LAG Hessen, 19.08.2014 – 15 TaBV 155/13 Der Abruf der vollen arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit eines zuvor teilfreigestellten Arbeitnehmers bei gleichbleibender Tätigkeit ist keine Versetzung und keine EInstellung.

April 30, 2019

LAG Hessen, 19.08.2014 – 15 TaBV 155/13
Der Abruf der vollen arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit eines zuvor teilfreigestellten Arbeitnehmers bei gleichbleibender Tätigkeit ist keine Versetzung und keine EInstellung.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. August 2013 – 5 BV 6/13 – abgeändert.

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer A eine personelle Maßnahme iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG vorgenommen hat und sie diese gemäß § 101 BetrVG aufzuheben hat.
2

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin erbringt Express-Dienstleistungen. Sie verfügt über eine Vielzahl von Betriebsstätten. Der Beteiligte zu 1. ist die für die Region Mitte mit den Betriebsstätten B, C und D gewählte Arbeitnehmervertretung.
3

Der bei der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 1. Mai 1995 beschäftigte Arbeitnehmer A ist Mitglied des Betriebsrats. Seine arbeitsvertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit beträgt 37,5 Wochenstunden. Bis zum 1. Januar 2000 war er als Kurierfahrer tätig.
4

Zum 1. Januar 2000 wurde er auf die Stelle als Senior OPS-Clerk versetzt. Der Betriebsrat wurde dazu am 19. November 1999 angehört. Der Betriebsrat erklärte am 25. November 1999 seine Zustimmung (Bl. 20 d.A.).
5

Mit Wirkung zum 16. September 2002 wurde der Arbeitnehmer A als Kurierfahrer und OPS-Clerk in der Niederlassung C sowie den angeschlossenen Inhouse-Units eingesetzt. Zu dieser Maßnahme wurde der Betriebsrat am 21. Juni 2002 angehört. Er erklärte am 9. Juli 2002 seine Zustimmung (Bl. 21 d.A.).
6

Zu Beginn des Jahres 2005 ging das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers A auf die Arbeitgeberin im Wege eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 BGB über.
7

Zum 24. Januar 2005 wurden die Kurierfahrertätigkeiten der Station C outgesourced. Aus diesem Anlass erklärte die Arbeitgeberin gegenüber im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern, die sowohl Tätigkeiten als OPS-Clerk wie als Kurierfahrer ausübten, Änderungskündigungen wegen des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeiten als Kurierfahrer.
8

Dem Arbeitnehmer A teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 mit, sie stelle ihn mit Wirkung zum 1. Januar 2006 von der Arbeitsleistung mit einem Anteil von 48,72%, d.h. 19 Wochenstunden, unter Fortzahlung der vertraglich vereinbarten Vergütung frei. Die tatsächliche Freistellung betrug nur 17,5 Wochenstunden (= 46,67%). Sie teilte ihm in dem Schreiben weiter mit, dass sich seine Arbeitszeit demzufolge auf montags bis freitags 16.30 Uhr bis 20.30 Uhr (4 Stunden täglich) ändere (Bl. 22 d.A.). Seither arbeitet der Arbeitnehmer A ausschließlich als Clerk Terminal Handling. Die Tätigkeit als Clerk Terminal Handling wurde früher als OPS-Clerk bezeichnet.
9

Mit Schreiben vom 13. Februar 2013 (Bl. 90 d.A.) widerrief die Arbeitgeberin die Teilfreistellung des Arbeitnehmers A und forderte ihn auf, wieder 37,5 Stunden zu arbeiten.
10

Mit seinem Antrag, der am 27. Februar 2013 bei dem Arbeitsgericht Darmstadt eingegangen ist, hat der Betriebsrat das Verfahren eingeleitet.
11

Er hat die Auffassung vertreten, der Entzug der einen und die Zuweisung einer anderen Tätigkeit – was immer auch deren Inhalt sein möge – stelle eine Versetzung dar. Da er dazu nicht angehört worden sei, sei die Maßnahme aufzuheben. Er hat gemeint, der Entzug der hälftigen Tätigkeit als Kurier stelle eine Versetzung dar. Die Beschäftigung als Clerk Terminal Handling mit „vor- und nachbereitenden Aufgaben“ erfülle die Voraussetzung des § 95 Abs. 3 BetrVG.
12

Der Betriebsrat hat beantragt,

die Versetzung des Mitarbeiters A auf eine Vollzeitstelle als OPS-Clerk mit 37,5 Stunden in der Woche wird aufgehoben.

13

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

14

Sie hat die Auffassung vertreten, es liege keine Versetzung des Arbeitnehmers A vor, denn dieser arbeite unverändert als OPS-Clerk = Clerk Terminal Handling. Die Änderung der Arbeitszeit sei unerheblich, weil der Arbeitsbereich im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG nicht durch die Dauer der Arbeitszeit bestimmt werde. Eine zeitliche Komponente in dem Sinne, dass der Arbeitsbereich auch durch die Lage und Dauer der Arbeitszeit bestimmt werde, existiere nicht.
15

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes und des Vortrags der Beteiligten im ersten Rechtszug wird auf die Gründe I. des angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. August 2013 – 5 BV 6/13 – gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl.45 d. A.).
16

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag mit dem vorgenannten Beschluss stattgegeben. Es hat angenommen, der Antrag sei begründet, § 101 S. 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin habe durch die Zuweisung der Vollzeitstelle als OPS-Clerk mit Schreiben vom 13. Februar 2013 den Arbeitnehmer A versetzt.
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Die letzte mitbestimmte Maßnahme sei die Versetzung des Arbeitnehmers A vom 16. September 2002 auf eine Stelle als Kurierfahrer und OPS-Clerk gewesen. Soweit daraufhin die Kurierfahrertätigkeiten entzogen worden seien und diese sodann durch weitere Tätigkeiten im Bereich Terminal Handling ersetzt worden seien, handele es sich eindeutig um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden sei, unter denen die Arbeit zu leisten sei. Da bereits der Entzug der Kurierfahrertätigkeiten eine solche Änderung darstelle und die Beachtung des Mitbestimmungsrechts nach § 99 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung für eine solche personelle Einzelmaßnahme sei, könne sich die Arbeitgeberin nicht darauf berufen, dass es sich letztlich nur um eine Aufstockung der Arbeitszeit nach einer vorgenommenen Teilfreistellung handele.
18

Dieser Beschluss ist der Arbeitgeberin 17. September 2013 zugestellt worden. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist am 8. Oktober 2013 und die Beschwerdebegründung nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 17. Dezember 2013 am 17. Dezember bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen.
19

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, die Teilfreistellung des Arbeitnehmers A ab dem 1. Januar 2006 sei betriebsverfassungsrechtlich im Hinblick auf eine Versetzungsmaßnahme irrelevant, denn die Teilfreistellung betreffe nur die individualrechtliche Ebene. Selbst wenn der damit einhergehende Entzug der Kurierfahrertätigkeiten eine Versetzung gewesen sein sollte, könne der Betriebsrat nach circa 8 Jahren nicht mehr die Aufhebung dieser Maßnahme verlangen. Dieses Recht
20

habe er verwirkt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass es sich bei dem Einsatz des Arbeitnehmers A mit 37,5 Wochenstunden nicht um eine Versetzung handele. Das Arbeitsgericht habe eine Verquickung zwei voneinander zu trennender Maßnahmen zu einer aufzuhebenden Maßnahme vorgenommen.
21

Sie beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 28. August 2013 – 5 BV 6/13 – abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

22

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

23

Er meint, die Arbeitgeberin habe ihn zu der Übertragung von Tätigkeiten als OPS-Clerk im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung gemäß § 99 BetrVG anhören müssen. Die Frage der Verwirkung stelle sich nicht, weil der Entzug der Tätigkeiten als Kurierfahrer nicht gemäß § 99 BetrVG beteiligungspflichtig gewesen sei.
24

Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf die Beschwerdebegründungs- und -erwiderungsschrift (Bl. 68 – 72 und 80, 81 d.A) sowie die Sitzungsniederschrift vom 19. August 2014 (Bl. 89 d.A.) Bezug genommen.
25

II.

A) Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und zulässig, weil sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 87 Abs. 2, 89, 66 Abs. 1 ArbGG).
26

B) Die Beschwerde ist auch begründet.
27

1. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Er ist im Hinblick auf die begehrte Aufhebung der Versetzung des Arbeitnehmers A hinreichend bestimmt. Einer Benennung der vom Betriebsrat zur Beteiligung verlangten personellen Maßnahme als Versetzung hätte es nicht bedurft. Ob es sich um eine der in § 99 Abs. 1 BetrVG genannten personellen Maßnahmen handelt, obliegt der gerichtlichen Beurteilung. Aus der zuletzt gewählten Antragsformulierung wäre auch ohne die Benennung der zur Aufhebung begehrten tatsächlichen Maßnahme als Versetzung hinreichend deutlich geworden, dass der Betriebsrat eine betriebsverfassungsrechtliche Beteiligung an dem tatsächlich vorgenommenen Widerruf der Teilfreistellung gemäß Schreiben vom 13. Februar 2013 begehrt.
28

2. Der Antrag ist hingegen unbegründet. Der Betriebsrat verlangt zu Unrecht gemäß § 101 Satz 1 BetrVG die Aufhebung der tatsächlichen Anordnung gegenüber dem Arbeitnehmer A ab 1. März 2013 in Vollzeit mit 37,5 Stunden je Woche als OPS-Clerk tätig zu werden. Es bedurfte der Zustimmung des Betriebsrats zu dieser tatsächlichen Maßnahme nicht, weil es sich nicht um eine personelle Maßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG handelt.
29

a) Gemäß § 101 Satz 1 1. Alt. BetrVG hat der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG aufzuheben, wenn er sie ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt hat. Der Betriebsrat kann eine Aufhebung einer Maßnahme dann nicht verlangen, wenn die Maßnahme nicht seiner Zustimmung bedurfte. Der Fall von § 101 Satz 1 2. Alt. BetrVG– das Aufrechterhalten einer vorläufigen personellen Maßnahme entgegen § 100 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 BetrVG– steht zwischen den Beteiligten ersichtlich nicht im Streit.
30

b) Die Teilfreistellung des Arbeitnehmers A zum 1. Januar 2006 war als bloße Arbeitszeitreduzierung keine mitbestimmungspflichtige Versetzung im Sinne von §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG. Sie wurde es auch nicht dadurch, dass gleichzeitig mit der Teilfreistellung der Entzug der Kurierfahrertätigkeit und nur noch Einsatz als OPS-Clerk erfolgte. Auch der Widerruf der Teilfreistellung und der gleichzeitige Abruf der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers A in Vollzeit als OPS-Clerk ist keine Versetzung. Eine Zustimmung des Betriebsrats dazu war nicht erforderlich.
31

aa) Nach der Begriffsbestimmung des § 95 Abs. 3 BetrVG liegt eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne bei Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor. Der „Arbeitsbereich“ iSv. § 95 Abs. 3 S 1 BetrVG wird in § 81 Abs. 2 iVm. Abs. 1 S 1 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Der Begriff ist demnach räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasst neben dem Ort der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liegt vor, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, kann aus einer Änderung der Art der Tätigkeit, dh. der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, und kann mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein (BAG 17. Juni 2008 – 1 ABR 38/07–, juris).
32

bb) Danach war die Teilfreistellung des Arbeitnehmers A zum 1. Januar 2006 als bloße Arbeitszeitreduzierung von 37,5 auf 20 Wochenstunden keine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG. Für eine Versetzung fehlt es im Fall der bloßen Arbeitszeitverringerung an der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs iSd. § 95 Abs. 3 BetrVG (BAG 25. Januar 2005 – 1 ABR 59/03– Rn. 42 – juris; für die Freistellung von der Arbeit während des Laufs einer Kündigungsfrist: BAG 28. März 2000 – 1 ABR 17/99 – BAGE 94, 163, zu B II 1 der Gründe). Andere von § 99 BetrVG erfasste beteiligungspflichtige personelle Einzelmaßnahmen kommen für diese tatsächliche Anordnung der Arbeitgeberin von vorneherein nicht in Betracht.
33

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verminderung der Arbeitszeit zum 1. Januar 2006 zugleich zum Entzug eines prägenden Teils der bisher wahrgenommen Arbeitsaufgaben des Arbeitnehmers geführt hatte. Der Betriebsrat hat nicht behauptet, dass mit der Absenkung der Arbeitszeit des Arbeitnehmers A der Verlust eines seine Tätigkeiten charakterisierenden Aufgabenbereichs verbunden gewesen wäre. Dies kann auch nicht festgestellt werden, zumal der Entzug der Kurierfahrertätigkeit nur mit 46,67% der regelmäßigen arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit zu Buche schlug. Auch die Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers A hat sich ebenso wenig geändert, wie der gegebene Platz in der betrieblichen Organisation. Vielmehr übte er unstreitig mit dem nach der Teilfreistellung verbliebenen Teil der Arbeitszeit weiterhin die ihm auch zuvor mit diesem Wochenarbeitszeitanteil zugewiesenen Tätigkeiten als OPS-Clerk in der Niederlassung C aus. Die Beteiligten haben dazu keinen abweichenden Vortrag gehalten.
34

cc) Auch der Widerruf der Teilfreistellung mit Schreiben vom 13. Februar 2013 ist keine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG. Entscheidend ist, ob sich der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe und das Gesamtbild der Tätigkeit geändert haben. Der räumlich und funktional zu sehende Arbeitsbereich wird nicht durch den Umfang der Tätigkeit bestimmt. Er ändert sich nicht schon durch die Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit (BAG 25. Oktober 1994 – 3 AZR 987/03 – Rn. 44 – juris; BAG 16. Juli 1991 – 1 ABR 71/90 Rn. 24 – juris; ebenso Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG, 27. Aufl., § 99 Rz. 149).
35

Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ergibt sich nichts anderes aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Januar 2005 (- 1 ABR 59/03 – ). In dieser vom Betriebsrat angezogenen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich erkannt, dass in der Erhöhung eines arbeitsvertraglich geschuldeten Stundenvolumens keine Versetzung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt. Hinzu kommt, dass das arbeitsvertragliche Stundenvolumen des Arbeitnehmers A gar nicht erhöht worden ist, sondern die Arbeitgeberin lediglich innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenvolumens von 37,5 Wochenstunden statt nur 20 Stunden ein Mehr an Arbeitszeit zur Erbringung der Arbeitstätigkeit abgerufen hat. Eine Erhöhung eines arbeitsvertraglichen Stundenvolumens hat damit nicht stattgefunden.
36

c) Die Teilfreistellung des Arbeitnehmers A zum 1. Januar 2006 war als bloße Arbeitszeitreduzierung keine mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG. Sie wurde es auch nicht dadurch, dass gleichzeitig mit der Teilfreistellung der Entzug der Kurierfahrertätigkeit und nur noch Einsatz als OPS-Clerk erfolgte. Auch der Widerruf der Teilfreistellung und der gleichzeitige Abruf der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers A in Vollzeit als OPS-Clerk ist keine Einstellung. Eine Zustimmung des Betriebsrats dazu war nicht erforderlich.
37

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, liegt eine Einstellung vor, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Im Hinblick auf diesen Schutzzweck kommt eine Einstellung nicht nur bei der erstmaligen Eingliederung eines Mitarbeiters in den Betrieb in Betracht. Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts verlangen vielmehr eine erneute Beteiligung des Betriebsrats dann, wenn sich die Umstände der Beschäftigung – ohne dass eine Versetzung vorläge – auf Grund einer neuen Vereinbarung grundlegend ändern (BAG 25. Januar 2005 – 1 ABR 59/03– Rn. 21, 22 mwN. – juris). Eine sowohl nach Dauer als auch nach Umfang nicht unerhebliche Erweiterung der arbeitsvertraglich geschuldeten regelmäßigen Arbeitszeit eines im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers stellt eine neuerliche Einstellung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dar BAG 25. Januar 2005 – aaO. Rn26 – juris).
38

bb) Die Verminderung der Arbeitszeit des Arbeitnehmers A zum 1. Januar 2006 lässt sich schon sprachlich nicht als Einstellung verstehen. Nach dem Wortsinn verlangt eine Einstellung zwar nicht die vollständige Neueingliederung, aber zumindest einen Zuwachs an Eingliederung in den Betrieb. Das ist bei der Absenkung der Arbeitszeit nicht der Fall. Diese hat nicht eine weitergehende Eingliederung, sondern im Gegenteil eine Teil-Ausgliederung des Arbeitnehmers aus dem Betrieb zur Folge (BAG 25. Januar 2005 – 1 ABR 59/03– Rn. 45 mwN. – juris). Mangels Zuwachses an Eingliederung in den Betrieb ist auch der gleichzeitige Entzug der Kurierfahrertätigkeit keine Einstellung.
39

cc) Auch der Widerruf der Teilfreistellung und der gleichzeitige Abruf der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers A in Vollzeit als OPS-Clerk ist keine Einstellung. Zwar erfolgte damit ein Zuwachs an Eingliederung des Arbeitnehmers A in den Betrieb. Entscheidend ist jedoch, dass sich die Umstände der Beschäftigung des Arbeitnehmers A nicht auf Grund einer neuen Vereinbarung zwischen ihm und der Arbeitgeberin geändert haben und dass es nicht zu einer Erweiterung der arbeitsvertraglich (ohnehin) geschuldeten regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers A gekommen ist.
40

d) Nach Auffassung der Kammer ist auch unter Berücksichtigung der durch § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgezählten Widerspruchsgründe kein Grund ersichtlich, den (individualrechtlichen) vollständigen Abruf der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nach einer zeitweiligen Teilfreistellung als eine personelle Maßnahme iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG anzusehen. Die Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer A auch in Zeiten der Teilfreistellung als eine Vollzeitstelle besetzenden Arbeitnehmer geführt. Diese Vollzeitstelle war und ist besetzt und stand weder für eine Ausschreibung noch für eine Vergabe an einen anderen Arbeitnehmer der Beklagten zur Verfügung.
41

Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG kosten- und gebührenfrei.
42

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nach §§ 92 Abs. 1 S. 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG keine gesetzlich begründete Veranlassung.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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