LAG Hessen, 31.07.2017 – 16 TaBV 221/16

März 25, 2019

LAG Hessen, 31.07.2017 – 16 TaBV 221/16

Leitsatz:

Einzelne Betriebsratsmitglieder haben keine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition, nach der die Betriebsratsvorsitzende verpflichtet ist, von ihr nach § 29 Absatz 3 BetrVG auf die Tagesordnung gesetzte Tagesordnungspunkte zu beraten und im Nachgang hieran den Betriebsrat über den beantragten Tagesordnungspunkt abstimmen zu lassen. Ein derartiges Recht steht dem Betriebsrat als Gremium zu. Allenfalls können im Rahmen des § 29 Absatz 3 BetrVG einem Viertel der Mitglieder des Betriebsrats die dort genannten Rechte zustehen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2016 – 2 BV 102/16 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Betriebsratsvorsitzende verpflichtet ist, Tagesordnungspunkte, die nach § 29 Abs. 3 BetrVG auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, in der jeweiligen Betriebsratssitzung zu beraten und im Nachgang den Betriebsrat hierüber abstimmen zu lassen.

Die Antragsteller zu 1-4 sind Betriebsratsmitglieder des Gemeinschaftsbetriebsrats (Beteiligter zu 8) der Beteiligten zu 6 und 7, der aus 39 Mitgliedern besteht. Beteiligte zu 5 ist die Betriebsratsvorsitzende.

Die Beteiligten zu 1-4 haben behauptet, dass sich der Gemeinschaftsbetriebsrat weder in der Sitzung am 7. Januar 2016, noch in den Betriebsratssitzungen vom 14. und 28. Januar 2016 mit von einem Quorum nach § 29 Abs. 3 BetrVG zur Tagesordnung beantragten Punkten befasst und sich inhaltlich damit auseinandergesetzt habe.

Hinsichtlich der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. der Gründe (Bl. 133-137 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des Beschlusses (Bl. 137-139 der Akten) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller am 27. Juli 2016 zugestellt. Er hat dagegen am 29. August 2016 (Montag) Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 27. Oktober 2016 am 27. Oktober 2016 begründet.

Der Antragsteller behaupten, der Betriebsrat habe sich in den Sitzungen vom 7., 14. und 28. Januar 2016 nicht mit den von den Antragstellern auf die Tagesordnung gebrachten Anträgen befasst. In der Sitzung vom 28. Januar 2016 sei der Tagesordnungspunkt 5, als er an der Reihe war, auf Antrag der Betriebsratsvorsitzenden nicht inhaltlich behandelt worden. Eine ausführliche Erörterung sei nicht erfolgt.

Die Antragsteller beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2016 -2 BV 102/16-

  1. 1.

    die Beteiligte zu 5. zu verpflichten, Tagesordnungspunkte, welche von dieser aufgrund der Vorschrift des § 29 Abs. 3 BetrVG auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, in der jeweiligen Betriebsratssitzung zu beraten und im Nachgang hieran den Betriebsrat über den beantragten Tagesordnungspunkt abstimmen zu lassen;

  2. 2.

    für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu 1. gegen die Beteiligte zu 5 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 100.000 € -ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten- festzusetzen.

Die Beteiligten zu 5 und 8 beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie behaupten, der Antrag der Antragsteller zur Tagesordnung vom 25. Januar 2016 sei als Punkt 5 in die Tagesordnung aufgenommen worden. Der Referent des Betriebsrats habe die Sach- und Rechtslage erläutert. Anschließend sei eine ausführliche Erörterung im Gremium erfolgt. Die Betriebsratsvorsitzende habe sodann den Antrag gestellt, die Nichtbehandlung des Antrags zu beschließen, der mit 21 Ja-Stimmen bei 14 Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen worden sei.

Der Vorsitzende hat den Beteiligten unter dem 21. Juli 2017 (Bl. 275 d.A.) einen rechtlichen Hinweis erteilt, zu dem die Antragsteller mit Schriftsatz vom 28. Juli 2017 Stellung genommen haben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Antragsteller sind nicht antragsbefugt, § 81 Abs. 1 ArbGG.

Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter nur insoweit antragsbefugt, als er eigene Rechte geltend macht. Die Antragsbefugnis ist nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Ein solches kann nur derjenige einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Die Antragsbefugnis dient dazu, Popularklagen auszuschließen. Sie ist gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (BAG 13. Dezember 2005 – 1 ABR 31/03 – Rn. 24; 18. Februar 2003 – 1 ABR 17/02 – zu B III 2 a der Gründe mwN, BAGE 105, 19). Einzelne Mitglieder des Betriebsrats können gegenüber dem Betriebsrat weder die Unwirksamkeit eines Beschlusses noch die Rechtswidrigkeit von Handlungen unabhängig von einem Eingriff in eine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Im Rahmen einer sog. Binnenstreitigkeit zwischen dem Betriebsrat und einzelnen seiner Mitglieder streiten die Beteiligten nicht über Individualrechte, sondern über Kompetenzen und Rechte, die dem Betriebsrat als Gremium oder einzelnen Betriebsratsmitgliedern kraft Gesetzes zugewiesen sind. Ebenso wie das BetrVG oder das ArbGG dem einzelnen Betriebsratsmitglied kein abstraktes inhaltliches Normenkontrollrecht für vom Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarungen einräumt (BAG 29. April 2015 – 7 ABR 102/12 – Rn. 18, BAGE 151, 286), kann es nicht ohne Betroffenheit in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition in der Sache die Feststellung der Rechtmäßigkeit von Handlungen oder Entscheidungen des Betriebsrats verlangen. Das gilt auch für die Beschlussfassung des Betriebsrats. Daher ist ein einzelnes Mitglied daran gehindert, die Feststellung eines Abstimmungsergebnisses durch die Sitzungsleitung im Beschlussverfahren überprüfen zu lassen oder ein bestimmtes Abstimmungsverfahren bei der Beschlussfassung des Betriebsrats zu fordern, sofern es sich nicht auf die Verletzung eigener mitgliedschaftlicher Rechte berufen kann (BAG 7.6.2016 – 1 ABR 30/14 – Rn. 14-16).

Danach haben einzelne Betriebsratsmitglieder keine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition, nach der die Betriebsratsvorsitzende verpflichtet ist, von ihr nach § 29 Abs. 3 BetrVG auf die Tagesordnung gesetzte Tagesordnungspunkte zu beraten und im Nachgang hieran den Betriebsrat über den beantragten Tagesordnungspunkt abstimmen zu lassen. Ein derartiges Recht steht dem Betriebsrat als Gremium zu. Allenfalls können im Rahmen des § 29 Abs. 3 BetrVG einem Viertel der Mitglieder des Betriebsrats die dort genannten Rechte zustehen. Da der Betriebsrat aus 39 Mitgliedern besteht, ist dieses Quorum zwar in Bezug auf ihr Begehren bestimmte Anträge auf die Tagesordnung von Betriebsratssitzungen zu setzen (Bl. 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 45, 46 d.A.) erreicht. Wie ihr Verfahrensbevollmächtigter in seinem Schriftsatz vom 5.5.17 auf S. 2 zutreffend ausführt, geht es ihnen im vorliegenden Beschlussverfahren jedoch nicht darum, Tagesordnungspunkte auf die Tagesordnung zu setzen, sondern dass Tagesordnungspunkte, die sich auf der Tagesordnung gemäß § 29 Abs. 3 BetrVG befinden, behandelt werden und darüber abgestimmt wird. Es kann dahin stehen, ob das Quorum des § 29 Abs. 3 BetrVG auf derartige Fälle analog angewendet werden und der dort genannten Anzahl von Betriebsratsmitgliedern eine Kontrollbefugnis eingeräumt werden kann. Insoweit wird das Quorum des § 29 Abs. 3 BetrVG von den 4 Antragstellern nicht erreicht.

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, § 92 Abs. 1, § 72 ArbGG.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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