LAG Hessen, 20.03.2014 – 1 Ta 379/13

Mai 2, 2019

LAG Hessen, 20.03.2014 – 1 Ta 379/13
Bei einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses innerhalb der ersten 6 Monate bemisst sich der Gegenstandswert für eine Kündigungsschutzklage in Höhe der dreifachen Bezüge, wenn der Klageantrag erkennbar auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und nicht nur die Beachtung einer Kündigungsfrist gerichtet ist und der Klagebegründung konkreter Tatsachenvortrag zu entnehmen ist, aus dem sich Unwirksamkeitsgründe für die Kündigung unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ergeben (hier Treuwidrigkeit).
Tenor:

Die Beschwerde des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Fulda vom 01. August 2013 – 3 Ca 211/13 – wird zurückgewiesen.
Gründe
1

I.

Die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine 6 Monate bestanden hat, klagte gegen die Kündigung des Beklagten mit dem Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 25. April 2013 beendet worden ist, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus zu den bisherigen Arbeitsbedingungen fortbesteht. Die Klägerin hat in ihrer Klagebegründung ausdrücklich mit auf Tatsachen gestütztem Vortrag die Treuwidrigkeit der Kündigung gemäß § 242 BGB eingewandt und im Übrigen auch die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist gerügt. Der Monatsbruttoverdienst der Klägerin bei dem Beklagten hat € 1.304,00 betragen. Ihr ist auf ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe gewährt worden.
2

Im Termin vom 01. Juli 2013 haben die Parteien einen Vergleich mit dem sich aus Bl. 14 d.A. ergebenden Inhalt geschlossen.
3

Das Arbeitsgericht hat nach vorheriger Anhörung der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten mit Beschluss vom 01. August 2013 den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit für das Verfahren und für den Vergleich auf jeweils € 3.912,00 festgesetzt. Hiergegen hat der Vertreter der Staatskasse, der im Wertfestsetzungsverfahren nicht beteiligt worden ist, unter dem 12. August 2013 Beschwerde eingereicht und beantragt, den Wert für das Verfahren und den Vergleich auf jeweils € 1.304,00 festzusetzen. Der Antrag wurde gestützt auf die Angaben im Streitwertkatalog für Kündigungen eines noch keine 6 Monate bestandenen Arbeitsverhältnis (Bl. 27 d.A.). Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26. September 2013 (Bl. 33 d.A.) der Beschwerde nicht abgeholfen.
4

II.

Die zulässige Beschwerde des Vertreters der Staatskasse, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat, hat keinen Erfolg.
5

Der Klageantrag ist mit dem dreifachen Bruttogehalt, also mit dem Betrag von € 3.912,00 zu bemessen.
6

Das Beschwerdegericht hält zwar nicht mehr an seiner langjährigen Rechtsprechung zur Bemessung von Kündigungsschutzanträgen bei Arbeitsverhältnissen, die unter 6 Monaten bestanden haben, fest. Nach dieser kam es für die Reduzierung des sich nach § 42 Abs. 2 S. 1 GKG ergebenden Betrages darauf an, ob sich aus dem Klageantrag und seiner Begründung ergab, dass nur um den zeitlich begrenzten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gestritten werden sollte (vgl. insoweit Hess. LAG vom 7. Januar 2005 – 15 Ta 688/04, zitiert nach juris; Hess. LAG vom 21. Januar 1999 – 15/6 Ta 630/98 NZA-RR 1999, 156).
7

Im Hinblick auf den von der Streitwertkommission der Arbeitsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalog (dazu näher Bader/Jörchel NZA 2013, 809 ff.) folgt die Beschwerdekammer im Interesse einer möglichst einheitlichen Wertrechtsprechung nunmehr dem Katalog und hält an ihrer oben geschilderten bisherigen Rechtsauffassung nicht mehr fest (vgl. Hess. LAG vom 16. August 2013 – 1 Ta 178/13, zitiert nach juris). Bestand das Arbeitsverhältnis noch keine 6 Monate bemisst sich der Gegenstandswert für einen Kündigungsschutzantrag nur noch in Höhe einer Bruttomonatsvergütung, wenn kein Sonderkündigungsschutz geltend gemacht wird oder andere konkrete Tatsachen erkennbar sind, die den Regelwert nach oben verändern würden. Insoweit folgt das Beschwerdegericht den Empfehlungen der Streitwertkommission zur Vereinheitlichung der Streitwerte in Arbeitsgerichtsverfahren (vgl. dazu Bader/Jörchel, NZA 2013, 809 ff dort A. I. 18.1 ). Erst bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses von über 6 Monaten bemisst sich der Gegenstandswert einer Kündigungsschutzklage in Höhe des Vierteljahresverdienstes nach § 42 Abs. 2 S. 1 GKG n.F.
8

Die geringere Bewertung des Arbeitsverhältnisses, das bei Kündigungszugang noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat, rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass ein solches Arbeitsverhältnis auch im Hinblick auf die gesetzliche Wertung in § 1 Abs. 1 KSchG in typisierender Betrachtung generell „noch nicht so viel wert“ ist (vgl. Bader/Jörchel a.a.O).
9

Macht der gekündigte Beschäftigte jedoch Sonderkündigungsschutz geltend oder beruft er sich mit einem auf konkrete Tatsachen gestützten Vortrag auf Unwirksamkeitsgründe einer Kündigung, die auch in einem noch keine 6 Monate bestehenden Arbeitsverhältnis eingewandt werden können, ist es nicht gerechtfertigt, den Streitgegenstandswert einer solchen Klage auf ein Monatsgehalt zu begrenzen. Für solche Fälle bemisst er sich im Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG n.F. mit dem für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelt (vgl. Bader/Jörchel a.a.O. S. 812).
10

Vorliegend hat die Klägerin unter Darlegung konkreter Tatsachen die Treuwidrigkeit der Kündigung eingewandt. Sie hat Umstände geschildert, die dem Anwendungsbereich der sittenwidrigen bzw. treuwidrigen Kündigung unterfallen. Ob die Klägerin mit der von ihr behaupteten Begründung die Kündigung mit Erfolg hätte angreifen können, ist für die Bemessung des Streitwerts der Klage nicht von Bedeutung.
11

Dementsprechend ist im konkret zu entscheidenden Fall ein Abweichen vom Wertansatz für einen Kündigungsschutzantrag in einem noch keine 6 Monate bestehenden Arbeitsverhältnis gerechtfertigt.
12

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da eine Gerichtsgebühr nicht erhoben wird und Kosten nicht erstattet werden (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG).
13

Es besteht nicht die Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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