LAG Hessen, 17.11.2015 – 4 TaBV 185/15

April 14, 2019

LAG Hessen, 17.11.2015 – 4 TaBV 185/15
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 14. September 2015 – 2 BV 13/15 – abgeändert:

Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe

I.

Die Arbeitgeberin ist ein Dienstleistungsunternehmen mit dreißig Standorten in Deutschland und unter anderem im Immobilienmanagement tätig. In den Betrieben der Arbeitgeberin bestehen Betriebsräte, die einen Gesamtbetriebsrat gebildet haben. Der früher in B gelegene Betrieb, dessen Arbeitnehmer vom antragstellenden Betriebsrat repräsentiert werden, wurde zum 27. Juli 2015 nach C verlegt.

In den Betrieben der Arbeitgeberin wird zumindest überwiegend auf der Grundlage der Gesamtbetriebsvereinbarung elektronische Zeiterfassung vom 25. März 2008 zur Erfassung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer ein EDV-System genutzt. Dies war auch am ehemaligen Standort B der Fall. Das System wird von einem zentralen Server aus betrieben. Der Systemadministrator und die Personalverwaltung der Arbeitgeberin sind berechtigt, betriebsübergreifend die Daten der einzelnen Betriebe einzusehen. Die Arbeitgeberin entschloss sich, das System nach dem Umzug nach C nicht mehr zu nutzen. Stattdessen hielt sie die Arbeitnehmer des Betriebs dazu an, ihre Arbeitszeiten selbst in Exceltabellen zu erfassen. Aus diesem Anlass machte der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG geltend. Dem trat die Arbeitgeberin unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 28. November 1989 (- 1 ABR 97/88 – BAGE 63/ 283) entgegen. Der Betriebsrat verfolgt sein Anliegen im vorliegenden Einigungsstellenbestellungsverfahren weiter.

Das Arbeitsgericht hat gemäß dem Antrag des Betriebsrats Herrn A zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zum Thema “Fortführung/Einführung einer elektronischen Zeiterfassung” bestellt und die Zahl der Beisitzer auf zwei pro Seite festgesetzt. Zur Begründung hat es – kurz zusammengefasst – ausgeführt, der Antrag sei hinreichend bestimmt. Er sei auch begründet, da die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig sei. Zwar sei es herrschende Meinung, dass dem Betriebsrat im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kein Initiativrecht zustehe. Gleichwohl bestehe aufgrund gegenläufiger Literaturansichten (etwa Fitting BetrVG 27. Auflage § 87 Rn. 251) und des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Januar 2015 (- 10 TaBV 1812/14 – RDV 2015/206 [LAG Düsseldorf 23.01.2015 – 6 TaBV 48/14]) eine Kontroverse, die eine offensichtliche Verneinung der Zuständigkeit der Einigungsstelle nicht zulasse. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Ausführungen unter II des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin hat gegen den mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung am 1. Oktober 2015 zugestellten Beschluss am 6. Oktober 2015 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie hält an ihrer Ansicht fest, dass der Betriebsrat offensichtlich kein Initiativrecht besitze.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf die Schriftsätze vom 6. Oktober und 12. November 2015 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 14. September 2015 – 2 BV 13/15 – abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat verteidigt die Würdigung des Arbeitsgerichts wie im Schriftsatz vom 29. Oktober 2015 ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

I. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Antrag im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer gebietet diese auch im Einigungsstellenbestellungsverfahren geltende Norm, dass der Antragsteller konkret angibt, über welchen Gegenstand in der Einigungsstelle verhandelt werden soll. Nicht erforderlich ist es dagegen, den konkreten Inhalt der von ihm angestrebten Regelung darzulegen (vgletwa Hessisches LAG . September 2012 – 4 TaBV 192/12 – ArbR 2012/623, zu II 2, m. w. N.).

Diesem Maßstab entspricht der Antrag des Betriebsrats, da klar erkennbar ist, dass über den Gegenstand Fort- bzw. Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verhandelt werden soll. Gegenstand der Einigungsstelle soll daher der Betrieb einer derartigen Zeiterfassung sein. Die Differenzierung zwischen Fort- und Einführung ändert daran nichts. Diese führt nicht zu Unklarheiten über den Gegenstand der Einigungsstelle, sondern nennt nur verschiedene Möglichkeiten der Regelung dieses Gegenstands, nämlich entweder die Fortführung des bisherigen Systems oder die Einführung eines neuen. Sie betrifft damit nicht den Gegenstand, sondern die im Ermessen der Einigungsstelle stehende Regelungsebene.

2. Der Bestellungsantrag des Betriebsrats nach § 76 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 BetrVG ist gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zurückzuweisen, da die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Dies ergibt sich aus einer Wahlfeststellung: Ist dem Beschluss des Bundesarbeitsgericht vom 28. November 1989 (a. a. O.) und der herrschenden Meinung zu folgen und die Gegenansicht zudem als offensichtlich unzutreffend zu betrachten, besteht im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kein Initiativrecht des Betriebsrats mit der Konsequenz, dass der Arbeitgeber eine bestehende Kontrolleinrichtung ohne Zustimmung des Betriebsrats abschaffen kann und daher kein Raum für die Bestellung einer Einigungsstelle verbleibt. Ist die Gegenansicht dagegen zumindest nicht als offensichtlich unzutreffend zu erachten, wäre für das dann in Betracht kommende Mitbestimmungsrecht nicht der Betriebsrat, sondern gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Für die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG sind allerdings grundsätzlich die von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsräte zuständig. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs.1 S. 1 BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und die nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Erforderlich ist, dass es sich um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Dieses Erfordernis kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, seine Kosten- oder Koordinierungsinteressen sowie reine Zwecksmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens und der einzelnen Betriebe. Anders als im Bereich der freiwilligen Bestimmung kann der Arbeitgeber in Angelegenheiten der erzwingbaren Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht dadurch begründen, dass er eine betriebsübergreifende Regelung verlangt. Ebenso wenig können Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat die Zuständigkeit der einzelnen Betriebsräte abbedingen. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung ist in Angelegenheiten, die in vollem Umfang der Mitbestimmung unterliegen, zwingend (ständige Rechtsprechung, etwa BAG 14. Novem6 ber 2006 – 1 ABR 4/06 – BAGE 120/146, zu B I 1 c bb (1), m. w. N.).

Eine nach § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG begründete originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zur Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit ist nicht auf eine Rahmenkompetenz beschränkt. Ihre Reichweite ergibt sich vielmehr aus dem konkreten Mitbestimmungstatbestand. Fällt eine bestimmte “Angelegenheit” im Sinne von § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, kann und muss er diese gemeinsam mit dem Arbeitgeber regeln. Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber müssen sich in einem solchen Fall nicht auf die Aufstellung von Rahmenvorschriften beschränken, die Raum für ausgestaltende Regelungen durch die örtlichen Betriebsräte lassen. Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung gilt für das Verhältnis der betriebsverfassungsrechtlichen Organe vielmehr der Grundsatz der Zuständigkeitstrennung. Hier sind ausschließlich entweder die einzelnen Betriebsräte oder der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat zuständig. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung ist zwingend und unabdingbar. Eine Beschränkung der originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auf eine bloße Rahmenkompetenz ist mit dem Grundsatz der Zuständigkeitstrennung nicht vereinbar. Sofern der Gesamtbetriebsrat für die Behandlung einer Angelegenheit im Sinne von § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG originär zuständig ist, hat er diese Angelegenheit insgesamt mit dem Arbeitgeber zu regeln, auch wenn Detailfragen für mehrere Betriebe unterschiedlich ausgestaltet werden können. Eine Zuständigkeitsaufspaltung ist nur gerechtfertigt, wenn es sich um unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände handelt. Andernfalls verbleibt die Regelungskompetenz insgesamt beim Gesamtbetriebsrat. Dieser kann die einzelnen Betriebsräte insbesondere auch nicht delegieren (BAG 14. November 2006 a. a. O., zu B I 1 c cc (1), m. w. N.).

Bei der Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine technische Notwendigkeit für eine einheitliche Regelung bestehen, wenn die Einrichtung zentrale Nutzungs- und Überwachungsmöglichkeiten bietet, die betrieblichen Anlagen miteinander verknüpft sind und Daten betriebsübergreifend ausgetauscht werden (BAG 14. November 2006 a. a. O., zu B I 1 c bb (2) (b) (bb), m. w. N.; entsprechend für die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Ge6 samt6 und Konzernbetriebsrat BAG 25. September 2012 – 1 ABR 45/11 – AP BetrVG 1972 § 58 Nr. 5, zu B II 2 c). Dann hat der Gesamtbetriebsrat diese Angelegenheit insgesamt mit dem Arbeitgeber zu regeln, auch wenn Detailfragen für mehrere Betriebe unterschiedlich ausgestaltet werden können. Eine Zuständigkeitsaufspaltung ist nur gerechtfertigt, wenn es sich um unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände handelt. Andernfalls verbleibt die Regelungskompetenz insgesamt beim Gesamtbetriebsrat (BAG 14. November 2006 a. a. O., zu B I 1 c cc (1), m. w. N.).

Danach ist hier offensichtlich nicht der Betriebsrat, sondern nach § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig. Das bisherige Zeiterfassungssystem der Arbeitgeberin wird betriebsübergreifend eingesetzt und zentral genutzt und gesteuert. Dem Betriebsrat geht es gemäß seiner Antragsbegründung darum, dass dieses betriebsübergreifende System im Betrieb C weiter genutzt werden soll. Damit handelt es sich um eine ggf. die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründende überbetriebliche und nicht um eine alleine den Betrieb C betreffende Angelegenheit. Dies wird durch eine Kontrollüberlegung unterstrichen: Bejaht man ein Mitbestimmungsrecht, stünde ggf. dem Gesamtbetriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in Verbindung mit der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 25. März 2008 sogar ein Durchführungsanspruch gegen die Arbeitgeberin zu Verfügung. Bestünde daneben auch eine Zuständigkeit des Betriebsrats, würde dies die Gefahr sich wiedersprechender Regelungen derselben Materie begründen. Dies wäre mit dem Grundsatz der Zuständigkeitstrennung nicht zu vereinbaren.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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