Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 12.04.2016 – 6 Sa 422/15

Dezember 25, 2020

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 12.04.2016 – 6 Sa 422/15

1. In Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB beschränkt sich die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB bei dynamisch in Bezug genommenen kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen auf eine Rechtskontrolle, wenn diese auf dem Dritten Weg nach den einschlägigen Organisations- und Verfahrensvorschriften von einer paritätisch mit weisungsunabhängigen Mitgliedern besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossen wurden. Maßstab der Rechtskontrolle ist wie bei Tarifverträgen, ob die Regelung gegen die Verfassung, höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstößt.

2. Die Stichtagsregelung zur Jahressonderzahlung in § 19 BAT KF aF hält dieser Rechtskontrolle stand. Die Vorschrift verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG , noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG .

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 18. August 2015 – 11 Ca 4886/14 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Sonderzahlung für das Jahr 2014.

Die Klägerin war ab 01. Mai 2000 aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom gleichen Tag (Bl. 8 ff. d. A., im Folgenden: AV) bei der Beklagten, die als gemeinnützige Alten- und Pflegeeinrichtung der Evangelischen Altenhilfe des Kirchenkreises A ein Altenzentrum betreibt, als Altenpflegerin zu einem Bruttogehalt von zuletzt 3.070,84 Euro beschäftigt. Nach § 2 AV bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundesangestelltentarifvertrag in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche des Rheinlands jeweils geltenden Fassung (BAT-KF) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung, sowie den jeweils gültigen Dienstvereinbarungen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete zum 30. September 2014 aufgrund Eigenkündigung der Klägerin.

Der BAT-KF wird als kirchliche Arbeitsrechtsregelung im sog. Dritten Weg von der aus 18 Mitgliedern bestehenden Arbeitsrechtlichen Kommission Rheinland-Westfalen-Lippe beschlossen, die sich der gleichberechtigten Teilhabe von Dienstnehmern und Dienstgebern (Parität) folgend aus 9 Vertreterinnen und Vertretern der Dienstnehmerseite und 9 Vertreterinnen und Vertretern der Dienstgeberseite zusammensetzt (§ 5 Abs. 1 Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vom 15. November 2001, idF vom 21. November 2013, Arbeitsrechtsregelungsgesetz (ARRG)). Die Arbeitsrechtliche Kommission ist unabhängig, ihre Mitglieder in ihren Entscheidungen an Weisungen nicht gebunden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 ARGG). Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission zu Arbeitsrechtsregelungen bedürfen einer Mehrheit von mindestens 14 Stimmen (§ 11 Abs. 6 Satz 1 ARGG).

Zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis lautete § 19 BAT-KF vom 22. Oktober 2007 idF. der redaktionellen Überarbeitung vom 21. November 2007, zuletzt idF. vom 27. Oktober 2010 (im Folgenden: BAT-KF aF) wie folgt:
“§ 19 Jahressonderzahlung (1) Mitarbeitende, die am 01. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung. (2) Die Jahressonderzahlung beträgt in den Entgeltgruppen 1 bis 8 90 v.H., in den Entgeltgruppen 9 bis 12 80 v. H. und in den Entgeltgruppen 13 bis 15 60 v. H. des der/dem Mitarbeitenden in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts; unberücksichtigt bleiben hierbei das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Überstunden, Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien. … (3) Der Anspruch nach den Absätzen 1 bis 3 vermindert sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Mitarbeitende keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 haben. Die Verminderung unterbleibt für Kalendermonate, 1. für die Mitarbeitende kein Tabellenentgelt erhalten haben wegen a) Ableistung von Grundwehrdienst oder Zivildienst, wenn sie diesen vor dem 1. Dezember beendet und die Beschäftigung unverzüglich wieder aufgenommen haben, b) Beschäftigungsverboten nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG, c) Inanspruchnahme der Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz19 bis zum Ende des Kalenderjahres, in dem das Kind geboren ist, wenn am Tag vor Antritt der Elternzeit Entgeltanspruch bestanden hat; 2. in denen Mitarbeitenden Krankengeldzuschuss gezahlt wurde oder nur wegen der Höhe des zustehenden Krankengeldes ein Krankengeldzuschuss nicht gezahlt worden ist.

§ 21 BAT-KF aF sieht eine sechswöchige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sowie eine darüber hinaus gehende Krankengeldzuschussregelung unter bestimmten Voraussetzungen vor.

Die Beklagte zahlte der Klägerin für das Jahr 2014 eine Jahressonderzahlung nicht aus. Die Klägerin hat daraufhin mit am 20. Dezember 2014 beim Arbeitsgericht Koblenz eingehender Klage die anteilige Jahressonderzahlung 2014 verlangt.

Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, sie habe einen Anspruch auf 9/12 der Jahressonderzahlung 2014, da § 19 BAT-KF aF, nach dem Auszahlungsvoraussetzung ein bestehendes Arbeitsverhältnis am 01. Dezember 2014 sei, sie nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige und die Vorschrift daher unwirksam sei. Die Beklagte verkenne, dass der BAT-KF kein Tarifvertrag, sondern eine im sog. Dritten Weg beschlossene Arbeitsrechtsregelung sei. Dass § 19 BAT-KF aF im Wesentlichen § 20 TVÖD wiederhole, ändere hieran nichts. Der Anspruch bestehe auch aus betrieblicher Übung, nachdem die Beklagte während der vergangenen 13 Jahre jährlich ein volles Gehalt ausgezahlt habe.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 2.303,13 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03. Dezember 2015 an sie zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, ein Anspruch aus betrieblicher Übung bestehe bereits nicht, weil sie ausschließlich auf der Grundlage von § 19 BAT-KF aF Jahressonderzahlungen leiste. Eine Inhaltskontrolle finde beim BAT-KF nicht statt, zumindest wegen der mittelbaren Bezugnahme auf § 20 TVÖD (§§ 310, 307 Abs. 3 BGB). Selbst wenn man eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB vornehmen wolle, sei § 19 BAT-KF nicht wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam, da die Vorschrift keinen Mischcharakter habe, sondern allein erwiesene Betriebstreue belohne, was sich aus der Stichtagsregelung und den Kürzungsmöglichkeiten in Abs. 3 ergebe. Unabhängig davon sei die Höhe des Anspruchs nicht korrekt berechnet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. August 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, das Ausscheiden der Klägerin vor dem Stichtag in § 19 BAT-KF aF stehe einem Anspruch nach der Vorschrift entgegen. Es sprächen gute Gründe dafür, dass § 19 BAT-KF aF auf bei einer gerichtlichen Überprüfung nach §§ 305 ff. BGB eine wirksame Stichtagsklausel darstelle, da die Vorschrift klar und verständlich und nicht überraschend sei und vieles dafür spreche, dass die Jahressonderzahlung nach § 19 BAT-KF aF, die an keinerlei Leistungskomponente gebunden sei, ausschließlich die Betriebstreue honoriere und daher vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zum geregelten Stichtag abhängig gemacht werden könne. Letztlich könne das Ergebnis der Prüfung nach §§ 305 ff. BGB jedoch dahinstehen, weil kirchliche Arbeitsvertragsregelungen wie der BAT-KF der Inhaltskontrolle schon nicht zugänglich seien. Der BAT-KF sei nicht nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB von der Inhaltskontrolle ausgenommen, jedoch sei die gemäß den einschlägigen Organisations- und Verfahrensvorschriften auf dem sog. “Dritten Weg” entstandene kirchliche Arbeitsvertragsregelung der gerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf S. 6 bis 10 (= Bl. 44 bis 48 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das am 11. September 2015 zugestellte Urteil mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 21. September 2015 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Sie macht zur Begründung ihrer Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 21. September 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 60 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend, die Sonderzahlung honoriere nicht nur die Betriebstreue, sondern sei angesichts der Tatsache, dass ihre Höhe sich nach der für die Arbeitsleistung bezogenen Vergütung bemesse, zumindest auch als Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung anzusehen. Eine derartige Sonderzahlung könne in allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag abhängig gemacht werden. Die Stichtagsregelung verletze sie in ihrem Rechten aus Art. 3 GG, da kein sachlicher Grund denkbar sei, ihr die Jahressonderzahlung, zu der sie mit ihrer Arbeitsleistung beigetragen habe, vollständig zu entziehen. Der vom Arbeitsgericht herangezogene Prüfungsmaßstab gelte nicht für den BAT-KF, da kirchliche Arbeitsvertragsregelungen keine normative Wirkung hätten und daher grundsätzlich einer Überprüfung nach §§ 305 ff. BGB unterlägen, die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB gelte nicht. Die Stichtagsregelung verstoße gegen die Verfassung, höherrangiges zwingendes Recht und gegen die guten Sitten. Beschäftigte im Bereich des BAT-KF hätten – anders als Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst – kein Streikrecht, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die arbeitsrechtliche Kommission eine ausgewogene Gesamtregelung getroffen habe. Wertungsmäßig stehe der BAT-KF näher an einer arbeitsvertraglichen als an einer tarifvertraglichen Regelung.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 18. August 2015 – 11 Ca 4886/14 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.303,13 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03. Dezember 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das von der Klägerin angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 28. Oktober 2016, auf die ergänzend verwiesen wird (Bl. 80 ff. d. A.), und trägt zweitinstanzlich im Wesentlichen vor, rechtsfehlerfrei habe das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, da § 19 BAT-KF aF als von einer paritätisch mit weisungsunabhängigen Mitgliedern besetzten arbeitsrechtlichen Kommission beschlossene Arbeitsvertragsregelung des Dritten Wegs einer gerichtlichen Prüfung nach §§ 305 ff. BGB nicht zugänglich sei. Selbst wenn man dies anders sehen wolle, löse die mittelbare Bezugnahme auf Tarifrecht (§ 20 TVÖD) eine Kontrollfreiheit nach § 310 BGB aus. Im Übrigen halte die allein die Betriebstreue honorierende Vorschrift auch einer Inhaltskontrolle stand. § 19 BAT-KF aF sei weder sittenwidrig, noch verstoße die Norm gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 12. April 2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde von der Klägerin nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 11. September 2015 mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 21. September 2015 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und zugleich rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf anteilige Jahressonderzahlung 2014 nicht zusteht.

1. Der von der Klägerin für das Jahr 2014 pro rata temporis geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus § 19 BAT-KF aF iVm. § 2 AV, da die Klägerin zum in § 19 Abs. 1 BAT-KF vorgesehenen Stichtag, dem 01. Dezember des maßgeblichen Jahres 2014 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hat. Auch die Berufungskammer geht davon aus, dass Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des von den Parteien arbeitsvertraglich in Bezug genommenen § 19 Abs. 1 BAT-KF aF nicht bestehen.

1.1. 19 BAT-KF aF findet aufgrund der von den Parteien in § 2 AV vereinbarten Bezugnahmeklausel auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die im Rahmen eines Formularvertrages getroffene Regelung des § 2 AV stellt eine wirksame Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. §§ 305 ff. BGB dar. Grundsätzlich ist – angesichts der nach § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB erforderlichen angemessenen Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts – eine Verweisungsklausel wirksam, die auf Arbeitsvertragsregelungen Bezug nimmt, die – wie vorliegend – auf dem Dritten Weg von einer paritätisch mit weisungsunabhängigen Mitgliedern besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossen werden; eine solche Verweisung gewährleistet ebenso wie die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen einschlägigen Tarifvertrag eine Anpassung der Arbeitsbedingungen an veränderte Umstände und liegt nicht nur im Interesse des Arbeitgebers, sondern auch in dem des Arbeitnehmers; nur so kann die notwendige Anpassung der Arbeitsbedingungen an veränderte Umstände auch ohne Änderungskündigung erreicht werden (vgl. BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 217/11 – Rn. 44, 22. Juli 2010 – 6 AZR 847/07 – Rn.22; 22. Juli 2010 – 6 AZR 170/08 – Rn. 50, jeweils zitiert nach […]).

1.2. Bei den von § 2 AV in Bezug genommenen Regelungen des BAT-KF handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. §§ 305 ff. BGB. Die Arbeitsrechtsregelungen des BAT-KF sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, welche Arbeitgeber im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche ihren Arbeitnehmern stellen (§ 3 Abs. 2 ARRG) (vgl. BAG 22. Juli 2010 – 6 AZR 847/07 – Rn. 24; 22. Juli 2010 – 6 AZR 170/08 – Rn. 54, zitiert nach […]).

1.2.1 Eine Überprüfung von § 19 BAT-KF aF nach §§ 305 ff. BGB unterbleibt vorliegend nicht gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB. Danach findet eine Inhaltskontrolle von Vertragsbestimmungen nur bei Verträgen auf dem Gebiet des Erb-, Familien- oder Gesellschaftsrechts sowie bei Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen nicht statt. Kirchliche Arbeitsvertragsregelungen sind dieser Überprüfung nicht durch § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB entzogen (BAG 19. November 2009 – 6 AZR 561/08 – Rn. 10, 17. November 2005 – 6 AZR 160/05 – Rn. 16, jeweils zitiert nach […]) Nachdem der Gesetzgeber kirchliche Arbeitsvertragsregelungen bei der Neuregelung des Rechts Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht in die Formulierung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB aufgenommen, sondern nur für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen eine besondere Regelung getroffen hat, hat er zu erkennen gegeben, dass kirchliche Arbeitsvertragsregelungen grundsätzlich einer Überprüfung nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen (BAG 17. November 2005 – 6 AZR 160/05 – Rn. 16 aaO). Es handelt sich bei nicht nach Maßgabe des Tarifvertragsgesetzes zustande gekommenen kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen nicht um Tarifverträge in dessen Sinne (BAG 17. November 2005 – 6 AZR 160/05 – Rn. 17 mwN, aaO). Zudem wirken sie jedenfalls ohne eine entsprechende kirchengesetzliche Regelung und ohne eine staatliche Verweisungsnorm, wie zB § 4 Abs. 1 TVG, anders als Tarifverträge, Betriebs- und Kollektivvereinbarungen nicht normativ, sondern bedürfen für ihre Geltung einer individualrechtlichen Einbeziehung (vgl. BAG 8. Juni 2005 – 4 AZR 412/04 – Rn. 55 ff., zitiert nach […]).

1.2.2. § 19 BAT-KF aF benachteiligt die Klägerin nicht unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB beschränkt sich bei dynamisch in Bezug genommenen kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen auf eine Rechtskontrolle, wenn diese auf dem Dritten Weg nach den einschlägigen Organisations- und Verfahrensvorschriften von einer paritätisch mit weisungsunabhängigen Mitgliedern besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossen wurden. Die paritätische Besetzung und die Unabhängigkeit der Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission gewährleisten, dass die Arbeitgeberseite ihre Interessen bei der Festlegung des Inhalts der Arbeitsbedingungen nicht einseitig durchsetzen kann. Dabei handelt es sich um eine im Arbeitsrecht geltende Besonderheit iSv. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB, die durch eine bloße Rechtskontrolle angemessen zu berücksichtigen ist. Maßstab der Rechtskontrolle ist wie bei Tarifverträgen, ob die Regelung gegen die Verfassung, höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstößt (vgl. BAG 28. Juni 2012 – 6 AZR 217/11 – Rn. 70; 19. April 2012 – 6 AZR 677/10 – Rn. 24; 22. Juli 2010 – 6 AZR 847/07 – Rn. 31 f., 22. Juli 2010 – 6 AZR 170/08 – Rn. 61 f., vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz 04. Dezember 2014 – 3 Sa 440/14 – Rn. 34 f., jeweils zitiert nach […]). Dies gilt unabhängig davon, ob die auf dem Dritten Weg ordnungsgemäß zustande gekommenen Arbeitsvertragsregelungen tarifliche Regelungen des öffentlichen Dienstes ganz oder mit im Wesentlichen gleichen Inhalten übernehmen (BAG 22. Juli 2010 – 6 AZR 847/07 – Rn. 31 ff., aaO).

b) Gemessen hieran begegnet § 19 BAT-KF aF keinen Bedenken.

aa) Es besteht keine Veranlassung zu Zweifeln am ordnungsgemäßen Zustandekommen der Vorschrift nach dem für die Beschlussfassung von Arbeitsrechtsregelungen der paritätisch besetzten und unabhängigen Arbeitsrechtlichen Kommission vorgesehenen Verfahren (§§ 5 ff., 15 ARRG).

bb) Unter Berücksichtigung des eingeschränkten Maßstabs der gerichtlichen Kontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsregelungen des sog. Dritten Weges benachteiligt § 19 BAT-KF aF die Klägerin nicht unangemessen. Die Vorschrift verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG, noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

(1) Anders als das Arbeitsgericht nimmt die Berufungskammer hierbei allerdings an, dass die von der Klägerin nach § 19 BAT-KF aF verlangte Jahressonderzahlung zumindest auch Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung darstellt und damit Vergütungscharakter hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich der Anspruch, dessen Höhe sich ua. gemäß § 19 Abs. 2 BAT-KF aF unter Berücksichtigung dienstplanmäßiger Überstunden bemisst, nach § 19 Abs. 3 BAT-KF aF für bestimmte Zeiten mindert, in denen der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltzahlung hat; darüber hinaus soll mit der Zahlung – wie der geregelte Stichtag zeigt – auch Betriebstreue honoriert werden (vgl. insgesamt zu § 20 TVÖD: BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 36 mwN, § 44 BT-S: 14. März 2012 – 10 AZR 778/10 – Rn. 18, jeweils zitiert nach […]). Schließlich ist davon auszugehen, dass die gegen Jahresende zu einem Stichtag erfolgende Zahlung die Mitarbeiter auch künftig zu reger und engagierter Mitarbeit anhalten soll (vgl. zu § 20 TVÖD: BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 36, aaO, vgl. BAG 23. Mai 2005 – 10 AZR 363/06 – Rn. 27, zitiert nach […]).

(2) Angesichts dieser mit der Jahressonderzahlung verfolgten Zwecke ist die in § 19 BAT-KF aF enthaltene Bindung des Anspruchs auf eine Jahressonderzahlung an einen Stichtag im Bezugszeitraum gemessen an den für Tarifverträge geltenden Maßstäben mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern 14. Juli 2015 – 5 Sa 9/15 – Rn. 46 zitiert nach […]). Unter Zugrundelegung eines weiten Gestaltungsspielraums, einer Einschätzungsprärogative, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind und eines Beurteilungs- und Ermessensspielraums hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung von Regelungen ist ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst anzunehmen, wenn die tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse nicht berücksichtigt wurden, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen; die Differenzierungsmerkmale bei einer grundsätzlich zulässigen generalisierenden und typisierenden Gruppenbildung müssen allerdings im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen (vgl. zu § 20 TVÖD: BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 32 f. mwN, zitiert nach […]). Geht man hiervon aus, hat die Arbeitsrechtliche Kommission den ihr zustehenden Spielraum nicht überschritten, indem sie hinsichtlich der Jahressonderzahlung nach § 19 BAT-KF aF zwischen Beschäftigten, die vor dem 1. Dezember eines Jahres ausscheiden, und Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis am 1. Dezember eines Jahres noch besteht, unterschieden hat. Die Unterscheidung ist sachlich gerechtfertigt, da die Jahressonderzahlung ihren Zweck, Betriebstreue zu belohnen und die Mitarbeiter auch für die Zukunft zur effektiven Mitarbeit anzuregen, bei bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern nicht erfüllen kann.

(3) Die Stichtagsregelung in § 19 BAT-KF aF verstößt auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar greift die Regelung durch den Stichtag als Auszahlungsvoraussetzung für die Jahressonderzahlung in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein, da Art. 12 Abs. 1 GG mit der Freiheit der Arbeitsplatzwahl auch den Entschluss des einzelnen Arbeitnehmers schützt, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte und hierunter auch die Entscheidung fällt, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben (vgl. BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 40 mwN, zitiert nach […]). Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist jedoch unter Zugrundelegung des für Tarifverträge geltenden Maßstabs zum weiten Gestaltungsspielraum sachlich gerechtfertigt. Der Stichtagsregelung liegt das berechtigte Interesse der Arbeitgeber zugrunde, die Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten. Sie ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet, denn sie schafft einen Anreiz für Arbeitnehmer, von einer an sich statthaften Kündigungsmöglichkeit keinen oder nur verzögerten Gebrauch zu machen. Es ist auch kein anderes, gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers weniger einschränkendes Mittel ersichtlich, um diesen an der Arbeitsplatzaufgabe zu hindern (vgl. zu § 20 TVÖD: BAG 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 41 mwN, aaO).

1.3. Selbst wenn man – anders als die Berufungskammer – vorliegend nicht davon ausgehen wollte, dass es sich bei den Regelungen des BAT-KF aF, der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Parteien von der Arbeitsrechtlichen Kommission noch nicht beschlossen war, sondern nachträglich zustande gekommen ist, nicht um von der Beklagten einseitig verwendete Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. §§ 305 ff. BGB, sondern um eine durch einen Dritten getroffene Leistungsbestimmung nach § 317 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 10. Dezember 2008 – 4 AZR 801/07 – Rn. 57 ff., 19. August 2008 – 3 AZR 383/06 – Rn. 38 ff., jeweils zitiert nach […]) hielte § 19 BAT-KF aF der Billigkeitskontrolle nach § 319 Abs. 1 BGB stand. Eine Leistungsbestimmung durch einen Dritten ist offenbar unbillig, wenn die Bestimmung in grober Weise gegen Treu und Glauben verstößt und sich dies bei unbefangener sachkundiger Prüfung sofort aufdrängt (BAG 10. Dezember 2008 – 4 AZR 801/07 – Rn. 72, aaO). Hierfür sind angesichts der dargestellten mit der Jahressonderzahlung verfolgten Zwecke aus den unter A II 1.2.2. b) genannten Gründen Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Unabhängig davon weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass sich § 19 BAT-KF aF an den Regelungen im Öffentlichen Dienst orientiert. Von einer groben Unbilligkeit vermag die Berufungskammer daher insgesamt nicht auszugehen.

2. Die Klägerin hat den geltend gemachten Anspruch auf Jahressonderzahlung im Berufungsverfahren nicht mehr ausdrücklich auf eine betriebliche Übung gestützt. Eine solche kommt vorliegend auch nicht in Betracht. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung kann nur entstehen, wenn keine andere kollektiv- oder individualrechtliche Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Vergünstigung besteht (BAG 18. Februar 2014 – 3 AZR 568/12 – Rn. 39, 15. Mai 2012 – 3 AZR 610/11 – Rn. 62, zitiert nach […]). Eine betriebliche Übung entsteht demnach nicht, wenn der Arbeitgeber zu den zu ihrer Begründung angeführten Verhaltensweisen durch andere Rechtsgrundlagen verpflichtet war (BAG 18. April 2007 – 4 AZR 653/05 – Rn. 43 mwN, zitiert nach […]).

B Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

a very tall building with a moon in the sky

Ist Mobbing strafbar?

März 13, 2024
Von RA und Notar Krau:Mobbing kann je nach den Umständen strafbar sein, aber nicht immer.Es gibt kein spezifisches Gesetz, das Mobbing al…
filling cans with freshly brewed beers

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21

Februar 4, 2024
Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21 – Urteil vom 15.11.2023 – Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit…
man holding orange electric grass cutter on lawn

Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22

Februar 4, 2024
Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22 – Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes …