LAG Hessen, 19.01.2015 – 16 Sa 1091/14

April 28, 2019

LAG Hessen, 19.01.2015 – 16 Sa 1091/14

Soweit die Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich überschritten wird, bewahrt dies den Arbeitgeber nicht davor, die 48 Stunden übersteigende Arbeitszeit zu vergüten. Das Arbeitszeitgesetz enthält keine Vergütungsregelungen. Auch die unter Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz erbrachte Arbeitsleistung ist zu vergüten.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 4. Juni 2014 – 8 Ca 48/14 / wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis geltend.

Zwischen den Parteien bestand von September 2012 bis 15. November 2013 ein Arbeitsverhältnis, während dessen der Kläger jeweils mindestens 48 h wöchentlich arbeitete. Wegen der Aufstellung der von der Beklagten im Einzelnen abgerechneten Arbeitsstunden wird auf den unstreitigen Teil des Tatbestands des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 80, 80R d.A.) Bezug genommen.

Soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse macht der Kläger mit seiner Klage Arbeitsvergütung für die Zeit vom 16. September 2013 bis 15. November 2013 auf Basis einer 48 h-Woche, d.h. 204 h zu je 16,50 € in Höhe von 3366 € brutto, Entgeltfortzahlung und Urlaubsentgelt für die 42. bis 26. Kalenderwoche 2013 in Höhe von 3960 € brutto, Urlaubsabgeltung für 9 Tage in Höhe von 1370,79 € brutto sowie die Vergütung von 23 in der 23. Kalenderwoche 2013 geleisteten Arbeitsstunden zu je 16,50 € in Höhe von 379,50 € brutto, insgesamt 9076,29 € brutto geltend.

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 80-81R d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 9076,29 € brutto nebst Zinsen stattgegeben. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 81R bis 84R d.A.) verwiesen.

Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 4. August 2014 zugestellt. Er hat dagegen mit einem am 19. August 2014 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 6. Oktober 2014 (Montag) begründet.

Die Beklagte rügt, hat das Arbeitsgericht gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass zwischen den Parteien keine Vereinbarung über eine regelmäßige Arbeitszeit getroffen wurde. Die Beklagte habe jedoch vorgetragen, dass eine Arbeitszeit von 37 h wöchentlich vereinbart worden sei. Der Kläger sei in seinen Aufstellungen selbst von einer 37 h – Woche ausgegangen. Diese vereinbarte Wochenarbeitszeit sei von den Parteien nicht eingehalten worden. Rechtsfehlerhaft gehe das Arbeitsgericht jedoch von einer Wochenarbeitszeit von mehr als 48 h aus. Hierbei übersehe es, dass ein Verstoß gegen die Arbeitszeithöchstgrenzen zur Nichtigkeit des Vertrages führt (siehe Erfurter Kommentar § 3 Arbeitszeitgesetz Rn. 4). Hieraus folge entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keine Reduktion auf die gesetzliche Höchstgrenze, sondern auf das vertraglich vereinbarte, hilfsweise auf das branchenüblicher Mass. Eine rechtswidrige Vertragspraxis könne nicht nur für die Zukunft keine Rechtswirkungen entfalten, sondern auch für die Vergangenheit nicht legalisiert werden. In seiner Schwarzarbeitsentscheidung habe der Bundesgerichtshof im Urteil vom 10. April 2014-VII ZR 241/13-ausgeführt, dass dem Unternehmer ein bereicherungsrechtlicher Anspruch gegen den Besteller nicht zustehe. Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeute dies, dass dem Kläger Zahlungsansprüche für erbrachte Dienstleistungen nicht zustehen. Eine Reduzierung des rechtswidrigen Vertrages auf einen rechtmäßigen Sockel sei nicht möglich. Gerade die Untrennbarkeit der Gesamtarbeitszeit führe ja zur Nichtigkeit des Vertrages. Hilfsweise wäre zu erwägen, die gelegbe Vertragspraxis auf das gesetzlich oder vertraglich zulässige Maß zurückzuführen. Damit wären die Ansprüche des Klägers auf 37 Wochenstunden beschränkt. Da die Beklagte aber auch die unzulässigen Mehrarbeitsstunden gezahlt habe, läge eine Überzahlung vor, die im Wege der Aufrechnung dazu führe, dass auch die noch nicht abgegoltenen Ansprüche des Klägers als erfüllt anzusehen seien. Daraus ergebe sich eine Überzahlung von 530 h, so dass die Entgeltansprüche des Klägers durch Aufrechnung erloschen seien. Das Arbeitsgericht habe auch für die Entgeltfortzahlung die gesetzliche Höchstarbeitsdauer von 48 h angenommen. Hierbei habe es wiederum die vereinbarte 37 h Woche übersehen, die der Kläger selbst in seinen Stundenzetteln zu Krankheit und Urlaub angegeben habe. Zum anderen sei auch hier die Gesamtnichtigkeit des Vertrages anzunehmen, weshalb der Beklagte nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei. Es liege gerade keine Teilnichtigkeit vor. Eine geltungserhaltende Reduktion würde den Gesetzesverstoß in keiner Weise sanktionieren. Eine Reduzierung führe zu einer 37-Stundenwoche. Damit wäre jede Überschreitung des branchenüblichen sanktioniert. Aber auch die sich hieraus ergebenden Ansprüche wären durch Aufrechnung erloschen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 4. Juni 2014 -8 Ca 48/14-die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte zur Zahlung verurteilt wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht gehe zu Recht davon aus, dass eine genaue Vereinbarung über die Arbeitszeiten von beiden Parteien nicht hinreichend deutlich dargelegt wurde. Dass vom Kläger in seinen Aufstellungen Bl. 28-32 d.A. für Krankheits- und Urlaubstage eine 37 h Woche angegeben wurde, hänge damit zusammen, dass er es nicht besser gewusst habe und von einer “normalen Arbeitszeit” ausgegangen sei. Hieraus lasse sich keine Vereinbarung konstruieren. Durch die dargelegte Vertragspraxis sei jedenfalls eine etwaige ursprüngliche Arbeitszeit von 37 h wöchentlich konkludent abgeändert worden. Bei einer Nichtigkeit des Arbeitsvertrages liege ein faktisches Arbeitsverhältnis vor, das gleichfalls eine Vergütungspflicht nach sich ziehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht in dem zuerkannten Umfang stattgegeben. Die Berufungskammer schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an und nimmt hierauf Bezug. Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren vorbringt, sie habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass eine 37 Stundenwoche vereinbart war, ist dies in tatsächlicher Hinsicht ohne Substanz. Die Beklagte legt nicht im Einzelnen dar, wann die Parteien unter welchen Begleitumständen inwiefern Absprachen über die vom Kläger zu leistende Dauer der Arbeitszeit getroffen haben. Es ist auch im vorliegenden Verfahren nicht unstreitig, dass eine 37 h Woche vereinbart gewesen sei. Der Kläger hat dies stets bestritten. Aus den Abrechnungen der Beklagten ergibt sich eine weitaus höhere Arbeitszeit. Soweit der Kläger für Zeiten von Krankheit und Urlaub gegenüber der Beklagten ursprünglich nur 37 h wöchentlich einforderte (vgl. die Aufstellungen Bl. 28-32 d.A.) handelt es sich hierbei um die Geltendmachung von geldwerten Ansprüchen für Zeiten in denen keine Arbeitsleistung erbracht wurde. Der Kläger verlangte zunächst nur einen Mindestbetrag auf der Grundlage von 37 Wochenstunden. Im Prozess hat er sodann eine höhere Arbeitszeit vorgetragen und weitergehende Ansprüche geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht von einer Arbeitszeit von 48 h ausgegangen. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, ein Verstoß gegen die Arbeitszeithöchstgrenzen führe zur Nichtigkeit des Vertrages, lässt dies die Vergütungsansprüche des Klägers für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen unberührt. Die gesetzlichen und tariflichen Höchstarbeitszeiten dienen dem Schutz des Arbeitnehmers. Sie bewahren den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, die darüber hinausgehende Arbeitszeit zu vergüten (Bundesarbeitsgericht 21. November 2001 -5 AZR 296/00- Rn. 17). Die von der Beklagten zitierte Literaturstelle (Erfurter Kommentar-Wank, 15. Auflage, Arbeitszeitgesetz, § 3 Rn. 4: “Arbeitsvertraglich führt der Verstoß gegen § 3 zur Nichtigkeit des Vertrages”) bezieht sich nur darauf, dass eine über die gesetzliche Höchstgrenze hinausgehende Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht eingefordert werden kann. Dies ergibt sich aus den dort zitierten Entscheidungen des LAG Nürnberg und des LAG Thüringen. Dort (LAG Thüringen 19.3.2002-5 Sa 597/99) wird zudem ausgeführt, dass im Falle eines Verstoßes des Arbeitsvertrages gegen § 3 Arbeitszeitgesetz dieser nach §§ 134, 139 BGB nichtig ist und an deren Stelle bei Fehlen von Anhaltspunkten für eine andere Arbeitszeit die nach § 3 Arbeitszeitgesetz gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit als Regelarbeitszeit gilt. Dieselbe Auffassung vertreten Baeck/Deutsch, Arbeitszeitgesetz, 3. Auflage 2014, Einführung Rn. 54 m.w.N.). Dort (Einführung Rn. 56,57) wird auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH und des BAG klargestellt, dass das Arbeitszeitgesetz keine Vergütungsregelungen enthält und auch die unter Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz erbrachte Arbeitsleistung zu vergüten ist. Aus diesem Grund steht der Beklagten kein Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB wegen rechtsgrundlos erbrachter Zahlungen zu, mit dem gegen die streitgegenständliche Forderung aufgerechnet werden könnte.

Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Schwarzgeldabrede für Bauhandwerkerleistungen (10. April 2014 -VII ZR 241/13) ist nicht einschlägig. Hier geht es weder um Schwarzarbeit, noch macht der Kläger einen bereicherungsrechtlichen Anspruch gegenüber der Beklagten geltend.

Soweit es um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsentgelt geht, hat das Arbeitsgericht zu Recht eine 48 h – Woche zu Grunde gelegt, weil der Kläger -wie sich aus den von der Beklagten in den Lohnabrechnungen aufgeführten monatlich vom Kläger geleisteten Stunden ergibt- regelmäßig mindestens 48 h wöchentlich gearbeitet hat. Es handelte sich insoweit nicht um Überstunden, sondern um die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers (vgl. dazu: Bundesarbeitsgericht 26. Juni 2002 -5 AZR 500/00).

III.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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