angriff stattfand, ist grundsätzlich geeignet, einen konkreten Anhaltspunkt für Zweifel i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO darzustellen. Auch neues tatsächliches Vorbringen kann zu solchen Zweifeln führen (BGH 8. Juni 2004 -VI ZR 199/03 – BGHZ 159, 245). Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts können auch durch neue in der Berufungsinstanz zu berücksichtigende Angriffs- und Verteidigungsmittel zweifelhaft werden (BGH 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04 -a.a.O.).

(a) Die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass die Behauptung des Klägers unrichtig ist. Der Zeuge B hat nicht im Einzelnen beobachtet und beobachten können, was der Kläger und der Zeuge A machten, nachdem er den Bus des Zeugen A verlassen hatte. Dass es noch keinen Streit gab, als der Zeuge B sich noch im Bus des Zeugen A befand, entspricht den Angaben des Zeugen A. Dass der Streit danach entstand und es zu einem tätlichen Angriff durch den Kläger kam, ist durch die Angaben des Zeugen B nicht widerlegt.

Dagegen bestätigt der Zeuge B die des Zeugen A in einem anderen Punkt. Der Zeuge B hat nämlich bestätigt, dass der Kläger eine Tasche mit sich führte und diese mit in den Bus des Zeugen A brachte. Dies bestätigt die Angaben des Zeugen A und widerlegt die Einlassung des Klägers. Damit ist gleichzeitig plausibel, dass der Kläger “von hinten” kam, nämlich von der Stelle im Bus, an der er seine Tasche deponiert hatte. Damit ist gleichzeitig plausibel, dass er im Bus des Zeugen A eine Flasche mit sich geführt hatte, nämlich in der Tasche.

(b) Für die Vernehmung des Zeugen B war kein Dolmetscher hinzuzuziehen. Dementsprechend ist entgegen dem Antrag des Klägers auch keine erneute Vernehmung des Zeugen B unter Hinzuziehung eines Dolmetschers durchzuführen. Der Zeuge hatte zwar zu Beginn seiner Vernehmung erklärt, nicht besonders gut deutsch sprechen und verstehen zu können. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers war jedoch nicht gemäß § 185 GVG geboten. Hiernach ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Über die Hinzuziehung entscheidet hierbei das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Da bei dem Zeugen B als Kollegen des Klägers und Busfahrer allein aufgrund seines Berufs im Linienverkehr zumindest gewisse Deutschkenntnisse vorhanden sein müssen, hat die Kammer mit der Vernehmung des Zeugen begonnen, auch um sich zunächst ein Bild über dessen Sprachkenntnisse zu verschaffen. Dies zeigte, dass der Zeuge der deutschen Sprache mächtig ist, der Verhandlung, soweit sie seine Vernehmung betraf, folgen konnte und folgte, die Verständigung mit dem Zeugen auf Deutsch möglich war, er in deutscher Sprache gestellte Fragen verstand und er hierauf in Deutsch zu antworten vermochte.

b) Die von der Kammer durch Vernehmung des Zeugen B durchgeführte Beweisaufnahme belegt damit nicht, dass der erstinstanzlich vernommene Zeuge A die Unwahrheit bekundet hat. Sie begründet auch keine Zweifel an den Angaben des Zeugen A. Denn aus den Angaben des Zeugen B folgt, dass er die vom Zeugen A bekundete tätliche Auseinandersetzung nicht beobachtet haben muss. Diese kann ohne weiteres stattgefunden haben, ohne dass der Zeuge B hiervon etwas bemerkt hat. Nachdem allerdings eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen B erforderlich wurde, ist die Kammer nicht mehr gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung gebunden und tritt diese Bindung auch nicht dadurch wieder ein, dass die Vernehmung des in der Berufungsinstanz vernommenen Zeugen unergiebig ist und den Angaben des erstinstanzlich vernommenen Zeugen nicht entgegensteht. Erforderlich ist vielmehr eine eigenständige Würdigung der erhobenen Beweise durch das Berufungsgericht, wobei es sich allerdings die Würdigung der Vorinstanz ausdrücklich zu eigen machen kann (BGH 25. Oktober 2013 – V ZR 147/12 – NJW 2014, 550). Hiervon macht die Kammer Gebrauch. Dies gilt mit der Maßgabe, dass die Kammer im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung nicht offen lässt, ob der Kläger eine Flasche mit sich führte und den Zeugen A hiermit einmal auf den Hinterkopf schlug, wenn auch nach Einschätzung des Zeugen möglicherweise aus Versehen bzw. ohne Absicht. Aufgrund der glaubhaften Schilderung des Zeugen A, gegen dessen Glaubwürdigkeit keine Bedenken bestehen, steht vielmehr auch dies fest. Dies wird partiell durch die Angaben des Zeugen B bestätigt, der zwar einen Schlag mit der Flasche ebenso wenig gesehen hat wie die gesamte tätliche Auseinandersetzung. Dies wiederum, weil er zuvor den Bus des Zeugen A verlassen hatte und das Geschehen im Bus danach nicht permanent beobachtete. Nach seinen Angaben führte der Kläger aber sehr wohl eine Tasche mit sich, als er den Bus des Zeugen A betrat. Die Angaben des Zeugen A werden damit durch die des Zeugen B nicht widerlegt, aber in Teilbereichen bestätigt.

c) Die vom Kläger wiederholt problematisierte Frage, ob der sog. Hofdienst berechtigt ist, den Busfahrern Weisungen zu erteilen, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Abgesehen davon, dass der Zeuge A dem Kläger keine eigene Weisung erteilte, sondern eine Weisung des Disponenten weiterleitete, sind die Befugnisse des Zeugen A irrelevant. Selbst wenn er seine Kompetenzen überschritten haben sollte und selbst wenn er auch nicht berechtigt gewesen sein sollte, Weisungen der Disposition in Form von kurzfristigen Einsatzplanänderungen gegenüber dem Busfahrern zu kommunizieren, rechtfertigt, entschuldigt oder erklärt dies nicht das Verhalten des Klägers. Kündigungsgrund ist auch nicht ein Nichtbefolgen einer erteilten Weisung, sondern ein tätlicher Angriff gegenüber einem Kollegen.

3. Das Arbeitsgericht hat zur Recht ein Abmahnungserfordernis verneint. Gewaltanwendung und tätlicher Angriff gegenüber einem Mitarbeiter stellt eine schwere Pflichtverletzung dar, deren auch nur erstmalige Hinnahme nach objektivem Maßstab unzumutbar und für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist. Dass der Vorfall zu keiner Verletzung des Zeugen A führte, ist für diese Wertung ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob der Kläger spontan oder geplant handelte, wobei im Übrigen Aggressionspotential auch bei Spontantaten zum Ausdruck kommen kann.

4. Auch im Übrigen ist die Interessenabwägung der angefochtenen Entscheidung nicht zu beanstanden. Die angefochtene Entscheidung hat die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers berücksichtigt, wenn auch angesichts der Dauer von ca. fünf Jahren nicht ausschlaggebend zu seinen Gunsten. Auch die Unterhaltspflichten des Klägers wurden von der angefochtenen Entscheidung und werden von der Kammer berücksichtigt, und zwar zugunsten des Interesses des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Angesichts der Schwere des Pflichtverstoßes überwiegen dennoch die berechtigten Interessen der Beklagten an sofortiger Vertragsbeendigung. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung festgestellt. Hierbei spricht für das Beendigungsinteresse der Beklagten ferner, dass sie aus Gründen der Betriebsdisziplin in konsequenter Weise körperliche Auseinandersetzung am Arbeitsplatz und Anwendung von Gewalt unterbinden und dokumentieren darf, dass derartige Verhaltensweisen nicht geduldet werden. Auch derartige Gesichtspunkte der Betriebsdisziplin stellen zulässige Kriterien innerhalb der Interessenabwägung dar (BAG 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96 – AP BGB § 626 Nr. 137), ebenso generalpräventive Gesichtspunkte (vgl. BAG 11. Dezember 2003 – 2 AZR 36/03 – AP BGB § 626 Nr. 179). Zugunsten der Beklagten spricht ferner das Verschulden des Klägers; dieser handelte vorsätzlich. Dass beim Zeugen A keine Verletzung eingetreten ist, ist nicht zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Wäre es über die Gewaltanwendung hinaus zu einer Körperverletzung des Zeugen gekommen, wäre diese vielmehr zusätzlich zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen und würde ggf. von der Qualität her einen anderen (weiteren) Kündigungsgrund darstellen. Besondere Umstände, die das Verhalten des Klägers wenn schon nicht rechtfertigen oder entschuldigen, so doch in einem milderen Licht erscheinen lassen, sind nicht erkennbar. Für bewusste Provokation des Klägers ist außer der von ihm geäußerten Vermutung nichts erkennbar. Unterschiedliche Auffassungen zu den Befugnissen des Hofdiensts erklären nicht tätliche Auseinandersetzungen. Im Übrigen trägt der Kläger derartige besondere Umstände auch nicht vor, sondern bleibt dabei, der Vorfall habe so nicht stattgefunden.

II. Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Auf solche bezieht sich der Kläger im Berufungsrechtszug auch nicht.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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