LAG Hessen, 09.04.2015 – 9 TaBV 225/14

April 28, 2019

LAG Hessen, 09.04.2015 – 9 TaBV 225/14

1.

§ 97 Abs. 2 ArbGG n.F. ist nicht verfassungswidrig.
2.

Die Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG) e.V. ist keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2) keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG ist.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Tariffähigkeit der Beteiligten zu 2), der Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG) e.V. mit Sitz in Gießen.

Antragstellerin und Beteiligte zu 1) ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), dem Beteiligten zu 3), ist. Am Verfahren wurden weiter beteiligt als Beteiligte zu 4) die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und als Beteiligte zu 5) die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Die Beteiligte zu 1) ist eine Gewerkschaft im Dienstleistungsbereich mit rund 2 Millionen Mitgliedern. Ihre Satzung vom Sept. 2011 (Bl. 43 ff. d. A.) lautet auszugsweise:

Ҥ 4 Organisationsbereich

1. Der Organisationsbereich der ver.di umfasst Unternehmen, Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen der im Anhang 1 aufgeführten Bereiche sowie alle Mitglieder, …

Anhang 1

Organisationsbereich

1.2 Handel, Banken, Versicherungen

1.2.3 Versicherungen

Versicherungsunternehmen mit ihren Hilfs- und Nebenbetrieben einschließlich rechtlich ausgegliederter bzw. selbständiger, jedoch wirtschaftlich-organisatorisch zugeordneter Dienstleistungsbetriebe…

1.2.3.1 Private Versicherungsunternehmen

1.2.3.2 Gemeinwirtschaftliche Versicherungsunternehmen

1.2.3.3. Öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten

1.2.3.4 Versicherungs-Vermittlerunternehmen

1.2.3.5 Ersatzkassen und Betriebskrankenkassen

…”

Die Beteiligte zu 1) hat in diesem Organisationsbereich zahlreiche Tarifverträge abgeschlossen.

Die Satzung der Beteiligten zu 2) (Bl. 33 ff. d. A.) datiert vom 18. Nov. 2010. Es heißt dort u.a.:

“Allgemeines

Die Neue Assekuranz Gewerkschaft ist die Gewerkschaft für die Beschäftigten im Privaten Versicherungsgewerbe …

§ 1 Name und Sitz

1. Die Gewerkschaft führt den Namen “Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG)”. Sie soll in das Vereinsregister eingetragen werden und führt danach den Zusatz e.V.

2. Die NAG hat ihren Sitz in Gießen.

§ 2 Organisationsgebiet und Organisationsbereich

Das Organisationsgebiet der NAG erstreckt sich auf die Bundesrepublik Deutschland. Der Organisationsbereich erstreckt sich auf die Betriebe aller im Privaten Versicherungsgewerbe tätigen Unternehmen, einschließlich der Betriebe und Unternehmen der Versicherungsberatung und Versicherungsvermittlung sowie der Versicherungsmakler.

§ 3 Zweck, Aufgaben und Ziele

1. Zweck der NAG ist der Zusammenschluss der Beschäftigten des privaten Versicherungsgewerbes…

4. Die NAG vertritt ihre Mitglieder in Belangen ihrer sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Arbeitsbedingungen.

6. Zur Erreichung dieser Ziele dienen insbesondere:

a. Abschluss und Durchsetzung von Tarifverträgen und anderen Vereinbarungen mit den Arbeitgebern und ihren Verbänden

7. Zur Durchsetzung ihrer Ziele, Grundsätze und Forderungen ist die NAG bereit, alle gewerkschaftlichen Mittel einzusetzen. Dies schließt Maßnahmen des Arbeitskampfes oder andere Kampfmaßnahmen ein. Zur Wahrung gemeinsamer Belange arbeitet die NAG in der Tarifpolitik und anderen Bereichen auch in Kooperation mit anderen Gewerkschaften und Berufsverbänden zusammen.

§ 8 Tarifverhandlungen und Arbeitskampf

1. Die Tarifverhandlungen werden von der Tarifkommission geführt… .

2. Über Urabstimmungen und Arbeitskampfmaßnahmen entscheidet der Vorstand.

3. Bei Streik wird den im Arbeitskampf stehenden Mitgliedern eine Unterstützung gewährt.

Die Organe der NAG sind nach § 4 der Satzung die Mitgliederversammlung, der Gewerkschaftsrat und der Vorstand. Die Mitgliedschaftsbeiträge betragen nach § 7 der Satzung für Mitglieder im Beschäftigungsverhältnis gestaffelt nach Tarifgruppen monatlich zwischen 10 und 40 EUR.

Der Vorstand der NAG besteht aus Waltraud Baier, Tobias Münster und Joachim Liesefeld. Sie hat einen aus 14 Personen bestehenden Gewerkschaftsrat. Ferner gibt es eine Tarifkommission, die aus 12 Personen besteht.

Die NAG unterhält drei Regionalverbände. Auf ihrer Internetseite gibt es Verlinkungen zu den Mailadressen rv-nord@neue-assekuranz-gewerkschaft.de, rv-mitte@neue-assekuranz-gewerkschaft.de und rv-sued@neue-assekuranz-gewerkschaft.de.

Die Beteiligte zu 2) hat zum Zeitpunkt der mündlichen Anhörung zwei Sekretäre (A und B), eine Bürokraft, eine Sekretärinnenstelle ist ausgeschrieben. Die Stelle eines hauptberuflichen Geschäftsführers wird ausgeschrieben.

Die Beteiligte zu 2) hat zahlreiche Mandate in örtlichen Betriebsräten, Gesamt- und Konzernbetriebsräten und Ausbildungsvertretungen. Sie führt Schulungen für Betriebsräte in der Versicherungswirtschaft durch. Auf die Aufstellung “Gewerkschaftliches Bildungsangebot” (Bl. 304 ff. d. A.) wird Bezug genommen.

Der Bereich der Versicherungswirtschaft umfasste nach dem vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. herausgegebenen Jahrbuch 2012 (Bl. 39 ff. d. A.) im Jahre 2012 mehr als 300.000 abhängig Beschäftigte.

Mehrtägige Streiks hat es in der Versicherungswirtschaft soweit übersehbar nicht gegeben.

Die Beteiligte zu 1) hat sich mit Schreiben vom 23. Aug. 2012 (Bl. 161 ff. d. A.) und (ohne Datum) November 2014 (Bl. 175 ff. d. A.) an Betriebs- und Personalräte in Versicherungsunternehmen gewandt. In letztgenanntem Schreiben werden u.a. Gründung und Wirken der Beteiligten zu 2) als Ärgernis bezeichnet. Dieses spalte und gefährde den notwendigen Erfolg, sie wolle diese schädliche Entwicklung zurückdrehen oder zumindest wirkungslos werden lassen.

Die Beteiligte zu 1) hat eine Domain mit dem Namen www.neueassekuranzgewerkschaft.de eingerichtet und diese mit ihrer eigenen Website verlinkt.

Mit Schreiben vom 31. Okt. 2014 (Bl. 180 d. A.) hat sich der C e.V. für ein aufschlussreiches und informatives Sondierungsgespräch mit der Beteiligten zu 2) bedankt.

Die Beteiligte zu 1) hat beim Amtsgericht Düsseldorf am 25. Aug. 2014 einen Beschluss erwirkt, wonach unter Zurückweisung des Antrages der Beteiligten zu 2) für den Aufsichtsrat der D AG nur Mitglieder der Beteiligten zu 1) zu Aufsichtsratsmitgliedern bestellt worden sind, weil die Beteiligte zu 2) “keine Gewerkschaft” sei. Das Arbeitsgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 23. März 2015 – 23 BVGa 3/15 – (Bl. 387 ff. d. A.) den Eilantrag der Beteiligten zu 2) auf Zulassung eines Wahlvorschlages zurückgewiesen, weil deren soziale Mächtigkeit ohne genauere Angaben zur Mitgliederzahl und zum Beitragsaufkommen nicht beurteilt werden könne.

Das Arbeitsgericht Gießen hat den am 5. Sept. 2014 bei ihm eingereichten Antrag der Beteiligten zu 1) durch Beschluss vom 29. Okt. 2014 – 2 BV 8/14 – (Bl. 136 ff. d. A.) wegen sachlicher Unzuständigkeit an das Hessische Landesarbeitsgericht verwiesen.

Die Beteiligte zu 1) begehrt mit ihrem Antrag die Feststellung, dass die Beteiligte zu 2) keine tariffähige Gewerkschaft ist. Sie wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht und ist hierzu der Auffassung, der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz als Ausprägung des Justizgewährungsanspruchs begründe keinen Anspruch auf eine zweite Tatsacheninstanz. Die vom Gesetzgeber für die Verkürzung des Instanzenzuges genannten Gründe – Verfahrensbeschleunigung mit der hierdurch schneller erzielten Rechtssicherheit – seien in verfassungsrechtlicher Hinsicht geeignet und erforderlich, um zeitnah zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen.

Die Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, ihr Antrag sei nicht rechtsmissbräuchlich. Es gehe nicht um die Vernichtung einer Konkurrenzgewerkschaft, sondern um die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, für die die Tariffähigkeit der Tarifvertragsparteien eine elementare Voraussetzung sei. Diese könne jederzeit zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden. Sie nehme insoweit lediglich ihre Rechte als Gewerkschaft wahr.

Die Beteiligte zu 1) ist der Auffassung, die Beteiligte zu 2) erfülle nicht die Voraussetzungen einer tariffähigen Gewerkschaft. Sie sei nicht ausreichend durchsetzungsfähig und leistungsstark. Sie gehe aufgrund eigener Recherchen davon aus, dass die NAG nicht mehr als 500 Mitglieder habe. Der Beteiligten zu 2) fehle es an der erforderlichen eigenen organisatorischen Leistungsfähigkeit. Sie habe weder ausreichende eigene Organisationsstrukturen noch hinreichende finanzielle Mittel, um die tatsächliche Durchführung der Tarifverträge zu gewährleisten oder ihre Einhaltung zu überwachen. Ohne Angaben zur Zahl ihrer Mitglieder könne die für die Tariffähigkeit notwendige soziale Mächtigkeit nicht festgestellt werden. Im Mai 2011 habe die Beteiligte zu 2) im Rahmen ihrer Internetpräsenz mitgeteilt, eine dreistellige Mitgliederzahl zu haben. Diese Zahl scheine sich bis heute nicht wesentlich erhöht zu haben. Dies zeige auch der Umstand, dass im November 2013 eine Mitgliederversammlung der Beteiligten zu 2) im Hotel E stattgefunden habe und die dort vorhandenen Tagungsräume nur 130 Teilnehmer zuließen. Selbst wenn man von 500 Mitgliedern ausginge, bedeute dies nur einen Organisationsgrad von 0,23 % der Branche, nehme man das Versicherungsvermittlungsgewerbe hinzu, von 0,166 %. Bei einem durchschnittlichen Beitragssatz von EUR 26,60 monatlich verfüge die Beteiligte zu 2) über etwa EUR 13.300 monatlich oder EUR 160.000 jährlich. Dies sei jedoch eine Best-case-Rechnung. Eine Tarifrunde im Versicherungsbereich koste die Beteiligte zu 1) allein für Sitzungen der Tarifkommission, Infomaterialien usw. ohne den Einsatz von eigenem hauptamtlichen Personals und ohne Bürokosten ca. EUR 140.000. Hinzu kämen die Aufwendungen für Betreuungsarbeit, Streikgelder, Fortbildung der eigenen Gewerkschaftssekretäre, Querschnittsabteilungen wie Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Mitbestimmung, Presseabteilung, ITB Technik, Telekommunikation, Büromieten, Personal- und Reisekosten usw. Ein Streiktag mit 500 Mitgliedern würde die Beteiligte zu 2) etwa EUR 26.500 an Streikgeldern kosten. Damit wäre ihr Jahresbudget nach sechs Tagen aufgebraucht. Die Beteiligte zu 2) müsse entsprechend der Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts ihren Vortrag zu Mitgliederzahlen und Beitragsaufkommen konkretisieren.

Die Beteiligte zu 1) selbst habe bundesweit 80 Gewerkschaftssekretäre für den Finanzdienstleistungsbereich. Hinzukämen Verwaltungsangestellte und die Beschäftigten in den Stabsbereichen.

Es stehe zu vermuten, dass die Beteiligte zu 2) selbst ihren minimalen Apparat nicht aus Beitragseinnahmen finanzieren könne. Insoweit bestehe der Verdacht der mittelbaren Gegnerfinanzierung durch die Erhebung von Schulungsbeiträgen und die Vergütung von Aufsichtsratsmandaten, die allein für drei Personen (F, G, H) EUR 398.000 ausmachen müssten.

Die Beteiligte zu 1) behauptet, sie hätte in der sog. Domain-Angelegenheit die Maßnahme sofort gestoppt. Darüber, dass die Umleitung am Tag der mündlichen Anhörung noch existiere, habe sie (in der Anhörung) keine Kenntnis, werde dies aber unverzüglich aufklären und veranlassen, dass diese Umleitung gelöscht werde.

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

festzustellen, dass die Beteiligte zu 2) keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 97 Abs. 2 ArbGG i.d.F. vom 11. Aug. 2014 gegen Art. 19 Abs. 4 sowie gegen Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG verstößt und verfassungswidrig ist, sofern darin das Verfahren über die Anerkennung der Tariffähigkeit einer Koalition (Gewerkschaftseigenschaft) auf eine Tatsacheninstanz beschränkt wird,

hilfsweise,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) begründet ihren Vorlegungsantrag damit, der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen dürfe nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG 29. Okt. 1975 – 2 BvR 630/73 -; 16. Dez. 1975 – 2 BvR 854/75 -; 4. Juli 1976 – 2 BvR 847/75 -; 4. Mai 1977 – 2 BvR 616/75 -). Es sei zwar richtig, dass das Grundgesetz nach Ansicht des BVerfG nicht die Mehrstufigkeit aller Verfahren garantiere, es habe jedoch andererseits klar bestimmt, dass der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG hinreichend Rechnung getragen werden müsse. Das BVerfG habe dabei Fälle geprüft, in denen es um individuelle Rechte einzelner Bürger oder juristischer Personen gegangen sei, nicht aber um die Existenz einer juristischen Person und erst recht nicht um die rechtliche Existenz einer Gewerkschaft und damit um ein verfassungsrechtlich geschütztes kollektives Grundrecht. Ein solches Verfahren müsse unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in zwei Tatsacheninstanzen durchgeführt werden, um einen hinreichenden verfassungsmäßigen Schutz der Koalition sicherzustellen. Sachliche Gründe für die Verkürzung des Instanzenzuges seien weder von der Regierung noch vom Gesetzgeber in irgendeiner Weise nach außen kommuniziert worden. Da die Gesetzesänderung im Mindestlohngesetz eingebaut gewesen sei, sei sie wohl in der Öffentlichkeit nicht recht bemerkt worden. Hinzukomme, dass die Beteiligte zu 2) eine erst vor kurzem gegründete Gewerkschaft sei und der Nachweis ihrer Mächtigkeit im Zweifel über eine Prognose erfolge. Angesichts der Verkürzung des Instanzenzuges wäre ihr gegenüber die Möglichkeit des Nachweises ihrer Mächtigkeit über eine Prognose erheblich und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt, insbesondere wäre es ihr versperrt, zu ihrer Entwicklung über einen längeren Zeitraum vorzutragen. Würde man einer jungen Koalition die Tariffähigkeit ohne Prognoseentscheidung absprechen, würde unverhältnismäßig in das Grundrecht nach Art. 9 GG eingegriffen. Auch der Prozess der Entwicklung einer jungen Koalition sei durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt.

Die Definition der Tariffähigkeit im Rahmen der Konkretisierung der Koalitionsfreiheit durch das Bundearbeitsgericht sei nicht überzeugend. Der darin zum Ausdruck kommende Ausschluss nicht mächtiger Gewerkschaften von der Tarifautonomie sei nicht verfassungsgemäß. Dadurch würden diese von der Wahrnehmung ihrer Freiheitsrechte vollkommen ausgeschlossen. Im Ergebnis treffe das Kriterium der Durchsetzungsfähigkeit kleinere Arbeitnehmerkoalitionen völlig unterschiedlichen, je nachdem, um welche Branche und um welche vorherrschende Arbeitsorganisation, z.B. mit Arbeitnehmern in Schlüsselpositionen, es sich handele. Die Realität gewerkschaftlicher Existenz habe sich seit den 50er und 60er Jahren grundlegend geändert. Schließlich berücksichtige das Bundesarbeitsgericht nicht hinreichend, dass unter den Gewerkschaftsbegriff von Art. 11 Abs. 1 EMRK, Art. 5 ESC und Art. 12 Abs. 1 EU-Grundrechtscharta auch nichtmächtige Arbeitnehmerkoalitionen fielen. Als minder schwerer Eingriff wären einfache Vorschriften zur Verfahrensbeschleunigung oder eine vorrangige Erledigung dieser Verfahren in Betracht gekommen.

Darüber hinaus sei der Antrag der Beteiligten zu 1) rechtsmissbräuchlich. Er diene nur dazu, unliebsame Konkurrenz zu bekämpfen. Die Beteiligte zu 1) zeige nicht nur ein konkurrierendes Verhalten, sondern eine auf Vernichtung der Beteiligten zu 2) gerichtete aggressive Strategie. Art. 9 Abs. 3 GG schütze den Koalitionswettbewerb. Das komme auch dadurch zum Ausdruck, dass die Beteiligte zu 1) sie in ihrem Schreiben an die Betriebs- und Personalräte in Versicherungsunternehmen als Ärgernis und nicht erwünscht bezeichne.

Die tatsächliche Mitgliederzahl der Beteiligten zu 1) betrage 2,06 Millionen, ihr Organisationsgrad in der Versicherungswirtschaft sei mit etwa 7 % großzügig angegeben. Die Beteiligte zu 1) beschränke sich bei ihrem Antrag auf bloße Vermutungen. Sie habe im Bereich der Versicherungswirtschaft, nachdem zwei Sekretäre zur Beteiligten zu 2) gewechselt seien, nur noch vier Bundessekretäre. Von den ehemals sechs Stellen sei heute nur noch die Stelle der Bundesfachgruppenleitung besetzt. Es gebe bei der Beteiligten zu 1) kein Bundessekretariat für die Versicherungswirtschaft mehr. Die Beteiligte zu 2) sei in bestimmten Unternehmen stärker als die Beteiligte zu 1). Es müsse bei der Beurteilung des betrieblichen Gewichts einer Gewerkschaft auch deren Vertretung und Präsenz in den Betriebsräten, auf Betriebsversammlungen usw. berücksichtigt werden. Die Vorstandsvorsitzende Baier und der Gewerkschaftsratsvorsitzende F hätten ein Höchstmaß an gewerkschaftspolitischer Erfahrung. Auf die Darstellung ihrer Funktionen im Schriftsatz vom 17. Febr. 2015, Seite 19 ff. (Bl. 276 ff. d. A.) wird Bezug genommen.

Die Beteiligte zu 1) lasse nichts unversucht, die Mitgliederentwicklung bei der Beteiligten zu 2) negativ zu beeinflussen. Sie versuche, den Abschluss von Tarifverträgen durch die Beteiligte zu 2) dadurch zu verhindern, dass sie verbreite, diese sei keine Gewerkschaft. Dass dies Früchte trage, werde auch dadurch belegt, dass der Arbeitgeberverband Versicherungen in München in einem Gespräch am 5. Febr. 2015 in Bezug auf das Statusfeststellungsverfahren erklärt habe: “Wir halten uns da raus”. Auf die Frage, wie sich die Arbeitgeberseite verhalten werde, wenn es seitens der Beteiligten zu 2) zu einer Urabstimmung und Warnstreiks komme, habe der Verbandsgeschäftsführer erklärt, er werde seinen Mitgliedern dann vermitteln, dass das Streikrecht der NAG zweifelhaft sei. Diese Strategie verfolge die Beteiligte zu 1) auch im Schreiben an ihre Mitglieder vom 23. Aug. 2012 (Bl. 161 d. A.), wo ausgeführt wird, ein von der Beteiligten zu 2) ausgerufener Arbeitskampf sei wegen drohender Kündigungen wegen Arbeitsverweigerung und Regressforderungen ein riskantes Unterfangen für die Beschäftigten.

Sie sei 2014 in dreißig Unternehmen vertreten gewesen. Sie gehe davon aus, dass sie Ende 2015 in 50 Unternehmen der Versicherungswirtschaft vertreten sein werde. 2012 habe sie an 30 Betriebsversammlungen teilgenommen, zu denen kein Vertreter der Beteiligte zu 1) erschienen sei.

Im Gründungsjahr 2010 hätte sie am Jahresende 50 Mitglieder gehabt, im Jahr 2012 Mitglieder in rund 10 Unternehmen und erstmals Beitragseinnahmen im sechsstelligen Bereich, 2014 weiterhin ein dreistelliges Mitgliederwachstum, Mitglieder in mehr als 30 Unternehmen und kontinuierlich gestiegene Beitragseinnahmen im sechsstelligen Bereich. Sie hätte im ersten Quartal 2015 Zuwächse aus 13 Unternehmen verzeichnet, davon aus fünf Unternehmen, in denen sie bisher nicht vertreten gewesen sei. Dem stünden lediglich sechs Kündigungen gegenüber. Dies ergebe eine Erhöhung der Jahresbeitragssumme von über EUR 10.000. Die Prognose sei gerechtfertigt, dass sich die Mitgliederzahlen auch in den weiteren drei Quartalen des Jahres 2015 entsprechend erhöhten, was zu einer Erhöhung der Jahresbeitragssumme über insgesamt etwa EUR 40.000 führe und zu einem deutlichen dreistelligen Mitgliederzuwachs. Ihr gesamtes Personal werde ausschließlich aus den Mitgliedsbeiträgen bezahlt.

Es gebe schützenswerte Gründe für sie, ihre Mitgliederzahl nicht konkret zu benennen, weil die Beteiligte zu 1) solche Zahlenangaben missbräuchlich gegen sie verwenden werde. Sie biete ausdrücklich die Glaubhaftmachung ihrer diesbezüglichen Angaben aufgrund eines dann intern vorzulegenden Zahlenwerks durch eine notarielle Erklärung an. Dies verstehe sich so, dass der Notar die in diesem Verfahren gemachten Zahlenangaben und Entwicklungen nach Überprüfung entsprechender Belege bestätigen könne.

Sie habe in das Tarifgeschehen auch durch kollektive Maßnahmen eingegriffen. Sie befinde sich in Gesprächen mit dem C e.V., ein weiteres Gespräch sei für Anfang 2015 terminiert. Für die Tarifrunden 2011 und 2013 hätte sie eigene Aktivitäten entwickelt (Veröffentlichungen und Verlautbarungen Anlagen B 11 bis B 15, Bl. 306 ff. d. A.). Die Tarifkommission hätte am 8. Jan. 2015 für die Tarifrunde 2015 eigene Forderungen für die Innendienstbeschäftigten des Versicherungsgewerbes aufgestellt (Forderungsbeschluss Anlage B 16, Bl. 314 d. A.). Die Arbeitgeberseite habe Verhandlungen hierüber jedoch ausschließlich deshalb abgelehnt, weil ihre Tariffähigkeit angeblich in Frage stehe und zunächst das Statusverfahren habe abgewartet werden sollen (Versicherungsjournal vom 12. Febr. 2015, Bl. 318 ff. d. A.). Sie habe deshalb beschlossen, Ende März 2015 eine Urabstimmung durchzuführen.

Auf ihren Aufruf zur Urabstimmung über die Durchführung eines Streiks vom April 2015 wird Bezug genommen (Bl. 399 d. A.). Ein Warnstreik, zu dem sie für den 30. März 2015 in Hamburg aufgerufen habe (Aufruf Bl. 400 d. A.), habe wetterbedingt nicht stattgefunden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 9. April 2015 Bezug genommen.

II.

1. Die Zuständigkeit des Hessischen Landesarbeitsgerichts ist nach § 97 Abs. 2 ArbGG gegeben. Die Beteiligte zu 2) hat ihren Sitz in Gießen. Zu entscheiden ist in streitiger Verhandlung. Eine Güteverhandlung findet nach § 97 Abs. 2 a ArbGG nicht statt. Auf § 80 Abs. 2 Satz 2 ArbGG wird dort nicht verwiesen.

2. Zu beteiligen sind außer der Beteiligten zu 1) als Antragstellerin und der Beteiligten zu 2), deren Tariffähigkeit bestritten wird, die Beteiligten zu 3) bis 5). Wer in einem Verfahren nach § 97 Abs. 1, § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG beteiligt ist, ergibt sich aus § 83 Abs. 3 ArbGG, der gemäß § 97 Abs. 2 a ArbGG entsprechende Anwendung findet. Maßgeblich ist die unmittelbare Betroffenheit in der Rechtsstellung als Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung. Daher ist stets die Vereinigung beteiligt, über deren Tariffähigkeit gestritten wird. Beteiligt sind ferner die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, soweit die Entscheidung sie berühren kann. Dabei ist grundsätzlich die Beteiligung der jeweiligen Spitzenverbände ausreichend. Erstreckt sich die Zuständigkeit der Vereinigung, deren Tariffähigkeit umstritten ist, auf das Gebiet mehrerer Bundesländer, ist in dem Verfahren auch die oberste Arbeitsbehörde des Bundes beteiligt (BAG Beschluss vom 11. Juni 2013 – 1 ABR 33/12 – ; BAG Beschluss vom 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – mit weiteren Nachw.).

3. Eine Aussetzung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG und Einholung einer Entscheidung des BVerfG wegen Verfassungswidrigkeit des Art. 2 Nr. 4 b des am 16. Aug. 2014 in Kraft getretenen Tarifautonomiestärkungsgesetzes (BGBl I, 1348) hinsichtlich der Neufassung des § 97 Abs. 2 ArbGG und der dort normierten erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landesarbeitsgerichte und damit des Wegfalls einer Instanz ist verfassungsrechtlich nicht veranlasst. Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz als Ausprägung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs gem. Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ist nicht verletzt. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet eine wirksame gerichtliche Kontrolle, als das Prozessrecht eine weitere Instanz eröffnet (BVerfG Beschluss vom 28. Febr. 2013 – 2 BvR 612/12 – ). Nach st. Rspr. des BVerfG begründet dieser Anspruch jedoch keinen Anspruch auf eine weitere Instanz und bleibt die Entscheidung über den Umfang des Rechtsmittelzugs dem Gesetzgeber überlassen (BVerfG Beschluss vom 19. Juli 2007 – 1 BvR 650/03 – ; BVerfG Urteil vom 22. Jan. 2004 – 4 A 4/03 – […] für die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG nach § 5 Abs. 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz; BVerfG Beschluss vom 30. Okt. 1990 – 2 BvR 562/88 – betr. Entscheidungen einer Freiheitsentziehung). Danach ist es Sache des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob mehrere Instanzen zur Verfügung gestellt werden (BVerfG Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 – ). Durch die Zuständigkeitsverlagerung werde – so das BVerfG (a.a.O.) – die Wirksamkeit der Rechtsschutzgewährung nicht in Frage gestellt. Durch die Verweisung in § 97 Abs. 2 a ArbGG auf die §§ 92 bis 96 ArbGG ist jedenfalls die Rechtsbeschwerde bzw. für den Fall von deren Nichtzulassung die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben. Stellt der Gesetzgeber nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung, stellen sich erhöhte Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung der Tatsachenerforschung (BVerfG Beschluss vom 30. Okt. 1990 – 2 BvR 562/88 – ). Dem ist jedoch durch die Verweisung in § 97 Abs. 2 a ArbGG auf § 83 ArbGG und die gerichtliche Pflicht zur Sachverhaltserforschung von Amts wegen genügt. Für die gesetzliche Neuregelung besteht eine ausreichende sachliche Rechtfertigung. Der Wegfall der ersten Instanz wird vom Gesetzgeber mit einer Verfahrensbeschleunigung und zeitnahen Herstellung von Rechtssicherheit begründet. Hierfür ist die gesetzliche Regelung geeignet, denn durch den Wegfall der ersten Instanz verkürzt sich das Verfahren um mehrere Monate, wenn angenommen wird, dass das erstinstanzliche Verfahren drei bis vier Monate dauert und die Rechtsmittelfrist und ggf. verlängerte Rechtsmittelbegründungsfrist zwei bis drei Monate in Anspruch nehmen. Der Auffassung der Beteiligten zu 2), ihr werde dadurch zeitlich die Möglichkeit genommen, sich zu einer tariffähigen Gewerkschaft zu entwickeln oder eine entsprechende Prognose zu festigen, kann nicht gefolgt werden. Da es für die von der Beteiligten zu 1) begehrten Feststellung auf die Tatsachengrundlage ankommt, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht besteht, könnte sich ein längeres Verfahren zwar faktisch zu Gunsten der Beteiligten zu 2) auswirken. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende allgemeine Justizgewährungsanspruch umfasst indessen das Recht auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle im Rahmen des prozessrechtlich eröffneten Instanzenzugs, dient jedoch nicht der Schaffung einer gegenüber dem Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung erweiterten Tatsachengrundlage.

4. Der Antrag der Beteiligten zu 1) ist nicht wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig. Ein Konkurrenzverhältnis oder widerstreitende Interessen sind nach Auffassung des BAG (Beschluss vom 5. Okt. 2010 – 1 ABR 88/09 – ) den Verfahren auf Feststellung der Tariffähigkeit eigen. Folge eines für die Beteiligte zu 2) negativen Verfahrensausganges wäre, dass sie nicht mehr als tariffähige Gewerkschaft aktiv werden könnte. Insoweit ist das Verfahren vom Ansatz her gegen die Existenz der Vereinigung als tariffähige Koalition gerichtet. Daraus, dass die Beteiligte zu 1) die Beteiligte zu 2) – erfolgreich – mit arbeitsgerichtlichen Verfahren überzieht oder in den Betrieben und Unternehmen der Versicherungswirtschaft mit teilweise unangemessener Wortwahl angreift oder rechtlich fragwürdig die E-Mail-Anschrift www.neueassekuranzgewerkschaft.de auf sich umleitet, lässt sich nicht herleiten, dass das vorliegende Verfahren eine andere Zielrichtung hat als Feststellung der fehlenden Gewerkschaftseigenschaft.

5. Der Antrag der Beteiligten zu 1) ist auch sonst zulässig.

a) Die Beteiligte zu 1) ist antragsberechtigt. Gem. § 97 Abs. 1 ArbGG kann das Verfahren über die Tariffähigkeit einer Vereinigung auf Antrag einer räumlich und sachlich zuständigen Gewerkschaft, auf deren Gebiet sich die Tätigkeit der Vereinigung erstreckt, eingeleitet werden. Erforderlich ist, dass sich der räumliche und sachliche Zuständigkeitsbereich der antragstellenden Gewerkschaft zumindest teilweise mit den Zuständigkeitsbereichen der Vereinigung deckt, deren Tariffähigkeit bestritten wird (BAG Beschluss vom 11. Juni 2013 – 1 ABR 33/12 – ; BAG Beschluss vom 11. Juni 2013 – 1 ABR 32/12 – ; BAG Beschluss vom 5. Okt. 2010 – 1 ABR 88/09 – ). Diese Anforderungen erfüllt die Beteiligte zu 1). Ihr Organisationsbereich umfasst auch die Versicherungswirtschaft. Die Beteiligte zu 1) selbst ist von der Mitgliederzahl, Organisationsstärke und Durchsetzungskraft insgesamt tariffähig. Dies wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sie nach Behauptung der Beteiligten zu 2) in der Versicherungswirtschaft teilweise schwächer als die Beteiligte zu 2) aufgestellt sei.

b) Das erforderliche Interesse der Beteiligten zu 1) an der begehrten Feststellung nach § 256 Abs. 1 ZPO folgt schon daraus, dass das Gesetz in § 97 Abs. 1 ArbGG einer räumlich und fachlich zuständigen Vereinigung von Arbeitnehmern das Recht einräumt, ein Verfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zur Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung einzuleiten. Die besonderen Regelungen des § 2 a Abs. 1 Nr. 4, § 97 Abs. 1 ArbGG haben insoweit Vorrang vor der allgemeinen Vorschrift des § 256 Abs. 1 ZPO (BAG Beschluss vom 10. Febr. 2009 – 1 ABR 36/08 – ).

6. Der Antrag der Beteiligten zu 1) ist auch in der Sache begründet. Die Beteiligte zu 2) erfüllt nicht die erforderlichen Mindestvoraussetzungen, um tariffähig zu sein.

a) Der Begriff der Tariffähigkeit ist gesetzlich nicht definiert. Sie wird in § 2 a Abs. 1 Nr. 4, § 97 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 ArbGG als Eigenschaft vorausgesetzt. Es handelt sich um die rechtliche Fähigkeit, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler Arbeitsbedingungen tarifvertraglich mit der Wirkung zu regeln, dass sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten. Ist dies nicht der Fall, kann sie sofern sie Rechtsfähigkeit besitzt, mit einem Arbeitgeber oder mit einem Arbeitgeberverband schuldrechtliche Vereinbarungen, sog. Koalitionsvereinbarungen, schließen. Derartigen Vereinbarungen kommen jedoch nicht die normativen Wirkungen eines Tarifvertrags zu. Sie bedürfen vielmehr der vertraglichen Umsetzung in das Individualarbeitsverhältnis (BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ).

b) Die Koalition muss sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20. Okt. 1981 – 1 BvR 404/78 – , mit Beschluss vom 16. Sept. 1991 – 1 BvR 453/90 – hat das BVerfG eine insoweit eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht mehr angenommen) und das Bundesarbeitsgericht in st. Rspr. (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; BAG Beschluss vom 14. Dez. 2004 – 1 ABR 51/03 – ; ebenso LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]; LAG Hamm Beschluss vom 23. Sept. 2011 – 10 TaBV 14/11 – ) setzen für die Gewerkschaftseigenschaft in Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG eine Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler voraus, die sicherstellt, dass dieser Verhandlungsangebote nicht übergehen kann. Sie muss Autorität gegenüber dem sozialen Gegenspieler besitzen und ernstgenommen werden. Sie muss über eine leistungsfähige Organisation verfügen und von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben einer Tarifvertragspartei zu erfüllen (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; BAG Beschluss vom 14. Dez. 2004 – 1 ABR 51/03 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – ; LAG Hamm Beschluss vom 23. Sept. 2011 – 10 TaBV 14/11 B ). Anforderungen, die nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie geeignet, erforderlich und angemessen sind, überschreiten die Grenze der Ausgestaltung. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Koalitionsbetätigungsfreiheit wäre verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Da die an die Tariffähigkeit zu stellenden Anforderungen nicht unverhältnismäßig auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte freie Bildung und Betätigung einer Koalition zurückwirken dürfen, kann Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler nicht bedeuten, dass die Arbeitnehmerkoalition die Chance des vollständigen Sieges haben muss. Es muss aber erwartet werden können, dass sie aufgrund ihrer Mitglieder- oder Organisationsstärke vom Gegner ernst genommen wird und deshalb die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht einem Diktat der Arbeitgeberseite entspringt. Ebenso wenig kann von einer Arbeitnehmervereinigung eine Organisation verlangt werden, die ausschließlich oder überwiegend von Mitarbeitern getragen wird, die in einem Arbeitsverhältnis zu ihr stehen. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass die Arbeitnehmervereinigung über loyale Mitarbeiter verfügt, die ihr und ihren Mitgliedern im Konfliktfall verpflichtet sind und nicht dem bestimmenden Einfluss Dritter unterliegen. Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn sich die Gewerkschaft im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert und deshalb zu befürchten ist, dass die Arbeitgeberseite durch Androhung der Zahlungseinstellung die Willensbildung auf Arbeitnehmerseite beeinflussen kann (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; BAG Beschluss vom 14. Dez. 2004 – 1 ABR 51/03 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]; LAG Hamm Beschluss vom 23. Sept. 2011 – 10 TaBV 14/11 – ).

c) Für die einzelfallbezogene Beurteilung der Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung kommt der Mitgliederzahl eine entscheidende Bedeutung zu. Darüber hinaus kommt es auf die Teilnahme am Tarifgeschehen an. Die Zahl der organisierten Arbeitnehmer bestimmt zunächst die finanzielle Ausstattung einer Arbeitnehmerkoalition. Sie entscheidet über deren organisatorische Leistungsfähigkeit und auch darüber, ob eine Arbeitnehmervereinigung in der Lage ist, die mit dem Abschluss von Tarifverträgen verbundenen finanziellen und personellen Lasten zu tragen. Vor allem aber gibt die Mitgliederzahl im selbst gewählten fachlichen und räumlichen Zuständigkeitsbereich Aufschluss darüber, ob eine Arbeitnehmervereinigung unter Berücksichtigung ihres organisatorischen Aufbaus überhaupt in der Lage ist, hinreichenden Druck auf den sozialen Gegenspieler aufzubauen, um Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags zu erzwingen (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; BAG Beschluss vom 14. Dez. 2004 – 1 ABR 51/03 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]; LAG Hamm Beschluss vom 23. Sept. 2011 – 10 TaBV 14/11 – ). Diese Fähigkeit kann sich auch daraus ergeben, dass es sich bei den organisierten Arbeitnehmern um Spezialisten in Schlüsselstellungen handelt, die von der Arbeitgeberseite im Fall eines Arbeitskampfes kurzfristig nur schwer ersetzt werden können. Insgesamt genügt es, wenn eine Arbeitnehmerkoalition eine mitgliedsbezogene Durchsetzungsfähigkeit in einem zumindest nicht unerheblichen Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs besitzt. Bereits dies lässt erwarten, dass sich die Vereinigung auch in den Bereichen, in denen es ihr an Durchsetzungskraft fehlt, beim Abschluss von Tarifverträgen nicht den Forderungen der Arbeitgeberseite unterwirft. Verbleiben Zweifel an der durch die Mitglieder vermittelten sozialen Mächtigkeit und der organisatorischen Leistungsfähigkeit, kann zur Feststellung der Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmerkoalition auch deren langjährige Teilnahme am Tarifgeschehen in die Beurteilung einbezogen werden. Eine eigene aktive und dauerhafte Beteiligung am Prozess der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen in einem relevanten Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs kann ein Beleg dafür sein, dass die Koalition von der Arbeitgeberseite wahr- und ernstgenommen wird. Hat eine Arbeitnehmervereinigung originär ausgehandelte, eigenständige Tarifverträge in nennenswertem Umfang geschlossen, ist dieser Umstand geeignet, ihre Durchsetzungsfähigkeit zu belegen, soweit es sich nicht um Schein- oder Gefälligkeitstarifverträge handelt oder solche, die auf einem Diktat der Arbeitgeberseite beruhen (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; BAG Beschluss vom 14. Dez. 2004 – 1 ABR 51/03 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]; LAG Hamm Beschluss vom 23. Sept. 2011 – 10 TaBV 14/11 – ). Eine nennenswerte Anzahl bereits abgeschlossener Tarifverträge indiziert regelmäßig auch die organisatorische Fähigkeit zu deren Vorbereitung und Abschluss. Für die Fähigkeit, die tatsächliche Durchführung eines Tarifvertrags zu überwachen, gilt das allerdings nur eingeschränkt. Insoweit genügt aber, dass die Arbeitnehmerkoalition im Bedarfsfall die tatsächliche Einhaltung der von ihr geschlossenen Tarifverträge kontrollieren und gewährleisten kann (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ). Der Abschluss von Tarifverträgen erfordert Vorbereitungen. Hierfür sind die wirtschaftlichen Entwicklungen und sonstigen Rahmenbedingungen zu beobachten und zu prognostizieren, um daraus die Tarifforderungen zu entwickeln. Auch muss die tatsächliche Durchführung eines Tarifvertrags überwacht und abgesichert werden. Das Verhandlungsergebnis, das regelmäßig Kompromisscharakter hat, muss verbandsintern vermittelt und durchgesetzt werden. Die Erfüllung dieser Aufgaben muss eine Arbeitnehmervereinigung sicherstellen, um als Gewerkschaft Tarifverträge abschließen zu können. Erstreckt sich der Zuständigkeitsbereich auf das gesamte Bundesgebiet, wird regelmäßig eine erhebliche organisatorische Ausstattung auch in der Fläche erforderlich sein (BAG Beschluss vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 – ).

d) Hierin wird keine unzumutbare Erschwerung gesehen, sich einer im Aufbau befindlichen Organisation anzuschließen. Wenn eine junge Gewerkschaft noch nicht am Tarifgeschehen teilgenommen habe, ist ihre Durchsetzungskraft und Mächtigkeit prognostisch zu beurteilen (BAG Beschluss vom 5. Okt 2010 – 1 ABR 88/09 – ; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]; LAG Hamm Beschluss vom 23. Sept. 2011 – 10 TaBV 14/11 – ).

e) Eine tragfähige Prognose für die Durchsetzungsfähigkeit der Beteiligten zu 2) lässt sich vorliegend nicht aus dem Abschluss von Tarifverträgen herleiten. Tarifverträge hat die Beteiligte zu 2) noch nicht abgeschlossen. Sie trägt hierzu vor, sie befinde sich in Gesprächen mit dem C e.V., ein weiteres Gespräch sei für Anfang 2015 terminiert. Sie habe in das Tarifgeschehen auch durch kollektive Maßnahmen eingegriffen. Für die Tarifrunden 2011 und 2013 hätte sie eigene Aktivitäten entwickelt (Veröffentlichungen und Verlautbarungen Anlagen B 11 bis B 15, Bl. 306 ff. d. A.). Die Tarifkommission hätte am 8. Jan. 2015 für die Tarifrunde 2015 eigene Forderungen für die Innendienstbeschäftigten des Versicherungsgewerbes aufgestellt (Forderungsbeschluss Anlage B 16, Bl. 314 d. A.). Die Arbeitgeberseite habe Verhandlungen hierüber jedoch ausschließlich deshalb abgelehnt, weil ihre Tariffähigkeit angeblich in Frage stehe und zunächst das Statusverfahren habe abgewartet werden sollen (Versicherungsjournal vom 12. Febr. 2015, Bl. 318 ff. d. A.). Sie habe deshalb beschlossen, Ende März 2015 eine Urabstimmung durchzuführen. Auf ihren Aufruf zur Urabstimmung über die Durchführung eines Streiks vom April 2015 wird Bezug genommen (Bl. 399 d. A.). Ein Warnstreik, zu dem sie für den 30. März 2015 in Hamburg aufgerufen habe (Aufruf Bl. 400 d. A.), habe wetterbedingt nicht stattgefunden. Gespräche mit einem Arbeitgeberverband, das Aufstellen von Tarifforderungen, die Forderung nach Tarifverhandlungen, die der Arbeitgeberverband verweigert, ein Aufruf zu einer Urabstimmung und ein Warnstreik, der dann wetterbedingt nicht stattfindet, sind indessen kein ausreichender Beleg dafür, dass die Beteiligte zu 2) hinreichend durchsetzungsfähig wäre, Tarifverhandlungen und Tarifabschlüsse für die Versicherungswirtschaft zu erzwingen. Von dem Verlangen nach Tarifverhandlungen zeigte sich der Arbeitgeberverband jedenfalls aktuell eher unbeeindruckt, eine Urabstimmung, mit der ein bestimmtes Mitgliederquorum erreicht werden soll, besagt nichts über die Zahl der Mitglieder und ein Warnstreik, um Tarifverhandlungen zu erzwingen, hat bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung nicht stattgefunden.

f) Für eine positive Prognose für die Durchsetzungsfähigkeit der Beteiligten zu 2) besteht aber auch sonst keine hinreichende Tatsachengrundlage. In der Entscheidung vom 5. Okt. 2010 (- 1 ABR 88/09 – ) hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, die Mitgliederzahl oder Mitgliederstruktur der Arbeitnehmerkoalition vermittelten die soziale Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit und sei Grundlage der Annahme, die Arbeitnehmervereinigung habe für künftige Tarifverhandlungen die erforderliche Durchsetzungskraft. Ohne Angaben zur Zahl ihrer Mitglieder ließe sich die Durchsetzungskraft nicht belegen. Auf Angaben hierzu könne nicht verzichtet werden (Rz. 47). Die Beteiligte zu 1) hat vorgetragen, die Beteiligte zu 2) verfüge bestenfalls über 500 Mitglieder. Die Beteiligte zu 2) hat entgegen dem Hinweisbeschluss des Landesarbeitsgerichts keine hinreichend konkreten Angaben zu ihrer Mitgliederzahl gemacht. Ihre Zahlenangaben lassen ebenso wie das ArbG Hamburg im Beschluss vom 23. März 2015 (- 23 BVGa 3/15 -, Bl. 387 ff. d. A.) angenommen hat, keine Erkenntnisse über die tatsächliche Mitgliederzahl zu. Selbst bei über 2000 Mitgliedern hätte die Beteiligte zu 2) nur einen Organisationsgrad von einem Prozent. Einen Organisationsgrad von einem Prozent hat das Bundesarbeitsgericht (BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ) indessen als zu gering angesehen, als daraus die Prognose abzuleiten, eine Gewerkschaft werde von der Arbeitgeberseite als Tarifpartner ernstgenommen. Die Beteiligte zu 2) ist auch nicht in bestimmten Schlüsselpositionen so stark vertreten, dass davon ausgegangen werden könnte, die Arbeitgeberseite werde sich im Hinblick auf dieses Druckpotential ernsthaften Verhandlungen über die Regelung von Arbeitsbedingungen nicht entziehen können (BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ).

Aber selbst ein Bestand von 2000 Mitgliedern lässt sich aus dem Vortrag der Beteiligten zu 2) nicht ableiten. Auch ein – ebenfalls nicht gesicherter – Bestand von 1000 Mitgliedern entspräche einem Organisationsgrad von höchstens 0,5 %. Wenn die Beteiligte zu 2) – wie sie vorträgt – Ende 2010 50 Mitglieder hatte und 2014 ein dreistelliges Mitgliederwachstum, könnten dies zwischen 150 und 1049 Mitglieder sein, aus ihren Prognosen für 2015 lässt sich eine Bandbreite zwischen 250 und 1500 ableiten. Die Beteiligte zu 2) trägt hierzu vor, sie hätte im ersten Quartal 2015 Zuwächse aus 13 Unternehmen verzeichnet, davon aus fünf Unternehmen, in denen sie bisher nicht vertreten gewesen sei. Dem stünden lediglich sechs Kündigungen gegenüber. Dies ergebe eine Erhöhung der Jahresbeitragssumme von über EUR 10.000. Die Prognose sei gerechtfertigt, dass sich die Mitgliederzahlen auch in den weiteren drei Quartalen des Jahres 2015 entsprechend erhöhten, was zu einer Erhöhung der Jahresbeitragssumme über insgesamt etwa EUR 40.000 führe und zu einem deutlichen dreistelligen Mitgliederzuwachs. Auch aus den angegebenen Beträgen lässt sich nicht mehr herleiten. Ein fünfstelliger Monatsbetrag ergäbe sich bei einem Durchschnittsbeitrag von EUR 26,60 bereits bei rund 400 Mitgliedern. Die optimistische Annahme über einen entsprechenden “deutlichen dreistelligen” Mitgliederzuwachs in den weiteren Quartalen 2015 ist ohne Mitteilung der Ausgangsbasis wenig aussagekräftig.

Das ausdrückliche Angebot der Beteiligten zu 2) auf Glaubhaftmachung ihrer diesbezüglichen Angaben aufgrund eines dann intern vorzulegenden Zahlenwerks durch eine notarielle Erklärung kann entsprechenden Vortrag nicht ersetzen. Die Gewerkschaft kann den erforderlichen Beweis des Vertretenseins im Betrieb wie auch ihrer Mitgliederzahl auch durch mittelbare Beweismittel, z.B. durch notarielle Erklärungen führen, ohne die Namen ihrer Mitglieder zu nennen. Ob diese Beweisführung ausreicht, ist eine Frage der freien Beweiswürdigung. Die Tatsachengerichte müssen dem geringeren Beweiswert mittelbarer Beweismittel durch besonders sorgfältige Beweiswürdigung und Begründung ihrer Entscheidung Rechnung tragen (BAG Beschluss vom 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – ). Eine notarielle Erklärung ist jedoch ein Beweismittel für bestrittenen Vortrag. Reicht schon der Vortrag der Beteiligten zu 2) nicht aus, ist eine Beweiserhebung darüber überflüssig und geht ins Leere, denn durch diese würde nur der ohnehin nicht ausreichende Vortrag bestätigt. Die Beteiligte zu 2) könnte den Beweis, sie hätte eine bestimmte, konkret angegebene Mitgliederzahl, durch eine geeignete notarielle Urkunde führen. Sie hat jedoch auf Nachfrage erklärt, das Angebot auf Vorlage einer notariellen Erklärung verstehe sich so, dass der Notar die in diesem Verfahren gemachten Zahlenangaben und Entwicklungen nach Überprüfung entsprechender Belege bestätigen könne. Ohne Angabe einer konkreten Mitgliederzahl reicht dies jedoch nicht aus.

g) Der Einwand der Beteiligten zu 2), sie brauche ihre Mitgliederzahl nicht offenzulegen oder nachzuweisen, weil ihr nicht zugemutet werden könne, ihre Mitgliederzahl anzugeben, weil die Beteiligte zu 1) als konkurrierende Gewerkschaft diese Daten missbräuchlich für ihre Bekämpfung verwenden könnte, greift nicht durch. Die Beteiligte zu 2) muss ihre Mitglieder nicht namentlich benennen und muss auch nicht den Mitgliederbestand im Einzelnen aufschlüsseln. Aus ihren mitgliedsbezogenen Darlegungen muss sich allerdings ergeben, dass sie nicht nur in einem kleinen unbedeutenden Teil ihres selbstgewählten fachlichen und räumlichen Zuständigkeitsbereichs durchsetzungsfähig und damit auch in der Lage ist, flächendeckend Tarifverträge auszuhandeln, die den Interessen beider Seiten gerecht werden. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie verlangt nicht den Schutz einer “imaginären Verbandsmacht”, sondern beruht auf der realen Durchsetzungsfähigkeit und Geschlossenheit einer Arbeitnehmervereinigung. Ansonsten würde Vereinigungen Vorschub geleistet, denen keine oder nur eine zu vernachlässigende Zahl an Arbeitnehmern angehören, und auf deren Verhandlungsangebot die Arbeitgeberseite letztlich nur deswegen eingeht, um die Arbeitsbedingungen der nichtorganisierten Arbeitnehmer durch Gleichstellungsabreden zu regeln und damit einer AGB-Kontrolle entziehen zu können (BAG Beschluss vom 5. Okt. 2010 – 1 ABR 88/09 – ).

h) Aktivitäten auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene besagen für die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit im Tarifbereich wenig. Betriebsräte sind als Gremien gemäß § 74 Abs. 2 BetrVG zur Neutralität im Arbeitskampf verpflichtet und ihre Rechte müssen nicht durch Streiks erkämpft werden, sondern sind im BetrVG geregelt.

7. Entgegen der von der Beteiligten zu 2) vertretenen Auffassung verstößt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung, der die Kammer folgt, nicht gegen EU-Recht. Wann eine Vereinigung eine Gewerkschaft ist, sagt Art. 11 EMRK nicht (vgl. BVerfG vom 16.09.1991 – 1 BvR 453/90 – […]; BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – ; ArbG Stuttgart Beschluss vom 12. Sept. 2003 – 15 BV 250/96 B […]). Aus Art. 11 Abs. 1 EMRK lässt sich ebenso wenig wie aus Art. 5 der Europäischen Sozialcharta (ESC) ableiten, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei mit europäischem Recht nicht vereinbar (BAG Beschluss vom 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ; LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]; ArbG Stuttgart Beschluss vom 12. Sept. 2003 – 15 BV 250/96 – ). Auch das Übereinkommen Nr. 87 der IAO über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts gewährleistet die Koalitionsfreiheit nur in allgemeiner Form und geht nicht über die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus (BVerfG vom 16.09.1991 – 1 BvR 453/90 – […]). Art. 28 Charta der Grundrechte der EU (EuGrC) stellt klar, dass das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen beinhaltet, nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen. Nach den Regelungen in Art. 6 Abs. 1 und 2 des Vertrages über die Europäische Union ändert sich durch die Grundrechte-Charta und den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten jedoch nichts an den in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union. Damit bleibt es in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten, Bestimmungen zum Koalitionsrecht zu treffen (LAG Hamburg Beschluss vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – […]).

III.

Zu einer Kostenentscheidung bestand im Hinblick auf § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG keine Veranlassung.

Die Rechtsbeschwerde ist für die Beteiligte zu 2) nicht zuzulassen, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in Verbindung mit § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, da die hierfür gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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