LAG Hessen, 18.07.2016 – 2 Ta 597/14

März 27, 2019

LAG Hessen, 18.07.2016 – 2 Ta 597/14
Leitsatz:

Eine Teilklagerücknahme vor Stellung der Klageanträge und ein anschließender Vergleich nach streitiger Verhandlung über den Rest führen zu Gebührenprivilegierung im Sinne der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG, sofern die Parteien im Vergleich eine Kostenregelung treffen oder sich zumindest die Kostenfolge nach § 98 ZPO unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. In diesem Fall wird keine inhaltlich zu begründende Entscheidung des Gerichts erforderlich, so dass keine Gerichtsgebühren zu erheben sind.
Tenor:

Die Beschwerde der Vertreterin der Staatskasse vom 28. Oktober 2014 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 17. Oktober 2014 – Az. 5 Ca 91/14 – wird zurückgewiesen.
Gründe

I.

Der Kläger hat sich in dem diesem Beschwerdeverfahren vorausgegangenen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Gießen – Az. 5 Ca 91/14 – mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung sowie mit einer Abmahnungsklage gegen die Wirksamkeit von insgesamt fünf Abmahnungen gewandt. Er hat ferner im Wege der allgemeinen Feststellungsklage die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit über den 31. Oktober 2014 hinaus fortbesteht, sowie im Wege des unechten Hilfsantrags die Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verlangt.

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 29. Juli 2014 (Bl. 150 d.A.) hat der Kläger die allgemeine Feststellungsklage zurückgenommen und die Beklagte hat hilfsweise beantragt, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß §§ 9, 10 KSchG zum 31. Oktober 2014 aufzulösen. Nachdem das Arbeitsgericht auf Bitten der Parteien zunächst einen Verkündungstermin bestimmt hat, haben die Parteien anschließend noch vor Verkündung die Annahme eines vom Gericht ihnen unterbreiteten Vergleichsvorschlags erklärt. Daraufhin hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 26. August 2014 – Az. 5 Ca 91/14 (Bl. 176 und 177 d.A.) – das Zustandekommens eines Vergleichs zwischen den Parteien festgestellt. Neben einer Vielzahl weiterer Regelungen heißt es zum einen, das Arbeitsverhältnis der Parteien werde aufgrund Kündigung vom 14. März 2014 aus betrieblichen Gründen am 31. Oktober 2014 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von € 85.000,00 enden, und zum anderen werden die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben.

Das Arbeitsgericht hat durch Kostenrechnung vom 4. September 2014 – Kassenzeichen XXXXXXXXXXXX (Bl. I d.A.) – für den Kläger aus einem Wert von € 54.000,00 die Hälfte einer Gebühr nach Nr. 8211 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz (GKG) in Höhe von € 133,20 in Ansatz gebracht. Der Kläger hat gegen diesen Kostenansatz am 19. September 2014 Erinnerung eingelegt. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2014 – Az. 5 Ca 91/14 (Bl. 190 bis 192 d.A.) – hat das Arbeitsgericht daraufhin den Gerichtskostenansatz vom 4. September 2014 aufgehoben, da eine Gerichtsgebühr nicht zu erheben sei, und die Beschwerde zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei zwar der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG zu entnehmen, dass ein Teilvergleich das Verfahren nicht gebührenfrei werden lässt, jedoch sei in der vorliegenden Konstellation zu beachten, dass ein Wegfall der Gebührenprivilegierung Sinn und Zweck dieser Vorschrift widerspräche. Mit der Gebührenprivilegierung, so das Arbeitsgericht weiter, solle zur Entlastung der Justiz ein Anreiz geschaffen werden, Rechtsstreite ohne besonderen Arbeitsaufwand der Gerichte zu beenden. Sowohl die teilweise Klagerücknahme vor streitiger Verhandlung als auch die Beendigung des Rechtsstreits nach streitiger Verhandlung durch Vergleich entlasten die Gerichte. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die teilweise Klagerücknahme vor streitiger Verhandlung hier einen kostenmäßig “wertlosen” Antrag betreffe. Das heißt, selbst im Fall eines streitigen Urteils wären dem Kläger hinsichtlich der Klagerücknahme keine Kosten aufzuerlegen gewesen. Die Vertreterin der Staatskasse hat gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 17. Oktober 2014 mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2014 am 3. November 2014 Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 5. November 2014 – Az. 5 Ca 91/14 (Bl. 198 d.A.) – unter Verweis auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses nicht abgeholfen hat.

II.

Die gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 GKG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, denn das Arbeitsgericht hat sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage im angegriffenen Beschluss ausdrücklich zugelassen. In der Sache bleibt die Beschwerde aber ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass bei teilweiser Klagerücknahme vor Stellung der Anträge und anschließendem Abschluss eines Vergleichs über den Rest nach streitiger Verhandlung eine Gerichtsgebühr nicht anzusetzen ist. Nach Wechsel in der Kammerzuständigkeit für Beschwerden in Kostensachen wird an der bisherigen Rechtsprechung des Hessischen Landesarbeitsgerichts, wonach der (Teil-)Vergleich in diesen Fällen selbst bei vorheriger Teilklagerücknahme keine vollständig privilegierende Wirkung im Sinne der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG habe und jedenfalls eine auf 0,4 reduzierte Verfahrensgebühr in Ansatz zu bringen sei (vgl. Hess. LAG, Beschluss vom 9. April 2010 – 13 Ta 9/10 – Rn. 20 m.w.N., zitiert nach Juris), nicht festgehalten.

1. In der Anlage 1 zum GKG fehlt eine Gebührenregelung für den Fall, dass – wie hier – die Klage teilweise vor streitiger Verhandlung zurückgenommen und über den Rest (nach Beginn der streitigen Verhandlung) insgesamt ein Prozessvergleich geschlossen wird. Der Entfall der Verfahrensgebühr nach der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG wird für diese Konstellation unter Hinweis auf den Wortlaut und die Systematik der gesetzlichen Regelung von Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums mit der Begründung abgelehnt, es fehle die erforderliche Beendigung des gesamten Verfahrens durch einen gerichtlichen Vergleich, da lediglich ein Teilvergleich abgeschlossen worden sei (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 17 Ta (Kost) 6114/09 – Rn. 9, zitiert nach Juris; LAG Hessen, Beschluss vom 9. April 2010-13 Ta 9/10- Rn. 20 m.w.N., zitiert nach Juris; Bader, NZA 2005, 971; Bader/Nungeßer, NZA 2007, 1200, 1201; Hartmann, Kostengesetze, Nr. 8210 KV GKG Rn. 4; Roloff, NZA 2007, 900, 908). Stattdessen wird vertreten, in entsprechender Anwendung von Nr. 8211 Nr. 1 iVm. Satz 2 der Anlage 1 zum GKG eine auf 0,4 ermäßigte Gebühr in Ansatz zu bringen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 17 Ta (Kost) 6114/09 – Rn. 8, zitiert nach Juris; LAG Hessen, Beschluss vom 9. April 2010 – 13 Ta 9/10-Rn. 19). Dies führt aber, worauf Pfitzer/Augenschein (in: Natter/Groß, ArbGG, 2. Aufl. 2013, § 12 Rn. 19) zu Recht hinweisen, zu einem ungereimten Ergebnis. Zu berücksichtigten ist zunächst die unklare Formulierung der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG, deren genauer Inhalt unter Berücksichtigung des gesetzlichen Gesamtzusammenhangs und des mit der Gebührenprivilegierung verfolgten Zwecks zu ermitteln ist (im Einzelnen: BAG, Beschluss vom 16. April 2008 – 6 AZR 1049/06 – Rn. 5, zitiert nach Juris). Für das Bundesarbeitsgericht kann daher nur dann von einem nicht privilegierten Teilvergleich gesprochen werden, wenn die Parteien nur einen Teil des Streitgegenstandes vergleichsweise erledigen, sich das Gericht hinsichtlich des verbleibenden Streitgegenstandes aber noch mit der Sache befassen muss (vgl. BAG, Beschluss vom 16. April 2008 – 6 AZR 1049/06 – Rn. 6 f., zitiert nach Juris). Genau dies ist vorliegend aber nicht der Fall, so dass auch nach Ansicht der Beschwerdekammer die Gebührenprivilegierung nach der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG geboten erscheint. Anderenfalls käme man zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass eine Partei, die einen unzulässigen oder unbegründeten Teil der Klage vor streitiger Verhandlung zurücknimmt und sich über den Rest in der Kammerverhandlung mit der Gegenseite vergleichsweise einigt, Gerichtskosten tragen müsste, während eine andere, die zwar auch die teilweise Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Klage erkennt, aber nichts unternimmt, um sich dann im Kammertermin insgesamt zu einigen, von den Gerichtskosten befreit wäre (so zutreffend der Hinweis von Künzl, in: Ostrowicz, Künzl, Scholz, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl. 2015, S. 205). Dies gilt umso mehr, wenn, worauf im vorliegenden Fall das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, die teilweise Klagerücknahme – wie hier – einen allgemeinen Feststellungsantrag neben einem punktuellen Bestandsschutzantrag (“Schleppnetz”) betrifft, für den nach dem Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit üblicherweise ein zusätzlicher Wert überhaupt nicht in Ansatz zu bringen ist. Vergleichbar führt Schleusner (GK-ArbGG/Schleusner § 12 Rz. 52) für den Fall der Beendigung eines Verfahrens durch mehrere Teilvergleiche unter Hinweis auf Roloff (NZA 2007, 900, 909) zutreffend aus, auch in diesem Fall müsse die Gebührenprivilegierung im Sinne der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKG gelten, denn nach der gesetzgeberischen Intention könne es keinen Unterschied machen, ob die Parteien den Rechtsstreit in einem Vergleich oder durch mehrere Teilvergleiche insgesamt erledigen. Nichts anderes kann nach alldem im vorliegenden Fall gelten. Denn die Erledigung durch Teilklagerücknahme vor Stellung der Anträge sowie anschließendem Abschluss eines Vergleichs über den Rest nach streitiger Verhandlung entspricht ebenfalls voll und ganz dem Anliegen des Gesetzgebers, nämlich die Justiz zu entlasten. Es wird insgesamt keine inhaltlich zu begründende Entscheidung des Gerichts erforderlich (mit dieser Begründung ebenfalls für Kostenfreiheit: Schwab/Weth/Schwab, 4. Aufl. 2015, § 12 Rn. 44). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Parteien – wie hier – ausdrücklich im Vergleich eine Kostenregelung treffen oder sich zumindest die Kostenfolge nach § 98 ZPO unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (zur hingegen abzulehnenden Auffassung im Schrifttum, die Voraussetzungen für eine Gebührenprivilegierung nach der amtlichen Vorbemerkung 8 der Anlage 1 zum GKGseien nicht erfüllt, wenn in einem Vergleich die Kostenregelung fehle, siehe die Nachweise im Beschluss des BAG vom 16. April 2008 – 6 AZR 1049/06 – Rn. 8, zitiert nach Juris).

2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet, § 66 Abs. 8 GKG.

3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

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