LAG Hessen, 27.10.2014 – 17 Sa 211/14

April 30, 2019

LAG Hessen, 27.10.2014 – 17 Sa 211/14
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2013, 24 Ca 1841/13, abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 11. März 2013 noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. März 2013 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.245,31 EUR (in Worten: Vierundzwanzigtausendzweihundertfünfundvierzig und 31/100 Euro) brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 9.346,05 EUR (in Worten: Neuntausenddreihundertsechsundvierzig und 05/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.945,29 EUR (in Worten: Eintausendneunhundertfünfundvierzig und 29/100 Euro) brutto abzüglich 445,05 EUR (in Worten: Vierhundertfünfundvierzig und 05/100 Euro) netto seit dem 01. April 2013 sowie aus jeweils 3.716,67 EUR (in Worten: Dreitausendsiebenhundertsechzehn und 67/100 Euro) brutto abzüglich 1.483,50 EUR (in Worten: Eintausendvierhundertdrei-undachtzig und 50/100 Euro) netto seit 01. Mai 2013, 01. Juni 2013, 01. Juli 2013, 01. August 2013, 01. September 2013 und 01. Oktober 2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 41% und die Beklagte zu 59%.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen, um Weiterbeschäftigung und um Zahlung. Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 239 bis 252 d.A.) Bezug genommen.
2

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch am 10. Dezember 2013 verkündetes Urteil, 24 Ca 1841/13, überwiegend und unter Abweisung eines Teils der geltend gemachten Zahlungsansprüche stattgegeben.
3

Es hat die Kündigungen vom 11. März 2013 und 25. März 2013 sowohl als außerordentliche als auch als ordentliche Kündigungen als unwirksam angesehen und die Unwirksamkeit als außerordentliche Kündigung zunächst schon mit der Versäumung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB begründet. Der den Kündigungen zugrundeliegende Vorgang vom 13. Februar 2013 sei der Regionalleiterin A, die ja nach eigener Darstellung der Beklagten kündigungsberechtigt sei, seit dem 13. Februar 2013 bekannt gewesen. Auch wenn es sachdienlich gewesen sein mag, mit dem Kläger zunächst ein Personalgespräch zu führen, um ihm Gelegenheit zu geben, entlastende Gesichtspunkte vorzutragen, hätte dieses nicht erst am 26. Februar 2013 stattfinden dürfen, so dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gehemmt gewesen sei.
4

Es liege aber auch weder ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB noch ein sozial rechtfertigender Grund i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG vor.
5

Soweit der Kläger am 13. Februar 2013 drei Stunden zu spät seinen Standby-Dienst angetreten habe, liege zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor. Eine derartige Pflichtverletzung rechtfertige jedoch ohne vorherige Abmahnung keine Kündigung. Dasselbe gelte, soweit die Beklagte die Kündigung auf das Verhalten des Klägers gegenüber seiner Vorgesetzten A bzw. auf Äußerungen über A gegenüber anderen Mitarbeitern stütze. Auch insoweit liege insb. in der Verweigerung des Gesprächs mit dieser und auch in seinen Äußerungen gegenüber dem Vorgesetzen B arbeitsvertragswidriges Verhalten vor. Die Beklagte wäre aber auch insoweit verpflichtet gewesen, den Kläger vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Unabhängig davon folge die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auch aus der abschließend vorzunehmenden Interessenabwägung. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigungen beruhe wie die der außerordentlichen auf fehlender Abmahnung. Ob der Kläger berechtigt gewesen sei, die Kündigung vom 11. März 2013 gemäß § 174 BGB zurückzuweisen, könne damit offen bleiben. Infolge Unwirksamkeit der Kündigungen sei die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers und zur Vergütungszahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs verpflichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 252 bis 264 d.A.) verwiesen.
6

Gegen dieses ihr am 18. Februar 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24. Februar 2014 Berufung eingelegt und diese nach aufgrund Antrags vom 8. April 2014 erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 22. Mai 2014 am 22. Mai 2014 begründet.
7

Sie wiederholt unter Vertiefung ihrer Argumentation ihren Vortrag und wendet sich gegen die Annahme der angefochtenen Entscheidung, bereits die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt, verweist darauf, die Frist für eine regelmäßig innerhalb einer Woche durchzuführenden Anhörung des Arbeitnehmers könne im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden, und meint, solche besonderen Umstände lägen vor. Das Arbeitsgericht habe in diesem Zusammenhang zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass der Kläger bereits am 13. Februar 2013 erfolglos zu einem Personalgespräch geladen war und der Kläger das von seiner Dienstvorgesetzten angeordnete Gespräch vereitelt habe. Die angefochtene Entscheidung habe ferner verkannt, dass der Kläger nach dem 13. Februar 2013 noch im weltweiten Flugbetrieb eingesetzt gewesen sei, so dass es ihr organisatorisch überhaupt nicht möglich gewesen sei, ihn nach dem 13. Februar 2013 innerhalb der Wochenfrist zu einem neuen Anhörungstermin zu laden. Die Beklagte meint, die Kündigung sei jedenfalls als ordentliche Kündigung wirksam. Ein Abmahnungserfordernis bestehe nicht. Der Kläger habe sich hartnäckig geweigert, Weisungen seiner Dienstvorgesetzten anzunehmen bzw. seine Dienstvorgesetzte überhaupt als Weisungsgeber zu akzeptieren. Das Verhalten des Klägers stelle eine beharrliche Arbeitsverweigerung dar, so dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Sie hält daran fest, der Kläger habe sich auch nach Ausspruch der Kündigungen pflichtwidrig verhalten, und vertritt die Auffassung, auch dies falle ins Gewicht. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufung wird auf den Schriftsatz vom 22. Mai 2014 (Bl. 305 f d.A.) Bezug genommen.
8

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2013, 24 Ca 1841/13, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Er hält daran fest, die Kündigung vom 11. März 2013 sei bereits aufgrund der Zurückweisung wegen Vollmachtslosigkeit unwirksam, verteidigt die angefochtene Entscheidung, teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt und meint, eine Abmahnung sei nicht entbehrlich gewesen. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens in der Berufung wird auf den Schriftsatz vom 27. Juni 2014 Bezug genommen (Bl. 340 f d.A.).
Entscheidungsgründe
11

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2013, 24 Ca 1841/13, ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit b und c ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.
12

Sie ist auch zum Teil begründet.
13

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde zwar weder durch außerordentliche oder ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. März 2013 noch durch außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. März 2013 beendet. Es endete aber aufgrund wirksamer ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 25. März 2013 am 30. September 2013. Dementsprechend steht dem Kläger kein Weiterbeschäftigungsanspruch zu und bestehen Vergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nur bis 30. September 2013.
14

Das Arbeitsgericht hat zunächst zu Recht erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. März 2013 noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 11. März 2013 beendet wurde. Die Kündigung vom 11. März 2013 ist sowohl als außerordentliche als auch als ordentliche Kündigung unwirksam, denn der Kläger hat sie unverzüglich mangels Vollmachtsvorlage zurückgewiesen, § 174 Satz 1 BGB.
15

Der Kündigung vom 11. März 2013 waren keine Vollmachten auf die sie unterzeichnenden Personen beigefügt.
16

Unterschrieben ist die Kündigung von der Arbeitnehmerin A, benannt als „Regionalleiterin Kabinendienst“, und der Arbeitnehmerin C, benannt als „Teamleiterin Personaldienst Kabine“. Für diese Personen war eine Vollmachtsvorlage nicht wegen § 174 Satz 2 BGB entbehrlich, wonach die Zurückweisung ausgeschlossen ist, wenn der Vollmachtgeber den Erklärungsempfänger von der Bevollmächtigten in Kenntnis gesetzt hat.
17

Eine ausdrückliche Erklärung der Beklagten gegenüber dem Kläger, wonach A und/oder C kündigungsbefugt sind, wird von der Beklagten nicht nachvollziehbar behauptet.
18

Nach gefestigter Rspr. kann die Mitteilung der Kündigungsbefugnis auch – konkludent – dadurch geschehen, dass der betreffende Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Hiernach bedeutet die Berufung eines Mitarbeiters in die Stellung als Leiter der Personalabteilung, als Prokurist oder als Generalbevollmächtigter in der Regel, dass die Arbeitnehmer des Betriebs auch i.S.d. § § 174 Satz 2 BGB davon in Kenntnis gesetzt sind, dass der Betreffende zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt ist (BAG 20. August 1997 – 2 AZR 518/96– AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11 m.w.N.).
19

Die Arbeitnehmerin C ist nicht in eine solche Stellung berufen. Die Beklagte hat nicht nachvollziehbar dargelegt, der Arbeitnehmerin C die Stellung als Leiterin der Personalabteilung übertragen zu haben. Die Arbeitnehmerin C selbst zeichnet als Teamleiterin Personaldienst Kabine und nicht als Personalleiterin, auch nicht als „Personalleiterin Kabine“ oder „Personalleiterin für die Kabinenmitarbeiter“. Die Beklagte behauptet auch nicht, etwa drei verschiedene Personalabteilungen zu besitzen, nämlich jeweils eine für das Boden, für das Copckpit- und für das Kabinenpersonal. Die Beklagte spricht allerdings von einer „Gesamt“-Personalleiterin, hierbei allerdings nicht bei der Arbeitnehmerin C, sondern bei der Arbeitnehmerin D. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass der Arbeitnehmerin C die Funktion der Leiterin der Personalabteilung übertragen wäre. Es verbleibt vielmehr dabei, dass Personalsachbearbeiter, stellvertretende Personalleiter oder sonstige hierarchisch unterhalb der Leitungsebene der Personalabteilung angesiedelte Mitarbeiter – auch wenn im Einzelfall Kündigungsbefugnis vorliegt – keine Stellung ausüben, die generell mit der Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt, so dass in diesen Fällen für die Anwendung des § 174 Satz 2 BGB erforderlich ist, dass für die Belegschaft zweifelsfrei feststeht, dass ein bestimmter Arbeitnehmer bzw. der Inhaber einer bestimmten Stelle unterhalb des Personalabteilungsleiters – ggf. in dessen Vertretung – zur Abgabe von Kündigungserklärungen bevollmächtigt ist. Dazu wäre etwa eine an die Arbeitnehmer des Betriebs gerichtete Erklärung der Bevollmächtigung geeignet, die von diesen zur Kenntnis genommen werden kann (BAG 20. August 1997 – 2 AZR 518/96– aaO; vgl. auch BAG 29. Juni 1989 – 2 AZR 482/88– AP BGB § 174 Nr. 7). Eine solche die Arbeitnehmerin C betreffende Erklärung ist von der Beklagten nicht dargelegt.
20

Auch der Arbeitnehmerin A ist unbeschadet ihrer im Einzelfall tatsächlich bestehenden Kündigungsbefugnis keine Stellung übertragen, die generell mit Kündigungsbefugnis einhergeht. Dies kann weder aus ihrer Funktion als Regionalleiterin Kabine abgeleitet werden noch impliziert Vorgesetztenstellung von vornherein Kündigungsbefugnis.
21

Die Zurückweisung der Kündigung vom 11. März 2013 erfolgte schließlich unverzüglich i.S.d. § 174 Satz 1 BGB, nämlich mit Schreiben vom 13. März 2013.
22

Die Kündigung der Beklagten vom 25. März 2013 ist als außerordentliche Kündigung schon wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, ist nach eigenem Vortrag der Beklagten die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Die zur Kündigung herangezogenen Umstände waren hiernach der Arbeitnehmerin A seit 13. Februar 2013 bekannt, wobei A nach Behauptung der Beklagten kündigungsberechtigt ist. Die Argumentation der Beklagten im Berufungsrechtszug führt zu keiner anderen Beurteilung. Diese Argumentation ist für die zweite Kündigung, also die vom 25. März 2013, unerheblich. Hemmung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bis zur Durchführung des Personalgesprächs vom 26. Februar 2013 würde nur für die allerdings bereits aus anderen Gründen unwirksame Kündigung vom 11. März 2013 zur Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB führen, nicht jedoch für die Kündigung vom 25. März 2013.
23

Die Kündigung der Beklagten vom 25. März 2013 ist allerdings als ordentliche Kündigung wirksam und führt unter Einhaltung der Kündigungsfrist nach § 22 MTV Nr. 2 für das Kabinenpersonal der Beklagten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2013.
24

Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 25. März 2013 ist nicht sozial ungerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 1 KSchG. Sie ist durch im Verhalten des Klägers liegende Gründe bedingt, § 1 Abs. 2 KSchG.
25

Eine Kündigung ist durch im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Gründe bedingt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12– EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 83; BAG 27. September 2012 – 2 AZR 811/11– EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 81; BAG 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11– AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 66; BAG 19. April 2012 – 2 AZR 186/11– AP KSchG 1969 § 14 Nr. 13).
26

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst die erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/13 – a.a.O.; BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11– AP BGB § 626 Nr. 239; BAG 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11– a.a.O.; BAG 19. April 2012 – 2 AZR 186/11– a.a.O.).
27

Nach diesen Grundsätzen liegt ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor. Das Vorliegen arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung verneint die Kammer das Abmahnungserfordernis. Die Kammer stellt hierbei nicht auf arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen des Klägers ab, die darin begründet sind, dass er nicht dafür Sorge trug, dass zu Beginn seines Standby-Dienstes sein Reisepass zur Verfügung stand und dass er seinen Standby-Dienst verspätet antrat. Hinsichtlich dieser Pflichtverletzungen hat die angefochtene Entscheidung vielmehr zutreffend auf ein Abmahnungserfordernis abgestellt. Dies gilt allerdings nicht für die weitere Pflichtverletzung des Klägers, die darin begründet ist, dass er es ablehnte, das von seiner Vorgesetzten A angeordnete Personalgespräch wahrzunehmen.
28

Die Vorgesetzte A war gemäß §106 GewO berechtigt, den Kläger anzuweisen, wegen der Vorgänge um seinen Standby-Dienst ein Personalgespräch zu führen. Gegen die Anordnung des Gesprächs für den 13. Februar 2013 um 16.00 Uhr bestehen keine Bedenken. Für den Kläger begann seit Standby-Dienst am 13. Februar 2013 um 12.00 Uhr, so dass er ab diesem Zeitpunkt ohnehin verpflichtet war, nicht nur erreichbar zu sein, sondern auch binnen 60 Minuten seinen Stationierungsort aufsuchen zu können.
29

Die Anordnung des Personalgesprächs durch die Vorgesetzte A ist vom Kläger nicht substantiiert bestritten. Soweit er erstinstanzlich ausgeführt hat, ihm sei von einer Anordnung eines „offiziellen“ Personalgesprächs nichts bekannt, ist nicht erkennbar, dass zwischen offiziellen und inoffiziellen Personalgesprächen zu differenzieren sei. Der Kläger selbst hat eingeräumt, dass A ihn anlässlich des am 13. Februar 2013 geführten Telefonats aufgefordert hatte, bei ihr vorzusprechen, wenn er in Frankfurt sei. Dass der Kläger dieses Gespräch am 13. Februar 2013 nicht führte, ist unstreitig. Dass er bereits anlässlich des Telefonats erklärte, er wünsche nicht mit A zu sprechen und habe kein Interesse an einem klärenden Gespräch, hat der Kläger selbst vorgetragen. Dass ein entsprechender Eintrag im Dienstplan des Klägers vermerkt und er von der Einsatzdisposition nochmals über das angesetzte Personalgespräch informiert wurde, hat der Kläger nicht bestritten. Damit steht fest, dass eine Anweisung der Vorgesetzten A vorlag, der Kläger von dieser positiv Kenntnis hatte und er sich bewusst über sie hinwegsetzte.
30

Einer Abmahnung bedurfte es nicht, denn das Verhalten des Klägers erschöpft sich nicht in der schlichten Nichtbefolgung einer ihm bekannten zulässigen Anweisung. Der Kläger hat sich vielmehr beharrlich geweigert, der Weisung seiner Vorgesetzten nachzukommen. Sein Verhalten zeigt über die schlichte Nichtbefolgung der Anweisung zur Führung eines Personalgesprächs hinaus eine Intensität und eine Nachhaltigkeit, die auch ohne Vorliegen einer einschlägigen Abmahnung die Prognose rechtfertigen, die Kläger werde auch künftig in vergleichbaren Konfliktsituationen berechtigten Weisungen nicht nachkommen.
31

Unabhängig vom ohnehin vorliegenden und bereits festgestellten Vorsatz begründet sich diese gesteigerte Intensität, die auf Nachhaltigkeit des Willens und damit darauf schließen lässt, dass dem Kläger einerseits erkennbar aber egal war, dass die Beklagte sein Verhalten nicht dulden würde und andererseits Verhaltensänderungen auch nach Abmahnung nicht zu erwarten sind, darauf, dass der Kläger bereits anlässlich des mit A geführten Telefonats eine Befolgung der erteilten Weisung ablehnte, also aktiv gegenüber der Vorgesetzten zum Ausdruck brachte, er werde ihrer Weisung nicht nachkommen, er dies gegenüber Dritten bestätigte, unstreitig mit den Worten, auch wenn A „sich auf den Kopf stelle“, damit in Erwartung und auf die Gefahr hin, dass sein Verhalten eben nicht noch akzeptiert wird und unbeschadet einhergehender Konsequenzen, und er auch nach der Pflichtverletzung gegenüber Dritten, zumindest gegenüber dem Leiter Kabinendienst, zweimal mit zeitlichem Abstand, sein Verhalten nicht nur zu begründen versuchte, sondern auch für die Zukunft ankündigte, kein Gespräch mit A führen zu wollen. Dies geht deutlich über eine schlichte vorsätzliche Nichtbefolgung von Weisungen hinaus und wird auch nicht dadurch relativiert, dass der Kläger sich in der Folgezeit bei A entschuldigte. Vielmehr zeigt sein Verhalten, dass er in Kenntnis der Nichtakzeptanz seines Verhaltens berechtigten Aufforderungen von Vorgesetzten, die ihren Anlass letztlich in weiteren Pflichtverstößen des Klägers haben, nicht nachkommt, diese auf Gefahr etwaiger Konsequenzen hin ignoriert und ähnliche Verhaltensweisen auch für die Zukunft zu befürchten sind. Die für den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung erforderliche negative Verhaltensprognose rechtfertigt sich auch ohne vorherige Abmahnung bereits aufgrund intensiver und nachhaltiger Weigerung des Klägers, der berechtigten Weisung der Vorgesetzten A nachzukommen.
32

Im Rahmen der Interessenabwägung überwiegen die berechtigten Beendigungsinteressen der Beklagten.
33

Zugunsten des Klägers sprechen sein Lebensalter, die Dauer seiner Beschäftigungszeit und seine Unterhaltspflichten. Die Kammer berücksichtigt Unterhaltspflichten im Rahmen der Interessenabwägung grundsätzlich auch bei verhaltensbedingten Kündigungen. Die Kammer unterstellt im Rahmen der Interessenabwägung, dass der Kläger sich anlässlich des Telefonats von A unfreundlich behandelt fühlte. Dem kommt allerdings keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da der Anlass der Auseinandersetzung jedenfalls auf Pflichtverletzungen des Klägers zurückzuführen war, nämlich nicht rechtzeitiger Antritt des Standby-Dienstes und Fehlen des für bestimmte Auslandseinsätze erforderlichen Reisepasses, und etwaige Unstimmigkeiten in dem von A geforderten Personalgespräch gerade auch hätten beseitigt werden können. Weitere besondere Umstände anlässlich des konkreten Vorfalls, die zugunsten des Klägers zu berücksichtigten wären, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist es nicht Sache des Klägers zu entscheiden, ob oder ob nicht Gespräche über vorangegangene Pflichtverletzungen geführt werden sollen, zu Ergebnissen führen können oder als sinnvoll erscheinen.
34

Zu Lasten des Klägers spricht sein Verschulden. Er handelte vorsätzlich.
35

Zugunsten des berechtigten Beendigungsinteresses der Beklagten spricht ihr Interesse, zulässige Weisungen auch durchzusetzen. In diesem Zusammenhang spricht auch für sie, dass sie aus Gründen der Betriebsdisziplin in konsequenter Weise vorsätzlichem und beharrlichem Ignorieren von Anweisungen entgegenwirken und dokumentieren darf, dass dies nicht geduldet wird. Auch derartige Gesichtspunkte der Betriebsdisziplin stellen zulässige Kriterien innerhalb der Interessenabwägung dar (BAG 04. Juni 1997 – 2 AZR 526/96– AP BGB § 626 Nr. 137), ebenso generalpräventive Gesichtspunkte (vgl. BAG 11. Dezember 2003 – 2 AZR 36/03– AP BGB § 626 Nr. 179). Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Beklagten keine zumutbaren milderen Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen sind, nachdem sie eben auch künftig mit entsprechendem vertragswidrigen Verhalten des Klägers und Nichtbefolgen ausdrücklicher Anweisungen rechnen muss.
36

Die ordentliche Kündigung vom 25. März 2013 ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung der Personalvertretung gemäß § 71 Abs. 1 des für die Beklagte gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG abgeschlossenen Tarifvertrages Personalvertretung Condor vom 31. August 1992 (TV PV) unwirksam. Der Kläger hat zwar erstinstanzlich zunächst die ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung bestritten. Nachdem die Beklagte aber im Rechtsstreit durch Vorlage der Anhörungsschreiben vom 1. März 2013 und 15. März 2013 die ordnungsgemäße Anhörung schlüssig dargelegt hat, hat der Kläger keine weiteren Beanstandungen erhoben und insbesondere nicht erklärt, wo und aus welchen Gründen er von einer fehlerhaften Anhörung ausgehe. Die ordnungsgemäße Anhörung ist damit nicht substantiiert bestritten.
37

Infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2013 steht dem Kläger der erstinstanzlich zuerkannte Weiterbeschäftigungsanspruch nicht zu. Die erstinstanzlich zuerkannten Vergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges, §§ 611 Abs. 1, 615 BGB, sind dementsprechend ebenfalls in der zuerkannten Höhe nur bis 30. September 2013 begründet.
38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
39

Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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