Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 09. November 1988 – 5 Sa 292/88

November 2, 2020

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 09. November 1988 – 5 Sa 292/88

Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

1. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beweist nicht, daß der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig krank ist.

2. Der Arbeitgeber kann jederzeit die Erkrankung mit Nichtwissen bestreiten (§ 138 Abs 4 ZPO) und die Lohnzahlung bis zu ihrem Nachweis verweigern.

3. Er muß dazu keine Umstände darlegen, die zu ernsthaften Zweifeln an der Erkrankung Anlaß geben.

Tenor

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 12.11.1987 — … — wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Die Klägerin behauptet gegen die Beklagte, bei der sie seit 01.09.1986 als Sekretärin angestellt war, einen Lohnanspruch vom 18.07.1987 bis 30.09.1987 zu haben. Am 17.07.1987 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos gekündigt. Die Wirksamkeit dieser Kündigung war von der Klägerin durch Klage vom 20.07.1987 angegriffen worden. Seit dem Termin vom 12.11.1987 verfolgt die Klägerin aber nur noch ihren Lohnanspruch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.09.1987. Im übrigen hat sie die Klage zurückgenommen.

Die Klägerin behauptet, vom 10.07.-31.07.1987 und erneut vom 16.09.-30.09.1987 arbeitsunfähig krank gewesen zu sein. Sie hat für diese Zeit 4 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Zeugen Dr. … vorgelegt. Für die Zwischenzeit hat sie der Beklagten nicht mitgeteilt, daß sie wieder arbeitsfähig gesund sei.

Mit Urteil vom 12.11.1987, auf das wegen des Sachvortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der von ihnen gestellten Anträge sowie wegen der rechtlichen Erwägungen des Erstgericht Bezug genommen wird hat das Arbeitsgericht München wie folgt erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 8.500,– brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich aus DM 1.700,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 01.08.1987, weitere 4% Zinsen aus dem sich aus DM 3.400,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 01.09.1987 und weitere 4% Zinsen aus dem sich aus DM 3.400,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 01.10.1987 zu bezahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf DM 8.500,– festgesetzt.

Gegen dieses der Beklagten am 04.03.1988 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 31.03.1988, die am 05.04.1988 (Dienstag nach Ostermontag) bei Gericht einging und am 05.05.1988 ordnungsgemäß begründet wurde.

Die Beklagte bestreitet weiterhin die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin und behauptet, die von ihr vorgelegten ärztlichen Atteste seien Gefälligkeitsatteste. Dies ergebe sich schon aus einem mit der Klägerin abgesprochenen Anruf ihrer Mutter am 13.07.1987 mit dem sie die Klägerin wegen Kreislaufbeschwerden entschuldigte und gleichzeitig eine Entschuldigung der Beklagten für Vorwürfe verlangte, die der Klägerin am Tage vor ihrer Erkrankung gemacht wurden. Die Mutter der Klägerin habe angekündigt, daß sie anderenfalls jede Woche eine weitere Krankmeldung schicken werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 03.05.1988 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 12.12.1987, Aktenzeichen: …, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgericht München vom 12.12.1987, Az.: …, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Klägerin trägt im 2. Rechtszug im wesentlichen vor, der Anruf ihrer Mutter vom 13.07.1987 sei ohne ihr Wissen erfolgt und der von der Beklagten behauptete Inhalt des Gesprächs werde mit Nichtwissen bestritten. Gemäß den von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei sie arbeitsunfähig krank gewesen. Da die außerordentliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes unwirksam sei, habe sie Anspruch auf Lohnzahlung bis zum 30.09.1988.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 23.06.1988, 04.07.1988 und 08.07.1988 Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 09.11.1988. Wegen des Inhalts der Beweisbeschlüsse sowie wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift unter diesem Datum Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist in der rechten Form und Frist eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG; § 518, 519 ZPO).

II.

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet. Der Klägerin steht über dem 17.07.1987 hinaus kein Lohnanspruch gegen die Beklagte zu.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen und Feststellungen:

1. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht von der Frage ab, ob die außerordentliche Kündigung vom 17.07.1987 das Arbeitsverhältnis zu diesem Termin aufgehoben hat, oder ob es bis zum 30.09.1987 fortbestanden hat. Auch in diesem Fall scheitert der Anspruch der Klägerin am Fehlen bzw. am fehlenden Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen.

2. In der Zeit bis 31.07.1987 hat die Klägerin nicht gearbeitet. Unter der Voraussetzung, daß das Arbeitsverhältnis fortbestanden hat, kommt ein Lohnanspruch für diese Zeit nur nach § 616 Abs. 1 BGB in Betracht (ggf. nach § 63 HGB, sofern die Klägerin Handlungsgehilfin gewesen ist).

§ 616 Abs. 1 BGB setzt (ebenso wie § 63 HGB) für den Lohnanspruch des Arbeitnehmers voraus, daß er durch unverschuldete Krankheit (andere Alternativen kommen nicht in Betracht) an der Leistung der Dienste verhindert war. Nach allgemeiner Meinung ist der Angestellte verpflichtet, die Anspruchsvoraussetzungen der Gehaltsfortzahlung nachzuweisen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch § 98 VI,4, BAG Urteile vom 07.11.1984 — 5 AZR 379/82; vom 23.01.1985 — 5 AZR 592/82). Dieser Nachweis ist der Klägerin nicht gelungen.

Sie hat unstreitig der Beklagten 3 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die streitgegenständliche Zeit vorgelegt. Nach der herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung kommt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes ein hoher Beweiswert zu. Die ärztliche Bescheinigung hat die tatsächliche Vermutung der Richtigkeit für sich (BAG APNr. 2 § 3 Lohnfortzahlungsgesetz; BAG vom 20.02.1985 — 5 AZR 180/83 = NZA 85, 737; BAG vom 15.12.1987 — 8 AZR 647/86 = ZTR 88, 262; Schaub a.a.O. § 98 VI,6). Nach dieser Auffassung muß der Arbeitgeber, der eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht gelten lassen will, im Rechtsstreit Umstände darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten Erkrankung Anlaß geben.

Auch das Erstgericht ist dieser Rechtsauffassung gefolgt und hat ausgeführt, daß die Beklagte keine Umstände dargelegt habe, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern würden.

Das Berufungsgericht kann weder der herrschenden Rechtsmeinung im allgemeinen noch der Sachbehandlung durch das Erstgericht beipflichten.

a) Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes ist Privaturkunde im Sinne des § 416 ZPO (Schaub a.a.O.). Nach der gesetzlichen Beweisregel dieser Norm begründet sie, wenn sie vom Arzt unterschrieben ist, vollen Beweis nur dafür, daß die in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthaltenen Erklärungen vom Arzt abgegeben worden sind. Für die Richtigkeit dieser Erklärung gilt lediglich die allgemeine Regel des § 286 ZPO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr hält.

Bei der Würdigung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nicht außer Acht gelassen werden, daß Ärzte keine Übermenschen sind, denen in größerem Maße als anderen die Fähigkeit gegeben wäre, unwahre Angaben ihrer Patienten zu durchschauen. Mehr noch als die Gerichte bei der Vernehmung von Zeugen, sind Ärzte bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auf die Angaben der Personen angewiesen, die an ihrer Entscheidung höchst und persönlich interessiert sind. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen ist der schwierigste Teil der richterlichen Tätigkeit überhaupt und Gegenstand zahlreicher Untersuchungen die zeigen, daß größte Vorsicht bei der Überzeugungsbildung geboten ist. Selbst unter der Annahme, daß der Lügner mit Hilfe von Glaubwürdigkeitskriterien entlarvt werden könnte, ist die fehlerfreie Aussage vor Gericht eher die Ausnahme als die Regel (Bender — Röder — Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band 1, Seite 1).

Bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt kommt hinzu, daß er in aller Regel keine Veranlassung hat, an der Wahrheit dessen zu zweifeln, was der Patient ihm klagt. Im Gegensatz zum Gericht bei der Beweisaufnahme muß er nicht stets wägend prüfen, ob er nicht das Opfer einer Täuschung werden soll, sondern darf von der Hilfsbedürftigkeit seines Patienten ausgehen und seine ärztlichen Maßnahmen an den geklagten Beschwerden ausrichten.

Bei Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es ausgeschlossen, einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinsichtlich ihres Inhalts einen nennenswerten Beweiswert zuzuerkennen. Dabei kann nicht einmal zwischen solchen Krankheiten unterschieden werden, die vom Arzt objektiv festgestellt werden können und anderen, bei denen er ausschließlich auf die Angaben des Patienten beschränkt ist, denn aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergibt sich weder, ob und gegebenenfalls welche Untersuchungen der Arzt vorgenommen hat, noch welche Ergebnisse er dabei festgestellt hat. Der Arbeitgeber kann nicht einmal sehen, an welcher Art von Krankheit der Arbeitnehmer angeblich leidet. Dasselbe gilt für das Gericht, wenn zum Beweis der Arbeitsunfähigkeit lediglich solche ärztliche Atteste ohne konkreten Inhalt vorgelegt werden.

Die Kammer ist deshalb der Auffassung, daß der Arbeitgeber zur Entkräftung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Umstände darlegen und beweisen muß, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten Erkrankung Anlaß geben. Ihm ist vielmehr regelmäßig das Recht einzuräumen, die Erkrankung nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen zu bestreiten, da sie nicht Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung ist. Im Regelfall wird der Arbeitnehmer den Nachweis seiner Erkrankung nicht durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne nähere Angaben über seine Erkrankung erbringen können.

b) Selbst wenn aber der herrschenden Lehre zu folgen wäre, hätte das Erstgericht nicht davon ausgehen dürfen, die Beklagte habe nicht hinreichend vorgetragen, um ernsthafte Zweifel an der behaupteten Erkrankung der Klägerin zu begründen.

Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 14.10.1987 vorgetragen, daß sie der Klägerin am 09.07.1987 Vorwürfe wegen nachlässiger Arbeit gemacht habe. Von der Berechtigung dieser Vorwürfe abgesehen, ist der Sachvortrag unbestritten geblieben. Am nächsten Tag ist die Klägerin wegen Krankheit nicht zur Arbeit erschienen. Schon dieser zeitliche Zusammenhang ist ein Umstand, der nicht außer Betracht bleiben darf. Es kommt hinzu, daß weder die Klägerin noch ihre Mutter bei telefonischen Rückrufen erreichbar waren. Am 13.07.1987 erfolgte dann der Anruf der Mutter der Klägerin mit der angeblichen Ankündigung, sie werde der Beklagten Woche für Woche eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zuschicken, sofern sie sich nicht bei der Klägerin wegen der Vorwürfe vom 09.07.1987 entschuldige. Die Beklagte hat für diesen Inhalt des Telefongespräches, und dafür, daß er mit der Klägerin abgestimmt war, Beweis angeboten durch Vernehmung der Mutter der Klägerin als Zeugin.

Diese Umstände in ihrer Gesamtheit legen den Gedanken nahe, daß die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nur vorgetäuscht war. Auch nach der herrschenden Lehre hätte deshalb alle Veranlassung bestanden, dem Beweisangebot der Beklagten nachzugehen und ihr zu ermöglichen, den angenommenen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Einer weiteren Begründung bedürfen die Behauptungen der Beklagten nicht, sondern lediglich des Beweises. Diesen Beweis hat das Erstgericht nicht erhoben, weil es sich angeblich um einen Ausforschungsbeweis handele. Diese Annahme ist unrichtig. Dem Ausforschungsbeweis fehlt die Bestimmtheit bei der Angabe der Tatsachen oder Beweismittel, oder aber der Beweisführer gibt für seine Behauptung nicht genügend Anhaltspunkte an und will erst aus der Beweisaufnahme die Grundlage für neue Behauptungen gewinnen (Thomas Putzo, 14.Auflage, § 284 ZPO, Anm. 2).

Im vorliegenden Fall ist die behauptete Tatsache des Einvernehmens zwischen Mutter und Tochter bestimmt behauptet. Das Beweisergebnis soll auch nicht Grundlage für neue Behauptungen sein. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um einen Ausforschungsbeweis sondern um ein Beweisangebot für eine Vermutung, denn die Beklagte kann nur auf Grund der Lebenserfahrung annehmen, daß die Mutter der Klägerin die telefonische Nötigung nicht ohne Wissen ihrer Tochter begangen hat. Ein Beweisangebot kann aber nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn es nicht auf dem positiven Wissen des Behauptenden, sondern auf eine Vermutung beruht. Die Parteien werden häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihnen als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Nur einer erkennbar aus der Luft gegriffenen und ohne Auseinandersetzung mit etwaigen Gegenargumenten ins Blaue hinein aufrecht erhaltenen Behauptung braucht das Gericht nicht nachzugehen (BGH, NJW 86, 246; 87, 2384; Bundesverwaltungsgericht NJW 88, 1746).

Das Berufungsgericht hat die vom Erstgericht unterlassene Beweisaufnahme nachgeholt und die Mutter der Klägerin als Zeugin vernommen. Sie hat bekundet, daß die Klägerin von dem Telefongespräch nichts gewußt habe. Trotz der erheblichen Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin, die sowohl auf ihrem Aussageverhalten wie auf dem ganz unwahrscheinlichen Inhalt ihrer Aussage beruhen, ist es der Beklagten daher nicht gelungen, den von der herrschenden Lehre geforderten Beweis von Umständen zu erbringen, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten Erkrankung Anlaß geben.

c) Das Gericht hat auf Grund seiner Beurteilung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen den behandelnden Arzt Dr. … als Zeugen vernommen. Das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt in vollem Umfang die Zweifel des Gerichts an dem Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Der Zeuge hat der Klägerin bei seinem ersten Besuch am 10.07.1987 den Blutdruck gemessen und festgestellt, daß er normal war. Weitere Untersuchungen nahm er nicht vor. Seine Diagnose “psycho-vegetativer Erschöpfungszustand” beruhte vielmehr auf der äußeren Erscheinung der Klägerin, die allerdings nicht im Bett lag. Sie sei sichtlich erregt gewesen und auf dem Stuhl hin und her gerutscht. Sie habe über Appetitlosigkeit und Schweißausbrüche geklagt, die der Zeuge allerdings nicht feststellte und habe auch Schlaflosigkeit und eine innere Nervosität angegeben.

Es mag dem Zeugen geglaubt werden, daß er diesen Angaben der Klägerin vertraute. Er mußte selbst einräumen, daß ein Patient solche Beschwerden vortäuschen kann. Auch das Gericht ist der Meinung, daß jedermann, der eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung braucht, Appetitlosigkeit und Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit und innere Nervosität behaupten kann. Auch das Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl kann gespielt werden, möglicherweise auch auf der Tatsache beruhen, daß man beim Lügen nicht ruhig sitzen bleiben kann. Eine andere Frage ist, ob die geklagten Beschwerden objektiv eine Krankschreibung rechtfertigen können. Dem Gericht kommen sie recht belanglos vor, doch bedarf es hierüber keiner sachkundigen Überprüfung, weil das Gericht unter Berücksichtigung der unstreitigen Vorgeschichte und der weiteren Entwicklung des Falles sich nicht davon überzeugen konnte, daß die Klägerin tatsächlich krank war. Es ist vielmehr nicht auszuschließen, daß sie ihre Beschwerden nur vorgetäuscht hat, um sich ohne Lohneinbuße von ihrer Arbeitspflicht zu befreien.

Der Zeuge Dr. … hat die Klägerin am 17.07.1987 wiederum besucht und nicht untersucht. Da die Klägerin noch immer die gleichen Symptome angegeben hat, schrieb er sie — wie das Gericht meint: mit leichter Hand — für eine weitere Woche arbeitsunfähig krank. Das gleiche wiederholte sich bei einem Besuch der Klägerin in seiner Praxis am 24.07.1987. Soweit der Zeuge darauf abhebt, er habe der Klägerin auf Grund seiner Kenntnis ihrer Person die geklagten Beschwerden geglaubt, ist diesem Umstand sicherlich Gewicht beizumessen. Er bedeutet aber nichts im Verhältnis zu einem Patienten, der seine guten und vertrauensvollen Beziehungen zum Hausarzt dazu ausnutzen will, sich ungerechtfertigt krank schreiben zu lassen.

Von erheblichem Gewicht ist schließlich die weitere unstreitige Tatsache, daß die Klägerin am 16.09.1987 von der Beklagten zur Arbeit aufgefordert wurde, am gleichen Tag erneut den Zeugen Dr. … aufsuchte und ohne weiter Untersuchung erneut bis zum 30.09.1987 krank geschrieben wurde.

Der zeitliche Zusammenhang beider Vorgänge mit seiner Entsprechung am 09. und 10.07.1987 ist kaum noch mit einem Zufall zu erklären. Entweder wird die Klägerin tatsächlich krank, wenn man sie zur Arbeit auffordert, oder sie war fest entschlossen, die Arbeit bei der Beklagten nicht mehr aufzunehmen und hat deshalb den Zeugen erneut durch Täuschung zur Herausgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestimmt.

Bei Berücksichtigung all dieser Umstände ist der Klägerin der Beweis ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht gelungen.

d) Das selbe gilt für den Zeitraum vom 16. – 30.09.1987. Der Zeuge Dr. … hat auch für diesen Zeitraum keine anderen Angaben machen können als für den ersten Krankheitszeitraum bis 31.07.1987. Die Bedenken gegen die Richtigkeit seiner Diagnose beruhen auf denselben Erwägungen.

e) Für den Zeitraum vom 01.08. – 15.09.1987 hat die Klägerin schon deshalb keinen Lohnanspruch gegen die Beklagte, weil diese sich nicht im Verzug der Annahme der Dienste befunden hat (§ 293 ff BGB).

Auszugehen ist von § 615 BGB, wonach der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung fortzuzahlen hat, wenn er in Annahmeverzug gerät. Nach § 294 BGB muß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung dem Arbeitgeber so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich anbieten, also am Arbeitsplatz erscheinen. Nach § 295 BGB genügt allerdings ein wörtliches Angebot, wenn der Arbeitgeber erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung von ihm erforderlich ist. Das soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 09.08.1984 — 2 AZR 374/83 = NZA 85, 119) bei gekündigten Arbeitsverhältnissen generell vorliegen. Die Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers soll darin liegen, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm Arbeit zuzuweisen. Diese Rechtsgrundsätze gelten sowohl bei einer außerordentlichen wie auch bei einer ordentlichen Kündigung (BAG vom 21.03.1985 — 2 AZR 201/84). Voraussetzung für den Annahmeverzug im Falle des § 296 BGB — die Zuweisung eines Arbeitsplatzes und von Arbeit ist eine nach dem Kalender bestimmte Leistung — ist aber, daß der Schuldner zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit im Stande ist, die Leistung zu bewirken (§ 297 BGB). Da bei Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber nicht erkennbar ist, wann er dem Arbeitnehmer Arbeit zuweisen muß, hat dieser, wenn er bei Ausspruch der außerordentlichen Kündigung arbeitsunfähig krank ist, nach seiner Gesundung den Arbeitgeber aufzufordern, ihm Arbeit zuzuweisen (BAG vom 09.08.1984 und 21.03.1985).

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin nach der unbestrittenen Behauptung der Beklagten das Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit nach dem 31.07.1987 nicht angezeigt. Die Beklagte war daher auch nicht im Stande, der Klägerin einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihr Arbeit zuzuweisen. Als sie es am 16.09.1987 im Rahmen anwaltlicher Bemühungen tat, wurde die Klägerin erneut bis zum Ende des Anspruchszeitraums arbeitsunfähig krank.

III.

1. Die Klägerin ist im Rechtsstreit unterlegen und hat daher nach § 91 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

2. Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen, weil der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das gilt auch insoweit, als die Kammer den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen anders einschätzt als das Bundesarbeitsgericht, denn die Entscheidung beruht auf der Bekundung des Zeugen Dr. …, der zweifellos ein höherer Beweiswert zukommt als seinen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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