LAG Hessen, 24.09.2015 – 9 TaBV 12/15 Blinden oder stark sehbehinderten wahlberechtigten Arbeitnehmern/innen sind die Wahlunterlagen (Wahlausschreiben, Wählerliste, Wahlvorschläge, Wahlordnung) in geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen (vgl. § 2 Abs. 5 WO). Dies muss nicht durch Wahlunterlagen in Brailleschrift geschehen. In Betrieben, in denen diese Mitarbeiter sämtlich Zugang zum Intranet haben mit entsprechenden Vorrichtungen (Sprachausgabe, Ausgabe in Brailleschrift), kann die Information ergänzend zu den Aushängen am schwarzen Brett durch E-Mail-Anhänge oder durch Einstellen in das Intranet, z.B. in einem Wahlordner mit einem entsprechenden Hinweis hierauf geschehen. Im Streitfall war die Betriebsratswahl unwirksam, weil die durchgängige Versendung der Unterlagen per E-Mail nicht festgestellt werden konnte und nicht alle blinden Mitarbeiter die Zugriffsberechtigung zu dem Laufwerk mit dem eingestellten Wahlordner hatten.

April 21, 2019

LAG Hessen, 24.09.2015 – 9 TaBV 12/15
Blinden oder stark sehbehinderten wahlberechtigten Arbeitnehmern/innen sind die Wahlunterlagen (Wahlausschreiben, Wählerliste, Wahlvorschläge, Wahlordnung) in geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen (vgl. § 2 Abs. 5 WO). Dies muss nicht durch Wahlunterlagen in Brailleschrift geschehen. In Betrieben, in denen diese Mitarbeiter sämtlich Zugang zum Intranet haben mit entsprechenden Vorrichtungen (Sprachausgabe, Ausgabe in Brailleschrift), kann die Information ergänzend zu den Aushängen am schwarzen Brett durch E-Mail-Anhänge oder durch Einstellen in das Intranet, z.B. in einem Wahlordner mit einem entsprechenden Hinweis hierauf geschehen. Im Streitfall war die Betriebsratswahl unwirksam, weil die durchgängige Versendung der Unterlagen per E-Mail nicht festgestellt werden konnte und nicht alle blinden Mitarbeiter die Zugriffsberechtigung zu dem Laufwerk mit dem eingestellten Wahlordner hatten.
Tenor:

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. November 2014 – 20 BV 405/14 – wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Betriebsratswahl vom 22. Mai 2014 für unwirksam erklärt wird.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die zu 1) beteiligte Arbeitgeberin ist eine Stiftung des privaten Rechts und widmet sich der sozialen und beruflichen Integration blinder und sehbehinderter Menschen in der Gesellschaft. Beteiligter zu 2) ist der am 22. Mai 2014 im Betrieb gewählte Betriebsrat aus drei Personen. Bei der Beteiligten zu 1) waren am Tag des Erlasses des Wahlausschreibens (Bl. 10, 11 d. A.), dem 10. April 2014, 22 Personen beschäftigt, davon vier blinde und zwei stark sehbehinderte Personen. Die sehbehinderten Personen arbeiten am Bildschirm mit Vergrößerung, wenn sie Dokumente lesen. Die Stimmauszählung fand am 27. Mai 2014 statt. Ein Protokoll des Wahlvorstandes hierüber gibt es nicht. In den Wahlakten befindet sich die Wahlniederschrift vom 27. Mai 2014, nach der Frau A 15 Stimmen, Frau B 13 Stimmen, Frau C 6 Stimmen und Frau D und Herr E jeweils 5 Stimmen erhielten. Das Wahlergebnis wurde am 28. Mai 2014 im Betrieb bekannt gemacht (B. 12 d. A.).

Zu Wahlvorstandsmitgliedern waren bestellt Frau F, Frau A (Vorsitzende) und der blinde Mitarbeiter G.

Auf der Beschäftigtenliste (Bl. 13 d. A.) standen 22 Personen. Die zum 30. Juni 2014 ausgeschiedene Frau H hat der Wahlvorstand bei der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer nach § 9 BetrVG nicht berücksichtigt. Er ging von 21 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus und ließ einen Betriebsrat aus drei Mitgliedern wählen. Er zählte hierbei die seit Anfang September 2013 eingesetzte Leiharbeitnehmerin I mit. Der Vorstand teilte durch Schreiben vom 11. Sept. 2013 (Bl. 40 d. A.) mit, dass Frau I die Beteiligte zu 1) im Sekretariat unterstütze. Seit dem 1. Jan. 2015 ist ein neuer Vorstand, Herr J, für die Beteiligte zu 1) tätig. Herr K ist zum 30. Juni 2015 ausgeschieden.

Der Wahlvorstand hat die Wahlvorschläge per Aushang vom 16. Mai 2014 bekannt gemacht.

Im Betrieb ist es nicht üblich, Informationen an blinde oder sehbehinderte Mitarbeiter in Brailleschrift zu übermitteln. Die Kommunikation erfolgt regelmäßig per E-Mail. Übersetzungsprogramme transferieren die Dokumente in eine Sprachausgabe oder Braillezeile.

Nach dem Protokoll der Sitzung vom 28. März 2014 hat der Wahlvorstand beschlossen, im Laufwerk G einen Ordner zu erstellen, in den für die Mitarbeiter allgemeine Informationen zur Wahl eingestellt werden (BetrVG mit Wahlordnung, Vordrucke für die Wahlvorschläge), die auch direkt per E-Mail an die Mitarbeiter verschickt werden sollten. Nach dem Protokoll der Sitzung vom 1. April 2014 wurde beschlossen, Wahlausschreiben, Wahlvorschläge, Wählerliste sowie die Wahlordnung am schwarzen Brett neben den Postfächern auszuhängen sowie per E-Mail an die blinden und sehbehinderten Mitarbeiter zu versenden.

Mit Rundmail vom 10. April 2014 (Bl. 161 d. A.) wurde auf die Aushänge am schwarzen Brett, den Ordner Betriebsratswahl im Laufwerk G und darauf hingewiesen, dass Mitarbeiter/innen, die aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht in der Stiftung anwesend seien, Wahlausschreiben, Wählerliste und Wahlordnung per E-Mail übersandt bekämen. Der Betriebsrat hat ein weiteres E-Mail vom 10. April 2014 vorgelegt (Bl. 171 d. A.), mit dem die genannten Unterlagen an sechs sog. externe Mitarbeiter versandt worden seien, von denen zwei blind oder stark sehbehindert waren.

Für die persönliche Stimmabgabe der blinden / sehbehinderten Mitarbeiter wurde eine Wahlschablone in Brailleschrift zur Verfügung gestellt.

Mit ihrer am 6. Juni 2014 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Antragsschrift hat die Beteiligte zu 1) die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht. Sie hat gemeint, es sei nur ein Betriebsrat aus einer Person zu wählen gewesen, weil bei ihr nicht regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt seien.

Außerdem seien Wahlausschreiben, Wählerliste und Wahlvorschläge fehlerhaft im Betrieb bekannt gemacht worden. Die Wahlunterlagen hätten im Hinblick auf die blinden oder stark sehbehinderten Arbeitnehmer auch in Blindenschrift ausgehängt werden müssen. Eine Bekanntmachung auf elektronischem Wege sei nicht in Betracht gekommen, weil nicht alle blinden Mitarbeiter einen Netzwerk-/Serverzugang und damit nicht die Möglichkeit gehabt hätten, auf das Laufwerk G Zugriff zu nehmen. Außerdem wären keine Vorkehrungen getroffen gewesen, um Änderungen der elektronischen Bekanntmachungen nur dem Wahlvorstand zu ermöglichen.

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 22. Mai 2014 in ihrem Betrieb in L unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat hat vorgetragen, der Wahlvorstand habe die zutreffende Prognose gestellt, dass bei der Beteiligten zu 1) regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt seien. Insbesondere sei die Leiharbeitnehmerin I zu berücksichtigen gewesen, da sie seit September 2013 bei der Beteiligten zu 1) beschäftigt gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat dem Feststellungsantrag durch Beschluss vom 27. Nov. 2014 – 20 BV 405/14 – stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Betriebsratswahl sei anfechtbar, weil ein Betriebsrat aus einer Person hätte gewählt werden müssen. Der Wahlvorstand hätte die Leiharbeitnehmerin I nicht als wahlberechtigte Arbeitnehmerin berücksichtigen dürfen, weil diese nicht regelmäßig, sondern nur vorübergehend bis zur Aufnahme der Tätigkeit eines neuen Vorstands zum Januar 2015 eingesetzt worden wäre und ihr Einsatz danach entfalle. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Der Beteiligte zu 2) hat gegen den ihm am 18. Dez. 2014 zugestellten Beschluss am 14. Jan. 2015 per Telefax Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der rechtzeitig beantragten Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 18. März 2015 an diesem Tag per Telefax begründet. Die Beschwerdebegründung wurde der Beteiligten zu 1) am 26. März 2015 zugestellt. Sie hat am 24. April 2015 Anschlussbeschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Der Beteiligte zu 2) rügt, das Arbeitsgericht habe den Vortrag der Beteiligten zu 1), die Leiharbeitnehmerin I sei nur vorübergehend beschäftigt, einseitig zugrunde gelegt. Er habe jedoch bestritten, dass der Beschäftigungsbedarf für diese entfallen würde, wenn ein neuer Vorstand gefunden worden sei. Es habe zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens keinen Grund für die Annahme gegeben, im Januar 2015 würde ein neuer Vorstand seine Tätigkeit aufnehmen. Die Arbeitgeberin habe sich seit Jahren vergeblich um einen Vorstandsvertreter bemüht. Frau A sei zum Thema Personalplanung mitgeteilt worden, dass im Verwaltungsbereich, also im Arbeitsbereich von Frau M und Frau I, keine Veränderungen vorgesehen seien. In der dem Wahlvorstand übergebenen Beschäftigungsliste sei bei Frau I schließlich auch nur Zeitarbeit und kein Beschäftigungsende eingetragen gewesen. Auch bis Januar 2015 seien es immerhin noch neun Monate gewesen.

Der Beteiligte zu 2) behauptet, das Wahlausschreiben, die Wählerliste und die Wahlordnung sei vom Wahlvorstand per E-Mail vom 10. April 2014 an alle wahlberechtigten Arbeitnehmer versandt worden. Alle blinden und sehbehinderten Mitarbeiter verfügten über eine betriebliche oder private E-Mailadresse. Sie hätten auf diesem Wege sämtliche aushangs- oder auslagepflichtigen Unterlagen, welche im Laufe des Wahlverfahrens zu erstellen gewesen wären, erhalten. Zusätzlich seien diese Informationen am 10. April 2014 auf dem Laufwerk G des betrieblichen Netzes eingestellt worden. Jedenfalls sei die Übersendung der Wahlunterlagen der Betriebsratsvorsitzenden erinnerlich. Ausdrucke von E-Mails über die Versendung gebe es nicht. Dass auch die Wahlvorschläge den blinden Mitarbeitern übersandt worden seien, wolle der Betriebsrat nicht behaupten.

Der Beteiligte zu 2) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. November 2014 – 20 BV 405/14 – abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen

und im Wege der Anschlussbeschwerde,

den erstinstanzlichen Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt wird.

Der Betriebsrat beantragt,

die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 1) verteidigt den angefochtenen Beschluss und meint, das Arbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Wahlvorstand die Leiharbeitnehmerin I nicht hätte berücksichtigen dürfen. Es hätte für den Wahlvorstand auf der Hand gelegen, dass deren Beschäftigung ende, wenn ein neuer Vorstand gefunden sei. Dies sei für Anfang Januar 2015 zu erwarten gewesen. Sie beschäftige aus Kostengründen Leiharbeitnehmer nur dann, wenn ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf abzudecken sei. Herr K habe der Betriebsrätin Frau A in einem Gespräch am 30. Jan. 2014 erklärt, dass die Beteiligte zu 1) einen Nachfolger suche, der zum 11. Juli 2014 seine Tätigkeit aufnehmen solle.

Die Beteiligte zu 1) ist der Auffassung, die Versendung von Wahlunterlagen per E-Mail stelle keine ordnungsgemäße Bekanntmachung dar. Unverschlüsselte E-Mails seien keine fälschungssicheren Kommunikationsmedien. Ihre Wahrnehmung durch den Adressaten sei nicht gewährleistet. Die Übersendung an private E-Mail-Adressen hätte schon aus Datenschutzgründen unterbleiben müssen. Auch die Einstellung von Unterlagen in das Laufwerk G könne eine ordnungsgemäße Bekanntmachung in Brailleschrift nicht ersetzen. Die blinden oder stark sehbehinderten Mitarbeiter G, N, H und O hätten keinen Zugang zum Netzwerk der Beteiligten zu 1) und damit keinen Zugriff auf das Laufwerk G. Dieses sei zudem nicht gegen Änderungen durch Dritte geschützt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 9. Juli und 24. Sept. 2015 verwiesen. Das Beschwerdegericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K und G sowie der Vorsitzenden des Beteiligten zu 2) A. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 9. Juli und 24. Sept. 2015 verwiesen. Die Wahlakten wurden mit Ausnahme des Wählerverzeichnisses, der Briefwahlunterlagen, der Stimmzettel, persönlicher Eingaben von Wähler/innen oder entsprechender Protokolle beigezogen.

II.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Anfechtung der Betriebsratswahl vom 22. Mai 2014 durch die Beteiligte zu 1) ist begründet. Die Wahl ist nicht schon deshalb nicht mehr anfechtbar, weil die Beteiligte zu 1) die Wahl innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG nur durch einen auf Feststellung ihrer Unwirksamkeit gerichteten Antrag angegriffen hat. Anders als bei der Geltendmachung der Nichtigkeit des Wahlaktes, die von jedermann zu jeder Zeit geltend gemacht werden kann und vom Arbeitsgericht ohne gerichtliche Gestaltung auf Antrag festzustellen ist, bedarf es bei der Anfechtung einer Wahl einer gerichtlichen Gestaltung und eines hierauf gerichteten Antrages, nämlich die Wahl für ungültig zu erklären. Mit ihrer Anschlussbeschwerde hat die Beteiligte zu 1) ihren Antrag umgestellt. Der erstinstanzliche Feststellungsantrag ist auch dahingehend auszulegen, dass innerhalb der Anfechtungsfrist ein im Feststellungsantrag enthaltener Anfechtungsantrag gestellt war. Der bloße Wortlaut eines Antrages ist nämlich für den Umfang des Rechtsschutzbegehrens nicht entscheidend. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus der Antragsbegründung. Auf Seite 2 unten der Antragsschrift vom 6. Juni 2014 trägt die Beteiligte zu 1) vor, dass sie die Wahl anfechte (zu dieser Fallgestaltung BAG Beschluss vom 22. Okt. 1981 – 6 ABR 1/81 – Juris; LAG Hamm Beschluss vom 3. Mai 2007 – 10 TaBV 112/06 – Juris). Diese Auslegung führt auch nicht zu einer Antragsänderung im Sinne des § 263 ZPO. Die Beteiligte zu 1) ist gemäß § 264 Nr. 3 ZPO ohne Änderung des Klagegrundes und auf der Grundlage des bisherigen Prozessstoffes vom Feststellungs- zum Gestaltungsantrag übergegangen (vgl. Kammerbeschlüsse vom 7. Mai 2015 – 9 TaBV 235/14 – nicht veröffentl.; vom 26. Febr. 2015 – 9 TaBV 194/14 – nicht veröffentl.; vom 3. Sept. 2009 – 9 TaBV 64/09 – nicht veröffentl.).

2. Es kann dahinstehen, ob die Wahl wegen Verstoßes gegen § 9 BetrVG unwirksam ist. Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch das Beschwerdegericht spricht einiges dafür, dass die Prognose des Wahlvorstandes vom 10. April 2014, es würden mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt, vertretbar war. Frau H, die zum 30. Juni 2014 ausschied, hat er nicht mitgezählt. Frau O war zu dieser Zeit von ihrer Tätigkeit freigestellt, das beseitigt jedoch nicht ihre Wahlberechtigung, da eine tatsächliche Beschäftigung hierfür nicht erforderlich ist. Wahlberechtigt sind auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht (LAG Düsseldorf Beschluss vom 23. März 2010 – 8 TaBVGa 4/10 – Juris). Das Arbeitsverhältnis besteht heute noch. Die Ausgliederung des Bereichs “Berufliche Integration blinder und sehbehinderter Menschen” war ab 11. April 2014 auf Eis gelegt und hat bis heute nicht stattgefunden. Die Leiharbeitnehmerin I sollte solange beschäftigt werden, bis ein Nachfolger für den Vorstand, den Zeugen K, gefunden wurde. Die Situation war unklar. Das Bundesarbeitsgericht ist der Auffassung (Beschluss vom 13. März 2013 – 7 ABR 69/11 – Juris), für die Betriebsratsgröße seien regelmäßig beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Es bedarf der Feststellung des Regel- oder Normalzustandes (LAG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 6. März 2015 – 1 TaBV 23/14 – Juris). Ein Nachfolger für den Vorstand wurde nach Aussage des Zeugen K seit dem Jahr 2011 gesucht. 2010 wurde bereits eine Leiharbeitnehmerin, Frau P, bis zum 30. Sept. 2011 eingestellt. Der Vertrag mit dem zunächst gefundenen Vorstandsnachfolger Q wurde nach einem Jahr Ende 2012 wieder beendet. Im Oktober 2013 wurde Frau I als Leiharbeitnehmerin beschäftigt, weil der Zeuge K wegen Erreichens der Altersgrenze nur noch zu 70 % tätig werden wollte und Frau I in der Verwaltung Frau M entlastete. Herr K konnte sich nach seiner Aussage nicht erinnern, der Betriebsrätin und Wahlvorstandsvorsitzenden A gesagt zu haben, bei Frau I würde sich nichts ändern. Er meinte, das könne er eigentlich nicht gesagt haben, er bestreite das. Die Vorstandssuche sollte eigentlich zum 1. Juli 2014 erfolgen, zögerte sich dann aber bis zum Jahresende hinaus. Wegen der Bewerber habe man Anfang 2014 eine Firma eingeschaltet. Der Zeitarbeitsfirma sagte er auf deren immer wieder erfolgte Anfragen, man brauche noch die nächsten Monate. Frau A sagte bei ihrer Beteiligtenvernehmung aus, Herr K hätte auf ihre Frage zur Verwaltung sinngemäß gesagt, dass Alles beim Alten bleibe, dass zum 1. Juli die Einstellung eines neuen Vorstands geplant sei und er seinen Vertrag bis Mitte 2015 verlängere. Frau A notierte sich:

Verwaltung

Frau I

Frau M alles beim Alten

Danach gab es jedenfalls keine genaue Angabe des Zeugen K, dass Frau I ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr beschäftigt würde.

3. Dies kann jedoch letztendlich dahinstehen, weil die blinden oder stark sehbehinderten Mitarbeiter durch den Wahlvorstand über die Wahlvorschlagslisten nicht in geeigneter Weise unterrichtet worden sind und sich dies für die übrigen Wahlunterlagen ebenfalls nicht mehr sicher feststellen lässt. Mit den Aushängen von Wahlausschreiben und Wahlvorschlägen am Schwarzen Brett und der Auslage der Wahlordnung und Wählerliste hat der Wahlvorstand die gesetzlichen Vorgaben von § 2 Abs. 4, § 3 Abs. 4, § 10 Abs. 2 WO grundsätzlich erfüllt. Die Wahlordnung schreibt für schwerbehinderte Menschen keine bestimmte Form der Aushänge vor. Das ist nicht einmal in der Wahlordnung zur Wahl der Schwerbehindertenvertretungen vorgesehen. Der schwerbehinderte Mensch kann dort zur Stimmabgabe eine Begleitperson mitnehmen.

Blinde oder so stark sehbehinderte Mitarbeiter, dass sie die Aushänge oder Auslagen nicht lesen können, müssen jedoch auf geeignete Weise unterrichtet werden, so wie es § 2 Abs. 5 WO für der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige ausländische Arbeitnehmer vorsieht. Schwerbehinderten Menschen muss ein barrierefreier Zugang zu den Wahlunterlagen ermöglicht werden. Nach Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Dies kann durch Aushänge und Auslagen in Blindenschrift geschehen, praxisnäher dürfte die Übermittlung auf elektronischem Wege in digitaler Form sein, wenn die blinden oder stark sehbehinderten Mitarbeiter die Möglichkeit haben, die Wahlunterlagen durch die im Betrieb vorhandene Informations- und Kommunikationstechnik per Übertragung in Brailleschrift, Sprachausgabe oder starke Vergrößerung der Schrift zur Kenntnis zu nehmen, wie es § 2 Abs. 4 Satz 3 WO als ergänzende Bekanntmachung vorsieht. Um eine ausschließliche elektronische Bekanntmachung geht es hier nicht, weil die per Aushang erfolgten Bekanntmachungen lediglich auf geeignete Weise für die blinden und sehbehinderten Mitarbeiter ergänzt werden sollen.

Dies ist jedoch, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, nicht geschehen. Der Zeuge G, der als blinder Mitarbeiter Mitglied des Wahlvorstandes war, hat ausgesagt, dass allen blinden Mitarbeitern per E-Mail mitgeteilt worden sei, wo sie die Wahlunterlagen einsehen könnten. Ob die kompletten Wahlunterlagen versendet worden seien, könne er nicht sicher sagen. Dies stimmt überein mit den Äußerungen des Beteiligten zu 2) in der mündlichen Anhörung vom 24. Sept. 2015. Der Betriebsratsvorsitzenden war zwar erinnerlich, die Wahlunterlagen per E-Mail an die blinden Mitarbeiter versandt zu haben, es gebe jedoch keine Ausdrucke von E-Mails, durch welche dies geschehen sei. Sichere Feststellungen sind mithin insoweit nicht möglich. Und dass die Wahlvorschläge per E-Mail an die blinden Mitarbeiter versandt worden seien, wolle der Betriebsrat nicht behaupten.

Die Möglichkeit der ausschließlichen Bekanntmachung im betriebsinternen Intranet gemäß § 2 Abs. 4 Satz 4 WO scheidet vorliegend aus, weil hiervon nicht alle erblindeten oder stark sehbehinderten Mitarbeiter Kenntnis nehmen konnten, weil nicht alle an das Intranet angeschlossen sind und damit keinen Zugang zum Laufwerk G haben.

Die Anfechtung der Wahl wegen der Verletzung von § 2 Abs. 4, § 3 Abs. 4, § 10 Abs. 2 WO im Hinblick auf die blinden oder stark sehbehinderten Mitarbeiter ist nicht nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften ausnahmsweise dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn ein solcher Verstoß das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Nach st. Rspr. des BAG (BAG, Beschluss vom 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – Juris; BAG Beschluss vom 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 – Juris) kommt es darauf an, ob bei einer hypothetischen Betrachtung eine ohne den Verstoß durchgeführte Wahl zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte. Vor dem Hintergrund, dass die blinden oder stark sehbehinderten Mitarbeiter nicht per E-Mail über die Wahlvorschläge informiert worden sind, kann hier Einfluss oder Auswirkungen auf das Stimmverhalten der Wähler nicht ausgeschlossen werden, erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass nicht sicher festgestellt werden kann, ob diese auch die übrigen Unterlagen wie Wahlausschreiben, Wählerliste und Wahlordnung sowie die Muster für die Wahlvorschläge per E-Mail erhalten haben. Angesichts des geringen Stimmenunterschiedes von 15 zu 13 oder 6 zu 5 Stimmen können Auswirkungen auf das Wahlergebnis keinesfalls ausgeschlossen werden.

III.

Eine Kostenentscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG nicht.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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