LAG Hessen, 24.09.2014 – 12 Sa 511/13

April 30, 2019

LAG Hessen, 24.09.2014 – 12 Sa 511/13

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 06. März 2013, Az. 6 Ca 5764/12 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.500,- Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 92 %, die Beklagte zu 8 % zu tragen.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot im Stellenbesetzungsverfahren.

Die Beklage ist ein Unternehmen, das Analyse, Beratungs-, Konzeptions- und Implementierungsleistungen im Bereich E-Business erbringt. Sie beschäftigt etwa 120 Mitarbeiter – davon 34 weibliche – in Niederlassungen in Hamburg und Frankfurt. Zwei der vier Business Units des Unternehmens werden von Frauen geführt. In der Niederlassung in Hamburg (“Team Speicherstadt”) sind 23 Arbeitnehmer beschäftigt, darunter 14 Software Engineers, von denen einer weiblichen Geschlechts ist. Alle 14 Software Engineers sind deutsche Staatsangehörige, eine Mitarbeiterin ist polnischer Herkunft.

Die Klägerin ist 51 Jahre alt und deutsche Staatsangehörige russischer Herkunft. Von 1978 bis 1984 absolvierte sie ein Studium der Fachrichtung “Elektrotechnische Rechenmaschinen” am Leningrader Institut für Luftgerätebau mit dem Abschluss Systemtechnik-Ingenieurin. Gemäß der Gleichwertigkeitsbescheinigung vom 15.02.1999 des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein (Bl. 81 d.A.) wurde es als dem Studium der Fachrichtung Informatik als insgesamt gesehen gleichwertig anerkannt. Danach war sie von 1984 bis 1998 als Systemprogrammiererin, ab dem 03.01.2000 bis zum 31.07.2000 als Anwendungsentwicklerin sowie vom 18.09.2000 bis zum 31.03.2003 als Programmiererin beschäftigt. Seit dem 01.04.2003 ist die Klägerin arbeitssuchend. Für weitere Einzelheiten ihres beruflichen Werdegangs sowie ihrer fachlichen Qualifikationen wird auf ihren Lebenslauf (Bl. 80) und die zur Akte gereichten Zeugnisse und Bescheinigungen (Bl. 81 – 91 d.A.) Bezug genommen.

Bereits im Jahre 2011 hatte sich die Klägerin erfolglos auf eine Stellenanzeige der Beklagten beworben. Das danach zwischen den Parteien geführte AGG-Streitverfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a. M. (6 Ca 1112/11) endete durch rechtskräftigen Vergleich. Im August 2012 schaltete die Beklagte eine Anzeige für die Stelle eines “Software Engineer JAVA” (Bl. 51, 52 d.A.). Darin heißt es u.a.:

Software Engineer JAVA

Studienabgänger w/m

…..

Aufgaben…

Kleinere Aufgaben bearbeiten Sie selbständig. In größeren Projekten sind Sie Mitglied eines Entwickler-Teams. ….

Anforderungen

– abgeschlossenes Hochschul-/Fachhochschulstudium in der Fachrichtung Informatik, Wirtschaftsinformatik o. ä.

– Erste Erfahrungen mit JEE-Applikationsservern wünschenswert

– Vertiefte praktische Erfahrung mit Web-Technologien (insbesondere im JAVA-Umfeld) durch Praktika, Bachelor-/Master-Arbeit, Projektarbeiten etc.

– …

– Sehr gute Deutschkenntnisse

Die Klägerin bewarb sich am 05.08.2012 unter Nutzung des von der Beklagten eingerichteten Online-Bewerbungsformulars, in dem u.a. das Geschlecht und das Geburtsdatum des jeweiligen Bewerbers abgefragt werden. In dem Anschreiben an die Beklagte (Bl. 4 d.A.) teilte die Klägerin mit, dass sie aktuell den Kurs “JAVA Webentwicklung, Fortgeschrittene Techniken (JEE 5 und 6)” besuche. Am 16.08.2012 sandte die Beklagte der Klägerin eine Absage per E-Mail (Bl. 5 d.A.). Die ausgeschriebene Stelle wurde von der Beklagten in der Folge nicht besetzt. Am 17.08.2012 erhielt die Klägerin ein Zertifikat über die Teilnahme mit sehr gutem Erfolg an dem 80 Stunden umfassenden Kurs “JAVA Webprogrammierung – Fortgeschrittene Techniken”.

Am 21.08.2012 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Frankfurt ihre Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 18.000,00 (6 Monatsgehälter) wegen Diskriminierung in dem Bewerbungsverfahren wegen ihres Alters und ihrer ethnischen Herkunft gegen die Beklagte eingereicht.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vorbringens beider Parteien in erster Instanz und der vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 100 – 102 d.A.).

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 06.03.2013 (6 Ca 5764/12) der Klage in Höhe von € 750,00 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat zunächst die Ernsthaftigkeit der Bewerbung und die objektive Eignung der Klägerin für die ausgeschriebene Stelle bejaht, letzteres, weil die Klägerin das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle im Wesentlichen erfülle. Dafür hat es als ausreichend angesehen, dass die Klägerin Informatikerin ist und aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung vertiefte praktische Erfahrungen mit Web-Technologien habe. Dass sie diese nicht im JAVA-Umfeld erworben habe, begründe für sich genommen kein bedeutendes Missverhältnis zwischen dem Anforderungsprofil der Stelle und der Qualifikation der Klägerin. Weiter hat das Arbeitsgericht eine Benachteiligung wegen des Merkmals Alter, nicht jedoch wegen der Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft angenommen. Die Benachteiligung wegen des Alters sei dadurch indiziert, dass die Beklagte die Anzeige an “Studienabgänger” gerichtet habe. Auch wenn dem Begriff keine absolute Altersobergrenze zu entnehmen sei, könne davon ausgegangen werden, dass sich von der Anzeige vor allem Personen angesprochen fühlen, die ein Alter von 30 Jahren noch nicht überschritten haben; denn bis dahin sei ein Studium -jedenfalls regelmäßig – abgeschlossen. Die Höhe der Entschädigung hat das Arbeitsgericht damit begründet, dass der Verstoß nur von geringem Gewicht sei; denn die Stellenanzeige richte sich nicht direkt gegen die Person der Klägerin, sondern betreffe sie nur abstrakt, ebenso wie andere ältere Bewerber, die nicht kürzlich ihr Studium abgeschlossen haben. Es handele sich nicht um einen offensichtlichen Verstoß, bei dem von einer Benachteiligungsabsicht auszugehen sei.

Die Klägerin hat – noch vor Zustellung des vollständigen Urteils – am 22.04.2013 zunächst Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung der Berufung beantragt. Nach Zustellung des Urteils am 24.04.2013 und Bewilligung von PKH mit Beschluss vom 22.05.2013 hat sie am 05.06.2013 Berufung gegen das Urteil eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Ihre Berufungsbegründungsschrift ist – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.07.2013 – am 24.07.2013 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Berufungsbegründung der Klägerin ist der Beklagten am 29.07.2013 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 29.08.2013 ihrerseits Anschlussberufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt.

Die Klägerin stimmt dem arbeitsgerichtlichen Urteil insoweit zu, als es die Ernsthaftigkeit ihrer Bewerbung, ihre objektive Eignung für die Stelle und einen Verstoß gegen das Merkmal Alter bejaht hat. Als weitere Anhaltspunkte für einen derartigen Verstoß hätte es jedoch auch die Formulierungen “dynamisches und motiviertes Team” und “Studienabgänger” sowie die Abfrage des Geburtsdatums im Online-Bewerbungsformular ansehen müssen. Sie sei für die Stelle aufgrund ihrer Erfahrungen im Bereich C++ objektiv geeignet; denn JAVA sei auf der Basis von C++ entwickelt worden.

Sie ist weiter der Ansicht, das Arbeitsgericht habe aufgrund falscher Sachverhaltswürdigung Verstöße gegen die Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft verneint. So sieht sie trotz der geschlechtsneutralen Formulierung der Anzeige einen Verstoß gegen das Merkmal Geschlecht. Die Formulierung im Text, “In größeren Projekten sind Sie Mitglied eines Entwicklerteams” verdeutliche durch die Verwendung der männlichen Sprachform, dass die Anzeige sich in erster Linie an männliche Bewerber richte. Verstärkt werde das Indiz der nicht geschlechtsneutralen Ausschreibung zudem durch die Tatsache, dass in dem entsprechenden Beschäftigungsbereich bei der Beklagten unter den 14 dort tätigen Software Engineers nur eine Frau sei. Hinzu komme, dass die Beklagte in ihrem Online-Bewerbungsformular das Geschlecht abfrage. Da sie weiter angegeben habe, dass Bewerbungen über ihr Online-Formular erfolgen sollen, sei die Verwendung des Formulars verbindlich und verpflichtend vorgegeben.

Daneben zeige sich in der Anforderung “sehr gute deutsche Sprachkenntnisse eine mittelbare Benachteiligung hinsichtlich des Merkmals “ethnische Herkunft”; denn es sei wahrscheinlicher, dass Menschen deutscher Abstammung eher über sehr gutes Deutsch verfügen als andere. Das Erfordernis sehr guter deutscher Sprachkenntnisse sei auch durch die Art der Tätigkeit nicht gerechtfertigt. Sie behauptet, dass die geforderten sehr guten Deutschkenntnisse nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Ausübung der Tätigkeit und damit weder angemessen noch erforderlich seien.

Letztendlich ist sie der Ansicht, dass die Höhe der Entschädigung zu gering bemessen sei, weil mehrere und durchaus offensichtliche Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot vorlägen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06.03.2013 – 6 Ca 5764/12 – aufzuheben, soweit sie unterlegen ist und nach den Schlussanträgen 1. Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06.03.2013 zum Aktenzeichen 6 Ca 5764/12 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wendet sich unter Verweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen gegen die Annahmen einer ernsthaften Bewerbung, der objektiven Eignung der Klägerin für die Stelle sowie eines Verstoßes gegen das Merkmal “Alter”.

Schon der Umstand, dass die Klägerin sich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit wieder bei der Beklagten beworben hat, einem Unternehmen, das nach ihrer Ansicht seine Mitarbeiter aus den in § 1 AGG genannten Gründen diskriminiere, zeige die fehlende Ernsthaftigkeit ihrer Bewerbung; denn kein verständiger Bewerber würde erneut eine Beschäftigung in einem solchen Unternehmen suchen. Zudem seien bereits in dem früheren Verfahren die formalen Aspekte ihrer Bewerbung gewürdigt worden, ohne dass sie in dem erneuten Bewerbungsschreiben die damals genannten Mängel -viel unerhebliche Information, vage Angaben zu fachlichen Kriterien – behoben hätte. Die neu ergänzten Teile seien erheblich fehlerhaft. Zudem entspreche die erneute Bewerbung zu 81 % dem Wortlaut der früheren. Die Anschrift der Beklagten sei wie schon in der ersten Bewerbung erneut falsch angegeben worden. Außerdem habe sie mit dem Hinweis auf ihr Jahresbruttogehalt im Jahre 2003 mittelbar eine überhöhte Gehaltsvorstellung genannt. All das spreche dafür, dass die Klägerin nicht – wie bei einer Bewerbung zu erwarten – alles getan habe, um ein möglichst positives Bild ihrer Person abzugeben.

Die Klägerin sei für die Stelle auch objektiv nicht geeignet. Es fehle ihr an den geforderten vertieften praktischen Kenntnissen im Bereich der Web-Technologie, insbesondere JAVA. Die von ihr belegten Kurse reichten nicht aus, diese Anforderung zu erfüllen. Sie habe keinerlei berufliche Erfahrung auf den von der Beklagten in der Anzeige benannten Gebieten.

Die Beklagte behauptet, dass durch die Angabe “Studienabgänger” nicht vorrangig jüngere Bewerber angesprochen werden sollten. Die Anzeige enthalte keinen Hinweis auf das Alter der angesprochenen Bewerber. Der Erfahrungssatz, dass Studienabgänger im Sinne der publizierten Anzeige nicht älter als 30 Jahre alt sein dürften, existiere nicht.

Hinsichtlich des Vorwurfs von Verstößen gegen die Merkmale “Geschlecht” und “ethnische Herkunft” schließt sich die Beklagte weitgehend den Ausführungen des Arbeitsgerichts an.

Der Klägerin sei durch die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch keine Chance auf eine Einstellung versagt worden, weil die Beklagte auch keinen anderen Bewerber eingestellt habe.

Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06.03.2013 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 3 b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO). Die Berufungsfrist ist gewahrt, weil der Klägerin hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war; denn die Klägerin war aufgrund ihrer im PKH-Verfahren nachgewiesenen Mittellosigkeit an der rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert und hat dies nach Bewilligung der PKH mit Beschluss vom 24.05.2013 innerhalb eines Monats nach Zustellung des PKH-Beschlusses am 05.06.2013 nachgeholt (Musielak/Grandel ZPO 8. Aufl § 233 Rn. 30 – 33; Schwab/Weth/Schwab § 66 Rn. 50 mit Nachw. aus der Rechtsprechung). Die Anschlussberufung der Beklagten ist ebenfalls zulässig.

II. Die Berufung der Klägerin ist insoweit erfolgreich, als der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung um weitere € 750,00, insgesamt in Höhe von € 1.500,00 begründet ist. Im Übrigen war sie als unbegründet zurückzuweisen. Die Anschlussberufung der Beklagten war ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

Der Klägerin steht ein Entschädigungsanspruch gemäß §§ 15 Abs. 2, 7, 1, 6 Abs. 1 S. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot in Höhe von € 1.500,00 zu. Das Arbeitsgericht hat zu Recht dem Grunde nach einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung bejaht. Die Klägerin hat sich subjektiv ernsthaft auf die ausgeschriebene Stelle beworben. Sie ist für die Stelle auch nicht objektiv ungeeignet. Die Klägerin hat als Bewerberin in dem Stellenbesetzungsverfahren von der Beklagten hinsichtlich des Merkmals Alter, jedoch nicht hinsichtlich der weiteren Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft eine Benachteiligung erfahren. Die Kammer verweist zur weiteren Begründung auf die überzeugenden Ausführungen in den Gründen der angegriffenen Entscheidung, die umfassend die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berücksichtigen, und macht sie sich inhaltlich zu Eigen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung Bezug genommen. Die Berufungskammer ist abweichend davon lediglich zu dem Ergebnis gelangt, dass der festgestellte Verstoß gegen das Merkmal Alter zu einer höheren – etwas spürbareren – Entschädigung führen muss.

Das Berufungsvorbringen beider Parteien gibt insoweit lediglich Anlass zu nachfolgenden ergänzenden Ausführungen:

1. Die Klägerin war für die ausgeschriebene Stelle nicht objektiv ungeeignet.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt Urteile vom 14.11.2013 -8 AZR 997/12 Rn. 30 – juris; 24.01.2013 – 8 AZR 429/11 Rn. 35 – juris) sind für die Beurteilung der objektiven Eignung die Anforderungen maßgebend, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber in redlicher Weise stellen durfte. Der Arbeitgeber darf zwar grundsätzlich über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür erforderlichen Qualifikationen frei entscheiden, er darf jedoch nicht durch willkürlich gewählte Anforderungen den Schutz des AGG aushöhlen. Schon das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass das Anforderungsprofil mit der Formulierung “vertiefte praktische Erfahrungen mit Web-Technologien (insbesondere im JAVA-Umfeld) durch Praktika, Bachelor-/Masterarbeit, Projektarbeiten etc” nicht zwingend vertiefte praktische Erfahrungen allein im JAVA-Umfeld als Anforderung formuliert und darauf abgestellt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung als Informatikerin und aufgrund ihrer langen Berufserfahrung vertiefte praktische Kenntnisse in Web-Technologien besitzt. In der Berufung hat die Klägerin zudem unwidersprochen vorgetragen, dass sie in den letzten 2,5 Jahren ihrer beruflichen Tätigkeit mit Microsoft Visual C++ 6.0 gearbeitet habe und dass JAVA auf der Basis von C++ entwickelt wurde. Diese Vorkenntnis und Erfahrung versetze sie in die Lage, innerhalb kürzester Zeit mit JAVA brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Zudem hat sie gerade frisch einen achtzigstündigen Kurs in JAVA absolviert. Da das Anforderungsprofil der Stellenanzeige keine Berufserfahrung im JAVA-Umfeld verlangt, sondern u.a. auch in Praktika erworbene Kenntnisse als hinreichend ansieht, genügen die Kenntnisse der Klägerin den Anforderungen, die der Arbeitgeber hier redlicherweise stellen durfte.

2. Der Umstand, dass die Beklagte die ausgeschriebene Stelle am Ende nicht besetzt hat, steht der Annahme einer Benachteiligung durch die Beklagte nicht entgegen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 23.08.2012 3 8 AZR 285/11 Rn. 22,23 3 juris) liegt ein Nachteil bei einer Auswahlentscheidung (z.B. Einstellung) bereits dann vor, wenn der Bewerber nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt in der Versagung einer Chance. Wie sich aus § 15 Abs. 2 AGG ergibt, ist auch dann, wenn der Bewerber selbst bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ein Entschädigungsanspruch nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt. Da die ungünstige Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Mitarbeiters kommt. Dass auch kein anderer Bewerber eingeladen wurde, hat die Beklagte nicht behauptet. Daher gilt dieser Grundsatz uneingeschränkt auch hier.

3. Bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs.2 AGG hat die Berufungskammer einen Betrag in Höhe von insgesamt Euro 1.500,00 für angemessen erachtet.

Sie ist dabei zunächst von denselben Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgegangen, die das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat (Seite 15, 16 der Entscheidungsgründe). Bei Würdigung des vorliegenden Falles erscheint jedoch eine höhere Entschädigung, nämlich 1.500,00 Euro, was etwa einem halben zu erwartenden Monatsgehalt auf der ausgeschriebenen Stelle entspricht, als angemessen. Bei der Auswahlentscheidung liegt nach den oben ausgeführten Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts die Benachteiligung bereits in der entgangenen Chance, wenn, wie hier, ein Bewerber nicht einmal zum Vorstellungsgespräch geladen, sondern auf diese Weise von Beginn an vom Auswahlverfahren ausgeschlossen wird. Damit ist der Verstoß des Arbeitgebers nicht mehr nur abstrakt gegen jeden älteren Bewerber gerichtet, sondern konkretisiert sich durch die Nichteinladung auch auf eine individuelle Person. Der Sanktionsgedanke des § 15 Abs. 2 AGG verlangt daher einen Betrag in Höhe etwa eines halben zu erwartenden Monatsgehalts.

Die Parteien haben gemäß §§ 64 Abs. 6, 91, 97 ZPO jeweils anteilig die Kosten zu tragen, soweit sie mit ihrer jeweiligen Berufung erfolglos geblieben bzw. im Rechtsstreit unterlegen sind.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war nicht gegeben.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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