LAG Hessen, 12.11.2015 – 11 Sa 100/15

April 14, 2019

LAG Hessen, 12.11.2015 – 11 Sa 100/15
Orientierungssatz:

Einzelfall unbegründeter Berufung eines Insolvenzverwalters, dessen Kündigung unter Verstoß gegen das im Sozialplan vorgesehene gestufte Verfahren – zunächst Angebot des Wechsels in Transfergesellschaft – erfolgte; nach richtiger Auslegung war Kläger anspruchsberechtigt iSd. Regelung.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25.11.2014, Az. 12 Ca 665/14, wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich im Hauptantrag über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma A vom 16.07.2014 zum 30.09.2014, erklärt wegen Betriebsschließung und Beendigung der letzten Abwicklungsarbeiten; dies vor dem Hintergrund dreier Betriebsvereinbarungen (Interessenausgleich und Transfer-Sozialplan vom 25.03.2014 sowie Ergänzungsbetriebsvereinbarung vom 11.04.2014, Bl. 41 ff d.A.).

Wegen des Sach- und Streitstandes in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge und wegen der Gründe, die das Arbeitsgericht zur Klagestattgabe bewogen haben, wird auf dessen Sitzungsprotokoll sowie Tatbestand und Entscheidungsgründe des vom Beklagten angegriffenen Urteils vom 25.11.2014 Bezug genommen (Bl. 99 ff d.A.) und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen (§ 69 Absatz 2 ArbGG).

Gegen dieses Urteil wehrt sich der Beklagte.

Hinsichtlich der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erheblichen Daten wird auf die Sitzungsniederschrift der Berufungskammer vom 12.11.2015 (Bl. 205 d.A.) verwiesen.

Der Beklagte meint, das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Ergänzungsbetriebsvereinbarung ein Kündigungsverbot enthalte, sofern einem anspruchsberechtigten Mitarbeiter gekündigt werde, ohne ihm zuvor ein Angebot auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrags und den Wechsel in die Transfergesellschaft zu unterbreiten; weder der Wortlaut der Betriebsvereinbarungen noch deren Sinn und Zweck – Betriebsschließung und Entlassung der Mitarbeiter – ließen diese Auslegung zu.

Außerdem, so der Beklagte, sei die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt – dies sei der 17.04.2014 gewesen – gar nicht anspruchsberechtigt gewesen; die Klausel in Ziffer II.1.2. des Transfer-Sozialplans müsse so ausgelegt werden, dass die Anspruchsberechtigung spätestens am 17.04.2014 vorgelegen haben müsse.

Wegen der Einzelheiten seiner Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 19.02.2015 Bezug genommen (Bl. 156 ff d.A.).

Der Berufungskläger und Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25.11.2014, 12 Ca 665/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Berufungsbeklagte und Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungsgründe in vollem Umfang für zutreffend und verteidigt das angefochtene Urteil. Darüber hinaus ist die Klägerin der Auffassung, dass die Formulierung in Ziffer II.1.2. des Transfer-Sozialplans, die auf den Zeitpunkt der “Kündigung” abstellt, so klar und eindeutig sei, dass kein Auslegungsspielraum verbleibe, zumal die Betriebsparteien den Ausnahmefall der Weiterbeschäftigung im Rahmen der Abwicklung im Blick gehabt hätten. Ferner beruft sich die Klägerin auf die Pflicht des Beklagten zur Gleichbehandlung aller Mitarbeiter, da sie – unbestritten – die einzige der im Bereich Einkauf/Verwaltung weiterbeschäftigten sei, die kein Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft bekommen habe.

Wegen der Einzelheiten ihrer Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 23.03.2015 Bezug genommen (Bl. 169 ff d.A.).

Die nachfolgenden Entscheidungsgründe werden, soweit es geboten ist, auf das Berufungsvorbringen der Parteien im Einzelnen eingehen.
Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 I, II, 8 II ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 I, 64 VI ArbGG, 519, 520 ZPO).

In der Sache jedoch bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.

Zu diesem Ergebnis gelangt das Berufungsgericht auf der Grundlage folgender, gemäß § 313 Absatz 3 ZPO zusammengefasster und im Hinblick auf die Erörterung im Termin vom 12.11.2015 kurz gehaltener Erwägungen:

Die Berufungskammer folgt dem Arbeitsgericht im Ergebnis sowie in der Begründung, die ihrerseits die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Inhalt und Auslegung von Betriebsvereinbarungen beachtet; sie nimmt daher zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil vorab Bezug.

Die Berufungsbegründung gibt keine Veranlassung, das angefochtene Urteil abzuändern, sondern lediglich zur Ergänzung kurz das Folgende auszuführen.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin grundsätzlich unter den Geltungsbereich aller drei Betriebsvereinbarungen fällt.

Die Ausschlussgründe für die Anspruchsberechtigung zur Teilnahme am Transferprojekt sind in Ziffer II.1.2. des Transfer-Sozialplan geregelt, und gelten über Ziffer 2. der Ergänzungsbetriebsvereinbarung auch für letztere. Einzig in Betracht kommt für die Klägerin als Ausschlussgrund dessen Fall a) der Ziffer II.1.2. des Transfer-Sozialplans; die Berufungskammer hält die dort gewählte Formulierung mit der Klägerin für derart eindeutig, dass selbst unter Berücksichtigung von Gesamtzusammenhang und Zweck keine Abweichung vom Wortlaut möglich ist. Für einen anderen Willen der Betriebspartner fehlt es an ausreichend deutlichem Niederschlag in den Sozialplänen. Der Begriff “Kündigung” hat sowohl nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als auch als arbeitsrechtlicher Rechtsbegriff eine allgemein gültige, eindeutige Bedeutung. Die vom Beklagten mit der Berufung angeführten Argumente, warum trotz des klaren Wortes “Kündigung” ohne zeitliche Einschränkung ein anderer Zeitpunkt, nämlich der der Prüfung, ob ein Mitarbeiter nach der Betriebsvereinbarung ein Angebot auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrags erhalten muss, das er spätestens bis 17.04.2014 angenommen haben müsste, gemeint gewesen sei, überzeugen nicht.

Zum einen verbieten Sinn und Zweck der betrieblichen Regelungen – letztlich Schließung des Betriebs und Wegfall aller Arbeitsplätze bei der Insolvenzschuldnerin – nicht, dass die Betriebsparteien zum Schutz der vom drohenden Arbeitsplatz betroffenen Mitarbeiter ein gestuftes Verfahren vereinbaren wie geschehen. Sofern im Zeitpunkt des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs, oder eben der “Kündigung”, die 6-monatige Wartezeit erfüllt ist, soll der betreffende Mitarbeiter die Wahl haben, ob er in die Transfergesellschaft wechselt, oder dieses Angebot nicht annimmt und sich vom Insolvenzverwalter die betriebsbedingte Kündigung bei Zahlung einer Abfindung erklären lässt. Ein – widersinniges – endgültiges Kündigungsverbot ist hierdurch nicht geregelt. Im Übrigen können Betriebsparteien anlässlich einer Betriebsänderung im Interessenausgleich oder freiwilligen Sozialplan sogar Kündigungsverbote vereinbaren, um Nachteile für die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer möglichst zu verhindern (so schon BAG, 17.9.1991, 1 Abrechnung 23/91, RN 21 f, dokumentiert in juris).

Keiner der beiden streitgegenständlichen Sozialpläne bringt unmissverständlich den vom Beklagten behaupteten Willen der Betriebspartner zum Ausdruck, dass die Anspruchsberechtigung (im Sinne der Ziffer II.1.2. des Transfer-Sozialplans) spätestens am 17.04.2014 vorliegen müsse, unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter dem mit Abwicklungsarbeiten weiter beschäftigten, und mit diesen Beschäftigungszeiten die Wartezeit erfüllenden Arbeitnehmer das Angebot gemäß Ziffer 5.2. der Ergänzungsbetriebsvereinbarung zuvor übermittelt hatte. Insbesondere ist in keiner der Betriebsvereinbarungen bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern seinerseits das Vertragsangebot zu übermitteln hatte. Vielmehr sprechen Systematik (so zutreffend das arbeitsgerichtliche Urteil) und mehrere Formulierungen dafür, dass dies auch noch nach dem 17.04.2014 geschehen konnte. Bereits die im Wortlaut klare Regelung in Ziffer II.1.2. des Transfer-Sozialplans verdeutlicht dies. Aber auch die Formulierung in Ziffer 4.1.b) Ergänzungsbetriebsvereinbarung, wonach “L ein Angebot zum Übertritt in die Transfergesellschaft mit der Maßgabe, dass der Eintrittstermin L der Kalendertag ist, der auf den Tag des Wegfalls des Arbeitsplatzes folgt L”, sowie in Ziffer 5.2., wonach im Falle des Versäumens der Frist “ohne Verschulden des Mitarbeiters” die Möglichkeit des Wechsels in die Transfergesellschaft offen bleibt, stehen dem klaren Wortlaut nicht entgegen; denn die Weiterbeschäftigung konnte nach dem Willen der Betriebsparteien zumindest bis 30.06.2014 erfolgen, aber auch länger – wie tatsächlich bei der Klägerin und anderen Mitarbeitern – sogar bis zum 30.09.2014.

Gerade wegen der Unsicherheit über die Dauer der Abwicklungsphase sowie den Bedarf an geeigneten Mitarbeitern ist in Ziffer 9.2. der Ergänzungsbetriebsvereinbarung zudem geregelt, dass deren Geltung erst “mit der vollständigen Umsetzung” endet, und “Verzögerungen des Zeitplans berühren den Bestand des L Interessenausgleichs nicht. Regelungen zum Zeitablauf sind ggf. entsprechend anzupassen.”

Nachdem der Insolvenzverwalter nicht vor Ablauf der 6-monatigen Wartezeit die Kündigung erklärte, was ihm bei der Klägerin ja ohne weiteres möglich gewesen wäre, konnte und musste er nach den betrieblichen Vereinbarungen zunächst ein – dem Zeitablauf entsprechend angepasstes – Angebot zur Teilnahme am Transferprojekt machen, auch wenn dies zeitlich nach dem 17.04.2014 lag, ehe er das einschneidenste Mittel der Kündigung zur Vertragsbeendigung nutzen durfte.

Der Beklagte hat gemäß § 97 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 II ArbGG liegen nicht vor, insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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