LAG Hessen, 15.09.2015 – 2 Ta 567/14 Bildet der Arbeitgeber Kompetenzzentren und überträgt er diesen die Prozessvertretung in allen personalrechtlichen Angelegenheiten für alle Dienststellen, besteht trotzdem kein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Terminswahrnehmung durch Bedienstete dieser Kompetenzzentren, wenn er am Gerichtsstand des Erfüllungsortes verklagt wird und sich dort eine zur Prozessführung geeignete Person befindet (Fortführung von LAG Hessen, Beschluss vom 19. Oktober 2011 – 13 Ta 381/11).

April 21, 2019

LAG Hessen, 15.09.2015 – 2 Ta 567/14
Bildet der Arbeitgeber Kompetenzzentren und überträgt er diesen die Prozessvertretung in allen personalrechtlichen Angelegenheiten für alle Dienststellen, besteht trotzdem kein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Terminswahrnehmung durch Bedienstete dieser Kompetenzzentren, wenn er am Gerichtsstand des Erfüllungsortes verklagt wird und sich dort eine zur Prozessführung geeignete Person befindet (Fortführung von LAG Hessen, Beschluss vom 19. Oktober 2011 – 13 Ta 381/11).
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 12. August 2014 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Juli 2014 – Aktenzeichen 6 Ca 116/13 – abgeändert und der Antrag der Beklagten auf Kostenfestsetzung vom 6. Juni 2014 zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wird bei der Beklagten als Angestellte in der A in Gießen beschäftigt. Sie erhob vor dem Arbeitsgericht Gießen am 13. März 2013 eine Klage auf Zahlung von Trennungsgeld für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 30. September 2012 in Höhe von zuletzt € 2.987,46, die mit am 15. Januar 2014 verkündeten Urteil – Az. 6 Ca 116/13 (Bl. 200 – 208 d. A.) – wegen Nichteinhaltung der tariflichen Ausschlussfristen kostenpflichtig abgewiesen wurde. Die Wahrnehmung der Güteverhandlung am 15. April 2013 sowie des ersten Kammertermins am 2. Oktober 2013 erfolgte durch die Mitarbeiterin der Beklagten B , ausweislich des Protokolls jeweils “unter Bezugnahme auf die bei Gericht hinterlegte Generalterminsvollmacht” (Bl. 29 und 117 d. A.). Der in der Güteverhandlung am 15. April 2013 geschlossene Widerrufsvergleich wurde mit Schreiben der Beklagten vom 10. Mai 2013 (Bl. 30 d. A.) durch die “Prozessvertretung C ” aus Düsseldorf widerrufen. Im zweiten Kammertermin am 15. Januar 2014 trat für die Beklagte Assessor D unter Vorlage einer von der Zentrale der Beklagten in Nürnberg ausgestellten Vollmacht vom 7. Januar 2014 (Bl. 197 d. A.) auf. In der A in Gießen ist als Leiterin Personal eine Volljuristin tätig, die über Erfahrung als Prozessvertreterin vor den Arbeitsgerichten verfügt.

Mit Beschluss vom 12. August 2014 – Aktenzeichen 6 Ca 116/13 (Bl. 225 d. A.) – hat das Arbeitsgericht Gießen die von der Beschwerdeführerin an die Beklagte für die erste Instanz zu erstattenden Fahrt- und Übernachtungskosten in Höhe von € 422,90 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. Juni 2014 festgesetzt. Dem Kostenfestsetzungsbeschluss liegt ein Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 6. Juni 2014 (Bl. 212 und 213 d. A.) zugrunde, der im Einzelnen nach vom Arbeitsgericht angeregter Korrektur folgende Positionen enthält:
Fahrtkosten Dienstkraftfahrzeug Montabaur – Gießen und zurück am 15.04.2013 (€ 0,25 x 77 km x 2) € 38,50
Fahrtkosten Privat-PKW Gutenstetten – Gießen und zurück am 02.10.2013 (€ 0,25 x 238 km x 2) € 119,00
Fahrtkosten Bahn Nürnberg – Gießen und zurück am 14./15.01.2014 € 202,40
Übernachtungskosten 14. auf 15.01.2014 Gießen € 63,00
Gesamt € 422,90.

Gegen den am 31. Juli 2014 (Bl. 226 d. A.) zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 228 f. d. A.) am 12. August 2014 bei dem Arbeitsgericht Gießen sofortige Beschwerde erhoben. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2014 – Aktenzeichen 6 Ca 116/13 (Bl. 242 d. A.) – hat das Arbeitsgericht Gießen der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin ist gemäß §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 ZPO; 11 Abs. 1 RPflG; 78 ArbGG statthaft und nach einem Beschwerdewert von mehr als € 200,00 auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben, § 569 ZPO.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die von der Beklagten geltend gemachten Reisekosten sind keine notwendigen Kosten iSv. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im Einzelnen gilt folgendes:

a) Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren. Im Arbeitsgerichtsprozess besteht gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG im Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs zwar kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten. Alle außergerichtlichen Kosten der Partei, die nicht in § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG genannt sind, bleiben jedoch erstattungsfähig. Prozessbedingte Reisekosten gehören daher grundsätzlich zu den erstattungsfähigen Aufwendungen (GK-ArbGG/Schleusener, § 12a Rn. 22). Diese sind notwendige Kosten iSv. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn eine Partei in der konkreten Lage die die Kosten verursachende Reise vernünftigerweise als sachdienlich ansehen darf (BAG, Beschluss vom 21. Januar 2004 – 5 AZB 43,03, zitiert nach Juris). Maßgeblich sind jeweils die konkreten objektiven Umstände (GMP/Germelmann § 12a Rn. 21).

b) Nach den vorgenannten Grundsätzen waren die von der Beklagten geltend gemachten Reise- und Übernachtungskosten für die Mitarbeiter B und D zur Wahrnehmung der Termine vor dem Arbeitsgericht Gießen am 15. April 2013 und 2. Oktober 2013 (jeweils B ) sowie 15. Januar 2014 ( D ) nicht notwendig iSv. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Stattdessen wäre es der Beklagten möglich und zumutbar gewesen, die in der A in Gießen tätige Leiterin Personal, die selbst Volljuristin ist und über Erfahrung als Prozessvertreterin vor den Arbeitsgerichten verfügt, mit der Wahrnehmung der Verhandlungstermine zu betrauen. Es ist für das Beschwerdegericht nicht ersichtlich, dass sie mit dem insgesamt sehr übersichtlichen Sachverhalt – die Parteien stritten vor allem über die Einhaltung tariflicher Ausschlussfristen – überfordert gewesen wäre.

Dass sich die Beklagte, wie sie behauptet hat, zum 1. Juli 2012 zur Bildung von Kompetenzzentren Prozessvertretung Personal (KPP) an vier dezentralen Standorten entschlossen und diesen die Prozessvertretung in allen personalrechtlichen Angelegenheiten für alle Dienststellen in ihrem Zuständigkeitsbereich übertragen habe, ändert nichts. Auch wenn die Beklagte Gründe für eine “xx-interne Prozessführung nach einheitlichen Standards und mit zentral entwickelten, einheitlichen Argumentationslinien” haben mag, sind Reisekosten von Bediensteten dieser Kompetenzzentren Prozessvertretung Personal (KPP) zum Gerichtsort deswegen nicht erstattungsfähig; sie gehören nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung iSd. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (GK-ArbGG/Schleusener, § 12a Rn. 24 und 25 mit umfangreichen Nachweisen). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – der Arbeitgeber am Gerichtsstand des Erfüllungsortes verklagt wird und sich dort eine zur Prozessführung geeignete Person befindet (LAG Hessen, Beschluss vom 19. Oktober 2011 – 13 Ta 381/11- Rn. 18, zitiert nach Juris).

Schließlich hat die Beschwerdeführerin entgegen der Ansicht der Beklagten ihre Klage auch nicht gegen eine Dienststelle der Beklagten erhoben, die “ihren Sitz in Nürnberg (xxxxxxxxx)” habe. Verklagt hat die Beschwerdeführerin vor dem Arbeitsgericht Gießen vielmehr die Beklagte als ihre Arbeitgeberin unter der Anschrift in Nürnberg, die der vorgerichtlichen Korrespondenz mit der Beklagten zu entnehmen war.

Der angefochtene Beschluss ist daher abzuändern und der Festsetzungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Da ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2 iVm. 72 Abs. 2 ArbGG nicht besteht, ist der Beschluss unanfechtbar, §§ 78 Satz 1 ArbGG iVm. 574 Abs. 1 ZPO.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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