LAG Hessen, 27.01.2015 – 4 TaBV 220/14

April 28, 2019

LAG Hessen, 27.01.2015 – 4 TaBV 220/14

Eine Aussetzung eines Einigungsstellenbestellungsverfahrens aufgrund eines anderweitigen den Gegenstand der angestrebten Einigungsstelle betreffenden Beschlussverfahrens gemäß § 148 ZPO kommt auch in der Beschwerdeinstanz nicht in Betracht.

Beantragt der Antragsteller in einer derartigen Konstellation die Aussetzung des Bestellungsverfahrens, entfällt sein Rechtsschutzinteresse für seinen Bestellungsantrag.
Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. Oktober 2014 – 6 BV 9/14 – wird zurückgewiesen.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Bestellung einer Einigungsstelle.

Die Rechtsvorgängerin der antragstellenden Arbeitgeberin war eine Tochtergesellschaft der A GmbH (nachfolgend A), die wiederum dem Konzern der US-amerikanischen B angehörte. Die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin beschäftigte in mehreren Betrieben in Deutschland ca. 720 Arbeitnehmer, die von Betriebsräten repräsentiert wurden. Diese bildeten den zu 2) beteiligten Gesamtbetriebsrat. 149 der Arbeitnehmer haben auf Grund unterschiedlicher arbeitsvertraglicher Klauseln Anspruch auf eine variable Vergütung. Die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin strebte eine unternehmenseinheitliche Regelung der variablen Vergütungsbestandteile an und leitete nach dem Scheitern der vorgerichtlichen Verhandlungen das vorliegende Einigungsstellenbestellungsverfahren ein. Das Arbeitsgericht wies die Anträge der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin zurück, da eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 ArbGG offensichtlich nicht bestehe.

Die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin legte gegen den am 07. November 2014 zugestellten Beschluss am 21. November 2014 Beschwerde ein und begründete diese gleichzeitig. Aufgrund eines Verschmelzungsvertrages vom 28. November 2014 wurde die A auf die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin verschmolzen. In einem folgenden Schritt wurde diese auf ihre neue Muttergesellschaft, die jetzige Arbeitgeberin, verschmolzen. Am 15. Januar 2015 konstituierte sich der frühere Gesamtbetriebsrat der A als neuer Gesamtbetriebsrat der Arbeitgeberin. Am 21. Januar 2015 konstituierte sich auch der Beteiligte zu 2) als deren Gesamtbetriebsrat. Er leitete zwischenzeitlich beim Arbeitsgericht unter dem Aktenzeichen – 3 BV 1/15 – ein Beschlussverfahren ein, mit dem geklärt werden soll, welcher Gesamtbetriebsrat zuständig ist.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, über ihre Bestellungsanträge könne erst entschieden werden, wenn die Frage geklärt ist, welches Gremium als Gesamtbetriebsrat fungiert. Bis dahin sei das vorliegende Verfahren auszusetzen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf die Schriftsätze vom 21. November 2014 und vom 26. Januar 2015 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. Oktober 2014 – 6 BV 9/14 – wird wie folgt abgeändert:

1.

Zwischen den Beteiligten wird eine Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG für den folgenden Regelungsgegenstand errichtet: Ausgestaltung der variablen Vergütung für das Fiskaljahr 2015 (FY 15).
2.

Zum Vorsitzenden der Einigungsstelle wird Herr C, D, bestellt.

1.
3.

Die Anzahl der Beisitzer wird auf jeweils zwei festgesetzt.

Der Gesamtbetriebsrat verteidigt zur Begründung seines Zurückweisungsantrags die Würdigung des Arbeitsgerichts wie im Schriftsatz vom 10. Dezember 2014 ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet, da die Anträge der Arbeitgeberin nicht zulässig sind. Das Verfahren ist entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin nicht gemäß § 148 ZPO bis zum Abschluss des beim Arbeitsgericht anhängigen Verfahrens – 3 BV 1/15 – auszusetzen. Vielmehr sind die Sachanträge der Arbeitgeberin zurückzuweisen, da ihr derzeit für ihre Bestellungsanträge gemäß §§ 76 Abs. 2 S. 2, S. 3 BetrVG, 99 Abs. 1 S. 1 ArbGG das Rechtsschutzinteresse fehlt.

Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung (BAG 24. November 1981 – 1 ABR 42/79 – BAGE 37/102, zu B 1; 25. April 1989 – 1 ABR 91/87 – BAGE 62/1, zu B I 2 b; LAG Düsseldorf 21. Dezember 1981 – 20 TaBV 92/81 – EzA ArbGG 1979 § 98 Nr. 4) und Literatur (etwa GK2ArbGG2Schleusener Stand Dezember 2014 § 98 Rn. 54; Schwab/Weth2Walker ArbGG 3. Auflage § 98 Rn. 45; Grunsky2Greiner ArbGG 8. Auflage § 98 Rn. 10; HWK2Bepler 6. Auflage § 98 ArbGG Rn. 4) kommt im Einigungsstellenbestellungsverfahren aufgrund dessen Eilcharakters und dem dort geltenden eingeschränkten Prüfungsmaßstab eine Aussetzung aufgrund eines dieselbe Materie betreffenden anderweitigen Beschlussverfahrens zwischen den Betriebsparteien grundsätzlich nicht in Betracht. Die Gegenansicht (LAG Rheinland2Pfalz 29. Juli 1985 – 4 Ta 153/85 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 9; eingeschränkt auch LAG Berlin 24. April 2003 – 10 Ta 598/03 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 40, zu 2.2) blieb vereinzelt.

Der herrschenden Meinung ist unter der aktuell geltenden Fassung von § 99 ArbGG umso mehr zu folgen. Durch die Vorgabe von § 99 Abs. 1 S. 6 ArbGG, der gemäß der Beschluss des Arbeitsgerichts in erster Instanz den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang zugestellt werden soll und binnen vier Wochen zuzustellen ist, wird eine extreme Beschleunigung des Verfahrens in erster Instanz angestrebt. Dies schließt jede Aussetzung des Verfahrens aus. In zweiter Instanz bestehen derart rigide Terminvorgaben zwar nicht. Auch das Beschwerdeverfahren ist jedoch auf eine zügige Beendigung hin ausgerichtet, wie etwa die kurzen Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfristen von § 99 Abs. 2 S. 2 ArbGG belegen. Es wäre zudem ein nicht plausibler Wertungswiderspruch, wenn im erstinstanzlichen Verfahren eine besondere Beschleunigung angestrebt wird, im Beschwerdeverfahren dagegen eine Aussetzung des Verfahrens über unabsehbare Zeit zulässig wäre. Eine derartige Differenzierung wäre ohne Sinn. Daher kommt auch in zweiter Instanz eine Aussetzung des Verfahrens nicht in Betracht.

Wünscht in einer Konstellation wie der vorliegenden der Antragsteller aufgrund eines den Gegenstand der angestrebten Einigungsstelle betreffenden anderweitigen Beschlussverfahrens die Aussetzung des Einigungsstellenbestellungsverfahrens, führt dies vielmehr zum Wegfall seines Rechtsschutzinteresses für seinen Bestellungsantrag. Ein Rechtschutzinteresse für einen Einigungsstellenbestellungsantrag als Gestaltungsantrag besteht solange, wie der Antragsteller den Bestellungsanspruch geltend macht und behauptet, die angestrebte Gestaltung nicht ohne die beantragte gerichtliche Entscheidung erreichen zu können (Hessisches LAG 13. September 2005 – 4 TaBV 86/05 – AuR 2006/172 L, zu II 1; 14. Februar 2006 – 4 TaBV 1/06 – AuR 2006/413 L, zu II 1 b). Aufgrund des Eilcharakters des Verfahrens nach § 99 ArbGG muss der Bestellungs antrag aktuell geltend gemacht werden. Das Verfahren dient dazu, Betriebsparteien, die nicht gemäß § 76 Abs. 1 S. 2 BetrVG eine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfall beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen (BAG 24. November 1981 a. a. O., zu B 1). Sein Zweck liegt dagegen nicht in der Bestellung von Vorratseinigungsstellen, die erst nach dem Eintreten weiterer Umstände ggf. zu einem späteren Zeitpunkt tätig werden sollen.

So liegt der Fall hier. Die Arbeitgeberin ist derzeit bis zur rechtskräftigen Klärung der Gremienzuständigkeit auf Gesamtbetriebsratsebene nicht (mehr) an einer Tätigkeit der Einigungsstelle interessiert. Damit ist ihr im vorliegenden Verfahren verfolgtes Regelungsanliegen aktuell erledigt. Aufleben könnte dies erst nach einem die Zuständigkeit des Beteiligten zu 2) bestätigenden Ausgang des Verfahrens – 3 BV 1/15 -. Derzeit ist jedoch nicht absehbar, ob und ggf. wann dies eintreten wird. Damit würde eine Stattgabe der Bestellungsanträge zur Bildung einer Vorratseinigungsstelle führen. Dies ist aus den dargelegten Gründen indessen nicht Zweck des Bestellungsverfahrens nach § 99 ArbGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 99 Abs. 2 S.4 ArbGG.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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