LAG Hessen, 11.04.2016 – 16 TaBV 162/15

März 27, 2019

LAG Hessen, 11.04.2016 – 16 TaBV 162/15
Leitsatz:

1.

Zu den vom Arbeitgeber nach § 40 Absatz 1 BetrVG zu erstattenden Kosten gehören auch Reisekosten, die das Betriebsratsmitglied zur Durchführung konkreter Betriebsratstätigkeit aufgewendet hat. Dies schließt notwendige Übernachtungskosten ein. Maßgeblich ist, ob das Betriebsratsmitglied die Kosten unter Berücksichtigung der Gegebenheiten im Zeitpunkt der Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben für erforderlich halten durfte. Nicht erforderlich ist, dass die vorherige Zustimmung des Arbeitgebers hierzu eingeholt wird.
2.

Nach § 82 Absatz 2 Satz 1 Alt. 3 und Satz 2 BetrVG kann der Arbeitnehmer verlangen, dass die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Hat der Arbeitgeber im Rahmen eines Interessenausgleichs die Zuordnung von Stellen im Außendienst einer paritätisch besetzten Stellenbesetzungskommission übertragen, kann der Arbeitnehmer auch zu einem Gespräch vor dieser Kommission ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 22. Mai 2015 -14 BV 8/14 – teilweise abgeändert:

Den Beteiligten zu 2, 4, 5, 6 wird aufgegeben, der Antragstellerin 134,00 EUR (in Worten: Einhundertvierunddreißig und 0/100 Euro) zu zahlen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Übernachtungskosten eines Betriebsratsmitglieds.

Die Beteiligten zu 2, 4-6 (Arbeitgeber) betreiben Pharma-Unternehmen. Beteiligter zu 3 ist der dort gebildete Betriebsrat, dem die Antragstellerin angehört.

Die Antragstellerin nahm vom 29. September bis 1. Oktober 2014 an einem Inhouse-Seminar des Betriebsrats in A teil. Die Veranstaltung endete um 15:30 Uhr. Für den 2. Oktober 2014 waren Sondierungsgespräche im Rahmen einer Betriebsänderung für den Außendienst der Beteiligten zu 2 in B angesetzt. Diese fanden vor einer von den Betriebspartnern in einem Interessenausgleich (Bl. 70-72 der Akten) vereinbarten paritätisch aus Betriebsratsmitgliedern und Arbeitgebervertretern zusammengesetzten Stellenbesetzungskommission, der die Antragstellerin nicht angehörte, statt und waren vom Arbeitgeber für die Zeit von 8:45 Uhr bis 17:45 Uhr bei einer Mittagspause von einer halben Stunde im 15 Minutentakt angesetzt; insoweit wird auf den Ablaufplan Bl. 178 d.A. Bezug genommen. Da die Antragstellerin als Außendienstmitarbeiterin selbst von der Betriebsänderung betroffen war, war für sie um 10:15 Uhr ein eigener Gesprächstermin vorgesehen. Im Laufe des Vormittags führte die Antragstellerin Vorgespräche von jeweils 20-30 min mit 5 Außendienstmitarbeitern und nahm nachmittags an 7 Besprechungen von Außendienstmitarbeitern vor der Stellenbesetzungskommission teil. Diese fanden zu folgenden Zeiten statt:

12:00 Uhr bis 12:15 Uhr Frau C

13:45 Uhr bis 14:00 Uhr Frau D

14:45 Uhr bis 15:00 Uhr Frau E

15:15 Uhr bis 15:30 Uhr Herr F

16:30 Uhr bis 16:45 Uhr Frau G

17:00 Uhr bis 17:15 Uhr Frau H

17:30 Uhr bis 17:45 Uhr Herr I

Die Antragstellerin war bereits am Vorabend von A aus nach B angereist und übernachtete dort im Hotel. Hierfür fielen Kosten in Höhe von 134 € an, die sie mit der ihr überlassenen Firmenkreditkarte beglich. Der Betrag wurde ihr später rückbelastet. Diesen macht sie in dem vorliegenden Beschlussverfahren geltend.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, eine Anreise am 2. Oktober 2014 sei ihr nicht zuzumuten gewesen, da ihr Arbeitstag einschließlich der Reisezeiten dann 12 h überschritten hätte.

Der Arbeitgeber hat eingewandt, die Übernachtungskosten seien nicht erforderlich gewesen, da die Antragstellerin zuhause in J hätte übernachten und am Folgetag mit dem ihr überlassenen Firmenfahrzeug in das 103 km entfernte Hotel in B habe anreisen können. Dies hätte 1 h und 10 min gedauert. Außerdem habe es an der nach der im Betrieb geltenden Reisekostenrichtlinie (Bl. 59-68 d.A.) erforderlichen Zustimmung des Personalleiters gefehlt. Die am 2. Oktober 2014 geführten Gespräche seien keine im Sinne von § 3 Nr. 4e Interessenausgleich gewesen, sodass die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Betriebsratsmitglied nicht teilnahmeberechtigt gewesen sei.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I (Bl. 130-134 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Die Antragstellerin habe keine Umstände vorgetragen, die dafür sprechen, dass es ihr nicht zumutbar gewesen wäre, am 2. Oktober 2014 nach B und zurück zu reisen. Selbst wenn die Antragstellerin wie von ihr vorgetragenen bereits ab 7:50 Uhr Vorgespräche mit ihren Kollegen geführt habe, sei nicht erkennbar, warum es ihr nicht zumutbar gewesen sein solle, um 6:30 Uhr von ihrem Wohnort in J abzureisen. Selbst wenn man für An- und Abreise jeweils eineinhalb Stunden Autofahrt zu Grunde lege, sei eine Arbeitszeitgrenze von 10 h nicht erreicht.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 14. August 2015 zugestellt. Er hat dagegen am 8. September 2015 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 14. November 2015 am 16. November 2015 (Montag) begründet.

Die Antragstellerin rügt, das Arbeitsgericht habe den Begriff der Zumutbarkeit verkannt. Wenn sie am 2. Oktober 2014 um 6:30 Uhr zuhause losgefahren und am selben Tag um 18:30 Uhr zuhause wieder angekommen wäre, wäre sie an diesem Tag 11 Stunden (richtig: 12 Stunden) unterwegs gewesen. Das Arbeitsgericht lege die reine Besprechungszeit in den Sitzungen und die Fahrzeiten zu Grunde. Tatsächlich sei jedoch der gesamte Tag mit Gesprächen ausgefüllt gewesen, nämlich mit Vorbesprechungen, Sitzungsterminen oder Nachbesprechungen. Im Übrigen sei die Klägerin bei der Planung des 2. Oktober 2014 von der seitens der Arbeitgeber vorgegebenen Auflistung der Termine (Anlage 9, Bl. 178 der Akten) ausgegangen. Sie habe daher den gesamten Vormittag, mit Ausnahme ihres eigenen Termins von 10:15 bis 10:30 Uhr, zu Vorbesprechungen mit insgesamt 8 Beschäftigten verplant, die sie um ihre Unterstützung in diesen Gesprächen gebeten hatten. Das erste Gespräch vor der Kommission habe mit Frau K im Zeitfenster zwischen 10:00 Uhr 11:45 Uhr geführt werden sollen. Deshalb habe sie sich mit Frau K für 8:00 Uhr verabredet. Dieses Gespräch habe Frau K erst am selben Tag um 7:50 Uhr telefonisch abgesagt, weil sich die Situation um ihr neues Gebiet inzwischen geändert hatte. Im Anschluss daran habe sie jeweils Vorgespräche von 20-30 min mit den Beschäftigten über die Auswirkungen der geplanten Umstrukturierung auf ihrem Arbeitsplatz und die Voraussetzungen, die dem Interessenausgleich und Sozialplan zu Grunde liegen, geführt. Zwischen 12:00 Uhr 17:45 Uhr habe sie dann an den im unstreitigen Teil dieses Beschlusses genannten Besprechungen vor der Kommission zur Unterstützung der genannten Mitarbeiter teilgenommen. Hierbei habe es sich um eine erforderliche Betriebsratstätigkeit handelt. Dies ergebe sich aus § 82 BetrVG sowie aus § 3 Nr. 4e des Interessenausgleichs. Aus Letzterem ergebe sich entgegen der Auffassung der Arbeitgeber nicht, dass die Gespräche erst nach der Entscheidung über die Zuordnung zu führen wären. Maßgeblich sei vielmehr allein, dass die genannten Mitarbeiter die Antragstellerin als Betriebsrätin ihres Vertrauens zu den Gesprächen hinzuziehen wollten. Die Antragstellerin habe selbst in Gesprächspausen damit rechnen müssen, jederzeit von einem Arbeitnehmer angesprochen zu werden. Deshalb greife eine Aufsummierung der reinen Nettozeiten zu kurz. Darüber hinaus übersehe der Arbeitgeber, dass er seinen Mitarbeitern bei einer Überschreitung der Tagessollzeit von 10 h einschließlich Lenkzeit empfiehlt, eine Übernachtung zu buchen. Ferner habe sich die Antragstellerin mit ihrem Betriebsratskollegen, Herrn L, am Vorabend des 2. Oktober 2015 in dem Hotel verabredet, um Außendienstthemen im Rahmen der Betriebsratstätigkeit zu besprechen und vorzubereiten.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 22. Mai 2015 -14 BV 8/14- abzuändern und

den Beteiligten zu 2, 4-6 aufzugeben, der Antragstellerin 134 € zu zahlen.

Die Beteiligten zu 2, 4-6 beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, die Teilnahme an den Sondierungsgesprächen anderer Außendienstmitarbeiter sei keine erforderliche Betriebsratstätigkeit. Die Antragstellerin sei (unstreitig) kein Mitglied der Stellenbesetzungskommission gewesen. Die Beratung und Vertretung einzelner Arbeitnehmer sei keine Betriebsratsaufgabe, zumal die Stellenbesetzungskommission bereits paritätisch besetzt war. Ein Teilnahmerecht der Antragstellerin ergebe sich weder aus § 3 Nr. 4e Interessenausgleich noch aus § 82 BetrVG. Ein Gesprächsbeginn am 2. Oktober 2014 um 7:50 Uhr werde bestritten. Aber auch ein Fahrtbeginn um 6:30 Uhr sei zumutbar gewesen. Dasselbe gelte für eine Rückfahrt am selben Tag. Für Hin- und Rückfahrt seien jeweils 1,5 h zu veranschlagen, für die Vorgespräche 2,5 h und für 9 Gespräche vor der Kommission zu je 15 min insgesamt 2,25 h. Damit ergebe sich eine Gesamtdauer der Betriebsratstätigkeit von 7,75 h. Es werde bestritten, dass sich die Antragstellerin am Vorabend mit dem Betriebsratsmitglied L zur Vorbereitung von Außendienstthemen im Rahmen der Betriebsratstätigkeit getroffen habe. Jedenfalls sei die Erforderlichkeit eines solchen Treffens nicht erkennbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

Die Beschwerde des Betriebsrats ist begründet. Die Antragstellerin kann vom Arbeitgeber die Erstattung der Übernachtungskosten in Höhe von 134 € verlangen.

Nach § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Er hat die erforderlichen Aufwendungen einzelner Betriebsratsmitglieder, die ihnen bei der Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben entstehen, zu erstatten. Allerdings besteht die Pflicht des Arbeitgebers zur Kostentragung nach § 40 Abs. 1 BetrVG unter dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Der Betriebsrat ist daher verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er der Sache nach für angemessen halten darf. Er hat darauf bedacht zu sein, die durch seine Tätigkeit verursachten Kosten auf das notwendige Maß zu beschränken. Diese Pflicht gilt auch für das einzelne Betriebsratsmitglied (Bundesarbeitsgericht 27. Mai 2015 – 7 ABR 46/133 Rn. 16). Zu den vom Arbeitgeber zu erstattenden Kosten gehören auch Reisekosten, die das Betriebsratsmitglied zur Durchführung konkreter Betriebsratstätigkeit aufgewendet hat (Bundesarbeitsgericht 16. Januar 2008 – 7 ABR 71/063 Rn. 13). Dies schließt notwendige Übernachtungskosten ein. Maßgeblich ist, ob das Betriebsratsmitglied die Kosten unter Berücksichtigung der Gegebenheiten im Zeitpunkt der Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben für erforderlich halten durfte (Bundesarbeitsgericht 27. Mai 2015 – 7 ABR 46/133 Rn. 23). Nicht erforderlich ist, dass die vorherige Zustimmung des Arbeitgebers hierzu eingeholt wird (Bundesarbeitsgericht 10. August 1994 – 7 ABR 35/933 Rn. 28).

Bei Anwendung dieser Grundsätze war die Hotelübernachtung der Antragstellerin vom 1. auf den 2. Oktober 2014 für die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben erforderlich.

Bei der Planung ihrer Betriebsratstätigkeit am 2. Oktober 2014 legte die Antragstellerin die vom Arbeitgeber vorgegebene Auflistung der Termine (Anlage 9, Bl. 178 d.A.) zu Grunde. Neben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern C, D, E, F, G, H und I, deren Gespräche vor der paritätischen Stellenbesetzungskommission nachmittags stattfanden, hatte auch Frau K sie um eine Begleitung in ihrem Gespräch gebeten. Vor diesen Gesprächen vor der Kommission verabredete sich die Antragstellerin mit den Arbeitnehmern zu Vorgesprächen, die am Vormittag stattfanden. Mit Frau K war ein derartiges Vorgespräch für 8:00 Uhr geplant, das von dieser erst am selben Tag um 7:50 Uhr telefonisch abgesagt wurde. Diesen Umstand konnte die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Vornahme ihrer Übernachtung nicht kennen. Sie musste daher davon ausgehen, am 2. Oktober 2014 ab 8:00 Uhr für Vorgespräche und sodann für die Gespräche vor der paritätischen Stellenbesetzungskommission den betroffenen Außendienstmitarbeitern als Betriebsratsmitglied zur Verfügung zu stehen. Das Ende des letzten dieser Gespräche war für 17:45 Uhr vorgesehen. Hierbei handelte es sich um einen Zeitraum von 9 h 45 min. Auch wenn die Gespräche sich nicht nahtlos aneinander anschlossen, handelte es sich gleichwohl während dieses gesamten Zeitraums um erforderliche Betriebsratstätigkeit. Die Antragstellerin hatte sich in diesen “Pausen” auf die folgenden Gespräche vorzubereiten und die stattgefundenen Gespräche gedanklich zu verarbeiten und nachzubereiten. Ferner hatte sie sich für Gespräche mit sonstigen Arbeitnehmern bereitzuhalten, da es sein konnte, dass spontan weitere Außendienstmitarbeiter mit der Bitte um Begleitung in deren Gespräch vor der paritätischen Stellenbesetzungskommission an sie herantreten würden. Zu dieser Dauer der Betriebsratstätigkeit von 9 h 45 min ist die Reisezeit hinzuzurechnen. Bereits für die Rückreise war jedenfalls von einer Fahrzeit von 1 h 10 min auszugehen (vgl. den Ausdruck aus google-maps, Bl. 69 der Akten). Dies ergibt eine Dauer der Betriebsratstätigkeit von 10 h 55 min. Im Falle einer Anreise am selben Tag von ihrem Wohnort in J aus, wären dazu weitere 1 h 10 min gekommen. Bei Abzug einer halbstündigen Mittagspause wäre die Antragstellerin am 2. Oktober 2014 annähernd 12 h im Einsatz gewesen. Im Hinblick darauf durfte sie die Hotelübernachtung am Vorabend als erforderlich ansehen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie am Vorabend mit ihrem Betriebsratskollegen, Herrn L, im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit Außendienstthemen besprochen und vorbereitet hat. Sollte dies der Fall gewesen sein, was die Arbeitgeber bestreiten, wäre dies ein weiterer sachlicher Gesichtspunkt für die Erforderlichkeit der Hotelübernachtung gewesen. Hierauf stellt die Beschwerdekammer jedoch nicht entscheidend ab. Eine vorherige Genehmigung der Personalabteilung zu der Übernachtung musste die Antragstellerin nicht einholen, da diese zur Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit erforderlich war.

Die Teilnahme der Antragstellerin an den Gesprächen vor der paritätischen Stellenbesetzungskommission war Betriebsratstätigkeit.

Dies ergibt sich aus § 82 Absatz 2 Satz 1 Alt. 3 und Satz 2 BetrVG. Danach kann der Arbeitnehmer verlangen, dass die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Verlangt der Arbeitnehmer die Hinzuziehung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds, gehört es zu seinen gesetzlichen Aufgaben, den Arbeitnehmer zu begleiten und gegebenenfalls zu beraten (Bundesarbeitsgericht 27. November 2002 – 7 ABR 33/013 Rn. 20).

Die Zuständigkeit auf Seiten des Arbeitgebers für das Gespräch richtet sich nach der betrieblichen Organisation (GK-BetrVG-Wiese/Franzen, 9. Auflage, § 82 Rn. 7; Richardi-Thüsing, BetrVG, 15. Auflage, § 82 Rn. 8; D/K/K/W-Buschmann, BetrVG, 14. Auflage, § 82 Rn. 10). Hier hat der Arbeitgeber im Rahmen eines Interessenausgleichs die Zuordnung von Stellen im Außendienst einer paritätisch besetzten Stellenbesetzungskommission übertragen. Wird im Rahmen dieser organisatorischen Zuständigkeit seitens der Kommission ein Gespräch über die in § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG genannten Themen geführt, kann der betroffene Arbeitnehmer auch in diesem Gespräch nach § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen.

Der Einwand des Arbeitgebers, die Beratung und Vertretung einzelner Arbeitnehmer sei im Hinblick auf die bereits paritätisch besetzte Stellenbesetzungskommission keine Betriebsratsaufgabe, trifft nicht zu. Dass die Stellenbesetzungskommission paritätisch besetzt ist, betrifft nur ihre Funktion als Entscheidungsträger. Hier geht es aber um die Interessenwahrnehmung der betroffenen Mitarbeiter vor diesem Gremium. Allein aus dem Umstand, dass die Stellenbesetzungskommission paritätisch besetzt ist, ergibt sich nicht, dass in den vor diesem Gremium stattfindenden Verhandlungen die betroffenen Mitarbeiter ausreichend zu Wort kommen bzw. ihre Interessen, so wie sie selbst es für erforderlich halten, geltend machen können. Dem dient die Begleitung durch ein Betriebsratsmitglied. Diese ist zudem geeignet, ein bei dem betroffenen Mitarbeiter etwa vorhandenes “Wissens- oder Verständnisdefizit” (Fitting, BetrVG, 27. Auflage, § 82 Rn. 12) auszugleichen.

Die die von der paritätischen Stellenbesetzungskommission am 2. Oktober 2014 geführten Gespräche dienten der Erörterung der Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung der betroffenen Außendienstmitarbeiter im Betrieb i.S. von § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG.

Das Erörterungsrecht nach § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG dient dazu, dem Arbeitnehmer eine realistische Einschätzung darüber zu ermöglichen, wie seine Leistungen eingeschätzt werden und welche Entwicklungschancen er im Betrieb hat. Zugleich erhält er die Gelegenheit, etwaigen Fehlbeurteilungen entgegenzutreten und seine eigenen beruflichen Entscheidungen bis hin zu einer möglichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses an der Bewertung seiner Leistungen und den betrieblichen Aufstiegschancen zu orientieren. Insoweit ergänzt § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG die im Bereich der Personalplanung dem Betriebsrat eingeräumten Beteiligungsrechte. Die Erörterung der Perspektiven der beruflichen Entwicklung des Arbeitnehmers hat daher möglichst umfassend unter Berücksichtigung der individuellen Leistungen einerseits und der betrieblichen Situation sowie der Personalüberlegungen des Arbeitgebers andererseits zu erfolgen. Dies schließt auch negative Beurteilungen des Arbeitgebers und die Erläuterung des Fehlens von beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten im Betrieb ein. Für den Anspruch nach § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG genügt es, wenn die Gesprächsgegenstände zumindest teilweise identisch mit den in § 82 Abs. 2 S. 1 BetrVG genannten Themen sind (Bundesarbeitsgericht 16. November 2004 – 1 ABR 53/03 – Rn. 23, 25).

Mit dem Interessenausgleich (Bl. 70ff d.A.) erstrebte der Arbeitgeber eine Neuordnung seines Vertriebsaußendienstes. Die derzeitige und künftige Gliederung der Außendienstbereiche ist in § 1 des Interessenausgleichs geregelt. Die Stellenzuordnung wird nach § 3 Nr. 1 Interessenausgleich von der Stellenbesetzungskommission vorgenommen. Hierüber wird gem. § 3 Nr. 4 Interessenausgleich in verschiedenen Schritten entschieden. Die am 2. Oktober 2014 vor der paritätisch besetzten Stellenkommission geführten Gespräche dienten der Zuordnung der Außendienstmitarbeiter zu den künftigen Vertriebsgebieten. Sie bezogen sich daher auf die weitere Entwicklung des Arbeitnehmers im Betrieb, denn diese hängt entscheidend davon ab, welches Vertriebsgebiet er künftig betreut. Hierbei werden auch Eignungs- und Leistungsgesichtspunkte, wie bestehende Kundenkontakte im Sinne der Anzahl betreuter Segmente bzw. Kliniken sowie die Betreuungsdauer im künftigen Gebiet während der bisherigen Betriebszugehörigkeit des Mitarbeiters, die Lage des Wohnorts des Mitarbeiters in Bezug auf das künftige Gebiet und Sozialkriterien nach § 1 Abs. 3 KSchG berücksichtigt (§ 3 Nr. 4f Interessenausgleich).

Dass die Antragstellerin auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer am 2. Oktober 2014 an den Gesprächen vor der Stellenbesetzungskommission teilgenommen hat, stellt der Arbeitgeber nicht in Abrede.

III.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 92 Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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