LAG Hessen, 14.11.2016 – 17 Sa 1142/15

März 25, 2019

LAG Hessen, 14.11.2016 – 17 Sa 1142/15

Leitsatz:

Eine Schichtzulage, die der Abgeltung der Erschwernisse durch Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit dient (§ 7 Abs. 3 MTV Nr. 2) und die gemäß § 3 b Abs. 1 EStG vom Arbeitgeber steuerfrei gezahlt wird, stellt eine gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbare Erschwerniszulage dar.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 2015, 20 Ca 1933/15 wird zurückgewiesen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 2015, 20 Ca 1933/15, wird zur Klarstellung wie folgt neu gefasst.

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 3.523,49 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

aus 175,00 € seit dem 28. 09.2012,

aus weiteren 175,00 € seit dem 28.10.2012,

aus weiteren 175,00 € seit dem 28.11.2012,

aus weiteren 175,00 € seit dem 28.12.2012,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.01.2013,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.02.2013,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.03.2013,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.04.2013,

aus weiteren 67,50 € seit dem 28.05.2013,

aus weiteren 11,60 € seit dem 28.06.2013,

aus weiteren 91,29 € seit dem 28.07.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.08.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.09.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.10.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.11.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.12.2013,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.01.2014,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.02.2014,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.03.2014,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.04.2014

und aus weiteren 196,00 € seit dem 28.05.2014

zu zahlen.

Im Übrigen ist das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 2015, 20 Ca 1933/15, wirkungslos.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 43 % und die Beklagte zu 57 %.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche und in diesem Zusammenhang über die Berechnung der unpfändbaren Beträge.

Der Kläger ist bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrages vom 28. Dezember 2011 seit diesem Tag als Flugbegleiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Bezugnahme u.a. der Manteltarifvertag Nr. 2 für das Kabinenpersonal der Beklagten in der Fassung vom 1. Januar 2013 (in der Folge: MTV Nr. 2, Bl. 17 f d.A.) Anwendung, der auszugsweise wie folgt lautet:

§ 5 Anspruch auf Vergütung

(1) Die Mitarbeiter erhalten eine auf monatlicher Grundlage errechnete Vergütung, die sich wie folgt zusammensetzt:

a) Grundvergütung (§ 7 Abs. (1))

b) Purserzulage (§ 7 Abs. 2))

c) Schichtzulage (§ 7 Abs. 3.))

d) Mehrflugstundenvergütung (§ 9)

e) Fremdsprachenzulage (§ 10)

f) Zuschläge

§ 7 Grundvergütung, Purserzulage, Schichtzulage

(3) Die Mitarbeiter erhalten zur Abgeltung der Erschwernisse durch Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit eine Schichtzulage. Sonstige Erschwernisse der fliegerischen Tätigkeit sind durch die Grundvergütung abgegolten.

Im Juni 2012 erhielt die Beklagte Kenntnis von dem im April 2009 eröffneten Privatinsolvenzverfahren des Klägers. Jedenfalls ab September 2012 bis einschließlich Juli 2014 führte die Beklagte vom Gehalt des Klägers die von ihr errechneten pfändbaren Beträge an den Insolvenzverwalter ab. Bei der Ermittlung des Pfändungsfreibetrages berücksichtigte sie die dem Kläger zustehende Schichtzulage als pfändbar. Nachdem der Kläger gegenüber der Beklagten die Höhe der pfändbaren Beträge wiederholt monierte, stellte das Amtsgericht Esslingen mit Beschluss vom 14. Juli 2014 (Bl. 110 f d.A.) auf Antrag des Klägers und unter Zurückweisung des weiteren Antrags klarstellend fest, dass mit Wirkung vom 6. Juni 2014 die lt. Vergütungsabrechnung dargestellte Schichtzulage unpfändbar sei. Ausweislich der vorgelegten Vergütungsabrechnungen (Bl. 57 f d.A.) wird die Schichtzulage steuerfrei gezahlt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er könne für den Zeitraum September 2012 bis Juli 2014 trotz Unpfändbarkeit abgeführte Schichtzulagen von der Beklagten beanspruchen. Die Höhe der Schichtzulagen hat er für diesen Zeitraum auf 6.177,86 € brutto beziffert.

Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, bis zur Entscheidung des Amtsgerichts Esslingen seien bei der Berechnung des Pfändungsfreibetrages die Schichtzulagen als pfändbare Beträge zugrunde zu legen gewesen. Sie hat auch die Auffassung vertreten, die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen durch den Kläger sei treuwidrig. Wegen weiterer Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort zuletzt gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 161 bis 164 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch am 13. August 2015 verkündetes Urteil, 20 Ca 1933/15, der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 6.177,86 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Ansprüche des Klägers auf Zahlung der Schichtzulage nach § 7 Abs. 3 MTV Nr. 2 seien gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar. Dementsprechend sei durch die Abführung an den Treuhänder insoweit keine Erfüllung eingetreten. Erschwerniszulagen nach § 850a Nr. 3 ZPO seien auch Zulagen für Wechselschichten und ungünstige Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen. § 850a ZPO könne nicht entnommen werden, dass Erschwerniszulagen im Sinne dieser Vorschrift nur solche Zulagen seien, durch die eine Erschwernis abgegolten werden solle, die durch die Art der Arbeit, ihre Eigentümlichkeit verursacht werde, dagegen aber solche Zulagen nicht erfasst würden, die gezahlt werden, weil die ungünstige Lage der Arbeitszeit Erschwernisse für den Arbeitnehmer verursache. Die Geltendmachung durch den Kläger sei auch nicht treuwidrig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 164 bis 168 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 8. September 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. September 2015 Berufung eingelegt und diese nach aufgrund Antrags vom 2. November 2015 erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 8. Dezember 2015 am 8. Dezember 2015 begründet.

Die Beklagte hält unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags daran fest, die Schichtzulage sei nicht unpfändbar. Eine absolut unpfändbare Erschwerniszulage i.S.d. § 850a Nr. 3 ZPO liege nur vor, wenn die Zulage nicht nur dazu diene, einen Ausgleich für die ungünstige oder unbequeme Lage der Arbeitszeit zu schaffen, sondern darüber hinaus das Ziel verfolge, eine Erschwernis abzugelten, die durch die Art der Arbeit bzw. ihre Eigentümlichkeit verursacht werde. Sie hält ebenfalls daran fest, die Geltendmachung der Zahlungsansprüche durch den Kläger sei treuwidrig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 8. Dezember 2015 (Bl. 189 f d.A.) verwiesen.

Der Vorsitzende hat mit Verfügung vom 13. April 2016 (Bl. 217 d.A.) darauf hingewiesen, dass der bisherige Klageantrag die Summe der für die Monate September 2012 bis Juni 2014 angefallenen Schichtzulagen beinhaltet, es in der Sache aber um die Differenz zwischen den tatsächlich als pfändbar abgeführten Beträgen und den Beträgen geht, die bei Berücksichtigung der Schichtzulagen nach § 850a Nr. 3 ZPO pfändbar wären. Denn es gehe um die Frage, was zusätzlich an den Kläger hätte ausgezahlt werden müssen, wenn bei der Ermittlung der unpfändbaren Beträge § 850a Nr. 3 ZPO berücksichtigt worden wäre, wobei diese Differenz gerade nicht mit der Summe der monatlichen Schichtzulagen identisch sei. Die Parteien haben daraufhin ein – mit Ausnahme des Monats Juli 2014 – identische Neuberechnung vorgebracht, wegen derer auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 11. November 2016 (Bl. 233 d.A.) verwiesen wird.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 2015, 20 Ca 1933/15, die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat im Verhandlungstermin vom 14. November 2016 die Klage mit Zustimmung der Beklagten teilweise zurückgenommen, nämlich soweit mehr beantragt wurde, als

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.523,49 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

aus 175,00 € seit dem 28.09.2012,

aus weiteren 175,00 € seit dem 28.10.2012,

aus weiteren 175,00 € seit dem 28.11.2012,

aus weiteren 175,00 € seit dem 28.12.2012,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.01.2013,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.02.2013,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.03.2013,

aus weiteren 182,00 € seit dem 28.04.2013,

aus weiteren 67,50 € seit dem 28.05.2013,

aus weiteren 11,60 € seit dem 28.06.2013,

aus weiteren 91,29 € seit dem 28.07.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.08.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.09.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.10.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.11.2013,

aus weiteren 189,00 € seit dem 28.12.2013,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.01.2014,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.02.2014,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.03.2014,

aus weiteren 196,00 € seit dem 28.04.2014

und aus weiteren 196,00 € seit dem 28.05.2014

zu zahlen.

Er beantragt,

die Berufung insoweit zurückzuweisen.

Er hält unter Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags daran fest, die Schichtzulage sei unpfändbar und die Geltendmachung der Ansprüche sei nicht treuwidrig. Wegen der Einzelheiten seiner Argumentation wird auf die Berufungsbeantwortung vom 25. Februar 2016 (Bl. 212 f d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 2015, 20 Ca 1933/15, ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

B. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das angefochtene Urteil wirkungslos, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Insbesondere liegt eine Teil-Klagerücknahme und keine Klageänderung vor, so dass es auf die weiteren Voraussetzungen nach § 533 Nr. 1 und 2 ZPO nicht ankommt. Der Kläger begehrt bei gleichem Tatsachenvortrag und gleichem Streitgegenstand nach wie vor Erfüllung noch offener Vergütungsansprüche mit der Begründung, infolge fehlerhafter Berücksichtigung der Schichtzulage als pfändbaren Vergütungsbestandteil seien seine Vergütungsansprüche noch nicht erloschen. Insbesondere hat er auch erstinstanzlich nicht die Schichtzulage gefordert, sondern lediglich die unzutreffende Auffassung vertreten, die Differenz zwischen unpfändbaren und von der Beklagten als unpfändbar behandelten Bezügen entspräche der Summe der Schichtzulagen.

C. Soweit infolge Teil-Klagerücknahme noch zu entscheiden, ist die Berufung unbegründet.

I. Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten noch Vergütungsansprüche, § 611 Abs. 1 BGB, in Höhe von 3.523,49 € netto für die Zeit von September 2012 bis Mai 2014 zu. Denn in dieser Höhe sind die Vergütungsansprüche nicht durch Erfüllung, § 362 Abs. 1 BGB erloschen, da in dieser Höhe nicht an den Treuhänder zu leisten war, §§ 36 Abs. 1 InsO, 850a Nr. 3 ZPO. Da die Beklagte die Schichtzulage zu Unrecht nicht als unpfändbaren, sondern als pfändbaren Betrag berücksichtigt hat, hat sie dem Kläger für den genannten Zeitraum eine um 3.523,49 € netto zu geringe Vergütung ausgezahlt. Die unberechtigte Zahlung in dieser Höhe an den Treuhänder führte nicht zur Erfüllung des Vergütungsanspruchs.

1. Dass bei Berücksichtigung der Schichtzulage als unpfändbaren Vergütungsbestandteil rechnerisch 3.523,49 € netto mehr an den Kläger hätten ausgezahlt werden müssen, steht außer Streit. Die im Berufungsrechtszug neu eingeführten Zahlen beruhen auf einer eigenen Berechnung der Beklagten, die der Kläger als zutreffend ansieht.

2. In der umstrittenen Frage der Behandlung der Schichtzulage folgt die Kammer der auch von der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung, dass es sich hierbei um eine Erschwerniszulagen i.S.d. § 850a Nr. 3 ZPO handelt.

a) In Rspr. und Lit. ist umstritten, ob Zulagen für ungünstige Arbeitszeiten, so für Arbeit an Sonn- und Feiertagen oder zur Nachtzeit, Erschwerniszulagen i.S.d. § 850a Nr. 3 darstellen können (verneinend: LAG Hessen 25. November 1988 – 13 Sa 359/88 – DB 1989, 1732; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 850a Rdnr 10; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 850a Rdnr. 10; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850a Rdnr. 24; MüKo/Smid, ZPO, 4. Aufl., § 850a Rdnr. 15; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 850a Rdnr. 12; Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., Rdnr. 997; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 850a ZPO Rdnr. 9; bejahend: LAG Berlin-Brandenburg 9. Januar 2015 – 3 Sa 1335/14 – ZTR 2015, 349; OVG Lüneburg 17. September 2009 – 5 ME 186/09 – ZBR 2010, 60; VG Kassel 3. Juni 2013 – 1 K 1496/12.KS – JurBüro 2013, 599; VG Düsseldorf 4. Mai 2012 – 13 K 5526/10 – ZinsO 2012, 1900; LG Kaiserslautern 4. März 2016 – 4 T 31/16 – n.v., juris; LG Stendal 6. Februar 2015 – 25 T 208/14 – n.v., juris; LG Hannover 21. März 2012 – 11 T 6/12 – zitiert nach juris; AG Dortmund 6. März 2014 – 257 IK 195/11 – zitiert nach juris; Musielak/Becker, ZPO, 10. Aufl., § 850a Rdnr. 5a; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 35. Aufl., § 850a Rdnr. 4; jetzt auch Schaub/Koch, ArbR-HdB, 16. Aufl., § 90 Rdnr. 5). Eine Entscheidung des BAG liegt soweit erkennbar nicht vor, wohl aber voneinander abweichende Entscheidung mindestens zweier Landesarbeitsgerichte. Der BGH hat inzwischen entschieden, dass derartige Zuschläge, jedenfalls Nachtzuschläge, als Erschwerniszulagen i.S.d. § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind, sofern sie wie hier vom Arbeitgeber steuerfrei i.S.d. § 3b EStG gewährt werden. Er hat insoweit ausgeführt (BGH 29. Juni 2016 – VII ZB 4/15 – NJW 2016, 2812):

In Anbetracht des Umstandes, dass sich aufgrund neuerer Erkenntnisse, die sich auch in der Rechtsetzung der Europäischen Union niedergeschlagen haben, die Auffassung durchgesetzt hat, dass lange Nachtarbeitszeiten für die Gesundheit der Arbeitnehmer generell nachteilig sind und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit der Arbeitnehmer erfordern (vgl. Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 299 vom 18. November 2003, S. 9 ff.; Erwägungsgrund 7; Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 307 vom 13. Dezember 1993, S. 18 ff., Erwägungsgründe), hält es der Senat in Übereinstimmung mit der arbeits- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (…) nicht für gerechtfertigt, für Nachtarbeit gewährte Zuschläge zum Grundgehalt nur dann nach § 850a Nr. 3 ZPO als Erschwerniszulagen von der Pfändbarkeit auszunehmen, wenn mit der Leistung der Nachtarbeit besondere, über die Lage der Arbeitszeit zur Nachtzeit hinausgehende Erschwernisse verbunden sind. Vielmehr stellt die Leistung von Arbeit zur Nachtzeit eine generell mit gesundheitlichen Risiken für den Schuldner verbundene Erschwernis seiner Arbeit dar, die es rechtfertigt, zur Abgeltung dieser Erschwernis gezahlte Nachtarbeitszuschläge als nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbare Erschwerniszulagen zu qualifizieren, soweit diese den Rahmen des üblichen nicht übersteigen.

Als Anhaltspunkt für den üblichen Rahmen gewährter Nachtarbeitszuschläge kann dabei § 3b EStG herangezogen werden, wonach Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, in bestimmtem Umfang steuerfrei sind (…).

b) Die Kammer folgt dieser Auffassung. Diese Ausführungen gelten gleichermaßen, soweit die Zuschläge nicht nur für Nachtarbeit, sondern auch für Sonn- und Feiertagsarbeit gezahlt werden. Denn nach dem Willen der Tarifvertragsparteien soll die Schichtzulage die Erschwernisse durch Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit abgelten und nach § 3b Abs. 1 EStG sind auch für diese Erschwernisse geleistete Zuschläge nach Maßgabe der dortigen näheren Voraussetzungen steuerfrei. Auch die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonn- und Feiertagsarbeit begründet sich in der besonderen Belastung bzw. der besonderen Anstrengung des Arbeitnehmers infolge der Arbeitszeit zu ungünstigen Zeiten (FG Köln 26. Juni 2008 – 15 K 4337/07 – zitiert nach juris; FG Köln 16. April 2008 – 3 K 691/97 – zitiert nach juris).

II. Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die Geltendmachung der Vergütungsdifferenz nicht treuwidrig ist. Ein Verstoß gegen § 242 BGB ist von der Beklagten nicht nachvollziehbar dargelegt oder sonst erkennbar.

1. Widersprüchliches Verhalten des Klägers liegt nicht vor. Er hat zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Beklagten zu erkennen gegeben, er gebe sich mit der Behandlung der Schichtzulage als pfändbaren Vergütungsbestandteil zufrieden. Er hat vielmehr seit November 2012 in Abständen seiner Auffassung nach unzutreffende Berechnung der pfändbaren Vergütungsbestandteile beanstandet. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass in seinen Schreiben andere Beanstandungen erhoben wurden als die Unpfändbarkeit der Schichtzulage. Dies rechtfertigt aber nicht die Annahme, damit habe der Kläger zu erkennen gegeben, die Behandlung der Schichtzulage akzeptieren zu wollen. Sein Verhalten hat zu dieser Frage schlicht keine Aussagekraft.

2. Damit verbleibt für die Annahme eines Verstoßes gegen § 242 BGB allenfalls Verwirkung. Auch diese liegt jedoch nicht vor. Ob das für die Annahme der Verwirkung erforderliche Zeitmoment vorliegt, kann dahinstehen. Jedenfalls liegt kein sog. Umstandsmoment vor, aufgrund dessen die Beklagten wegen des Verhaltens des Klägers davon ausgehen konnte, dieser werde keine Ansprüche wegen fehlerhafter Behandlung der Schichtzulage mehr erheben. Der Einwand der Verwirkung ist nur dann begründet, wenn zu dem Zeitablauf im Verhalten des Berechtigten beruhende besondere Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BAG 11. Dezember 2014 – 8 AZR 838/13 – NZA 2015, 808). Ein solches spezifisches Verhalten ist nicht dargelegt. Dass der Kläger wegen anderer vermeintlich falscher Berechnung der Pfändungsgrenzen Beanstandungen erhob, hat keinen Erklärungswert dahin, wegen fehlerhafter Behandlung der Schichtzulage werde keine Beanstandung erhoben.

III. Der Zinsanspruch ist begründet gemäß § 288 Abs. 1 BGB. Konkrete Einwände hiergegen werden auch nicht erhoben.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3, 97 Abs. 1 ZPO.

Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG ist die Revision zuzulassen.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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