LAG Hessen, 22.08.2018 – 18 TaBV 106/18

März 22, 2019

LAG Hessen, 22.08.2018 – 18 TaBV 106/18
Orientierungssatz:

Anspruch des Gesamtbetriebsrats auf Durchführung eines Sozialplans durch die Arbeitgeberin mit dem vereinbarten Inhalt bei Dissens um den Anwendungbereich einer Kappungsregel. In dem zulässigen Beschlussverfahren ist die Auslegung einer konkreten Sozialplanbestimmung dann Vorfrage. Die Zulässigkeit des Feststellungsantrags im Beschlussverfahren wird nicht dadurch begrenzt, dass dieselbe Auslegungsfrage auch die Kernfrage von Individualansprüchen der Arbeitnehmer gegen die Arbeitgeberin bildet (Argument der faktischen Prozessstandschaft des Betriebsrats). Eine rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren über die inhaltlich richtige Durchführung (und damit Auslegung) eines Sozialplans ist für Individualverfahren zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bindend (vgl. BAG 17.02.1992 – 10 AZR 448/91). Die Kammer hat daher deshalb die Verhandlung in “parallelen” Urteilsverfahren nach § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Beendigung oder Erledigung des Beschlussverfahrens ausgesetzt.
Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 02. Februar 2018 – 14 BV 1/17 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die dem Regelungswillen entsprechende Durchführung eines Sozialplans, wobei unterschiedliche Auffassungen dazu bestehen, ob mögliche Zuschläge von der vereinbarten Deckelung der Sozialplanabfindung erfasst werden.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) ist ein Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen auf dem Gebiet der Informationstechnologie. Sie firmierte bis 30. Mai 2018 als A und ist das deutsche Tochterunternehmen einer US-amerikanischen AG. Der Antragsteller ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Gesamtbetriebsrat.

Ab September 2016 war bekannt, dass die Arbeitgeberin plante, deutschlandweit Standorte zu schließen und ihre Organisation neu zu strukturieren. Die Arbeitgeberin verhandelte mit dem Gesamtbetriebsrat über die Umstrukturierung. Nachdem die Arbeitgeberin die Verhandlungen am 16. Dezember 2016 für gescheitert erklärte, wurde am 06. Februar, 09. Februar und 17. Februar 2017 vor der Einigungsstelle verhandelt. Am 17. Februar 2017 schlossen die Beteiligten in der Einigungsstelle eine “Gesamtbetriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich” (vgl. Anlage AS1 zur Antragsschrift; Bl. 59-64 d.A., Protokollnotiz Bl. 81 f. d.A.) und eine “Gesamtbetriebsvereinbarung zum Sozialplan” (folgend: GBV SP).

Zur Wiedergabe des Inhalts der GBV SP wird auf die Anlage AS2 zur Antragsschrift Bezug genommen (Bl. 85-92 d.A.). Hervorzuheben sind folgende Regelungen:

“A. Allgemeines

(…)

II. Geltungsbereich

1. Sachlicher Geltungsbereich

Dieser Sozialplan gilt sachlich als Ausgleich für die im Interessenausgleich vom 17. Februar 2017 beschriebenen Maßnahmen.

2. Räumlicher Geltungsbereich

Dieser Sozialplan gilt räumlich für sämtliche Betriebe der A.

3. Persönlicher Geltungsbereich

Dieser Sozialplan gilt persönlich für alle bei der A beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG, die von einer im Interessenausgleich vom 17. Februar 2017 beschriebenen Maßnahme betroffen sind und

die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Sozialplans in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis mit der A stehen;

die einen vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrag unterschreiben/unterschrieben haben (…).

B. Leistungen zum Ausgleich der Nachteile

(…)

III. Leistungen bei Ausscheiden

1. Abfindung

(1) Jeder anspruchsberechtigte Arbeitnehmer erhält eine Abfindungszahlung nach den nachfolgenden Vorschriften.

(2) Die Abfindungszahlung wird nach folgender Formel berechnet:

Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt x Lebensalter/41

(3) Die zu Grunde zu legende Betriebszugehörigkeit ist der Zeitraum zwischen dem Beginn des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers (individuelle Vereinbarungen über die Betriebszugehörigkeit sind zu berücksichtigen) und dem 31. März 2017. Die Betriebszugehörigkeit wird auf volle Jahre aufgerundet.

(4) Das zu Grunde zu legende Bruttomonatsgehalt berechnet sich wie folgt:

(…)

(5) Das zu Grunde zu legende Lebensalter wird zum 31. März 2017 berechnet. Das Ergebnis wird auf volle Jahre abgerundet.

(6) Die Abfindung beträgt mindestens EUR 10.000,00 brutto, maximal EUR 300.000,00 brutto. Voraussetzung für den Mindestbetrag ist das Bestehen von Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz.

(7) Die Abfindung erhöht sich für jedes zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung/des Aufhebungsvertrages auf der Lohnsteuerkarte/-bescheinigung eingetragene unterhaltsberechtigte Kind um EUR 4.500,00 (Kinderzuschlag). Soweit auf der Lohnsteuerkarte/-bescheinigung ein “halbes Kind” eingetragen ist, erfolgt die Abfindungserhöhung in voller Höhe, es sei denn, beide Elternteile befinden sich in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber und beider Elternteile sind abfindungsberechtigt. Im letztgenannten Falle erfolgt die Abfindungserhöhung anteilig. Stichtag für die Anspruchsberechtigung ist der 31. März 2017.

(8) Für schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGV IX und Gleichgestellten erhöht sich die Abfindung um EUR 200,00 brutto je Grad der Behinderung (Behindertenzuschlag).

(9) Die insgesamt nach den vorstehenden Absätzen zu zahlende Abfindung beträgt maximal 100% der Gesamt-Bruttobezüge inkl. 100% der variablen Vergütung, die dem Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum frühestmöglichen Bezug ungeminderter gesetzlicher Altersrente zu zahlen gewesen wäre.

(…)”

Wie zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nicht mehr umstritten war, hatte die Arbeitgeberin bei den Verhandlungen über einen Sozialplan zur Berechnung der Abfindungen eine Formel vorgeschlagen, welche sie als “Impala”-Formel bezeichnet. Zur Wiedergabe der graphischen Darstellung dieser Formel wird auf die Anlage Ag1 zur Antragserwiderung Bezug genommen (Bl. 129 d.A.). Der Gesamtbetriebsrat hatte am Abend des 07. Februar 2017 einen ausformulierten Sozialplanentwurf vorgelegt (vgl. E-Mail von Rechtsanwalt Jasper vom 07. Februar, Anlage AS7 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 29. Januar 2018, Bl. 212 d.A.). Die Arbeitgeberin unterbreitete ein Gegenangebot auf der Grundlage des Vorschlags, in dem sie diesen teilweise abänderte. So minderte sie z.B. die Deckelung der Abfindung in B. III. 1. Abs. 6 Sozialplan-Entwurf von 320.000,00 € auf 300.000,00 € (vgl. Anlage AS8 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 29. Januar 2018, Bl. 215-221 d.A.). Die endgültige Fassung der GBV SP wurde in der Verhandlung vor der Einigungsstelle am 17. Februar 2017 vereinbart, indem weitere Änderungen an dem bereits überarbeiteten, ursprünglichen Entwurf vorgenommen wurden (vgl. “finaler Entwurf” als Anhang zur E-Mail von Rechtsanwältin B vom 17. Februar 2017, Anlage AS11 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 29. Januar 2018, Bl. 230-233 d.A.).

In der Folge vertrat die Arbeitgeberin gegenüber abfindungsberechtigten Arbeitnehmern die Auffassung, die Begrenzung der Abfindungssumme auf 300.000,00 € nach B. III. 1. Abs. 6 GBV SP schließe auch die in B. III. 1. Abs. 7 und Abs. 8 GBV SP geregelten Zuschläge ein. Auch diese seien in die Kappung einzubeziehen.

Der Gesamtbetriebsrat forderte die Arbeitgeberin mit E-Mail vom 21. Juni 2017 auf zu bestätigen, dass die “Sozialzuschläge” nach B. III. 1. Abs. 7 und Abs. 8 GBV SP zu der auf 300.000,00 € gedeckelten Abfindung hinzutreten könnten und nicht anzurechnen seien. Für den Fall, dass die Arbeitgeberin davon ausgehe, dass die Sozialplanabfindung insgesamt auf 300.000,00 € begrenzt sei, kündigte der Gesamtbetriebsrat an, ein Beschlussverfahren einzuleiten, dass die GBV SP mit dem Inhalt durchzuführen sei, dass sich die Deckelung nicht auf die Zuschläge beziehe (Anlage AS3 zur Antragsschrift, Bl. 93 f. d.A.). Die Arbeitgeberin erklärte durch E-Mail vom 29. Juni 2017 ihre Auffassung, dass B. III. 1. Abs. 6 GBV SP die Sozialplanabfindungen insgesamt begrenze (Anlage AS4 zur Antragsschrift, Bl. 95 d.A.).

Der Gesamtbetriebsrat beantragte am 03. Juli 2017 bei dem Arbeitsgericht Wiesbaden die Feststellung, dass die GBV SP in der Weise durchzuführen sei, dass sich die Begrenzung einer Abfindung auf 300.000,00 € nur auf die in B. III. 1. Abs. 2 bis Abs. 5 GBV SP geregelten Abfindungsbestandteile beziehe.

Der Gesamtbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, sein Antrag sei zulässig. Die Frage, mit welchem Inhalt die GBV SP durchzuführen sei, betreffe eine Verpflichtung aus dem zwischen der Arbeitgeberin und ihm bestehenden Rechtsverhältnis, für dessen Inhalt die Auslegung der GBV SP eine Vorfrage darstelle. Es bestehe ein rechtliches Interesse an der Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO), da die Arbeitgeberin beabsichtige, die GBV SP in einer anderen Auslegung anzuwenden. Er sei antragsbefugt. Er verfolge nicht die Individualinteressen einzelner Arbeitnehmer, sondern die Durchsetzung eines eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Durchführungsanspruchs.

Der Gesamtbetriebsrat hat geltend gemacht, der Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung stehe ihm aus eigenem Recht zu. Er sei Partei des Sozialplans und zu dessen Abschluss nach § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig gewesen. Es habe ein zwingendes Bedürfnis für eine betriebsübergreifende Regelung bestanden, da eine unternehmensweite Umstrukturierung mit grundlegender Organisationsänderung erfolgt sei, bei der betriebsübergreifende Personalentscheidungen in Zusammenhang mit der Schließung einzelner und der Fortführung anderer Betriebe standen.

Der Gesamtbetriebsrat hat die Ansicht vertreten, die GBV SP sei von der Arbeitgeberin auch in der beantragten Form durchzuführen. Dies folge bereits aus dem Wortlaut der Abfindungsregelung. B. III. 1. Abs. 6 GBV SP begrenze “die Abfindung” auf max. 300.000,00 €. B. III. 1. Abs. 7 und 8 GBV SP besagten, dass “die Abfindung” um die jeweiligen Zuschläge “erhöht” werde. B. III. 1. Abs. 9 GBV SP stelle dann abschließend klar, dass “die insgesamt nach den vorstehenden Absätzen zu zahlende Abfindung” maximal 100 % der Bruttobezüge betrage, die dem Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum frühestmöglichen Bezug einer ungeminderten gesetzlichen Altersrente zu zahlen gewesen wäre. Auch die Systematik der GBV SP bestätige das Verständnis, dass die Sozialzuschläge in den Abs. 7 und 8 zu der nach B. III. 1. Abs. 6 GBV SP auf max. 300.000,00 € brutto gedeckelten Abfindung addiert werden dürften. Eine abschließende Begrenzung der Abfindungshöhe sei nur in B. III. 1. Abs. 9 GBV SP geregelt. Dies entspreche dem Sinn und Zweck der Sozialzuschläge, eine besondere Belastung wegen Schwerbehinderung oder durch Unterhaltspflichten für Kinder auszugleichen. Dieser Zweck würde nicht erreicht, wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer mit Kindern maximal dieselbe Abfindungshöhe erreichen könne wie ein Kollege, der kinderlos und nicht schwerbehindert sei.

Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Sozialplan vom 17.02.2017 in der Weise durchzuführen, dass sich die Begrenzung einer Abfindung auf 300.000,00 € gemäß Ziff. B. III.1. Abs. 6 des Sozialplanes ausschließlich auf den nach Ziff. B. III.1. Abs. 2 bis 5 des Sozialplans zu berechnenden Abfindungsbetrag bezieht.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, dass der Antrag des Gesamtbetriebsrats bereits unzulässig sei. Die von ihm begehrte Auslegung der GBV SP betreffe ausschließlich Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer und somit deren Individualansprüche, für welche der Gesamtbetriebsrat keine Antragsbefugnis besitze.

Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin geltend gemacht, dass der Antrag unbegründet sei. Sie hat behauptet, die Deckelung einer Abfindung auf maximal 300.000,00 € sei zu jedem Zeitpunkt Gegenstand und “Geist” der Verhandlungen um Interessenausgleich und Sozialplan gewesen. Die Parteien hätten bei den Sozialplanverhandlungen immer auf die frühere Abfindungsformel “Impala” Bezug genommen, die ebenfalls eine Begrenzung bei 300.000,00 € vorsah. Die Arbeitgeberin hat sich dazu auf das selbst für eigene Zwecke gefertigte Protokoll der Verhandlung vor der Einigungsstelle vom 06. Februar 2017 berufen (vgl. Anlage Ag2 zur Antragserwiderung, Bl. 130-135 d.A.). Sie hat behauptet, sie habe bei den Verhandlungen deutlich gemacht, dass eine Einigung nur bei einer Deckelung auf 300.000,00 € einschließlich aller Zuschläge in Betracht komme, da kein höheres Budget zur Verfügung gestanden habe.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat durch Beschluss vom 02. Februar 2018 festgestellt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die GBV SP entsprechend dem Antrag des Gesamtbetriebsrats durchzuführen. Der Antrag des Gesamtbetriebsrats sei zulässig, er habe einen Anspruch darauf, dass die Betriebsvereinbarung so durchgeführt werde, wie sie abgeschlossen wurde. Nach Wortlaut und Systematik der auszulegenden GBV SP seien zwei unterschiedliche Begrenzungen geregelt worden, von der die Deckelung auf 300.000,00 € würden die erst in den Absätzen 7 und 8 folgenden Zuschläge nicht erfasst. Dafür würden auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen. Soweit die Arbeitgeberin sich auf den “Geist” der Sozialplanverhandlungen berufe, finde dieser keinen Niederschlag in dem abgeschlossenen Sozialplan. Sie habe zudem nicht explizit behauptet, dass man sich auf eine die Zuschläge einbeziehende Begrenzung entsprechend ihrem Willen auch tatsächlich geeinigt habe.

Zur vollständigen Darstellung der Gründe und des weiteren Vorbringens der Beteiligten im ersten Rechtszug wird auf den Beschluss Bezug genommen (Bl. 237-243 d.A.).

Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 20. April 2018 zugestellten Beschluss mit am 18. Mai 2018 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangener Beschwerdeschrift Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin ging am 20. Juli 2018 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht ein, nachdem sie rechtzeitig die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zu diesem Zeitpunkt beantragt hatte.

Mit der Beschwerde macht die Arbeitgeberin geltend, dass das Arbeitsgericht die GBV SP ohne Berücksichtigung der Umstände der Sozialplanregelung, des dahinter stehenden Gesamtzusammenhangs und dem Sinn und Zweck der Regelung ausgelegt habe. Es habe ihren Vortrag übergangen, nach dem bei den Verhandlungen ständig auf die bekannte und bewährte “Impala”-Formel als zentralem Verhandlungsgegenstand Bezug genommen wurde. Außerdem sei nach Sinn und Zweck des Sozialplanes davon auszugehen, dass die Verhandlungen gescheitert wären, wenn man sich darauf geeinigt hätte, die Deckelung von 300.000,00 € zu überschreiten.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 02. Februar 2018 – 14 BV 1/17 – abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Gesamtbetriebsrat beantragt,

die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise diese zurückzuweisen.

Der Gesamtbetriebsrat rügt, die Arbeitgeberin setze sich mit der Begründung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses nicht ausreichend auseinander. Sie gehe nicht konkret auf die Ausführungen ein und wiederhole nur ohne Bezug auf diese ihr Vorbringen. Im Übrigen verteidigt der Gesamtbetriebsrat die angegriffene Entscheidung.

Zur vollständigen Darstellung des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift der Anhörung vom 22. August 2018 (Bl. 294 d.A.) verwiesen.

Die Kammer hat den Anhörungstermin im Einverständnis mit den Beteiligten kurzfristig am selben Sitzungstag durchgeführt, an welchem drei Individualverfahren von früheren Arbeitnehmern der Arbeitgeberin verhandelt worden sind, welche schon länger terminiert waren. In diesen ist um die Zahlung von Zuschlägen wegen Schwerbehinderung und/oder Unterhaltspflicht für Kinder gestritten worden, welche die Arbeitgeberin bei der Abfindungsberechnung nicht berücksichtigte, weil die klagenden Arbeitnehmer bereits ohne Zuschläge die Maximalabfindung von 300.000,00 € erreichten. In diesen Individualrechtsstreiten mit den Az. 18 Sa 451/18 (Arbeitsgericht Wiesbaden Az. 7 Ca 414/17), 18 Sa 526/18 (Arbeitsgericht Wiesbaden Az. 6 Ca 503/17), und 18 Sa 677/18 (Arbeitsgericht Wiesbaden Az. 2 Ca 4440/17), hat die Kammer am 22. August 2018 Aussetzungsbeschlüsse verkündet, da sie von einer Vorgreiflichkeit dieses Beschlussverfahrens ausgeht.

II.

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig.

Sie ist gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 87 Abs. 2 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, 89 Abs. 2 S. 1 ArbGG).

Entgegen der Ansicht des Gesamtbetriebsrats genügt die Beschwerdebegründung den Anforderungen nach § 89 Abs. 2 S. 2 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung ist die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Die Beschwerdebegründung muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Beschlusses befassen. Allgemeine, formelhafte Wendungen genügen hierfür nicht. Auch darf sich der Beschwerdeführer nicht darauf beschränken, seine Rechtsausführungen aus den Vorinstanzen zu wiederholen (BAG Beschluss vom 30. Oktober 2012 – 1 ABR 64/11 – NZA 2013, 287, Rz. 11).

Diesen Anforderungen wird die Begründung noch gerecht. Die Arbeitgeberin rügt, dass das Arbeitsgericht die Auslegungsregeln nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht zutreffend angewandt habe. Denn das Gericht habe bei Prüfung des Gesamtzusammenhangs ihren umfangreichen Vortrag zum “Geist” der Sozialplanverhandlungen nicht berücksichtigt und bei der Prüfung von Sinn und Zweck der Regelung außer Acht gelassen, dass die Verhandlungen gescheitert wären, wenn nicht die Sozialplandeckelung nach der “Impala”-Formel bei 300.000,00 € vereinbart worden wäre. Da das Arbeitsgericht auf den “Gesamtzusammenhang” der GBV SP nicht eingegangen ist und zu Sinn und Zweck der Zuschläge nur den Ausgleich von Belastungen angeführt hat, genügt dies. Die Berechtigung dieser Argumente betrifft die Begründetheit der Beschwerde.

2. Die Beschwerde ist ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die GBV SP in einer Weise durchzuführen, dass sich die Begrenzung der Abfindung auf 300.000,00 € nach B. III. 1. Abs. 6 GBV SP ausschließlich auf den nach B. III. Abs. 2 bis Abs. 5 GBV SP zu berechnenden Abfindungsantrag bezieht. Da Zuschläge die Abfindung von 300.000,00 € noch erhöhen können, führt die Arbeitgeberin die Betriebsvereinbarung fehlerhaft durch, wenn sie in Anwendung der Kappungsgrenze nach B. III. 1. Abs. 6 GBV SP an keinen ausscheidenden Arbeitnehmer eine 300.000,00 € übersteigende Abfindung zahlt.

a) Der Antrag des Gesamtbetriebsrats ist zulässig.

aa) Die Frage, wie eine Betriebsvereinbarung durchzuführen ist, betrifft ein Rechtsverhältnis, für dessen Inhalt die Auslegung der Betriebsvereinbarung lediglich eine Vorfrage darstellt (vgl. BAG Beschluss vom 18. Mai 2010 – 1 ABR 6/09 – NZA 2010, 1433, Rz. 12; BAG Beschluss vom 20. Januar 2009 – 1 ABR 78/07 – AP Nr. 44 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung, Rz. 29). Betriebspartner können daher einen Streit, mit welchem Inhalt eine Betriebsvereinbarung durchzuführen ist, im Wege eines Feststellungsantrags im Beschlussverfahren klären lassen. Der Auslegungsstreit als Vorfrage muss den Inhalt der in der Betriebsvereinbarung getroffenen Abreden betreffen (BAG Beschluss vom 20. Januar 2009 – 1 ABR 78/07 – AP Nr. 44 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung, Rz. 29; BAG Beschluss vom 18. Januar 2008 – 3 ABR 21/04 – NZA 2006, 167 [BAG 18.01.2005 – 3 ABR 21/04], Rz. 37).

Der Gesamtbetriebsrat macht geltend, dass B. III. 1. Abs. 6 GBV SP so auszulegen sei, dass sich die dort geregelte Begrenzung auf eine Höchstabfindung von 300.00,00 € nur auf eine nach B. III. 1. Abs. 2 bis Abs. 5 GBV SP berechnetet Abfindung bezieht. Demgegenüber ist die Arbeitgeberin der Auffassung, dass die in B. III. 1. Abs. 6 GBV SP bestimmte Kappung sämtliche Abfindungsbestandteile einschließt, also auch mögliche Zuschläge nach B. III. 1. Abs. 7 und Abs. 8 GBV SP.

Damit streiten die Beteiligten darüber, mit welchem Inhalt die GBV SP durchzuführen ist. Dies betrifft ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Dabei wirkt sich der Auslegungsdissens als Vorfrage immer aus, wenn die Arbeitgeberin Abfindungen solcher Mitarbeiter berechnet, die bei Ausscheiden nach Betriebszugehörigkeit, Bruttomonatsgehalt, Lebensalter und Beschäftigungsvolumen eine Abfindung von 300.000,00 € oder mehr erreichen, so dass ihnen trotz Schwerbehinderung und/oder Unterhaltspflichten gegenüber Kindern keine Zuschläge wegen dieser Belastungen gezahlt werden.

bb) Dies kann nicht anders bewertet werden, weil es sich bei der durchzuführenden Betriebsvereinbarung um einen Sozialplan handelt und die Vorfrage der Auslegung auch Individualansprüche der Arbeitnehmer betrifft.

(1) Das BAG hat in früheren Beschlüssen ausgeführt, dass Meinungsverschiedenheiten darüber, ob und in welcher Höhe Arbeitnehmern Ansprüche aus einem Sozialplan zustehen, bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Nachwirkungen beträfen und der Anspruch eines Betriebsrats auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung nicht die Befugnis einschließe, vom Arbeitgeber aus eigenem Recht die Erfüllung von Ansprüchen der Arbeitnehmer aus der Betriebsvereinbarung zu verlangen (BAG Beschluss vom 17. Oktober 1989 – 1 ABR 75/88 – NZA 1990, 441, Rz. 24, 26; BAG Beschluss vom 17. Oktober 1989 – 1 ABR 31/87 (B) – NZA 1990, 399, Rz. 40). Maßgeblich sei, ob sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner beziehe. Die Arbeitnehmer könnten nicht die Kosten für die Geltendmachung ihrer Individualrechte durch Einschaltung des Betriebsrats auf den Arbeitgeber abwälzen. Für die Abgrenzung seien auch nicht die Formulierungskünste des Antragstellers ausschlaggebend, entscheidend sei, was der Betriebsrat “mit seinem Antrag letztlich begehrt” (BAG Beschluss vom 17. Januar 2005 – 3 ABR 21/04 – NZA 2006, 167 [BAG 18.01.2005 – 3 ABR 21/04], Rz. 35 f.).

Zunächst ist festzuhalten, dass der Gesamtbetriebsrat keine Leistung an diejenigen Arbeitnehmer fordert, die wegen ihrer Schwerbehinderung oder unterhaltspflichtigen Kindern zuschlagsberechtigt sind, diese aber wegen der Anwendung der Kappungsgrenze durch die Arbeitgeberin nicht erhalten. Darüber hinaus kann aber nicht verneint werden, dass sich der Inhalt der bei der Kammer anhängigen Individualverfahren betroffener Arbeitnehmer in Bezug auf die Auslegung von B. III. 1. Abs. 6 GBV SP nicht vom Inhalt dieses Beschlussverfahrens unterscheidet. Die Beschwerdebegründung und die Berufungsbegründungen der in allen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden unterlegenen Arbeitgeberin weichen kaum voneinander ab. Geht man darüber hinaus davon aus, dass eine rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung auch gegenüber Arbeitnehmern wirkt, die Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung geltend machen (für einen Sozialplan: BAG Urteil vom 17. Februar 1992 – 10 AZR 448/91 – NZA 1992, 999, Rz. 27 ff.), so lässt sich argumentieren, dass der Gesamtbetriebsrat vom Ergebnis her betrachtet auch Individualrechte der Arbeitnehmer geltend macht.

(2) Es wird daher vertreten, dass wegen der unmittelbar und zwingenden Wirkung von Sozialplanbestimmungen für die von dem Geltungsbereich erfassten Arbeitsverhältnisse (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) der kollektive Durchführungsanspruch des Betriebsrats ausscheide oder zu beschränken sei (ausdrücklich: Willemsen/Hohenstatt, NZA 1997, 345, 346 [BSG 12.03.1996 – 1 RK 11/94]; unklar: GK-BetrVG/Oetker, 11. Aufl., §§ 112, 112a Rz. 161; Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 4. Aufl., §§ 112, 112a Rz. 24; Richardi, BetrVG, 13. Aufl., § 112 Rz. 173; Düwell, BetrVG, 3. Aufl., §§ 112, 112a Rz. 63; befürwortend: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 16. Aufl., §§ 112, 112a Rz. 225; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 29. Aufl., §§ 112, 112a Rz. 338).

Hiergegen ist anzuführen, dass § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG nicht nur auf Sozialpläne anzuwenden ist. Für Sozialpläne kann lediglich davon ausgegangen werden, dass häufiger die Auslegungsfrage zu Individualansprüchen der Arbeitnehmer mit der Auslegungsvorfrage bei einem kollektivrechtlichen Streit um die Durchführung der Betriebsvereinbarung übereinstimmt. Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass in Sozialplänen naturgemäß insbesondere Ansprüche der Arbeitnehmer geregelt seien. Dies bietet aber keinen dogmatischen Ansatz, den Durchführungsanspruch eines Betriebsrats in Bezug auf Sozialpläne zu beschränken, wenn sich ein Streit der Betriebspartner über den Inhalt des gemeinsam Vereinbarten auch bei den Individualansprüchen der Arbeitnehmern aus dem Sozialplan auswirkt. Für diese Bewertung lässt sich der Beschluss des BAG vom 18. Mai 2010 (- 1 ABR 6/09 – NZA 2010, 1433 [BAG 18.05.2010 – 1 ABR 6/09]) heranziehen, in welchem der Antrag auf Feststellung, mit welchem Inhalt ein Konzernsozialplan durchzuführen sei, als zulässig angesehen und lediglich die Antragsbefugnis des Betriebsrats verneint wurde, welcher den Konzernsozialplan nicht abgeschlossen hatte.

(3) Schließlich sind auch die Bedenken gegen eine faktische Prozessführung durch den Betriebsrat statt durch einzelne Arbeitnehmer und eine Verschiebung der Verfahrenskosten nicht überzeugend. Haben die Betriebspartner eine Regelung geschaffen, über deren Inhalt später keine Einigkeit mehr besteht, kann es sinnvoll sein, im Beschlussverfahren mit den Normsetzungsgebern als Beteiligten aufzuklären und festzustellen, wie die Regelung zu verstehen ist.

Sowohl der Arbeitgeber als auch diejenigen Arbeitnehmer, die sich des geregelten Anspruchs berühmen, werden sich an der der Auslegung (als Vorfrage) im Beschlussverfahren orientieren. Dadurch können Urteilverfahren verringert werden oder ganz wegfallen, insbesondere wenn man von einer materiellen Abhängigkeit der individualrechtlichen Ansprüche von Entscheidungen über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung ausgeht (BAG Urteil vom 17. Februar 1992 – 10 AZR 448/91 – NZA 1992, 999, Rz. 28). Außerdem ist nicht erkennbar, warum dem Vertragspartner einer Betriebsvereinbarung verwehrt werden sollte geltend zu machen, dass diese gegen den Inhalt der Übereinkunft durchgeführt wird.

Andererseits dürfte die geschilderte Konstellation nur einen geringen Teil der individualrechtlichen Rechtsstreite betreffen, die um die Anspruchsberechtigung für oder die Höhe einer Sozialplanabfindung oder sonstiger Nachteilsausgleichsleistungen geführt werden. Aus der Sicht der Kammer bilden solche Fälle eine Ausnahme und nicht die Regel, bei denen die klagenden Arbeitnehmer erheblich vortragen, dass ihr Verständnis von der richtigen Auslegung einer Sozialplanbestimmung von dem vertragsschließenden Betriebsrat geteilt wird, der bestätigen kann, dass es eine bewusste Einigung zu der streitigen Frage mit dem Arbeitgeber gab.

cc) Der Gesamtbetriebsrat hat das § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten gerichtlichen Feststellung. Die Arbeitgeberin wendet die GBV SP in anderer als der vom Antragsteller für richtig gehaltenen Auslegung an. Dies wird durch die vor der Kammer geführten Individualverfahren belegt. Darüber hinaus ist noch ein weiteres Verfahren eines Arbeitnehmers vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden anhängig. Daraus folgt, dass die vollständige Leistung der den Arbeitnehmern der Arbeitgeberin nach B. III. 1. GBV SP zustehenden Abfindung noch nicht abgeschlossen ist.

dd) Der Antrag ist hinreichend bestimmt i.S.d. § 252 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Dissens um die richtige Durchführung der GBV SP in Bezug auf die Anwendung der in B. III. 1. Abs. 6 GBV SP geregelten Kappung der Abfindung wird durch den Anfang genau beschrieben und vollständig erfasst.

ee) Der Gesamtbetriebsrat ist antragsbefugt. Er hat geltend gemacht, als Vertragspartner selbst Träger des Durchführungsanspruchs zu sein. Nach seinem Vorbringen verfolgt er nicht die Individualinteressen einzelner Arbeitnehmer.

b) Der Antrag ist auch begründet.

aa) Der Gesamtbetriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin aus eigenem Recht einen Anspruch auf Durchführung der GBV SP. Er hat diese in originärer Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 BetrVG geschlossen. Nach der durch den Inhalt der Gesamtbetriebsvereinbarung zum Interessenausgleich bestätigten Darlegung des Gesamtbetriebsrats betrafen die Betriebsänderungen zumindest mehrere Betriebe des Unternehmens und erforderten wegen der erheblichen Umorganisation durch Zusammenfassung der Arbeitnehmer in einer geringeren Zahl von Betrieben mit teilweise erheblichen Versetzungen einheitliche Kompensationsregelungen (vgl. BAG Urteil vom 11. Dezember 2001 – 1 AZR 193/01 – NZA 2002, 688, Rz. 40).

bb) Die GBV SP ist in Übereinstimmung mit der Auslegung des Gesamtbetriebsrats durchzuführen. Nur damit wird dem in ihr niedergelegten Willen der Betriebspartner Rechnung getragen.

(1) Sozialpläne sind als Betriebsvereinbarungen eigener Art (§ 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG) nach ständiger Rechtsprechung des BAG wegen ihrer normativen Wirkungen wie Tarifverträge auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (BAG Urteil vom 26. September 2017 – 1 AZR 137/15 – AP Nr. 236 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 11; BAG Urteil vom 05. Mai 2015 – 1 AZR 826/13 – AP Nr. 229 zu § 112 BetrVG 1972, Rz. 18).

(2) Für ein Verständnis von B. III. 1. GBV SP, wonach zunächst eine Grundabfindung ermittelt wird, diese auf maximal 300.000,00 € brutto gekappt wird, aber noch Zuschläge erhöhend hinzutreten können, sprechen sowohl der Wortlaut als auch die Systematik der Abfindungsregelung.

Abs. 1 stellt klar, dass die Abfindung nach den nachfolgenden Bestimmungen ermittelt wird. Die Berechnung der so bezeichneten “Abfindungszahlung” ergibt sich dann aus Abs. 2 bis Abs. 5. Anschließend bestimmt Abs. 6, dass der aus den individuellen Daten des/der Mitarbeiter/in und der festgelegten Formel errechnete Betrag, bezeichnet als “Abfindung”, auf einen Mindestbetrag erhöht werden kann und auf einen Höchstbetrag beschränkt wird. Erst danach bestimmen Abs. 6 und Abs. 7, dass “die Abfindung” sich unter bestimmten Voraussetzungen um einen Zuschlag “erhöht”. In Abs. 9 wird schließlich festgelegt, dass eine “insgesamt nach den vorstehenden Absätzen zu zahlende Abfindung” durch die Höhe des Verdienstes begrenzt wird, den der/die Mitarbeiter/in bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt eines ungekürzten Rentenbezug oder zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf beziehen wird.

Die sprachliche Differenzierung zwischen einer “Abfindung” in Abs. 6 und der “insgesamt (…) zu zahlende(n) Abfindung” in Abs. 9 ist dafür anzuführen, dass nur in Abs. 9 eine Begrenzung erfolgen sollte, die jegliche Abfindung erfasst.

Dies ergibt sich auch aus dem systematischen Aufbau der Bestimmung. Hätten die Betriebspartner beabsichtigt, die möglichen Zuschläge wegen einer Unterhaltsverpflichtung für Kinder oder wegen einer Schwerbehinderung auf eine Maximalabfindung von 300.000,00 € anzurechnen, hätte es nahegelegen, zunächst alle Faktoren zur Ermittlung der Abfindung zu regeln. Die Reihenfolge der Abs. 6, 7 und 8 wäre dann (bei Beibehaltung der gewählten Nummerierung) Abs. 7, Abs. 8 und dann erst Abs. 6 gewesen. Zudem wäre zu erwarten, dass die zweifache Begrenzung durch einen absoluten Höchstbetrag (300.000,00 €) und einen individuellen Höchstbetrag (maximal noch zu erzielendes Arbeitseinkommen) gemeinsam geregelt worden wäre. Dagegen ist die Trennung der Kappungsgrenzen für die Absicht anzuführen, die absolute Deckelung auf einen Abfindungsbetrag zu beschränken, der nicht zwingend abschließend ist, dies aber für die individuelle Kappung vorzusehen.

(3) Das Vorbringen der Arbeitgeberin führt zu keiner abweichenden Auslegung.

Aus dem von der Arbeitgeberin vorgelegten Protokoll der Verhandlung vor der Einigungsstelle am 06. Februar 2017 (Anlage Ag2 zur Antragserwiderung, Bl. 130-135 d.A.) folgt, dass die Arbeitgeberseite die Abfindungen nach der “Impala”-Formel bei 300.000,00 € deckeln wollte. Dies entspricht auch der grafischen Darstellung der “Impala”-Formel, bei welcher die Zuschläge in die Deckelung auf 300.000,00 € einbezogen sind (Anlage Ag1 zur Antragserwiderung, Bl. 129 d.A.).

Die Arbeitgeberin hat aber nicht darlegen können, dass sie eine Einigung erzielte, ohne einen Kompromiss einzugehen. Die vorgelegten Entwürfe des Sozialplans setzten zwar die “Impala”-Formel bei der Berechnung des individuellen Abfindungsanspruchs um. Die Abweichung besteht aber darin, dass die Zuschläge nach der hier vorgenommenen Auslegung nicht erfasst werden. Danach kann zum einen festgestellt werden, dass die “Impala”-Formel vereinbart wurde und die Arbeitgeberin aber andererseits das von ihr dargelegte Ziel in den Sozialplanverhandlungen insoweit nur mit einer Einschränkung erreichte. Dies ist die sich seit dem ersten Sozialplanentwurf aus Wortlaut und Systematik ergebende Trennung der Zuschläge von der Deckelung auf 300.000,00 €, die neben der Berechnung der Abfindung einen Bestandteil der “Impala”-Formel bildet.

Daneben gehören der “Geist” einer Sozialplanregelung, sowie ihr “dahinterliegender Gesamtzusammenhang” gerade nicht zu den Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei einer Auslegung zu berücksichtigen sind. Der subjektive Regelungswille der Betriebspartner darf nur berücksichtigt werden, wenn er in der betreffenden Regelung erkennbar Ausdruck gefunden hat (vgl. BAG Beschluss vom 11. Oktober 2016 – 1 ABR 49/14 – NZA 2017, 135, Rz. 15; BAG Urteil vom 15. Oktober 2013 – 1 AZR 544/12 – veröffentlicht in juris, Rz. 23). Weicht der subjektive Regelungswille der Verhandlungspartner von dem ab, was sie bei normativer Auslegung bestimmt haben, ist Letzteres maßgeblich.

Die Arbeitgeberin kann nicht darlegen, welche sich aus dem Sozialplan selbst ergebenden Argumente für die von ihr angeführten Regelungswillen sprechen.

Soweit sie geltend macht, dass bei einer Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung berücksichtigt werden müsse, dass der Erfolg der Sozialplanverhandlungen davon abhängig war, dass die Sozialplandeckelung bei 300.000,00 € lag, ist auch dies ein außerhalb des Sozialplans liegender Umstand, der aus ihm selbst nicht erkennbar ist.

c) Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

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