LAG Hessen, 15.07.2015 – 12 Sa 356/13

April 22, 2019

LAG Hessen, 15.07.2015 – 12 Sa 356/13
Wird eine im Rahmen einer Integrations – gGmbH nach § 132 SGB IX geführter Betrieb unter Aufgabe eines Teils der angebotenen Leistungen – hier Aufgabe eigener Grafik-Design Tätigkeiten – in eine Behinderten-Werkstatt nach § 136 SGB IX, die nicht unter betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen am Markt teilnimmt, verliert die wirtschaftliche Einheit ihre Identität und geht nicht im Wege eines Betriebsübergangs auf den neuen Betreiber über.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 23. Januar 2013 – 8 Ca 345/12 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege eines Betriebsübergangs auf den Beklagten übergegangen und dieser zu seiner weiteren Beschäftigung verpflichtet ist.

Der Kläger war auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 30.03.2007 (Bl. 11 – 15 d.A.) seit dem 01.04.2007 bei der “A” (nachfolgend: ig gGmbH) als Mitarbeiter in der Werbetechnik im Betrieb B beschäftigt. Mit der Werbetechnik unterhielt sie bis zum 30.09.2012 insgesamt sieben Abteilungen. Der Beklagte, der Werkstätten für behinderte Menschen betreibt, und die ig gGmbH bildeten in G einen Gemeinschaftsbetrieb mit den Tätigkeitsfeldern Print-Mailing-Werbe-technik (PMW). Dort war der Kläger zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 1.630,– Euro beschäftigt und nahm im Bereich Werbetechnik vor allem die Aufgaben eines Grafikdesigners wahr. Bei der ig gGmbH handelt es sich um ein Integrationsunternehmen gemäß § 132 SGB IX, das am allgemeinen Markt teilnahm. Im August 2012 fassten sie und der Beklagte den Entschluss, den Gemeinschaftsbetrieb in G zum 30.09. 2012 zu schließen. Alle siebzehn dort tätigen Mitarbeiter der ig gGmbH, so auch der Kläger, erhielten Arbeitsplatzangebote in anderen Bereichen des Unternehmens. Mit Schreiben vom 12.08.2012 (Bl. 19 d.A.) unterrichteten die ig GmbH und der Beklagte gemeinsam ihre Kunden darüber, dass der bisherige Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst und alle Dienstleistungsangebote künftig unverändert von dem Beklagten unter der Bezeichnung “xx” angeboten werden. Zudem enthält es den Hinweis, dass die von der Werkstatt für behinderte Menschen erbrachte Arbeitsleistung auf die fällige Ausgleichsabgabe angerechnet werden könne. Zum 01.10.2012 wurde der bisherige Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst und die Abteilung PMW von dem Beklagten in denselben Räumen als Werkstatt für behinderte Menschen ohne Unterbrechung fortgeführt. Abteilungsleiter blieb der Zeuge F, der schon immer ein Arbeitnehmer des Beklagten war. Als einzige Arbeitnehmerin der ig gGmbH beschäftigt der Beklagte die frühere Kollegin des Klägers, die Zeugin C. Der Beklagte schloss mit ihr schon am 30.08.2012 einen zum 01.10.2012 wirksam werdenden neuen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Gruppenleiterin. Welche Aufgaben sie im Einzelnen in der Behindertenwerkstatt ausführt, ist zwischen den Parteien streitig. Zudem stellte der Beklagte für die Aufgabe der Produktionssteuerung und als Gruppenleiter den Mitarbeiter D ein. Neben diesen drei Mitarbeitern sind 30 Werkstattbeschäftigte tätig. Im Wesentlichen werden nunmehr im Betrieb – angeleitet von Fachkräften – die Aufträge von den 30 behinderten Menschen ausgeführt, die nicht oder noch nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Nur die Fachkräfte – der Abteilungsleiter I, Frau C und Herr D erhalten als Vergütung wie bisher ein Monatsgehalt, die in der Werkstatt beschäftigten Behinderten hingegen erhalten einen monatlichen Grundbetrag von € 75,-, einen leistungsabhängigen Steigerungsbetrag und ein Arbeitsförderungsgeld in Höhe von € 26,– monatlich.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass hier ein Teilbetriebsübergang stattgefunden habe, mit dem auch sein Arbeitsverhältnis auf den Beklagten übergegangen sei. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass es sich schon deshalb lediglich um eine Funktionsnachfolge handele, weil ein bisheriger Integrationsbetrieb (§ 132 Abs. 1 SGB IX) in eine Werkstatt für behinderte Menschen (§§ 136 ff. SGB IX) überführt worden sei.

Zu den weiteren unstreitigen Tatsachen, dem streitigen Vortrag der Parteien sowie ihren vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen (Bl. 85 – 88 d.A.).

Das Arbeitsgericht Kassel hat mit Urteil vom 23.01.2013 – 8 Ca 345/12 – einen Teilbetriebsübergang bejaht und der Klage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 88 – 92 d. A.).

Der Beklagte hat gegen das ihm am 22.02.2013 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 20.03.2013 Berufung eingelegt und sie – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.05.2013 – am 24.05.2013 begründet.

Der Beklagte ist der Ansicht, die arbeitsgerichtliche Entscheidung verkenne die Voraussetzungen für einen identitätswahrenden Übergang iSd. § 613 a BGB. Zur Veranschaulichung, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, stellt sie die wesentlichen Unterschiede eines Integrationsbetriebs im Verhältnis zu einer Werkstatt für behinderte Menschen dar (Seite 2 des SS. 23.05.2013, Bl. 109 d.A.). Im Kern seien Integrationsbetriebe Wirtschaftsunternehmen, die sich – neben dem Erhalt eines Nachteilsausgleichs aus der Ausgleichsabgabe für die Beschäftigung einer hohen Zahl an Menschen mit Behinderung – als Gewerbebetriebe durch die Vermarktung ihrer Produkte finanzieren. Werkstätten hingegen erhielten und lebten von institutioneller Förderung durch Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Landeswohlfahrtsverband usw.

Der Beklagte behauptet, Werbetechnik im Sinne konzeptioneller grafischer Gestaltung und Umsetzung finde in der Behindertenwerkstatt in B nicht mehr statt. Druck- und Plottvorlagen, wie sie der Kläger bis zum 30.09.2012 erstellt habe, würden vom Betrieb nicht mehr hergestellt, sondern – soweit überhaupt erforderlich – vom Kunden gestellt. In Ausnahmefällen kaufe der Beklagte diese Kreativleistung von dritter Seite ein. Auch Frau C führe die gestalterische Tätigkeit, die früher der Kläger ausgeübt habe, nicht fort. Vielmehr sei sie seit dem 01.11.2012 als Betreuerin/Gruppenleiterin beschäftigt. Seit Ende November 2012 habe sie – wie auch der neu eingestellte Mitarbeiter D – ein Jahr lang in mehreren Schulungen und Seminaren arbeitsbegleitend eine sozialpädagogische Zusatzausbildung erhalten. Darüber hinaus finde regelmäßig ein personenzentrierter Austausch mit Sozialpädagogen/Psychologen im Rahmen von Fallbesprechungen sowie Supervision statt.

Er behauptet weiter, das wichtigste Betriebsmittel zur Gestaltung für einen Grafikdesigner, der in dem ehemaligen Gemeinschaftsbetrieb vorhandene Apple Macintosh-Computer, existiere zwar noch im Betrieb, werde aber ausschließlich wie ein PC zur Ansteuerung der vorhandenen Digitaldruckmaschinen eingesetzt.

Das vom Kläger vorgelegte Schreiben vom 12.08.2012 (Bl. 19 d.A.) an den Kunden J sei nicht an die Grafikdesign-Kunden, sondern nur an die der Bereiche Print und Mailing verschickt worden. Als Arbeitnehmer seien in einer Werkstatt für behinderte Menschen nur Arbeitnehmer mit einer sozialpädagogischen Zusatzausbildung beschäftigt, und zwar im Verhältnis 1:12 von Betreuern zu betreuten Personen. Im Bereich der Werbetechnik würden nur noch niederschwellige und einfachste Arbeiten wie das automatisierte Bedrucken von T-Shirts oder Keramiktassen ausgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens des Beklagten wird auf die Berufungsbegründung und die Schriftsätze vom 20.01.2014 und vom 08.09.2014 (Bl. 108 – 112, 134 – 140 u. Bl. 237-242 d.A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 23.01.2013, Az.: 8 Ca 345/12 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Er ist der Ansicht, dass behinderte Menschen in einer Behindertenwerkstatt sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis beschäftigt sein könnten. Auf jeden Fall erhielten sie eine auf der Arbeitsleistung basierende Vergütung und kein Almosen.

Der Kläger behauptet zum Vorliegen eines Teil-Betriebsübergangs, grafische Gestaltung und Umsetzung einschließlich der Herstellung von Druck- und Plottvorlagen seien weiterhin wesentlicher Bestandteil der Abteilung Print-Mailing-Werbetechnik. Sein Arbeitsplatz sei nie mit einem Apple Macintosh Computer ausgestattet gewesen. Er habe – wie die Zeugin C – immer an einem PC gearbeitet. Der Apple Computer sei erst im Jahre 2010 angeschafft und von den Druckvorlagenherstellern, die vorher in K arbeiteten, benutzt worden. Das Verhältnis von 1:12 zwischen Betreuern und Betreuten gelte im Betrieb in B unverändert nicht. Die Aufträge würden im Wesentlichen von den Zeugen C und D, der seinen früheren Arbeitsplatz eingenommen habe, ausgeführt. Das Schreiben vom 12.08.2012 an die Kunden sei nicht nur an wenige, sondern an sämtliche Kunden des Bereichs Werbetechnik verschickt worden. Der Kläger zählt zum Beleg dafür insgesamt 16 Kunden auf, die das Schreiben erhalten haben sollen, sowie die Eigenart und die Abwicklung der erteilten Aufträge (SS v. 25.04. 2014, S 3, 4, SS. v. 13.07.2015, S. 1 – 3; Bl. 205, 206, 284-286 d.A.). Zum Beleg dafür, dass auch jetzt nicht nur niederschwellige Arbeiten ausgeführt werden, verweist er auf den Internetauftritt des Beklagten. Für die dort den Kunden angebotenen Leistungen im Bereich Werbetechnik wird auf den Ausdruck der Website des Beklagten, Stand 07.11.2012 Bezug genommen (Bl. 212 d.A.).

Letztendlich behauptet er, der Bereich Werbetechnik sei in der Vergangenheit, vor dem 01.10.2012, immer ein eigenständig wirtschaftender Betrieb und nie in die Kooperation mit dem Beklagten eingebunden gewesen. Teil des Gemeinschaftsbetriebs seien lediglich die Bereiche Print und Mailing geworden. Der Zeuge F sei nur für die Bereiche Print und Mailing zuständig gewesen. Sein Vorgesetzter sei der Betriebsleiter, Herr E, gewesen. An der Eigenständigkeit der Werbetechnik habe sich auch nach dem 01.10.2012 nichts geändert.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens des Klägers wird auf die Berufungserwiderung vom 28.06.2013 sowie die Schriftsätze vom 08.02.2014 und vom 25.04.2014 (Bl. 122 – 126, 180 – 182 u. 203 – 208 d. A.) Bezug genommen.

Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 17.09. 2014 (Bl. 244, 245 d.A.) Beweis zum Vorliegen eines Betriebsübergangs durch Vernehmung des Zeugen F und der Zeugin C erhoben. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 17.09.2014 und 15.07.2015 Bezug genommen (Bl. 244 – 246, 295 – 296 d.A.).
Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b, c ArbGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 516, 519, 520 ZPO).

Die Berufung ist auch in der Sache erfolgreich; denn der Feststellungsantrag des Klägers ist unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der ig gGmbH nicht im Wege eines Betriebsübergangs gem. § 613a BGB auf den Beklagten übergegangen ist. Da kein Betriebsübergang nach § 613a BGB stattgefunden hat, ist der Beklagte auch nicht zur Beschäftigung des Klägers verpflichtet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 06.03.2014 – C-458/12 – (Amatori ua.) – Rn. 31 f mwN; BAG Urteile vom 21.08.2014 – 8 AZR 648/13 ; 10.11.2011 – 8 AZR 538/10; 04.05.2006 -juris) AP 274 zu § 613 a BGB) liegt ein Betriebsübergang bzw. ein Betriebsteilübergang nach § 613 a Abs. 1 BGB und im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Dabei muss es um eine auf Dauer angelegte Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck.

Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und den Produktions- oder Betriebsmethoden ein unterschiedliches Gewicht zu. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnende Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft, sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung. Diese Umstände sind jedoch nur Teil einer umfassenden Gesamtbetrachtung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden.

In Branchen, in denen es – wie hier – im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann trotz des Fehlens wesentlicher nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität ist in einem solchen Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit fortführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt. Die bloße Fortführung der Tätigkeit (Funktionsnachfolge) stellt hingegen keinen Betriebsübergang dar.

Der Übergang eines Betriebsteils steht für dessen Arbeitnehmer einem Betriebsübergang gleich. Dies ist unabhängig davon, ob die übergegangene wirtschaftliche Einheit ihre Selbständigkeit in der Struktur des Übernehmers bewahrt oder nicht. Es genügt, wenn die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten und es dem Erwerber derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen (Funktionsnachfolge) ebenso wenig einen Betriebsübergang dar wie die reine Auftragsnachfolge.

Hier handelt es sich nicht um einen betriebsmittelgeprägten, sondern um einen durch die menschliche Arbeitskraft geprägten Bereich. Im Vordergrund stehen bei der Durchführung eines Auftrags die Findung einer Idee, die Entwicklung eines kreativen Konzepts und dann seine Umsetzung durch die weiteren Beschäftigten. Die wesentlichen Betriebsmittel PC mit Designprogramm und Druckmaschinen stehen dabei nicht so im Vordergrund.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat zum 01.10.2012 kein Teilbetriebsübergang des früheren Tätigkeitsbereichs Werbetechnik auf den Beklagten stattgefunden. Der Kläger hat weder nachweisen können, dass es sich beim Bereich “Werbetechnik” innerhalb des Gemeinschaftsbetriebs G um eine selbständige, abtrennbare wirtschaftliche Einheit handelte, und ebenso nicht, dass diese etwaige wirtschaftliche Einheit Werbetechnik unter Wahrung ihrer Identität zum 01.10.2012 auf den Beklagten übergegangen ist. Nach den unstreitigen Tatsachen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist vielmehr davon auszugehen, dass es einen hinsichtlich Organisation und Leitung innerhalb des vom Zeugen F geleiteten Bereichs Print-Mailing-Werbetechnik selbständigen Betriebsteil Werbetechnik nicht gab. Weiter hat sich ergeben, dass der gesamte Bereich Print-Mailing-Werbetechnik aus der Organisationsform eines als Wirtschaftsunternehmens am Markt auftretenden Integrationsbetriebes nach § 132 SGB IX in die Organisationsform einer nicht am allgemeinen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt teilnehmenden Werkstatt für schwerbehinderte Menschen überführt wurde. Die Beweisaufnahme hat letztendlich auch nicht erbracht, dass der Bereich Werbetechnik schon immer – ohne Bestandteil des Gemeinschaftsbetriebs G (PMW) gewesen zu sein – eine am Markt selbständig operierende wirtschaftliche Einheit gewesen ist und diese selbständige Einheit auch nach Übergang auf den Beklagten und die dort bestehende Werkstatt für schwerbehinderte Menschen weiter separat als selbständiger und Betriebsteil geführt werde.

Allein die unstreitige Tatsache, dass der frühere Gemeinschaftsbetrieb G mit dem Bereich PMW von dem Beklagten nicht als Integrationsbetrieb (§ 132 SGb IX), sondern als Werkstatt für behinderte Menschen (§ 136, 138 SGB IX) weitergeführt wird, führt dazu, dass die Aktivitäten, die Teil des früheren Gemeinschaftsbetriebs G (PMW) waren, nicht im Wege eines Betriebsübergangs auf den Beklagten übergegangen sind; denn die Identität der wirtschaftlichen Einheit ist bei der Fortführung als Werkstatt für Behinderte nicht mehr gewahrt. Zunächst war früher das Personal so zusammengesetzt, dass jeweils 15 Arbeitnehmer und 15 behinderte Menschen auf der Grundlage von Arbeitsverträgen und der Zahlung eines ortsüblichen Monatsgehalts beschäftigt waren. Das Unternehmen nahm am allgemeinen Wirtschaftsleben teil und finanzierte sich im Wesentlichen aus den von ihm erzielten Einkünften. In der Werkstatt sind nunmehr 30 behinderte Menschen, die nicht oder noch nicht am allgemeinen Arbeitsleben teilnehmen können und drei Betreuer, die die Behinderten anleiten, beschäftigt. Die Beschäftigung erfolgt nicht auf der Grundlage von Arbeits-, sondern von sozialrechtlichen Betreuungsverträgen in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis (§ 138 Abs. 3 SGB IX). Als Vergütung erhalten sie ein am Arbeitsergebnis der Werkstatt orientiertes Entgelt, das einschließlich des Steigerungsbetrags € 100,- pro Monat nicht übersteigt. Bei diesen Rahmenbedingungen, insbesondere der Zusammensetzung der Belegschaft fast ausschließlich mit weniger leistungsfähigen Mitarbeitern können weder die gleiche Produktivität entwickelt noch komplexere Aufträge bearbeitet werden.

Bei diesem Zwischenbefund kann ein Teilbetriebsübergang nur noch angenommen werden, wenn der Bereich Werbetechnik – entsprechend der vom Kläger ganz zuletzt aufgestellten Behauptung – nie ein Bestandteil des Gemeinschaftsbetriebs in G war und auch nach dem 01.10.2012 entweder nicht Bestandteil der Werkstatt wurde oder lediglich unter dem Dach der Werkstatt als selbständige organisatorische Einheit wirtschaftlich am Markt tätig geworden ist. Keine der genannten Anforderungen war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfüllt.

Der Zeuge F (Bl. 245 d.A.) – seit 1992 bei dem Beklagten beschäftigt, seit Ende 2000 im Betrieb in B und dort zuletzt in der Position Geschäftsfeldverantwortlicher für das Geschäftsfeld Handwerk und Medien im Betrieb in G – hat ausgesagt, dass die Schaffung des Gemeinschaftsbetriebes auf der Idee beruhte, die Behinderten aus den Werkstätten mit Menschen aus den Integrationsbetrieben zusammenarbeiten zu lassen. Im Jahre 2008 sei der Bereich Print-Mailing-Werbetechnik (PMW) mit ihm als Leiter geschaffen worden. Dort seien 15 Behinderte mit 15 Arbeitnehmern aus den Integrationsbetrieben beschäftigt gewesen. Wegen Problemen bei der Zusammenarbeit sei im Jahre 2012 beschlossen worden, den Bereich PMW als Werkstatt bei dem Beklagten weiter zu führen. Die Werkstattplätze seien von 15 auf 30 erhöht worden. Die Arbeitnehmer der Integrationsbetriebe seien auf andere Arbeitsplätze versetzt worden. Der Werkstattbereich sei so organisiert, dass zwei Gruppen mit je 15 Behinderten gegründet wurden. Die eine Gruppe leite der dafür neu eingestellte Mitarbeiter D, die andere leite er selbst. Frau C sei Herrn D als Gruppenhelferin zugeordnet, sein Gruppenhelfer sei Herr H. In beiden Gruppen würden Aufträge aus dem gesamten Bereich PMW abgearbeitet. Frau C unterstütze dabei vor allem die Aufträge aus dem Bereich Werbetechnik. Man nehme nur noch solche Aufträge an, die dem Beschäftigungspotenzial der behinderten Menschen in der Werkstatt entsprächen und sie nicht überforderten. Gestaltende, kreative Arbeiten – wie sie früher der Kläger ausführte – würden seitdem weder angeboten noch durchgeführt. Man wolle jetzt nur noch Arbeit für Menschen mit geringerer Qualifikation anbieten. Frau C habe nie in derselben Weise kreativ und gestalterisch gearbeitet wie der Kläger. Sie sei mehr die Handwerkerin, z.B. habe sie Handschriften an der Maschine ausgeplottet. Frau C könne erst nach zwei Jahren als Gruppenhelferin ihre Zusatzausbildung zur Gruppenleiterin beginnen. Sie sei zu 100 % mit der Betreuung der Behinderten sowie Vor- und Nacharbeiten zu den Aufträgen und schließlich der Dokumentation beschäftigt. Die kreativen Vorgaben für z.B. Beschriftungsaufträge kämen direkt vom Kunden oder vom auswärtigen Grafiker. Es gebe nur eine Kostenstelle für den gesamten Bereich. Eine Kostenstelle für die Werbetechnik gebe es schon seit dem 01.10.2012 nicht mehr.

Die Aussage belegt, dass der Bereich Werbetechnik sowohl in der Vergangenheit in den Gemeinschaftsbetrieb G eingegliedert war, als auch, dass er vom Beklagten in die Werkstatt mitgenommen wurde. Einen selbständigen Betriebsteil Werbetechnik hat es danach nie gegeben. Auch belegt sie, dass in der Werkstatt die früher vom Kläger hauptsächlich ausgeübte kreative und gestalterische Tätigkeit nicht mehr ausgeführt, sondern von Dritten oder vom Kunden geliefert wird. Die Annahme eines Teilbetriebsübergangs scheidet nach dieser Aussage aus. Die Kammer sah keine Anhaltspunkte dafür, an der Glaubhaftigkeit der Aussage oder der persönlichen Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Sie ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei, der Zeuge hat als Bereichsleiter alle angesprochenen Vorgänge seit dem Jahr 2000 aus nächster Nähe miterlebt. Er wirkte auf die Kammer rundum vertrauenswürdig.

Auch die Aussage der Zeugin C stützt die Behauptungen des Klägers nicht. Sie hat ausgesagt (Bl. 295, 296 d.A.), ihre Tätigkeit in der Werkstatt habe sich gegenüber ihrer Angestelltentätigkeit bei der ig gGmbH stark verändert. Sie habe jetzt eine Betreuungsaufgabe und leite die Behinderten bei der Arbeit an. Dort sowie in der Arbeitsvorbereitung liege jetzt der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Die Werbetechnik mache nur noch etwa 30 % ihrer Tätigkeit aus. Ihre übrigen Arbeiten fielen in den Bereichen Print und Mailing an. Während ihrer Beschäftigung vor dem 01.10.2012 habe sie mehr das Handwerkliche gemacht, der Kläger habe mehr gestaltet. Grafische Gestaltung werde jetzt nicht mehr angeboten. Beschriftungen von Fahrzeugen, Visitenkarten und Flyer habe sie nur noch gemacht, soweit die Vorlagen schon vorhanden waren oder von den Auftraggebern fertige pdf-Dateien übersandt wurden. 30 – 40 % ihrer Arbeitszeit verbringe sie am Schreibtisch, den Rest in der Werkstatt mit der Betreuung und Anleitung der Behinderten. Auch daraus ergibt sich nicht, dass der Bereich Werbetechnik einschließlich gestaltender Tätigkeiten neben der Werkstatt und besetzt mit Arbeitnehmern, bei dem Beklagten weiter besteht.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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