LAG Hessen, 06.09.2018 – 8 Ta 275/18

März 22, 2019

LAG Hessen, 06.09.2018 – 8 Ta 275/18
Leitsatz:

Gegenstand der Zwangsvollstreckung können nur im Titel verbürgte Ansprüche sein (hier verneint für Lohnsteuerbescheinigungen). Für die Vollstreckung von Geldforderungen sind nach § 764 ZPO die Amtsgerichte zuständig.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 22. Juni 2018 – 11 Ca 437/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
GRÜNDE :

I.

Die Parteien streiten über die Zwangsvollstreckung von Urlaubsabgeltungsansprüchen, Vergütungsansprüchen für Januar, Februar und März 2016 sowie Mai und Juni 2017, Lohnabrechnungen und Lohnsteuerbescheinigungen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 31. August 2017 in dem Rechtsstreit – 11 Ca 437/17 – das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs festgestellt. Der Vergleich, wegen dessen Einzelheiten im Übrigen auf Bl. 42 d. A. verwiesen wird, enthält auszugsweise die folgenden Regelungen:

“…

3. Bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses gemäß Ziffer 1 dieses Vergleichs rechnet die Beklagte das Arbeitsverhältnis zu den bislang gültigen Konditionen ordnungsgemäß ab und zahlt insbesondere das restliche Arbeitsentgelt an die Klägerin, soweit Ansprüche darauf nicht auf Dritte übergegangen sind.

4. Die Parteien sind sich darin einig, dass der Urlaubsanspruch für 2017 aufgrund der Beendigung in der zweiten Jahreshälfte in vollem Umfang entstanden ist und, soweit noch nicht gewährt, abzugelten ist.

…”

Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2017 Bl. 45 f. d. A. hat der Klägervertreter bei dem Arbeitsgericht u.a. folgenden Antrag “gem. § 888 ZPO” gestellt:

“1.

der Schuldnerin (Beklagten) Zwangsgeld, und für den Fall einer nicht möglichen Beitreibung desselben Zwangshaft aufzuerlegen, verbunden mit der Aufforderung, die ihr durch Vergleichsprotokoll vom 31.08.2017 auferlegte Verpflichtung für die Gläubigerin (Klägerin) vorzunehmen,

…”

Dem Schriftsatz vom 11. Dezember 2017 war die vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs beigefügt.

Mit Schriftsatz vom 5. April 2018 teilte der Klägervertreter mit, dass Ziff. 3. und 4. des Vergleichs einen vollstreckungsfähigen Inhalt hätten. Gemäß der Vergleichsvereinbarung habe die Beklagte für die Monate Mai und Juni 2017 ordnungsgemäße Abrechnungen zu erteilen, das sich hieraus für die Klägerin ergebende Gehalt zur Auszahlung zu bringen, die Gehälter für Januar, Februar und März 2016 vollständig abzurechnen und zu bezahlen, die Steuerbescheinigung für 2016 und 2017 samt ordnungsgemäßer Lohnabrechnungen zu erteilen und den Urlaub für 2017 abzugelten.

Mit Beschluss vom 22. Juni 2018 (Bl. 61 d. A.) hat das Arbeitsgericht den Zwangsgeldantrag zurückgewiesen und dies damit begründet, dass der Antrag hinsichtlich der begehrten Abrechnung unzulässig sei, da der Titel nicht hinreichend bestimmt sei, die Herausgabe von Arbeitspapieren überhaupt nicht Gegenstand der vergleichsweisen Einigung sei und Zahlungsansprüche – abgesehen von der Abfindung – keinen vollstreckbaren Inhalt hätten und nicht durch ein Zwangsmittel durchgesetzt werden könnten.

Gegen diesen ihm am 4. Juli 2018 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 23. Juli 2018 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass Ziff. 3 und 4 des Vergleichs einen vollstreckungsfähigen Inhalt hätten.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juli 2018 nicht abgeholfen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 793, 567 Abs. 1 ZPO iVm. § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte sofortige Beschwerde der Beklagten ist gemäß § 569 Abs. 1 und 2 ZPO, § 78 Satz 1 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil es im Hinblick auf Lohnsteuerbescheinigungen bereits an einem Titel fehlt, die Regelungen zu den Zahlungsansprüchen und den Lohnabrechnungen in Ziff. 3 und 4 des Vergleichs nicht vollstreckbar sind, die Zahlungsansprüche aber auch bei unterstellter Vollstreckbarkeit nicht von den Gerichten für Arbeitssachen nach § 888 ZPO zu vollstrecken wären. Im Einzelnen:

1. Es bestehen schon erhebliche Bedenken, ob überhaupt die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung (Titel, Klausel, Zustellung) – hier die Zustellung des Titels – erfüllt sind. Der Prozessvergleich wird nämlich nicht von Amts wegen, sondern im Wege der Parteizustellung (§§ 191 bis 195 ZPO) zugestellt (Musielak/Voit/Lackmann 15. Aufl. § 750 ZPO Rn. 18). Ob dies überhaupt erfolgt ist, ist dem Antrag der Klägerin vom 11. Dezember 2017 nicht zu entnehmen. Dies kann hier jedoch dahin stehen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Vollkommen zu Recht geht das Arbeitsgericht davon aus, dass weder Ziff. 3 noch Ziff. 4 des am 31. August 2017 geschlossenen Vergleichs eine Regelung enthalten, die im Sinne der Klägerin vollstreckbar ist.

a) Welchen Inhalt ein Titel hat, ist dabei durch Auslegung zu ermitteln. Bei Vergleichen ist hierfür allein der protokollierte Inhalt entscheidend (Zöller/Geimer 32. Aufl. § 794 ZPO Rn. 14a). Für dessen Auslegung ist nicht in erster Linie der übereinstimmende Wille der Parteien maßgebend, der den Inhalt eines privatrechtlichen Vertrags bestimmt und für diesen selbst dann maßgebend bleibt, wenn die Erklärungen der Vertragspartner objektiv eine andere Bedeutung haben sollten. Vielmehr ist darauf abzustellen, wie das hierzu berufene Vollstreckungsorgan, in erster Linie also das Vollstreckungsgericht oder auch ein Beschwerdegericht, den Inhalt der zu erzwingenden Leistungen verständigerweise versteht und festlegt. Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Vollstreckungsschuldner seiner festgelegten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber, worin diese besteht (BAG 31. Mai 2012 – 3 AZB 29/12 – NZA 2012, 1117 f.; vgl. auch BAG 28. Februar 2003 – 1 AZB 53/02 – NZA 2003, 516 f.).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verfügt die Klägerin über gar keinen Titel, der Lohnsteuerbescheinigungen für die Jahre 2016 und 2017 zum Gegenstand hätte. Weder in Ziff. 3 noch in Ziff. 4 noch in sonst einer Ziffer des Vergleichs werden Lohnsteuerbescheinigungen angesprochen. Ohne entsprechenden Titel ist eine Vollstreckung aber nicht möglich.

Soweit die Klägerin Lohnabrechnungen begehrt, so ist die in Ziff. 3 aufgenommene Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung bis zu dem Beendigungstermin unbestimmt. Ziff. 3 enthält zwar mit dem “Beendigungstermin” einen Zeitpunkt, der sich mit Hilfe der in Ziff. 1 getroffenen Regelung bestimmen lässt, jedoch keinen Anfangszeitpunkt ab dem Abrechnungen zu erteilen sind. Wesentlich ist, dass das für die Vollstreckung nach § 888 ZPO zuständige Prozessgericht nicht ohne weiteres überprüfen kann, ob der Arbeitgeber für einen bestimmten Zeitraum bereits Entgeltabrechnungen erteilt hat oder nicht (vgl. auch HessLAG 30. Oktober 2017 – 10 Ta 323/17 – zur Veröffentlichung vorgesehen.).

Ziff. 3. und 4 enthalten im Übrigen überhaupt keine vollstreckbaren Verpflichtungen über die Zahlung der Gehälter und der Urlaubsabgeltung. Es ist aufgrund der Regelungen in dem Vergleich, die allein bei der Auslegung maßgeblich sind, nicht im Ansatz erkennbar, welcher Betrag geschuldet ist. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, so wäre für die Vollstreckung von Geldforderungen nicht § 888 ZPO einschlägig. Hierauf hat bereits das Arbeitsgericht hingewiesen. Die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen richtet sich nämlich nach den §§ 803 bis 882a ZPO(GMP/Schleusener 9. Aufl. § 62 ArbGG Rn. 55). Vollstreckungsgericht für Titel aus einem arbeitsgerichtlichen Verfahren ist aber nach § 764 ZPO das Amtsgericht, wenn die Vollstreckung nicht ausdrücklich dem Arbeitsgericht als Prozessgericht nach § 887 Abs. 1 ZPO, § 888 Abs. 1 ZPO und § 890 Abs. 1 ZPO zugewiesen ist (vgl. GMP/Schleusener 9. Aufl. § 62 ArbGG Rn. 76).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891 Satz 3, 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (vgl. §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG). Diese Entscheidung ist damit unanfechtbar.

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