LAG Hessen, 27.10.2014 – 16 Sa 674/14

April 30, 2019

LAG Hessen, 27.10.2014 – 16 Sa 674/14

1. Mit der Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber nimmt der Arbeitnehmer ein staatsbürgerliches Recht wahr. Soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden, stellt die Erstattung einer Strafanzeige keinen Kündigungsgrund dar.

2. Gründe, die das Gericht für die Kündigung nicht hat ausreichen lassen, können die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht rechtfertigen.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18. März 2014 – 3 Ca 517/13 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen und einen Auflösungsantrag.
2

Der am xxx geborene, verheiratete Kläger ist seit 1. September 2012 bei der Beklagten, die Flugzeugsitze in Stand setzt und regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, tätig.
3

Nach § 2 das schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien vom 5. Juli 2012 (Bl. 19-22 d.A.) ist er als Chief of Office of Airworthiness nach den betrieblichen Erfordernissen als Design Engineer und Compliance Verification Engineer im Subpart 21J Betrieb tätig.
4

Zu den von der Beklagten vorgenommenen Instandhaltungsmaßnahmen an Flugzeugsitzen gehört auch der Austausch von beschädigten Teilen an diesen. Hierfür bedarf es einer Freigabe durch die Europäische Agentur für Flugsicherheit. Diese erfolgt durch eine Musterzulassung. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich bei dem Antragsteller um einen Entwicklungsbetrieb gem. EASA Part 21 Subpart J handelt.
5

Um Ersatzteile selbst entwickeln, herstellen und bei der Instandhaltung verwenden zu dürfen unterhielt die Beklagte eine Abteilung, die intern und in § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrags des Klägers als Subpart 21 J bezeichnet wurde.
6

Anfang Dezember 2013 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten diese Tätigkeit als Entwicklungsbetriebe nur noch bis 31. März 2014 selbst zu erbringen und diese ab 1. April 2014 auf eine Tochtergesellschaft auszulagern. Im Hinblick darauf kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers am 17. Dezember 2013 ordentlich zum 31. März 2014; hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Am 28. Januar 2014 wurde die Aa gegründet. Unternehmensgegenstand ist die Erbringung von Ingenieurleistungen und Entwicklungstätigkeiten im Luftfahrtbereich. Alleinige Gesellschafterin ist die Beklagte. Am 25. März 2014 wurde der Kläger mit einem Informationsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB über den Übergang des Teilbetriebs „Subpart 21 J“ von der Beklagten auf die Aa ab 1. April 2014 informiert (Bl. 175ff d.A.). Mit Schreiben vom 25. April 2014 widersprach der Kläger dem Betriebsübergang.
7

Nachdem er die Beklagte mit E-Mail vom 30. Dezember 2013 erfolglos zur Zahlung rückständiger Arbeitsvergütung aufgefordert hatte, erstattete der Kläger mit Schreiben vom 20. Januar 2014 (Bl. 95, 96 d.A.) Strafanzeige gegen die Beklagte. Die Beklagte kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise ordentlich mit Schreiben vom 28. Januar 2014 (Bl. 81 d.A.). Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 4. Februar 2014 beim Arbeitsgericht erweiterten Klage.
8

Wegen eines weiteren Schreibens an die Staatsanwaltschaft vom 3. Februar 2014 (Bl. 100,101 d.A.) kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 10. Februar 2014 (Bl. 90 d.A.) fristlos hilfsweise ordentlich. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 13. Februar 2014 beim Arbeitsgericht erweiterten Klage.
9

Mit einem am 17. Februar 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, die 7750 € nicht überschreiten sollte, beantragt (Bl. 92-94 d.A.). Zur Begründung führt die Beklagte an, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit sei nach den Strafanzeigen des Klägers nicht zu erwarten. Zudem habe er das Unternehmen mit einer Anzeige bei der L, einem wichtigen Kunden der Beklagten, an den Rand der Insolvenz gebracht, habe die Beklagte bzw. deren Geschäftsführer erpresst, möglicherweise sogar Insolvenzantrag gestellt und Mitarbeiterinnen bedrängt.
10

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 119-121R d.A.) Bezug genommen.
11

Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 28. Januar 2014 und 10. Februar 2014 seien unwirksam. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger bei der Erstattung der Strafanzeige wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gegenüber den Strafermittlungsbehörden gemacht habe. Die ordentliche Kündigung vom 17. Dezember 2013 sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt, da nicht erkennbar sei, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, dass das Bedürfnis zur Beschäftigung des Klägers zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31. März 2014 entfallen werde. Es sei bereits nicht erkennbar, dass der Arbeitsplatz des Klägers in der Abteilung Konstruktion von der Maßnahme betroffen sei. Der Kläger habe nämlich angeführt, in einer Designabteilung tätig gewesen zu sein. Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Es sei nicht ersichtlich, wann und in welcher Form der Kläger dem Kunden L einen Hinweis gegeben habe. Die Strafanzeigen seien durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers gestellt worden. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass dies zum Zwecke der Schädigung der Beklagten erfolgt sei.
12

Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 23. April 2014 zugestellt. Er hat dagegen am 16. Mai 2014 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 23. Juli 2014 am 21. Juli 2014 begründet.
13

Soweit der Kläger erstinstanzlich geäußert habe, ihm sei eine „Konstruktionsabteilung“ nicht bekannt, er sei in einer „Designabteilung“ beschäftigt, handele es sich dabei um dieselbe Abteilung. Der Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers bei der Beklagten zum 31. März 2014 sei bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung konkret und greifbar gewesen. Die Kündigungen vom 28. Januar 2014 und 10. Februar 2014 seien aufgrund der von seinem Prozessbevollmächtigten erstatteten Strafanzeigen gerechtfertigt. Es habe sich um eine unverhältnismäßige Reaktion auf die zuvor ausgesprochenen Kündigungen und die Nichtzahlung des Gehaltes gehandelt. Durch die Strafanzeigen habe der Kläger die Beklagte bzw. deren Geschäftsführer leichtfertig beschuldigt und das Vertrauensverhältnis in unzumutbarer Weise belastet. Der Kläger hätte die Arbeitsgerichte anrufen müssen, um seine Lohnansprüche geltend zu machen, anstatt Strafanzeige zu erstatten. Die Strafanzeigen seien verfolgt, um Druck auf die Beklagte aufzubauen. Um die Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflichten sei es dem Kläger zu keinem Zeitpunkt gegangen. Vielmehr habe er eine Zahlungswilligkeit auf Seiten der Beklagten herbeiführen wollen, wohl wissend dass die Ermittlungsbehörden insbesondere bei Steuerhinterziehung immer sehr schnell und heftig Ermittlungen bis hin zu Hausdurchsuchungen und zur Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen einleiten. Das Verhalten seines Prozessbevollmächtigten sei dem Kläger zuzurechnen. Die Begründetheit ihres Auflösungsantrags ergebe sich daraus, dass der Kläger sich von den Strafanzeigen nicht distanziert, sondern diese im Gegenteil wenn nicht initiiert so doch zumindest geduldet und dadurch den Geschäftsführer der Beklagten diffamiert habe. Außerdem habe er die Beklagte bei deren größten Auftraggeberin in arge Bedrängnis gebracht und mehrfach mit der Stellung eines Insolvenzantrages gedroht. Daher sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich.
14

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18. März 2014-3 Ca 517/13-teilweise abzuändern

und die Klage abzuweisen,

hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 7750 € nicht überschreiten sollte, aufzulösen.

15

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

16

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend.
17

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18

I.

19

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b ArbGG. Sie ist auch form-und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

20

Die Berufung ist nicht begründet.
21

Die ordentliche Kündigung vom 17. Dezember 2013 zum 31. März 2014 ist unwirksam. Dies ergibt sich aus § 613a Abs. 4 BGB. Danach ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam. Dies ist hier der Fall. Wie die Beklagte in der Berufungsbegründung im Einzelnen dargelegt hat übertrug sie den Betriebsteil Part 21J, dem der Kläger angehörte und der als Konstruktionsabteilung eine eigenständige organisatorische Einheit darstellte, auf das neu gegründete (Tochter-) Unternehmen Aa. Wie sich aus der Information des Klägers vom 25. März 2014-insbesondere unter II. 2.- (Bl. 175-177 d.A.) ergibt, geht die Beklagte insoweit selbst von einem Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB aus. Dann erweist sich die wegen des Betriebsübergangs ausgesprochene ordentliche Kündigung des Klägers nach § 613a Abs. 4 BGB als unwirksam.
22

Die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28. Januar 2014 ist unwirksam.
23

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile-jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist-zumutbar ist oder nicht.
24

Zwar kann die Erstattung einer Strafanzeige an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer mit der Erstattung einer Strafanzeige ein staatsbürgerliches Recht wahrnimmt (Bundesarbeitsgericht 7. Dezember 2006-2 AZR 400/05-Rn. 17). Zu berücksichtigen ist ferner, ob der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung erfolgt ist und ob der Arbeitnehmer bereits bei der Erstattung der Anzeige wusste, dass der erhobene Vorwurf nicht zutrifft oder dies jedenfalls leicht erkennen konnte oder ob er einen unverhältnismäßigen Gebrauch von seinem Recht machte (Bundesarbeitsgericht 27. September 2012 -2 AZR 646/11- Rn. 37). Soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden, darf die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung abzuleiten (BVerfG 2. Juli 2001 -1 BvR 2049/00- Rn. 20).
25

Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Kläger zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei ihm das Handeln seines Rechtsanwalts zuzurechnen ist. Unstreitig bestanden Vergütungsrückstände auf die seitens der Beklagten zu zahlende Arbeitsvergütung. Der Kläger hatte seine Ansprüche zuvor gegenüber der Beklagten mit E-Mail vom 30. Dezember 2013 (erfolglos) geltend gemacht (Bl. 78 d.A.). Schließlich schilderte er in seiner Strafanzeige vom 20. Januar 2014 (Bl. 95,96 d.A.) keinen unzutreffenden Sachverhalt. Die Erstattung der Strafanzeige war auch keine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten. Nachdem die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Vielzahl von Kündigungen ausgesprochen hatte, leistete sie auch soweit deren Unwirksamkeit rechtskräftig feststand die dem Kläger zustehende Annahmeverzugsvergütung nicht oder machte auch nur möglicherweise bestehende Einwendungen geltend. Wenn der Kläger aufgrund dieser vollständigen Verweigerungshaltung der Beklagten die Hilfe der Strafverfolgungsbehörden in Anspruch nahm, stellte dies eine nachvollziehbare Reaktion dar. Dies gilt umso mehr, als -wie der Klägervertreter im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht unwidersprochen ausführte- die Beklagte ihrerseits zuvor am 24. September 2013 gegen den Kläger wegen eines Gesprächs auf dem Gerichtsflur Strafanzeige wegen Erpressung gestellt hatte. Der Kläger mag sich auch durch dieses Verhalten der Beklagten zur Erstattung seiner Strafanzeige veranlasst gesehen haben. Wenn die Beklagte ihrerseits die Strafermittlungsbehörden gegenüber dem Kläger einschaltete, stellt es keine unverhältnismäßige Reaktion dar, wenn auch der Kläger das Verhalten der Beklagten staatsanwaltschaftlich überprüfen lässt, sofern er -wie geschehen- keine bewusst wahrheitswidrigen oder leichtfertig unzutreffenden Tatsachenangaben macht.
26

Aus diesen Gründen erweist sich auch die hilfsweise ordentliche Kündigung als unwirksam, § 1 Abs. 2 KSchG.
27

Auch die Kündigung vom 10. Februar 2014 ist weder als fristlose noch als ordentliche wirksam, §§ 626 BGB, 1 Abs. 2 KSchG. Die Beklagte zieht als Kündigungsgrund insoweit das Schreiben des Klägervertreters vom 3. Februar 2014 an die Staatsanwaltschaft heran (Bl. 100,101 d.A.). Hierbei handelt es sich um eine ergänzende Informationen der Staatsanwaltschaft über den seit der zuvor erfolgten Anzeigeerstattung stattgefundenen Sachverhalt. Die dort gemachten Tatsachenangaben sind weder bewusst wahrheitswidrig noch leichtfertig unzutreffend. Auch insoweit ist schließlich zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch die zuvor von ihr im September 2013 veranlasste Einschaltung der Staatsanwaltschaft die nächste Eskalationsstufe der Auseinandersetzung beschritten und das genannte Verhalten des Klägers damit provoziert hat.
28

Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet.
29

Nach § 9 Abs. 1 S. 2 hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber im Sinne von § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die der Erwartung einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgung rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (Bundesarbeitsgericht 11. Juli 2013 -2 AZR 994/12- NZA 2014, 250, Rn. 56). Auch die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber kann die betriebliche Zusammenarbeit erschweren, wenn nachgewiesen ist, dass dieser wahrheitswidrig vom Arbeitnehmer beschuldigt wurde oder zumindest ein dringender Tatverdacht insoweit besteht (Hess. LAG 4. Dezember 2013 -2 Sa 409/13- Seite 27).
30

Bei der Anwendung des § 9 KSchG ist der sich aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz ergebende Grundrechtsschutz des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Verfassungsrechtlich nicht vertretbar ist es, Gründe, die das Gericht für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht hat ausreichen lassen, als erheblich genug anzusehen, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG zu rechtfertigen (BVerfG 20. Oktober 2004 -1 BvR 1944/01- AP Nr. 49 zu § 9 KSchG 1969- Rn. 29).
31

Die Beklagte stützt den Auflösungsantrag darauf, dass der Kläger sich von den Strafanzeigen nicht distanziert, sondern diese im Gegenteil wenn nicht initiiert so doch zumindest geduldet und dadurch den Geschäftsführer der Beklagten diffamiert habe. Außerdem habe er die Beklagte bei deren größten Auftraggeberin in arge Bedrängnis gebracht und mehrfach mit der Stellung eines Insolvenzantrages gedroht.
32

Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers erstatteten Strafanzeigen vom 20. Januar 2014 bzw. 3. Februar 2014, die diesem als Handeln seines Vertreters zuzurechnen sind, wurden von der Beklagten bereits zur Rechtfertigung der Kündigungen vom 28. Januar 2014 und 10. Februar 2014 herangezogen und führten nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wie dort im Einzelnen ausgeführt war der Kläger zur Erstattung der Strafanzeige berechtigt, er schilderte den Ermittlungsbehörden keinen unzutreffendem Sachverhalt und reagierte durch die Erstattung der Strafanzeige gegenüber der Beklagten auch nicht unverhältnismäßig. Unter Berücksichtigung dessen kann sein Verhalten auch zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis nicht rechtfertigen, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass wenn die Beklagte ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger erfüllt, sich dieser ihr gegenüber entsprechend verhält. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die Beklagte durch die von ihr am 24. September 2013 erstattete Strafanzeige gegen den Kläger die später von ihm gegen sie erhobenen Strafanzeigen geradezu provoziert hat.
33

Auch die weiteren für den Auflösungsantrag von der Beklagten herangezogenen Gründe waren bereits Gegenstand vorangegangener Kündigungen und sind nicht geeignet, diesen zu rechtfertigen.
34

Den behaupteten Hinweis des Klägers gegenüber einem Kunden, der L, hat die Beklagte zur Rechtfertigung der fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 7. Januar 2014 herangezogen und dort nicht näher zu substantiieren vermocht. Gegen die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Kündigung hat die Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt. Auch hinsichtlich des Auflösungsantrags hat sie diesen Vorwurf nicht näher darlegen können. Es ist nach wie vor offen, ob der Kläger wann gegenüber welchem Mitarbeiter der L inwieweit nachteilige Informationen in Bezug auf die Beklagte weitergegeben hat.
35

Auch die Drohung mit dem Insolvenzantrag war bereits Gegenstand einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, nämlich der vom 2. Januar 2014. Gegen die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Kündigung hat die Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass wenn die Beklagte künftig die ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger erfüllt und insbesondere die ihm zustehende Arbeitsvergütung leistet, dieser für derartige Drohungen keine Veranlassung hat.
36

Steht damit der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses fest, kann der Kläger seine Weiterbeschäftigung verlangen, §§ 611, 613, 242 BGB.

III.

37

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
38

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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