LAG Hessen, 08.09.2014 – 16 Sa 363/14 Zur Auslegung des Begriffs der berufsüblichen Nachtschichtarbeit.

April 30, 2019

LAG Hessen, 08.09.2014 – 16 Sa 363/14
Zur Auslegung des Begriffs der berufsüblichen Nachtschichtarbeit.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 23. Januar 2014 – 3 Ca 347/13 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1

Die Parteien streiten über die Zahlung von Nachtschichtzuschlägen.
2

Der Kläger ist seit 10. Februar 2001 als Lagerarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. § 14 des schriftlichen Arbeitsvertrags der Parteien, wegen dessen Inhalt im Übrigen auf Bl. 8-11 d.A. Bezug genommen wird, lautet:

Herr J arbeitet in der Früh-, Spät- oder Nachtschicht.
3

Die Beklagte zahlt dem Kläger bislang einen Nachtschichtzuschlag in Höhe von 20 %. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.
4

Der ab 1. Juli 1997 allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für den Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. von 1997 enthält u.a. folgende Regelung:
5

§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt:
1. Räumlich: Für das Land Hessen;
2. Fachlich: Für alle Groß- und Außenhandelsfirmen, Verlage, und zwar einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe, die als Mitglied dem Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. angehören
6

§ 4 Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
3. Nachtarbeit ist die zwischen 20 und 6:00 Uhr angeordnete und geleistete Arbeit.
6. Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie kann, wenn sie betriebsnotwendig ist, unter Beachtung der Arbeitszeitordnung und des Mitbestimmungsrechts gem. § 87 BetrVG bis zu einer Gesamtarbeitszeit von täglich 10 h angeordnet werden.

Die Arbeitnehmer sind verpflichtet, die im Rahmen dieses Tarifvertrags und der gesetzlichen Bestimmungen angeordnete Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit zu leisten.
7

§ 5 Vergütung der Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
1. Die nach § 4 Ziffer 1-4 zuschlagspflichtigen Arbeitsstunden sind mit 1/167 des Monatsentgelts zuzüglich des tariflichen Zuschlags zu vergüten.
Treffen mehrere Zuschläge für die gleiche Arbeitszeit zusammen, ist der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen.
Die Zuschläge betragen:
d) für berufsübliche Nachtschichtarbeit 20 %
e) für Nachtarbeit 55 %
8

Ausweislich des Internetportals der Bundesagentur für Arbeit „Berufenet“ gilt hinsichtlich der Arbeitsbedingungen von Lager- und Transportarbeitern u.a. Folgendes:
9

Die Arbeitszeiten von Lager- und Transportarbeitern und – arbeiterinnen hängen von der Branche ab, in der sie beschäftigt sind. Meist arbeiten sie in Wechselschicht und zum Teil auch in Nachtschicht.
10

Am Standort der Beklagten in H sind
-in der Frühschicht von 6:00 Uhr bis 14:12 Uhr 10 Arbeitnehmer beschäftigt
-in der Spätschicht von 14:00 Uhr bis 22:12 Uhr 30 Arbeitnehmer beschäftigt
-in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:12 Uhr 27 Arbeitnehmer beschäftigt.
11

Der Kläger wurde zuletzt ausschließlich in der Nachtschicht beschäftigt und erhielt hierfür einen Zuschlag in Höhe von 20 %.
12

Mit seiner Klage macht der Kläger für den Zeitraum November 2012 bis Juni 2013 die Differenz zwischen dem erhaltenen Zuschlag nach § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag in Höhe von 20 % und dem Nachtarbeitszuschlag gemäß § 5 Nr. 1e Manteltarifvertrag in Höhe von 55 % geltend.
13

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 80-82 d.A.) Bezug genommen.
14

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger leiste Schichtarbeit in Form der Dauernachtschicht. Der Begriff der Berufsüblichkeit i.S.v. § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag sei dahin auszulegen, dass auf die Üblichkeit der konkret vom Arbeitnehmer im Sinne einer Regelmäßigkeit geleisteten Arbeit abzustellen ist. Für den Beruf des Klägers als Lagerarbeiter im Zentrallager der Beklagten sei es jedenfalls üblich, dass er auch oder sogar überwiegend Nachtarbeit leistet. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 83-87 der Akten) verwiesen.
15

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 14. Februar 2014 zugestellt. Er hat dagegen am 13. März 2014 Berufung eingelegt und diese am 4. April 2014 begründet.
16

Der Kläger ist der Ansicht, in Bezug auf den Zuschlag nach § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag fehle es jedenfalls an der Berufsüblichkeit. Das BAG habe in seiner Entscheidung vom 19. September 2007 -4 AZR 670/06- hierzu festgestellt: „Für den vom Kläger ausgeübten Beruf des Versand- und Lagerarbeiters ist eine solche Berufsüblichkeit nicht festgestellt.“ Entgegen der Auffassung der Beklagten könnten bei der Auslegung des Tarifvertrags nicht einzelne Worte oder Wortteile außer Acht gelassen werden. Der Beruf des Lagerarbeiters bringe es gewöhnlich nicht mit sich auch zur Nachtzeit zu arbeiten, im Gegensatz etwa zu Wachpersonal. An dieser Feststellung habe sich seit dem BAG-Urteil vom 19. September 2007 nichts geändert.
17

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 23. Januar 2014 -3 Ca 347/13- abzuändern

und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4474,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 531,36 € seit 1. Dezember 2012, aus 501,12 € seit 1. Januar 2013, aus 663,11 € seit 1. Februar 2013, aus 655,94 € seit 1. März 2013, 605,15 € seit 1. April 2013, aus 639,73 € seit 1. Mai 2013, aus 400,26 € seit 1. Juni 2013 und aus 477,63 € seit 1. Juli 2013 zu zahlen.

18

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte behauptet, der Gegenstand des Unternehmens bestehe in der Lagerei. Es werde Ware für das Unternehmen „D“ eingelagert und dann für dieses in die Filialen geliefert. Daneben gebe es den Bereich Einkauf. Dort würden 25-30 Arbeitnehmer beschäftigt, während im Bereich Logistik etwa 400 Arbeitnehmer tätig seien. Bislang habe bei der Beklagten die Anwendung des Manteltarifvertrags für den Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. von 1997 niemand hinterfragt. Dieser Tarifvertrag sei –möglicherweise auch irrtümlich- jahrelang im Betrieb angewendet worden. Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass Schichtarbeit als Wechselschichtarbeit oder als ständige Schichtarbeit auftreten könne. Der Kläger leiste Schichtarbeit in Form der Dauernachtschicht. Bei der Auslegung von § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag sei hinsichtlich des Begriffs „berufsüblich“ nicht auf den Wortteil „Beruf“, sondern auf die Üblichkeit der konkret vom Arbeitnehmer geleisteten Nachtarbeit im Sinne einer Regelmäßigkeit abzustellen. Für den Kläger als Lagerarbeiter bei der Beklagten sei es üblich in Nachtarbeit zu arbeiten. Die Tarifvertragsparteien hätten zwischen vorhersehbarer und nicht vorhersehbarer Nachtarbeit, welche den Arbeitnehmer stärker belastet, differenzieren wollen.
20

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
21

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.
22

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
23

1. Es kann dahin stehen, ob die Beklagte dem fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für den Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. von 1997 unterfällt. Nach dessen § 1 Nr. 2 gilt dieser Tarifvertrag fachlich für alle Groß- und Außenhandelsfirmen, Verlage, und zwar einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe, die als Mitglied dem Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. angehören. Dass der Betrieb der Beklagten hierunter fällt, hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger nicht im Einzelnen vorgetragen.
24

Eine Anwendbarkeit dieses Tarifvertrages ergibt sich auch nicht aus arbeitsvertraglicher Vereinbarung, denn der Arbeitsvertrag der Parteien sieht dies nicht vor.
25

Ob sich eine Anwendbarkeit des Tarifvertrags aus einer diesbezüglichen langjährigen betrieblichen Praxis ergibt, kann ebenso dahinstehen.
26

2. Selbst wenn der Manteltarifvertrag für den Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. von 1997 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, steht dem Kläger der streitgegenständliche Anspruch nicht zu. Dies ergibt eine Auslegung von § 5 Nr. 1d) und e) dieses Manteltarifvertrages.
27

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (Bundesarbeitsgericht 19. September 2007 -4 AZR 670/06- Rn. 30).
28

Das Bundesarbeitsgericht hat in Bezug auf § 8 Abs. 6 des Manteltarifvertrags für den sächsischen Einzelhandel vom 27. Mai 1994 entschieden, der Begriff der Betriebsüblichkeit verlange, dass es der allgemeinen, nicht auf einzelne Betriebe beschränkten Gewohnheit entspreche, dass die Angehörigen eines bestimmten Berufs zumindest auch während der Nachtstunden tätig werden. Dies konnte vom Bundesarbeitsgericht in dem ihm damals vorliegenden Fall für den vom dortigen Kläger ausgeübten Beruf des Versand- und Lagerarbeiters nicht festgestellt werden (Bundesarbeitsgericht 19. September 2007 -4 AZR 670/06- BAGE 124, 110, Rn. 28). Demgegenüber hat das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 31. Januar 1992 (5/9 Sa 769/91) erkannt, der Begriff der „Berufsüblichkeit“ unterscheide sich von dem der Branchenüblichkeit und dem der Betriebsüblichkeit. Ein niedrigerer Zuschlag für die berufsübliche Nachtarbeit sei nur dann zu zahlen, wenn der gewerblich ausgeübte Beruf und die durch den Arbeitsvertrag umrissene Tätigkeit die Nachtschichtarbeit vorhersehbar machen.
29

Eine am Wortlaut der Tarifnorm orientierte Auslegung ergibt zunächst, dass „Beruf“ die gewerblich ausgeübte oder auszuübende meist dem Erwerb des Lebensunterhalts dienende Tätigkeit ist (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch in 6 Bänden, 1980, Seite 621 Stichwort „Beruf“). Die Ausübung des Berufs erfolgt durch eine konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers im Betrieb. Wird diese üblicherweise, also gewohnt, herkömmlich (Brockhaus-Wahrig, S. 356 Stichwort „üblich“), in bestimmter Weise oder zu bestimmten Zeiten ausgeübt, ist sie „berufsüblich“ im Sinne von § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag für den Verband Großhandel Außenhandel Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. von 1997.
30

Der Sinn und Zweck der Unterscheidung in § 5 Nr. 1 zwischen berufsüblicher Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit besteht darin, demjenigen einen geringeren Zuschlag zu gewähren, der weniger durch die Nacht(schicht)arbeit belastet wird. Dies ist nach Auffassung der Tarifvertragsparteien, denen insoweit eine weite Einschätzungsprärogative zusteht, derjenige, der üblicherweise diese Arbeit leistet. Er kann sich in seiner Lebensplanung hierauf einstellen und an die besonderen Belastungen der Nachtarbeit gewöhnen, was für den Mitarbeiter, der nur ausnahmsweise von Nachtarbeit betroffen ist, nicht zutrifft. Dann muss es aber auf die konkrete, im Betrieb ausgeübte Tätigkeit des betreffenden Mitarbeiters im Sinne seines ausgeübten Berufs ankommen.
31

Dies führt auch zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung. Es ist vernünftig und sachgerecht, demjenigen der nur ausnahmsweise von Nachtarbeit betroffen ist, den höheren Nachtzuschlag im Sinne von § 5 Nr. 1e Manteltarifvertrag zu gewähren. Demgegenüber wäre es im Hinblick auf den Normzweck sinnwidrig, einem Mitarbeiter, der üblicherweise keine Nachtschichtarbeit leistet, nur deshalb den höheren Schichtzuschlag zu verweigern, weil andere Angehörige seines Berufsstandes (hier: Lagerarbeiter) im selben oder in anderen Betrieben üblicherweise Nachtschichtarbeit leisten.
32

Danach kann der Kläger keinen Zuschlag in Höhe von 55 % für Nachtarbeit nach § 5 Nr. 1e Manteltarifvertrag beanspruchen. In den Monaten des Klagezeitraums leistete er berufsübliche Nachtschichtarbeit i.S.v. § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag, für die lediglich ein Zuschlag von 20 % zu zahlen ist, den der Kläger erhalten hat.
33

Der Kläger verrichtet Nachtschichtarbeit. Im Betrieb der Beklagten arbeiten die Lagerarbeiter in 3 Schichten, wobei der Kläger ausschließlich in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:12 Uhr eingesetzt wird. Auch bei einer derartigen Dauernachtschicht handelt es sich um Nachtschichtarbeit. Schichtarbeit kann in den Erscheinungsformen als Wechselschichtarbeit oder als ständige Schichtarbeit auftreten. Bei ersterer wechseln die Arbeitnehmer in einem bestimmten Rhythmus von einem betrieblichen Zeitabschnitt in einen anderen, bei letzterer – zum Teil auch Dauerschicht genannt -, werden Arbeitsplätze nacheinander von mehreren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen besetzt, jedoch tritt kein Wechsel ein. Dabei können sich die einzelnen Schichten überschneiden oder durch Pausen getrennt sein. Der Begriff der Schichtarbeit setzt nicht notwendig die Ablösung des Arbeitnehmers am selben Arbeitsplatz voraus. Schichtarbeit liegt nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitnehmer das begonnene Arbeitsergebnis des anderen mit denselben Mitteln oder mit der gleichen Intensität und Belastung vervollständigt, sondern auch dann, wenn ein gewisses Maß an Arbeitsteilung für ein und denselben Arbeitserfolg erforderlich ist, die verschiedenen Arbeitsergebnisse also aufeinander aufbauen. Dabei ist der Begriff des Arbeitsinhaltes eng zu fassen; maßgeblich ist, dass der gesamte Arbeitsinhalt der sich gegenseitig ablösenden Arbeitnehmer übereinstimmen muss. Schichtarbeit liegt nicht vor, wenn Arbeitnehmer mit völlig verschiedenen Aufgaben und unterschiedlichen Qualifikationen einander ablösen (BAG 24.1.2001 -10 AZR 106/01- Rn. 23, 24). Im Betrieb der Beklagten werden die Lagerarbeiten, die von ihrem Arbeitsinhalt her übereinstimmen, in einem Dreischichtrhythmus ununterbrochen über 24 h hinweg ausgeführt, wobei sich die Arbeitnehmer in ihrer Tätigkeit abwechseln. Dass der Kläger ausschließlich in der Nachtschicht arbeitet und folglich nicht die Schichten wechselt, ändert an dem Vorliegen von Schichtarbeit nichts.
34

Die Verrichtung von Nachtschichtarbeit ist für den Kläger berufsüblich. Es entspricht der allgemeinen, nicht auf einzelne Betriebe beschränkten Gewohnheit, dass die Angehörigen des Berufs des Lagerarbeiters zumindest auch während der Nachtstunden tätig werden. Die in der Berufspraxis üblichen Arbeitsbedingungen werden von der Bundesagentur im Internet auf der Website „Berufenet“ veröffentlicht. Für den Beruf des Lagerarbeiters ist dort festgehalten, dass die Arbeitszeiten dieser Berufsgruppe von der Branche abhängen, in der sie beschäftigt sind. Meist arbeiten die Angehörigen dieser Berufsgruppe in Wechselschicht und zum Teil auch in Nachtschicht. Auch wenn die Arbeitszeiten von Branche zu Branche verschieden sein mögen, ergibt sich hieraus zumindest, dass Lagerarbeiter zum Teil auch in Nachtschicht beschäftigt werden. Damit ist die vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 19. September 2007 (4 AZR 670/06- Rn. 28) aufgestellte Voraussetzung, dass die Angehörigen eines bestimmten Berufs zumindest auch während der Nachtstunden tätig werden, in Bezug auf den Beruf des Lagearbeiters erfüllt. Soweit das Hessische Landesarbeitsgericht (21. Januar 1992 -5/9 Sa 769/91) darüber hinaus gefordert hat, dass die durch den Arbeitsvertrag umrissene Tätigkeit die Nachtschichtarbeit vorhersehbar macht, ist auch dies in Bezug auf den Kläger erfüllt. Nach § 18 Arbeitsvertrag erfolgt sein Arbeitseinsatz gemäß Weisung in der Früh-, Spät- oder Nachtschicht. Damit war für den Kläger vorhersehbar, in der Nachtschicht eingesetzt zu werden. Schließlich hat der Kläger seinen Beruf als Lagerarbeiter im Betrieb der Beklagten auch tatsächlich dauerhaft in Nachtschicht ausgeübt.
35

Erfüllt damit der Kläger für den Klagezeitraum die Voraussetzungen des Zuschlags nach § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag, kann er nicht die höhere Zahlung des Nachtarbeitszuschlags nach § 5 Nr. 1e Manteltarifvertrag verlangen. Zwar sieht § 5 Nr. 1 S. 2 Manteltarifvertrag vor, dass wenn mehrere Zuschläge für die gleiche Arbeitszeit zusammen treffen, der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen ist. Nach seinem Wortlaut könnte dies dahin verstanden werden, dass, da im Falle des Vorliegens von § 5 Nr. 1d stets auch die Voraussetzungen von § 5 Nr. 1e erfüllt sind, der Zuschlag von 55 % zu zahlen ist. Nach ihrem Sinn und Zweck will diese Vorschrift verhindern, dass beim Vorliegen mehrerer Zuschläge diese nicht addiert werden, sondern der höhere Zuschlag gezahlt wird. Dies wird beispielsweise dann relevant, wenn am Ostersonntag gearbeitet wird oder der 1. oder 2. Weihnachtsfeiertag auf einen Sonntag fällt. In diesem Fall soll dem Arbeitnehmer kein kumulierter Zuschlag (§ 5 Nr. 1 f und zusätzlich § 5 Nr. 1 g) in Höhe von 250 %, sondern nur der höhere Zuschlag nach § 5 Nr. 1g Manteltarifvertrag zustehen. Schließlich schließt der systematische Zusammenhang von § 5 Nr. 1d zu § 5 Nr. 1e Manteltarifvertrag die Anwendung von § 5 Nr. 1 S. 2 in diesem Zusammenhang aus. Dies ergibt sich daraus, dass berufsübliche Nachtschichtarbeit stets auch Nachtarbeit ist, denn sie wird gleichfalls in der Zeit zwischen 20:00 Uhr 6:00 Uhr geleistet (§ 4 Nr. 3 Manteltarifvertrag). Das Tarifmerkmal der berufsüblichen Nachtschichtarbeit ist insoweit enger und schließt bei seinem Vorliegen den Rückgriff auf das allgemeinere Merkmal der Nachtarbeit aus. Ansonsten verbliebe für den 20-prozentigen Zuschlag nach § 5 Nr. 1d Manteltarifvertrag kein eigener Anwendungsbereich. Die Vorschrift wäre überflüssig. Eine derartige Tarifauslegung führte nicht zu einem vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Ergebnis.
36

III.

Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
37

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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