LAG Hessen, 11.12.2014 – 1 Ta 522/14

April 30, 2019

LAG Hessen, 11.12.2014 – 1 Ta 522/14

Der Gebührenwert bei der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs, auch wenn dieser in Form einer Klage auf Verpflichtung zum Ersatz von entstandenen bzw. künftig entstehenden Schäden gefasst ist, richtet sich nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Die Sondernorm des § 42 Abs. 1 GKG ist auf solche Ansprüche nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden. Derartige Ansprüche sind nicht als wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 42 Abs. 1 GKG anzusehen. Der Wert dieser Ansprüche orientiert vielmehr an den Angaben des Klägers zu dem zu erwartenden Schaden.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagtenvertreter wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 2. September 2014 – 9 Ca 506/13 – aufgehoben.

Der Gebührenstreitwert gemäß § 63 Abs. 3 GKG, 32 Abs. 1 RVG wird auf € 263.840,04 festgesetzt.
Gründe
1

I.

Die Beschwerde des Beklagtenvertreters hat Erfolg.
2

Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren mit folgenden Anträgen Klage erhoben:
3

1. die Beklagte wird verurteilt, an sie Schadensersatz in Höhe von 2.855,40 EUR an angefallenen Kosten sowie Schadensersatz wegen Lohnausfalls in Höhe von 17.315,53 EUR brutto sowie in Höhe von 104.564,19 EUR netto zuzüglich der noch zu berechnenden Einkommenssteuer und wegen künftig entgehender Rentenleistungen in Höhe von 110.104,92 EUR netto zu zahlen, jeweils nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
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2. die Beklagte wird verurteilt, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird – jedoch 25.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte – nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
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3. es wird festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz aller weiteren Schäden und Nachteile verpflichtet ist, die ihr durch die in der nachfolgenden Klagebegründung dargelegten Eingriffe in ihre Rechte aus den grundgesetzlich geschützten Rechten der Persönlichkeit, der Menschenwürde und der Berufsausübung durch die genannten Mitarbeiter und Geschäftsführer der Beklagten entstanden sind und noch entstehen.
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In ihrer Klagebegründung hat die Klägerin ausgeführt, ihr stünden wegen Verletzung u.a. ihres Persönlichkeitsrechts, ihrer Ehre und Gesundheit Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zu. Bei den Beträgen, die Gegenstand des Klageantrags zu 1. waren, handelt es sich ausweislich der Klageschrift um Schadenersatzansprüche wegen

• aufzuwendender Fahrt-, Seminar- und Anwaltskosten in Höhe von € 2.855,40,

• aus im Vergleich zum Bruttogehalt niedrigerem Krankengeld-, Übergangsgeld- und Arbeitslosengeldbezug,

• niedrigerem Rentenbezug der gesetzlichen Rente sowie der Zusatzrente und

• wegen eines Ausfallschadens bei der betrieblichen Altersversorgung.

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Hinsichtlich der Ermittlung des Schadensbetrags in den letzten beiden Positionen hat die Klägerin auf den Vergleich der Lage bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis bis zur Regelaltersgrenze zu der nunmehrigen tatsächlichen Einkommenslage abgestellt, wobei sie hinsichtlich des Zeitraums bei den Rentenleistungen von einem zu erwartenden Bezugszeitraum bis zum 88. Lebensjahr ausgegangen ist.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 26. Juni 2014 abgewiesen und den Urteilsstreitwert auf € 263.840,04 festgesetzt. Nach Anhörung aller Beteiligter hat es sodann auf Antrag des Klägervertreters den Gebührenstreitwert durch Beschluss vom 2. September 2014 auf € 63.457,91 festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 8. September 2014 Beschwerde eingelegt und hinsichtlich der Begründung auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 21. Juli 2014 (Bl. 314 f. d.A.). verwiesen. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 12. September 2014 der Beschwerde nicht abgeholfen.
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II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Grundlage der Wertfestsetzung ist hier nicht § 33 RVG, sondern, da Gerichtsgebühren erhoben werden, § 63 Abs. 2 GKG, wobei die Wertfestsetzung in diesem Verfahren dann auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblich ist (§ 32 Abs. 1 RVG).
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Die Beschwerde bezieht sich allein auf die Bemessung des Gegenstandswertes des Klageantrags zu 1. Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung bemisst sich der Gegenstandswert für die im Klageantrag zu 1. enthaltenen Ansprüche nicht nach § 9 ZPO und auch nicht nach § 42 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 GKG, der die für arbeitsgerichtliche Verfahren maßgeblich Wertvor-schrift im Bereich wiederkehrender Leistungen ist.
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Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ermittelt sich der Gebührenwert bei der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs, auch wenn dieser in Form einer Klage auf Verpflichtung zum Ersatz von entstandenen bzw. künftig entstehenden Schäden gefasst ist, nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Die Sondernorm des § 42 Abs. 1 GKG ist auf solche Ansprüche nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden. Derartige Ansprüche sind nicht als wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 42 Abs. 1 GKG anzusehen. Der Wert dieser Ansprüche orientiert viel-mehr an den Angaben des Klägers zu dem zu erwartenden Schaden – hier in Gestalt des bezifferten Klageantrags zu 1. (vgl. Tschöpe/Ziemann/Altenburg, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 A. Rn 478).
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Die sich aus § 42 Abs. 1 GKG ergebende Beschränkung des Streitwerts eines Verfahrens aus sozialen Gründen bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen auf den dreifachen Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistung, bezieht sich auf solche Ansprüche, bei denen es um die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Arbeitnehmers geht. Hier sollen die Kosten eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegenüber denen eines allgemeinen Zivilprozesses geringer sein (vgl. BAG vom 10. Dezember 2002 – 3 AZR 197/02 (A), NZA 2003, 456; BAG vom 30. November 1984, AP Nr. 9 zu § 12 ArbGG 1979; LAG Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 2011 – 1 Ta 168/11, juris). Sinn und Zweck der Norm zielen somit auf typische in einem Arbeitsverhältnis wiederkehrende Leistungen wie Arbeitsentgelt, Prämien, Ruhegelder und Betriebsrenten ab (vgl. Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl., § 12, Rn. 181 f.).
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Dies gilt nicht für Schadensersatzansprüche mit dem hier geltend gemachten Inhalt. Insoweit ergibt sich lediglich die Besonderheit, dass Schadensersatz für durch die Verletzungshandlung fortfallende wiederkehrende Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis verlangt werden, nicht jedoch die wiederkehrenden Leistungen selbst. Diese sind lediglich Schadensbemessungsfaktoren für den entstehenden Schadenersatzanspruch. Hierauf ist § 42 Abs. 1 GKG jedoch nach seinem Wortlaut nicht anwendbar (vgl. LAG Rheinland-Pfalz vom 24. Oktober 2010 a.a.O.; Tschöpe/Ziemann/Altenburg, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 A. Rn 478; a.A. LAG Hamm vom 27. September 1990 – 8 Ta 222/90, juris). Auch eine analoge Anwendung von § 42 Abs. 1 GKG ist in solchen Sachverhaltskonstellationen nicht geboten. Der Schutzzweck dieser Vorschrift, Streitigkeiten um die wirtschaftliche Lebensgrundlage eines Arbeitnehmers günstig zu halten, erfasst Streitigkeiten um Schäden aus einem Arbeitsverhältnis nicht und es liegt auch keine vergleichbare die Interessenlage der Gebührenverpflichteten vor.
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Allerdings kann im Fall einer Klage auf Ersatz entstandener oder künftiger Schäden bei der Bemessung des Streitwertes darauf abgestellt werden, wie hoch der geltend gemachten Schaden und wie wahrscheinlich der Eintritt und die Höhe des künftigen Schadens sind (Tschöpe/Ziemann/ Altenburg, a.a.O. Rn 479).
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Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze bemisst sich der Gebührenwert des vorliegenden Klageverfahrens auf € 263.840,04. Hierin ist für den Klageantrag zu 1. ein Betrag in Höhe von € 234.840,04 enthalten.
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Für den geforderten Ersatz der Fahrt-, Schulungs- und Anwaltskosten in der Gesamthöhe von € 2.855,40 ergibt sich die Unanwendbarkeit des § 42 Abs. 1 GKG aus der Art des geltend gemachten Schadens.
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Aber auch die weiteren im Klageantrag zu 1. geltend gemachten Ansprüche unterfallen nicht der Begrenzung aus § 42 Abs. 1 GKG. Die Klägerin verlangt – angeknüpft an verschiedene von ihr bezogenen Leistungen (Krankengeld, Übergangsgeld, Erwerbsunfähigkeitsrente, Altersrente) – die Differenzbeträge zu ihrem Bruttomonatsgehalt bzw. zu den Leistungen, die sie bei dem normalen Verlauf ihres Arbeitsverhältnisses ohne das vorzeitige Ausscheiden aufgrund der auf Dauer gewährten Erwerbsminderungsrente bezogen hätte. Damit verlangt sie eben gerade keine wiederkehrenden Leistungen, sondern ihre hypothetisch bezogenen wiederkehrenden Leistungen – wie etwa ihr Gehalt oder ihre höheren Rentenbezüge – sind Bemessungsfaktor für die Schadensermittlung aus der vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.
19

Umstände, die es rechtfertigen, den Gebührenwert in Bezug für diese Ansprüche abweichend von dem von der Klägerin eingeklagten Beträgen zu reduzieren, sind in greifbarer Form nicht zu erkennen. Ein Risikoabschlag für die Inanspruchnahme ist nicht möglich, da die Klägerin durch ihr Klageverhalten gezeigt hat, dass sie die Beklagten in vollem Umfang bereits jetzt in Anspruch nehmen will. Sie hat ihre Ansprüche konkretisiert und diese beziffert.
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Für den Antrag zu 2. bemisst sich der Gebührenwert in Höhe des Mindestbetrags des von der Klägerin geforderten Schmerzensgeldes und für den Antrag zu 3. kann es mangels anderweitiger Anhaltspunkte bei dem vom Arbeitsgericht angesetzten Betrag von € 4.000,00 verbleiben. Hiergegen wendet sich die Beschwerde im Übrigen auch nicht.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da eine Beschwerdegebühr nicht erhoben wird und Kosten nicht erstattet werden (§ 68 Abs. 3 GKG).
22

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht möglich.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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