LAG Hessen, 11.08.2014 – 13 Ta 176/14

April 30, 2019

LAG Hessen, 11.08.2014 – 13 Ta 176/14
Leitsatz

Fehlt die Zustellung eines Beschlusses, der gemäß den §§ 567 ff ZPO angreifbar ist, oder ist die Zustellung unterblieben, unwirksam oder nicht nachweisbar, so beginnt die Frist des § 569 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. ZPO mit dem Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung. Für nicht verkündete Beschlüsse gilt dies entsprechend. Die Fünfmonatsfrist beginnt dann mit der Bekanntgabe an die Parteien. Das ist zur Wahrung ihres rechtlichen Gehörs erforderlich.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägervertreters gegen den Abhilfe-beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2014 – 5 Ca 4140/11 – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
Gründe
1

I.

Am 29. Mai 2012 nahm der Klägervertreter die für den Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. März 2012 ein-gelegte Berufung zurück.
2

Am 23. November 2012 beantragte der Klägervertreter für die Beru-fungsinstanz Kostenfestsetzung nebst Zinsen gegen den Kläger wie folgt:

1,60 Verfahrensgebühr §§ 2 Abs. 2, 13 RVG, Nr. 3200 VV RVG

1.673,60 €

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG

20,00 €

Summe

1.693,60 €

19,00 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG

321,78 €

Gesamtbetrag

2.015,38 €
3

Der Kostenfestsetzungsantrag wurde dem Kläger – wie auch der in vollem Umfang stattgebende Kosten¬festsetzungsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – unter der Adresse A, am 20. Dezember 2012 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Dort wohnte zu diesem Zeitpunkt allein die Mutter des Klägers. Der Kläger ist dort gemäß Abfrage beim Einwoh¬nermelde¬amt vom 5. Februar 2014 (Bl. 137 d.A.) seit 10. Februar 2012 nicht mehr wohnhaft. Er hat seinen Le¬bensmittelpunkt seitdem unter der im Rubrum festgehaltenen Adresse in B.
4

Anlässlich eines Besuches bei seiner Mutter ab 16. Januar 2014 erfuhr der Kläger – nach seiner Darle¬gung nicht vor dem 22. Januar 2014 – von dem Kostenfestsetzungsbeschluss und legte am 3. Februar 2014 per Fax beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main „Beschwerde“ ein unter Hinweis auf die seiner An¬sicht nach fehlerhafte Zustellung des Kosten¬festsetzungsbeschlusses und darauf, dass der Klägervertre¬ter ihm hin¬sichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens unzutreffende Angaben gemacht habe und die Berufung nur eingelegt werden sollte, wenn eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung vor¬liege. Dadurch sei ihm ein Schaden entstanden.
5

Durch Beschluss vom 27. Februar 2014 half der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht der so verstandenen sofortigen Beschwerde des Klägers ab und hob den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. Dezember 2012 auf. Nach Ansicht des Rechtspflegers war der Kostenfestsetzungs¬beschluss vom 19. Dezember 2012 nicht ord-nungsgemäß zugestellt worden. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde habe daher noch nicht zu laufen begonnen. Die Einwendungen des Klägers hätten ihren Grund nicht im Gebührenrecht. Sie seien daher im Wege der Ge¬bührenklage zu prü-fen.
6

Nach Zustellung dieses Beschlusses am 3. März 2014 erhob der Klä-gervertreter hiergegen am 12. März 2014 sofortige Beschwerde mit der Ansicht, der Kläger habe die Beschwerdefrist für seine Beschwerde vom 3. Februar 2014 versäumt. Die Zustellung an die Adresse A sei rechtlich kor¬rekt. Man habe mit dem Kläger ab¬sprachegemäß aus Gründen der Vereinfachung immer über diese Ad¬resse und die dort ansässige Mutter des Klägers korrespondiert.
7

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde des Klägervertreters nicht abgeholfen und die Sache am 15. April 2014 dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
8

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den weiteren Inhalt der ge¬wechselten Schriftsätze nebst Anla-gen verwiesen.
9

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägervertreters gegen den Abhilfebe-schluss des Rechtspflegers vom 37. Februar 2014 ist zulässig (§ 11 Abs. 2 RVG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO), insbesondere ist sie gemäß § 569 Abs. 1 ZPO fristgerecht innerhalb von 2 Wochen erhoben. Der notwendige Beschwerdewert von mehr als 200 € ist erreicht (§ 567 Abs. 2 ZPO).
10

Die Beschwerde ist unbegründet. Der Klägervertreter kann keine ge-richtliche Kostenfestsetzung gegen den Kläger verlangen.
11

Zu Recht hat der Rechtspfleger auf die „Beschwerde“ des Klägers den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. Dezember 2012 aufgehoben und der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Kläger¬ver¬treters nicht abgeholfen.
12

Entgegen der Ansicht des Klägervertreters war der Kostenfestsetzungs-beschluss vom 19. Dezember 2012 zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde des Klägers vom 3. Februar 2014 noch nicht rechts¬kräftig und damit auch noch abhilfefähig (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Insbeson¬dere war die dem Kläger zu¬kommende Beschwerdefrist von 2 Wochen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) am 3. Februar 2014 noch nicht ab¬gelaufen.
13

Die Beschwerdefrist beginnt üblicherweise mit der Zustellung des Be-schlusses (§ 569 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. ZPO). Eine ordnungsgemäße Zu-stellung ist aber nicht erfolgt. Die Übersendung des Beschlusses an die in Hanau wohnhafte Mutter des Klägers hat die Zustellung nicht bewirkt. Der Kläger hatte dort am 20. Dezember 2012 nicht mehr seine Woh¬nung im Sinne seines Lebensmittelpunktes, sondern vielmehr in Indien. Die Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten in A, war daher unwirksam (§ 180 ZPO; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 32. Auflage 2011, § 180 Rz. 3 a). Eventuelle Absprachen des Klägers mit dem Klägervertreter über vereinfachte Formen der Korrespondenz über die Mutter in A sind in diesem Zusammenhang bedeutungs¬los.
14

Auch später gab es keine ordnungsgemäße Zustellung des Kostenfest¬setzungsbeschlusses. Formlose Mitteilungen setzen die Frist nicht in Lauf.
15

Fehlt die Zustellung, ist sie unterblieben, unwirksam oder nicht nach-weisbar, so beginnt die Frist nach § 569 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. ZPO mit dem Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung. Für nicht verkündete Beschlüsse wie den vorliegenden Kostenfestsetzungs-beschluss gilt dies entsprechend. Die Fünfmonats¬frist beginnt dann mit der Bekannt¬gabe an die Parteien. Das ist zur Wahrung ihres rechtlichen Gehörs erforderlich (OLG Koblenz vom 1. März 2003 -3 W 775/02-, NJW-RR 2003, 1079; Lipp in MüKO-ZPO, 4. Auflage 2012, § 569 Rz. 6; Mu¬sielak/Ball, ZPO, 14. Auflage 2014, § 569 Rz. 4; Wulf in Beck OK ZPO, Stand 15. März 2014, § 569 Rz. 4; offen gelassen BGH vom 10. No¬vember 2011 – IX ZB 165/10 -, NJW-RR 2012,179 [BGH 10.11.2011 – IX ZB 165/10]).
16

Hier kann nach den Darlegungen des Klägers davon ausgegangen werden, dass der Kläger tatsächlich nicht vor den 22. Januar 2014 an-lässlich eines Besuches bei seiner Mutter in A von der Existenz des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 19. Dezember 2012 erfahren hat. Dies hat der Kläger durch die Vorlage diverser Flugscheine und sonstiger Unterlagen glaubhaft gemacht (Bl. 163-180 d.A.). Der Kläger-vertreter hat das auch nicht mehr bezweifelt. Verbleibende Unsicher-heiten über den Zeitpunkt können nicht zulasten des Klägers gehen, da die ordnungsgemäße Zustellung in den Verantwortungs-bereich des Gerichts fällt (ebenso Lipp in MüKO-ZPO, a.a.O., Rz. 7).
17

Die gesetzliche Beschwerdefrist von 2 Wochen hat der Kläger dann mit seiner am 3. Februar 2014 einge¬gangenen „ Beschwerde“ gewahrt.
18

Dieser so verstandenen sofortigen Beschwerde des Klägers hat der Rechtspfleger zu Recht am 27. Feb¬ruar 2014 abgeholfen.
19

Der Klägervertreter kann keine gerichtliche Kostenfestsetzung zulasten des Klägers verlangen.
20

Rechtlich zutreffend hat der Rechtspfleger auf die Einwendungen des Klägers den Kostenfestsetzungs¬beschluss vom 19. Dezember 2012 in Abhilfe der Beschwerde des Klägers unter Berufung auf § 11 Abs. 5 RVG aufgehoben. Nach dieser Vorschrift kann eine Vergütungsfest-setzung nicht erfolgen, wenn der An¬tragsgegner Einwendungen oder Einreden erhebt, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben. Solche liegen hier in Form der von dem Kläger behaupteten mangel-haften Erfüllung von Haupt-und Nebenpflich¬ten aus dem Anwaltsvertrag vor, die zum Schadensersatz verpflichteten. Sie richten sich gegen den Grund des Gebührenanspruchs als solchen.
21

Gemäß § 11 Abs. 5 RVG genügt es, dass der Antragsgegner solche außergebührenrechtliche Einwendungen oder Einreden „erhebt“. Einer Prüfung der Schlüssigkeit oder gar Begründetheit der Einwendungen kann und muss sich das Beschwerdegericht deshalb enthalten. Auf eine nähere Substantiierung oder Schlüs¬sigkeit kommt es nicht an (vgl. statt vieler Gerold/Schmidt/…, RVG, 21 Aufl. 2013, § 11 Randziffern 138 ff; Kammerbeschluss vom 11. Januar 2011 – 13 Ta 486/10 – ). Die Ein¬wendungen des Klägers sind nach seinem Vorbringen auch nicht hand¬greiflich unrichtig, offensichtlich aus der Luft gegriffen oder ohne jeden Tatsachenkern (vgl. dazu Gerold/Schmidt/…, a.a.O; Hartmann, Kosten¬gesetze, 44. Aufl. 2014, § 11 RVG, Randziffern 57 f., jeweils m.w.N.). Sie sind nicht gänzlich substanzlos, sondern beziehen sich auf konkrete Tatsachen, nämlich auf nicht eingehaltene Vereinbarungen, derent¬wegen der Prozess nicht so geführt wurde, wie der Kläger wollte und deshalb zu aus seiner Sicht unnötigen Kosten geführt hat.
22

Bei dieser Sachlage kommt eine gerichtliche Gebührenfestsetzung nicht infrage.
23

Der Klägervertreter bleibt auf den Weg der Gebührenklage verwiesen.
24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Klägervertreter als unterlegener Be¬schwerdeführer die Kosten des Be-schwerdeverfahrens zu tragen (Nr. 8614 KV GKG). Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 11 Abs. 2 S. 6 RVG).

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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