OLG Karlsruhe Urteil vom 30.7.2019, 12 U 418/14

Mai 24, 2021

OLG Karlsruhe Urteil vom 30.7.2019, 12 U 418/14

Abweichen von einer betriebsrentenrechtlichen Stichtagsregelung aus Billigkeits-/Härtefallgründen

Leitsätze

1. Zur Härtefallprüfung einer VBL-Startgutschrift für rentenferne Versicherte gemäß § 242 BGB – Steuerklasse III/0 für einen zum Stichtag nur für kurze Zeit verwitweten Versicherten, dessen Erwerbsbiographie zuvor und danach ganz überwiegend vom Familienstand eines Verheirateten geprägt ist.

2. Frühere klageabweisende Urteile zur Frage der Anwendung der Steuerklasse III/0, die zwar zwischen den Parteien, aber auf der Grundlage einer früheren Startgutschrift auf Grund früherer – in hier maßgeblichen Punkten unwirksamer – Fassungen der maßgeblichen Satzungsbestimmungen ergangen sind, betreffen gegenüber der Klage auf der Grundlage einer neuen Startgutschrift und inzwischen geänderter Satzungsbestimmungen einen anderen Streitgegenstand. Diese früheren Entscheidungen stehen einer neuen Klage weder unter dem Gesichtspunkt entgegenstehender Rechtskraft entgegen, noch führen sie zu einer Bindungswirkung auf Grund materieller Rechtskraft.

3. Dem Kläger war auf Grund eines Versehens eine mit dem erlassenen Urteil des Landgerichts in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmende “Ausfertigung” zugestellt worden, was der Kläger nicht erkennen konnte. In diesem Fall genügt die Berufungsbegründung dem § 520 Abs. 3 Ziffer 2 ZPO, wenn sie zwar nicht alle tragenden Gründe des tatsächlichen Urteils, wohl aber alle aus der “Ausfertigung” ersichtlichen tragenden Urteilsgründe vollständig angreift.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.09.2014, Az. 6 O 418/13, im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.03.2012 eine Rente zu gewähren, bei der das fiktive Nettoarbeitsentgelt der Startgutschrift unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 ermittelt wird.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1

Der Kläger fordert von der Beklagten die Gewährung einer höheren Betriebsrente.
2

Der Kläger wurde am …1947 geboren. Er war vom …1973 bis zum …2012 ununterbrochen im öffentlichen Dienst beschäftigt und bei der Beklagten pflichtversichert. Bereits bei Eintritt in den öffentlichen Dienst war der Kläger verheiratet. Seine erste Ehefrau verstarb am …2000 infolge eines Krebsleidens. Seit dem …2002 ist er wieder verheiratet.
3

Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22.11.2002 hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31.12.2001 umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 01.03.2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere – auf dem Versorgungstarifvertrag vom 04.11.1966 (Versorgungs-TV) beruhende – endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.
4

Die neue Satzung der Beklagten (VBLS) enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als sogenannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist grundsätzlich, wer am 01.01.2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 01.01.1997 vorweisen kann. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Der Kläger ist den rentenfernen Versicherten zuzuordnen.
5

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11.12.2002 mit, dass seine Startgutschrift zum 31.12.2001 93,30 Versorgungspunkte umfasse, was einer monatlichen Anwartschaft von 373,20 EUR entspricht. Diese Startgutschrift wurde auf der Basis eines fiktiven Entgelts mit Steuerklasse I/0 (alleinstehend) berechnet, da der Kläger an dem Stichtag verwitwet war. Der Kläger verlangte in einem ersten Klageverfahren (Landgericht Karlsruhe 6 O 114/05) unter anderem, nach dem bisherigen Gesamtversorgungssystem und unter Anwendung der Steuerklasse III/0 behandelt zu werden. Mit Berufungsurteil vom 24. November 2005 (12 U 260/04) stellte der Senat fest, dass die von der Beklagten erteilte Startgutschrift den Wert der von dem Kläger bis zum 31. Dezember 2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichteten Revisionen beider Parteien wurden mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 09.07.2008 (IV ZR 284/05) zurückgewiesen.
6

Nachdem der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 14.11.2007 (IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127) die Umstellung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes von einem endgehaltsbezogenen Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Erwerb von Versorgungspunkten beruhendes Betriebsrentensystem und die Neufassung der Satzung der Beklagten als solche für mit höherrangigem Recht vereinbar, aber die Übergangsregelung für rentenferne Pflichtversicherte für unwirksam und die auf ihr beruhende Startgutschrift für unverbindlich erklärt hatte, einigten sich die Tarifparteien am 30. Mai 2011 auf einen 5. Änderungstarifvertrag zum ATV, der mit der 17. Satzungsänderung umgesetzt wurde. Gemäß § 79 Absatz 1a VBLS in der Fassung der 17. Satzungsänderung war vorgesehen, dass bei Beschäftigten der rentenfernen Jahrgänge auch ermittelt wird, welche Anwartschaft sich bei einer Berechnung nach § 18 Absatz 2 BetrAVG unter Berücksichtigung eines Unverfallbarkeitsfaktors entsprechend § 2 Absatz 1 Satz 1 BetrAVG ergibt. Der sich danach ergebende Vomhundertsatz wurde auf zwei Stellen nach dem Komma gemeinüblich gerundet und um 7,5 Prozentpunkte vermindert. War die hiernach – unter Berücksichtigung weiterer Besonderheiten in § 79 Absatz 1a Nr. 2 VBLS – berechnete Anwartschaft höher als die bisherige Anwartschaft, wurde der Unterschiedsbetrag zwischen diesen beiden Anwartschaften ermittelt und als Zuschlag berücksichtigt. Die Summen aus bisheriger Startgutschrift und Zuschlag bilden die neue Startgutschrift § 78 Absatz 4 VBLS (17. SÄ).
7

Mit Schreiben vom 13.11.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Überprüfung seiner Startgutschrift nach der neuen Satzungsregelung ergebe eine Startgutschrift von 95,38 Versorgungspunkten, dies entspreche einer monatlichen Anwartschaft von 381,52 EUR.
8

Der Kläger bezieht seit dem 01.03.2012 eine Betriebsrente, welche unter anderem auf der von der Beklagten aufgrund der jeweiligen Satzungsfassungen ermittelten Startgutschrift beruht.
9

Der Kläger hat vorgetragen,
die Systemumstellung insgesamt wie auch die Berücksichtigung der zum Stichtag 31. Dezember 2001 geltenden Steuerklasse verletze das Vertrauensschutzprinzip. Der Kläger habe auf eine Nettoversorgung unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 vertrauen dürfen. Der Kläger habe aufgrund des Verheiratetenzuschlags sowohl während seiner ersten wie auch während seiner zweiten Ehe höhere Umlagen als ein Lediger bezahlt, die sich auch in einer höheren Rente niederschlagen müssten. Die Stichtagsregelung zum 31. Dezember 2001 sei willkürlich. Bei dem Kläger liege auch ein besonderer Härtefall vor, da er mit seiner tatsächlichen Betriebsrente im Vergleich zu derjenigen, die sich mit der Steuerklasse III/0 errechne, eine Einbuße von mehr als 30 % erleide und nur für insgesamt 2,33 Jahre unverheiratet gewesen sei.
10

Der Kläger hat beantragt:
11

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger seit seinem Rentenbeginn am 1. März 2012 weitere 323,39 EUR monatlich zu zahlen zuzüglich einer Erhöhung um jeweils 1 % zum Zeitpunkt ab 1. Juli 2013 sowie ab 1. Juli 2014 jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung.
12

Hilfsweise:
13

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 1. März 2012 eine Rente zu gewähren, bei der das fiktive Nettoarbeitsentgelt der Startgutschrift unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 ermittelt wird.
14

Die Beklagte hat beantragt,
15

die Klage abzuweisen.
16

Sie hat vorgetragen,
die Klage sei aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess bereits unzulässig. Es sei allein der Familienstand zum 31. Dezember 2001 zu berücksichtigen; diese Regelung sei rechtmäßig, wie sich aus dem Urteil des BGH vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06) ergebe.
17

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, zwar stehe die Rechtskraft des im Verfahren 12 U 260/04 ergangenen Urteils der Zulässigkeit der Zahlungsklage nicht entgegen, da der Kläger berechtigt sei, gegen neue Mitteilungen der Beklagten, erneut vorzugehen. Insoweit handele es sich um einen anderen Streitgegenstand. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei jedoch unzulässig. Diesem stehe die Rechtskraft des Urteils des Senats vom 24.05.2005 entgegen.
18

Soweit die Klage zulässig sei, sei sie nicht begründet, da der Senat in seinem Urteil vom 24.05.2005 festgestellt habe, dass bei der Berechnung der Startgutschrift des Klägers die Steuerklasse III/0 – egal aus welchem Grund – nicht anzuwenden sei. Damit sei in diesem Vorprozess die Frage, ob im Fall des Klägers die Steuerklasse III/0 zur Anwendung kommen könne, rechtskräftig und damit auch für Folgeprozesse bindend entschieden. Der Kläger berufe sich zur Begründung seiner Klage auch auf keine Tatsachen, die erst nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess entstanden seien. Ein Härtefall liege im Übrigen nicht vor.
19

Am 23.09.2014 ist dem Kläger eine „Ausfertigung“ des erstinstanzlichen Urteils zugestellt worden, die in wesentlichen Punkten nicht dem bei den Akten befindlichen, unterzeichneten Urteilsoriginal entspricht. So enthält diese nicht die Einstufung des Hilfsantrages als unzulässig und nicht eine weitere tragende Begründung für die Abweisung des Hauptantrages als unbegründet (bindende Feststellungen im Vorprozess). Gegen die zugestellte Version des Urteils hat sich der Kläger mit seiner am 15.10.2014 eingegangen Berufung gewandt, die nach entsprechender Verlängerung am 03.12.2014 begründet worden ist. Auf Antrag beider Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2015 ist das Verfahren zunächst für ruhend erklärt worden.
20

Nachdem der Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 09.03.2016 (IV ZR 168/15) auch die Regelungen der 17. Satzungsänderung zur Berechnung der Startgutschrift für rentenferne Versicherte für unwirksam erklärt hatte, einigten sich die Tarifparteien am 08.06.2017 auf einen 10. Änderungstarifvertrag zur Regelung der Startgutschriften der rentenfernen Jahrgänge.
21

Die Neuregelung sieht eine Veränderung des Faktors vor, mit dem der Anteil des Versicherten an der Voll-Leistung ermittelt wird. Diese Änderungen wurden in der 23. Satzungsänderung umgesetzt. Der Kläger rief das Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 21.04.2018 wieder an. Die Beklagte berechnete die Startgutschrift des Klägers aufgrund der 23. Satzungsänderung wiederum erneut und teilte dem Kläger mit Scheiben von August 2018 mit, dass sich für ihn nach der Regelung der neuen Satzung (23. SÄ) eine Startgutschrift von 103,67 Versorgungspunkten ergebe. Dies entspricht einer monatlichen Rentenanwartschaft von 414,68 EUR.
22

Unter Berücksichtigung der seit 2002 erworbenen Versorgungs- und Bonuspunkte berechnete die Beklagte in ihrem Bescheid vom 23.September 2018 eine Betriebsrente bei Renteneintritt am 01.03.2012 in Höhe von 603,88 EUR. Aufgrund der jährlichen Erhöhung um 1 Prozent bezieht der Kläger von der Beklagten seit dem 01.07.2018 eine Bruttobetriebsrente von 647,44 EUR.
23

Bei der Vorbereitung des auf den 06.11.2018 bestimmten Termins ist die Diskrepanz zwischen Original und zugestelltem Urteil festgestellt worden. Mit Verfügung vom 25.10.2018 hat der Senat die Parteien hierauf hingewiesen und dem Kläger Gelegenheit gegeben, im Hinblick auf die abweichenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung seine Berufungsbegründung im Rahmen einer zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu ergänzen. Eine beglaubigte Abschrift des Urteils ist dem Kläger am 08.11.2018 zugestellt worden.
24

Der Kläger hat mit am 04.12.2018 eingegangenem Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, Berufung eingelegt und diese Anträge begründet.
25

Der Kläger hat im Berufungsverfahren mitgeteilt, dass er nicht die Überprüfung der Wirksamkeit der Satzungsbestimmungen anstrebe, die der Mitteilung von August 2018 zugrunde liegen. Ihm gehe es vielmehr ausschließlich um die Prüfung eines Härtefalls. Im Verhandlungstermin vom 07.02.2019 haben beide Parteien übereinstimmend erklärt, dass in ihrem Verhältnis zueinander die Satzungsbestimmungen über die Anwartschaftsübertragung, namentlich die §§ 78 und 79 der VBL-Satzung, als wirksam und rechtsverbindlich anerkannt werden.
26

Der Kläger behauptet,
im vorliegenden Verfahren gehe es ausschließlich um eine Härtefallprüfung zum Verrentungszeitpunkt, also dem 01.03.2012. Eine solche sei im Urteil des Senats vom 24.11.2005 (12 U 260/04) und auch in der vorhergehenden landgerichtlichen Entscheidung nicht erfolgt. Vielmehr habe der Senat ausgeführt, dass über die Kontrolle der Satzungsänderungen an einem generalisierten Maßstab hinaus – bei entsprechenden Anhaltspunkten – zusätzlich zu prüfen sein könne, ob die Beklagte unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehalten sei, sich wegen besonderer Härte im Einzelfall hierauf nicht oder nicht vollumfänglich zu berufen. Ein besonderer Härtefall ergebe sich in seinem Fall daraus, dass er schicksalsbedingt zum Zeitpunkt des Stichtages für eine kurze Zeit verwitwet gewesen sei, wohingegen seine Pflichtversicherungszeit weit überwiegend davon geprägt gewesen sei, dass er verheiratet war. So sei er in 39,17 Jahren Pflichtversicherungszeit nur 2,33 Jahre unverheiratet gewesen, also ca. 6 Prozent des gesamten Zeitraums. Infolge des Festschreibeeffektes der Steuerklasse I/0 betrügen seine monatlichen Verluste rund 46,11 % der Startgutschrift für Verheiratete. Seine Versorgungsrente sei aufgrund der Anwendung der Steuerklasse I/0 ausgehend von der letzten (23.) Satzungsänderung um 37,32 Prozent niedriger als bei Anwendung der Steuerklasse III/0. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, mit seiner Klage abzuwarten, bis gegebenenfalls nach einer dritten Neuordnung der VBL-Satzung über seine Klage entschieden werden könne. Die prozentuale Verlustquote der rentenfernen Startgutschrift des Klägers liege jedenfalls deutlich über 30 Prozent und habe mit den verschiedenen mittlerweile getroffenen Regelungen so gut wie nichts zu tun. So habe der Kläger nach der ursprünglichen Mitteilung 2002 eine Einbuße von 36,56 Prozent, nach der Mitteilung vom 13.11.2012 eine Einbuße von 36,72 Prozent und nach der letzten Mitteilung von September 2018 eine Einbuße von 37,32 Prozent hinzunehmen. Soweit die Beklagte diese Berechnungen bestreite, sei dies unsubstantiiert.
27

Die in seinem Fall ergangenen Urteile des Landgerichts Karlsruhe, des Oberlandesgerichts Karlsruhe und der Beschluss des Bundesgerichtshofs befassten sich nicht mit der Härtefallproblematik. Vielmehr sei nur über die Unverbindlichkeit der Zusatzversorgung entschieden worden.
28

Die vom Senat in der Vergangenheit bei Entscheidungen über Ansprüche von Bestandsrentnern und rentennahen Versicherten entwickelten Grundsätze seien auf seinen Fall übertragbar. Die Kriterien „erhebliche Einbuße“ und „besondere Umstände der Erwerbs- bzw. Familienbiografie“ lägen in seinem Fall vor. Eine Einbuße aufgrund der Steuerklasse I/0 in Höhe von mehr als 30 Prozent sei nur bei Geburtsjahrgängen unter Jahrgang 1957 rechnerisch möglich, so dass eine Härtefallwelle nicht zu befürchten sei. Der Kläger werde gleichheitswidrig benachteiligt. Dies zeige z. B. der Vergleich mit einem Versicherten, der am Stichtag und darüber hinaus für eine kurze Zeit verheiratet sei, gleichwohl aber auf Dauer in die wesentlich günstigere Steuerklasse III/0 eingeordnet werde. In der Sitzung vom 07.02.2019 hat der Kläger die Reihenfolge von Haupt- und Hilfsantrag geändert und zuletzt wie folgt beantragt:
29

1. Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe, Az. 6 O 418/13 -, wird aufgehoben.
30

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.03.2012 eine Rente zu gewähren, bei der das fiktive Nettoarbeitsentgelt der Startgutschrift unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 ermittelt wird.
31

Hilfsweise zu 2.:
32

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab seinem Rentenbeginn am 01.03.2012 über den bisher gezahlten Betrag hinaus einen weiteren Grundbetrag in Höhe von 323,39 EUR monatlich brutto zu zahlen, zusätzlich zur geänderten erhöhten monatlichen Versorgungsrente auch unter Berücksichtigung der satzungsgemäß vorgegebenen jährlichen Erhöhung um jeweils 1 % zum 01.07. jeden Kalenderjahres ab Rentenbeginn jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung.
33

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Klage sei bereits unzulässig, da eine Klage des Klägers auf Änderung der Steuerklasse bei Berechnung der Startgutschrift bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 24.11.2005 (12 U 260/04) gewesen sei. Die Systemumstellung und die Stichtagsregelung seien verfassungsgemäß. Ein Härtefall liege nicht vor. Allein die Höhe der Abweichung rechtfertige einen solchen nicht. Vielmehr sei eine existenzielle Gefährdung zu fordern. Eine solche scheide bereits angesichts des Renteneinkommens des Klägers von über 2.500 EUR aus. Der Kläger beanstande einerseits die pauschalierte Einordnung in die Steuerklasse I/0, nehme aber die pauschalierte Ermittlung der gesetzlichen Rente nach dem Näherungsverfahren hin. Da die so ermittelte Rente um 391,06 EUR hinter der tatsächlichen Rente zurückbleibe, falle aufgrund dieser Pauschalierung die Betriebsrente des Klägers deutlich höher aus. Die durch Pauschalierungen entstehenden Vor- und Nachteile seien hinzunehmen, solange die Grenze der Angemessenheit nicht überschritten werde. Der Kläger hätte in dem Zeitraum zwischen seiner Wiederheirat im Jahr 2002 und seiner Verrentung Zeit gehabt, Renteneinbußen auszugleichen.
34

Nach Hinweisbeschluss des Senats vom 22.02.2019 haben beide Parteien zu der Frage weiter vorgetragen, wie hoch eine Versorgungsrente des Klägers fiktiv ohne die Systemumstellung gewesen wäre. Beide Parteien haben erhebliche Bedenken geäußert gegen eine Berechnung des Leistungsanspruchs des Klägers bei fiktiver Fortführung des alten Gesamtversorgungssystems bis zum Renteneintritt des Klägers im Jahr 2012.
35

Die Beklagte hat zwei Fiktivberechnungen vorgelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass zahlreiche Änderungen in den Bezugssystemen der Gesamtversorgung (Steuer, Sozialversicherung Beamtenversorgung – dazu im Einzelnen: AS II, 425) auch Auswirkungen auf das System der Gesamtversorgung gehabt hätten. Diese Auswirkungen könnten nicht ohne weiteres festgestellt werden. Bei einer Fortentwicklung des Systems hätten die Tarifvertragsparteien weitere Beschlüsse treffen müssen. Auch eine Sanierung des Systems in irgendeiner Form wäre erforderlich gewesen. Daher hätte niemand am 31.12.2001 darauf vertrauen können, dass das bisherige Gesamtversorgungsniveau bis zum Jahr 2012 fortgeführt werde. Geschütztes Vertrauen könne nur hinsichtlich derjenigen Berechnungsgrößen entstanden sein, die bis zur Systemumstellung sicher feststanden. Daher könne eine fiktive Versorgungsrentenberechnung nur anhand der zum 31.12.2001 vorliegenden Berechnungswerte verlässlich vorgenommen werden und sei allein maßgebend. Ausgehend von den zusatzversorgungspflichtigen Entgelten des Klägers in den Jahren 1999 bis 2001, sowie unter Berücksichtigung des Bescheides der Deutschen Rentenversicherung vom 12.01.2012, errechne sich ein Anspruch auf Versorgungsrente nach dem alten System unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 von 653,08 EUR (1. Fiktivberechnung Beklagte).
36

Unter Berücksichtigung des gesamtversorgungsfähigen Entgelts des Klägers in den Jahren 2009 bis 2011 (also drei Jahre vor dem tatsächlichen Ruhestandseintritt) errechne sich unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 eine Versorgungsrente von 975 EUR (2. Fiktivberechnung Beklagte). Diese Zusatzversorgung wäre allerdings niemals erreicht worden, da auch bei einer Fortführung des Gesamtversorgungssystems tiefe Einschnitte im Leistungsrecht hätten erfolgen müssen.
37

Der Kläger wendet sich gegen eine auch nur vergleichsweise Betrachtung der ohne Systemumstellung zu erwartenden Gesamtversorgung. Ein solcher Vergleich sei systematisch nicht folgerichtig, schon aufgrund der Verfassungswidrigkeit von § 18 BetrAVG a. F. rechtlich bedenklich und widerspreche der bisherigen Rechtsprechung des Senats. Ebenso wie die Beklagte führt der Kläger an, dass sich zahlreiche externe Parameter im Jahr 2012 geändert haben (u.a. die Berechnung der Vollrente wegen Alters, die Steuer- und Sozialversicherungspflicht der Umlage usw.). Die Berechnung der Beklagten bei einer Fiktivberechnung unter Verwendung der Werte zum 31.12.2001 wird von dem Kläger bestätigt. Nicht zutreffend sei allerdings die von der Beklagten vorgelegte Berechnung zur fiktiven Gesamtversorgung des Klägers im Jahr 2012 unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0. Entgegen der Bestimmungen des § 43 Abs. 1 VBLS (a. F) berücksichtige die Beklagte die Anpassungsfaktoren nicht, sondern führe eine reine Mittelwertberechnung durch. Bei Berücksichtigung der Anpassungsfaktoren ergebe sich ein deutlich höheres gesamtversorgungsfähiges Entgelt für die Jahre 2009 bis 2012 und eine fiktive Versorgungsrente von 1.199,54 EUR (hierzu Anlagen AH II, A 3 und A 4).
38

Im Übrigen wird auf die landgerichtlichen Feststellungen, sofern diese nicht abweichen, sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2019 persönlich angehört. Auf die Protokolle der Sitzungen vom 07.02.2019 und vom 30.07.2019 wird verwiesen.
II.
39

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Berechnung seiner Startgutschrift unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0.
A
40

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat fristgerecht Berufung eingelegt und diese fristgerecht begründet.
1.
41

Die mit Schriftsatz vom 14.10.2014 eingelegte Berufung ist gemäß § 517 ZPO fristgemäß eingelegt worden. Zwar war dem Kläger zu diesem Zeitpunkt das Urteil noch nicht zugestellt. Auch ohne Zustellung eines Urteils kann jedoch bereits Berufung eingelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 09. Juli 2009 – IX ZR 197/08 –, Rn. 11, juris; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 520 ZPO, Rn. 11).
42

Die Zustellung der Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils vom 19.09.2012 am 23.09.2014 ist unwirksam, da das Urteilsoriginal von der zugestellten Ausfertigung in wesentlichen Punkten abweicht. Bei der dem Kläger am 19.09.2014 zugestellten Urkunde handelt es sich lediglich um die Ausfertigung eines Urteilsentwurfs (BGH, Urteil vom 04. Februar 1999 – IX ZR 7/98 -, Rn. 4, juris). Ein Urteil dieses Inhalts wurde weder gefällt noch verkündet.
43

Schwerwiegende Mängel der Ausfertigung wie etwa Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung in wesentlichen Punkten machen die Zustellung unwirksam (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2001 – XII ZB 75/00 –, Rn. 16, juris). Hier betreffen die Abweichungen nahezu die gesamte Urteilsbegründung. So wurde im Original des Urteils der unter Ziff. 2 gestellte Hilfsantrag für unzulässig erachtet, während die Frage der Zulässigkeit in der zugestellten Urkunde offengelassen wird. Die tragenden Gründe für die Abweisung des Hauptantrages sind wesentlich verändert und um eine weitere tragende Begründung ergänzt.
2.
44

Die Berufung ist rechtzeitig gemäß § 520 Abs. 1 S. 2 ZPO begründet worden. Zwar lief die Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten gemäß § 520 Abs. 1 S. 2 2. Alt ZPO – trotz unwirksamer Zustellung – fünf Monate nach der Verkündung des Urteils (19.09.2014) und damit am 19.02.2015 an und damit am 19.04.2015 ab. Diese hat jedoch der Kläger eingehalten.
a)
45

Der Kläger hat innerhalb dieses Zeitraumes, und zwar am 04.12.2014, seine Berufung begründet. Die von ihm eingereichte Berufungsbegründung enthält den Berufungsantrag (§ 520 Abs. 3 Ziff. 1) und greift die in dem ihm zugestellten Dokument (Urteilsentwurf) enthaltenen Entscheidungsgründe vollständig an. Zwar umfasst die von dem Kläger eingereichte Begründung entgegen § 520 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO nicht alle tragenden Gründe des tatsächlich ergangenen, dem Kläger aber nicht bekannten erstinstanzlichen Urteils. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch unschädlich.
b)
46

Sind dem Rechtsmittelführer keine weitergehenden Ausführungen möglich, weil er das anzugreifende Urteil nicht kennt, so darf sich die Begründung auf diejenigen Ausführungen beschränken, die dem Rechtsmittelführer bekannt sind. Dementsprechend ist es hinreichend, den Berufungsangriff gegen eine verkündete, aber innerhalb der Fünfmonatsfrist nicht zugestellte Entscheidung auf die Rüge der Verfahrenswidrigkeit der nicht erfolgten Zustellung zu beschränken (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – XII ZB 102/02 –, Rn. 7, juris; Beschluss vom 11. März 2015 – XII ZB 572/13 –, Rn. 38, juris; BAG, Urteil vom 24. September 1996 – 9 AZR 364/95 –, BAGE 84, 140-147, Rn. 22). Die Berufungsbegründung muss nur erkennen lassen, dass das Urteil, welchen Inhalt es auch immer haben möge, angefochten wird, soweit es die Partei beschwert (BGH, Urteil vom 09. Juli 2009 – IX ZR 197/08 –, Rn. 11, juris). Nichts anderes kann gelten, wenn dem Rechtsmittelführer ein für ihn als solcher nicht erkennbarer Urteilsentwurf zugestellt wird und er eine diesen Entwurf ordnungsgemäß angreifende Berufungsbegründung rechtzeitig einreicht.
B
1.
47

Die Klage ist zulässig. Der Zulässigkeit der Klage steht die Rechtskraft der Senatsentscheidung vom 24.11.2005 (12 U 260/04) nicht entgegen.
a)
48

Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung steht – als negative Prozessvoraussetzung – einer neuen Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand entgegen (ne bis in idem). Unzulässig ist deshalb eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines bereits rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist (ständige Rechtsprechung – vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2003 – VIII ZR 60/03 –, BGHZ 157, 47-55, Rn. 9). Streitgegenstand eines Rechtsstreits ist nicht ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch, sondern der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene, eigenständige prozessuale Anspruch, der durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt wird (BGH aaO).
b)
49

Der Streitgegenstand des Verfahrens 12 U 260/04 ist mit dem Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens bereits deshalb nicht identisch, weil Streitgegenstand des dortigen Verfahrens die Mitteilung der Beklagten vom 11.12.2002 über die Höhe der Startgutschrift aufgrund der am 01.01.2002 in Kraft getretenen Satzung neuer Fassung war. Gegen verschiedene Mittteilungen der Beklagten können deren Versicherte jeweils erneut vorgehen, auch soweit diese auf denselben Berechnungen beruhen (Senat, Urteil vom 01. März 2007 – 12 U 40/06 –, Rn. 51, juris; LGU S. 9 m.w.N.).
50

Dies gilt, obwohl der Antrag Ziff. 3 des hiesigen Verfahrens nahezu wortgleich dem hilfsweise gestellten Klagantrag Ziff. 2 b im Verfahren 12 U 260/04 entspricht. Die Mitteilung der Beklagten als der Klage zugrundeliegender Lebenssachverhalt bestimmt jeweils den Klagegrund und damit den Streitgegenstand. Der hiesigen Klage liegen als Lebenssachverhalt die Mitteilungen der Beklagten über die Höhe der Startgutschriften vom 13.11.2012, die sich auf die Satzung in Fassung der 17. Satzungsänderung stützt, und – im Berufungsrechtszug eingeführt – von August 2018, gestützt auf die Satzung in der Fassung der 23. Satzungsänderung, zugrunde.
c)
51

Der Feststellungsantrag ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Im vorliegenden Fall führt schon ein Feststellungsurteil gegen die Beklagte als Versorgungsanstalt zu einer endgültigen Streitbeilegung, weil davon auszugehen ist, dass diese ein Feststellungsurteil umsetzen wird (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 12 U 104/14 –, Rn. 38, juris).
2.
52

Die Beklagte ist gemäß § 242 BGB verpflichtet, bei der Berechnung der Startgutschrift des Klägers gemäß den zwischen den Parteien unstreitig als wirksam anzusehenden Bestimmungen der 23. Satzungsänderung die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen.
a)
53

Die Rechtskraft der Entscheidung des Senats vom 24.11.2005 (12 U 260/04) rechtfertigt eine Abweisung des Klagantrags als unbegründet nicht. Aufgrund dieser Entscheidung steht nicht rechtskräftig fest, dass bei der Berechnung der Startgutschrift des Klägers – auch im Wege einer Einzelfallentscheidung – die Steuerklasse III/0 nicht anzuwenden ist.
54

Der Senat hat in der Entscheidung vom 24.11.2005 festgestellt, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung erteilte Startgutschrift den Wert der Anwartschaft des Klägers bis zum Systemwechsel am 31.12.2001 nicht verbindlich festlegt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klagabweisung im Übrigen – auch hinsichtlich der gestellten Anträge zur Anwendung der Steuerklasse III/0 – entfaltet keine Bindungswirkung für die von dem Kläger mit dem hiesigen Verfahren begehrte Härtefallprüfung auf Grundlage der Bestimmungen der 23. Satzungsänderung.
(1)
55

Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass dann, wenn eine in einem Vorprozess entschiedene Rechtsfrage Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits ist, das nachfolgende Gericht an diese Entscheidung gebunden ist (BGH, Urteil vom 16. Januar 2008 – XII ZR 216/05 –, Rn. 9, juris; Urteil vom 14. Februar 2006 – VI ZR 322/04 –, Rn. 15, juris). Die rechtskräftige Entscheidung einer Vorfrage führt nicht zur Unzulässigkeit, aber zur Unbegründetheit des Anspruchs (BGH aaO; Beschluss vom 27. September 2012 – IV ZR 182/10 –, Rn. 19, juris). So entfaltet die Abweisung einer auf Feststellung einer Forderung erhobenen Klage in der Sache insoweit Rechtskraft für eine später auf dieselbe Forderung gestützte Leistungsklage, als das mit ihr erstrebte Prozessziel unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr aus demselben Lebenssachverhalt hergeleitet werden kann, der der Feststellungsklage zugrunde gelegen hat (BGH, Urteil vom 14. Februar 2006 – VI ZR 322/04 –, Rn. 15, juris m. w. N.). Allerdings kann sich der Kläger zur Begründung der neuen Klage auf Tatsachen berufen, die erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung des Vorverfahrens entstanden sind (BGH aaO Rn. 16).
(2)
56

Der Kläger beruft sich hier auf Tatsachen, die erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses entstanden sind. Der Kläger wendet sich nicht nur gegen eine neue Mitteilung der Beklagten über die Berechnung seiner Startgutschrift (Mitteilung von August 2018, bzw. erstinstanzlich vom 13.11.2012). Vielmehr steht erst jetzt, aufgrund der im Berufungsrechtzug von den Parteien abgegebenen Erklärungen, fest, nach welchen Regeln die Startgutschrift des Klägers zu berechnen ist, nämlich der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Berechnung von August 2018. Beide Parteien haben übereinstimmend erklärt, dass in ihrem Verhältnis zueinander die Satzungsbestimmungen über die Anwartschaftsübertragung, namentlich die §§ 78 und 79 der VBL- Satzung, als wirksam und rechtsverbindlich anerkannt werden (Protokoll der Sitzung vom 07.02.2019 S. 2, II, 362; sowie Erklärung des Klägers AH II, BK 10). Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei um ein prozessuales Geständnis im Sinne des § 288 ZPO oder um eine individualvertragliche Vereinbarung handelt (zum Geständnis präjudizieller Rechtsverhältnisse: MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, § 288 Rn. 17; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 288 Rn. 17). Somit sind die genannten Satzungsbestimmungen im vorliegenden Verfahren als wirksam zu behandeln, obwohl diese Frage derzeit noch nicht abschließend gerichtlich geklärt ist.
57

Erst diese Übereinkunft der Parteien macht eine Härtefallprüfung im konkreten Einzelfall möglich. Aus den Entscheidungsgründen der Senatsentscheidung vom 24.11.2005 (12 U 260/04) ergibt sich, dass der Senat über die Frage, ob die Beklagte im konkreten Einzelfall bei Geltung einer neuen Startgutschriftenregelung unter Härtefallgesichtspunkten gehalten ist, bei der Berechnung der Startgutschrift des Klägers die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen, nicht entschieden hat. Von Relevanz im Hinblick auf eine mögliche Bindung für das hiesige Verfahren sind die Berufungsanträge Ziff. 1 b) und der Hilfsantrag 2 b (S. 5 f Urteil vom 24.11.2005) sowie die Begründung der Klagabweisung im Übrigen (S. 89 f des Urteils vom 24.11.2005).
(a)
58

Der Kläger beantragte unter Ziff. 1 zu erkennen, dass „die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalles eine Zusatzversorgung nach Maßgabe der Satzung der Beklagten in der Fassung der 41. Änderung (Gesamtversorgungssystem) … b) unter Anwendung der Steuerklasse III/0 bei der Berechnung des fiktiven Nettoarbeitsentgelts“ zu gewähren. Der Kläger verfolgt diesen Ansatz – Anwendung des Gesamtversorgungssystems – bereits vom Ausgangspunkt hier nicht mehr weiter. Die Entscheidung des Senats über diesen Antrag ist für das hiesige Verfahren ohne Bedeutung.
(b)
59

Auch soweit der Senat den (Hilfs-)Antrag Ziff. 2 a, festzustellen, „dass die Beklagte bei der Berechnung der Startgutschrift verpflichtet ist… unter Anwendung der Steuerklasse III/0 bei der Berechnung des fiktiven Nettoarbeitsentgeltes zugrunde zu legen“ (S. 6 des Urteils vom 24.11.2005), abgewiesen hat, entfaltet diese Entscheidung für den hiesigen Streitfall keine Bindungswirkung, da der Senat über eine andere Fassung der Satzung und eine andere Mitteilung der Beklagten und damit über einen anderen Streitgegenstand entschieden hat.
60

Der Senat hat mit Urteil vom 24.11.2005 die Unverbindlichkeit der Satzungsbestimmungen betreffend die Startgutschrift des Klägers auf Basis der damaligen Satzung festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
61

Der Senat hat in seiner Begründung zu den übrigen Klaganträgen des Vorverfahrens – gerichtet auf Bindung der Beklagten an einen bestimmten Berechnungsmodus – ausgeführt, dass eine derartige Festlegung auf eine Korrektur der unverbindlichen Satzungsregelung gerichtet wäre. Eine solche Korrektur hat der Senat jedoch im Hinblick auf die Tarifautonomie abgelehnt, da den Tarifpartnern ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung der Anwartschaften der rentenfernen Versicherten zuzugestehen sei (S. 89 B IV 13.a des Urteils vom 24.11.2005). Die Tarifpartner könnten nicht auf bestimmte Rechnungswege festgelegt werden. Vielmehr obliege es den Tarifparteien, eine verfassungskonforme Regelung zu finden. Der Senat sah sich im Übrigen an einer weitergehenden Entscheidung auch aufgrund der Tatsache gehindert, dass sich das Versicherungsverhältnis noch im Anwartschaftsstadium befand. Die Entscheidung des Senats beschränkt sich damit auf die Bestimmungen der damaligen Satzung und die auf ihr basierende Mitteilung der Beklagten vom 11.12.2002.
62

Damit ist nicht darüber entschieden, ob die Beklagte – unter Geltung einer anderen Satzungsbestimmung für rentenferne Versicherte sowie aus anderen Gesichtspunkten – etwa gemäß § 242 BGB – im Einzelfall bei der Berechnung der Startgutschrift für das fiktive Nettoarbeitsentgelt die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen hat.
(3)
63

Eine weitergehende Bindung im Hinblick auf das hiesige Verfahren ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 09.07.2008 (IV ZR 284/05, juris) über die Zurückweisung der Revisionen im Verfahren 12 U 260/04. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof lediglich Ausführungen zur abstrakten Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung auch im Fall des Klägers, nicht aber zu der Frage des Vorliegens einer besonderen Härte auch unter Berücksichtigung der Renteneinbußen des Klägers (die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht feststanden) gemacht.
64

Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass ein Verfassungsverstoß nicht vorliege, soweit der Kläger eine besondere Härte darin sehe, dass er die Zugehörigkeit zur Gruppe der rentennahen Versicherten nur um wenige Tage verfehlt habe und nur in dem für die Systemumstellung maßgeblichen Zeitpunkt vorübergehend kurze Zeit nicht verheiratet gewesen ist (BGH, Beschluss vom 09. Juli 2008 – IV ZR 284/05 –, Rn. 2, juris).
65

Der Bundesgerichtshof beschränkt seine Begründung auf die Frage eines möglichen Verfassungsverstoßes aufgrund der Anwendung der Steuerklasse I/0 im Fall des Klägers. Ein solcher liege aufgrund der Stichtagsregelung nicht vor. Es war grundsätzlich zulässig, die zum Stichtag vorliegenden Berechnungsparameter festzuschreiben (BGH, Urteil vom 14. November 2007 – IV ZR 74/06 –, BGHZ 174, 127-179, Rn. 77f). Dies gilt auch, für die Festschreibung der zum Stichtag maßgeblichen Steuerklasse. Dem Gesetzgeber – und auch den Tarifvertragsparteien – ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass sich – wie hier – die Einführung des Stichtags überhaupt und die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientieren und damit sachlich vertretbar sind (vgl. BVerfGE 117, 272 Tz. 73; 101, 239, 270 Tz. 113; st. Rspr.; BGH, Urteil vom 02. Dezember 2009 – IV ZR 279/07 –, Rn. 18, juris; Senat, Urteil vom 05. Juni 2007 – 12 U 121/06 –, Rn. 34, juris). Eine abstrakte Billigkeitskontrolle der Stichtagsregelung kommt damit – auch im Verhältnis der Parteien – nicht mehr in Betracht.
(4)
66

Soweit in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.09.2012 (IV ZR 182/10 – juris Rn. 19) eine Bindung des Berufungsgerichts an eine rechtskräftige Vorentscheidung darüber, dass bei der Berechnung der Startgutschrift der dortigen Klägerin Steuerklasse III/0 nicht zu berücksichtigen sei, angenommen wurde, so liegt eine andere Fallkonstellation vor.
67

Zugrunde lag der dortigen Entscheidung folgender Sachverhalt: Eine rentennahe Versicherte war zunächst vor dem Amtsgericht gegen den Bescheid vom 16.08.2003 (Mitteilung der Startgutschrift) vorgegangen und hatte beantragt, unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 eine Neuberechnung der Startgutschrift vorzunehmen (BGH aaO Rn 4). Diesen Antrag hatte das Amtsgericht Karlsruhe rechtskräftig abgewiesen. Nach ihrer Verrentung ging die Beklagte gegen den Rentenbescheid der Beklagten vor und beantragte – unter Berufung auf Härtefallgesichtspunkte – bei der Berechnung ihrer Startgutschrift Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen. Der Senat hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 27.07.2010 – 12 U 202/09, BeckRS 2012, 21666). Der Bundesgerichtshof wies in seinem Zurückweisungsbeschluss darauf hin, dass die Klage schon deshalb unbegründet sei, weil bereits durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe entschieden sei, dass die Startgutschrift der Klägerin nicht unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 zu berechnen sei (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – IV ZR 182/10 , Rn. 19, juris).
68

Die der Berechnung der Startgutschrift der Klägerin zugrundeliegenden Bestimmungen (zu den Startgutschriften rentennaher Versicherter) hatten sich im dortigen Fall nicht geändert. Damit beruhte die Rentenmitteilung der Beklagten, die Gegenstand des zweiten Verfahrens war, auf denselben Satzungsbestimmungen, die Grundlage der Startgutschrift waren.
69

Im hiesigen Fall waren die in der Entscheidung des Senats vom 24.11.2005 zu beurteilenden Bestimmungen zur Startgutschrift der rentenfernen Versicherten unwirksam, so dass eine Entscheidung über Fragen des Berechnungswegs im konkreten Fall gerade nicht möglich war (Senat, Urteil vom 24.11.2005 – 12 U 260/04, S. 89).
b)
70

Die Beklagte ist dem Kläger gegenüber aus Billigkeitsgesichtspunkten gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf die Stichtagsregelung des § 78 Abs. 2 VBLS im Hinblick auf den Familienstand des Klägers zum Stichtag zu berufen. Die Beklagte hat bei der Berechnung der Startgutschrift des Klägers die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen.
(1)
71

Auch dann, wenn eine Übergangsregelung einer abstrakten Billigkeitskontrolle standhält, kann gemäß § 242 BGB eine Korrektur aufgrund einer besonderen Härte geboten sein (BGH Beschluss vom 10. März 2010 – IV ZR 333/07 -, Rn. 16, juris; Beschluss vom 27. September 2012 – IV ZR 182/10 -, Rn. 17, juris; Senat, Urteil vom 27.07.2010 – 12 U 247/09 -, BeckRS 2012, 25256 unter Ziff. II.2.1 m.w.N.).
72

Eine solche Härte kann aber nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Versicherter infolge der Übergangsregelung eine deutlich geringere Betriebsrente erhält als unter Anwendung des alten Satzungsrechts (BGH, Beschluss vom 10. März 2010 – IV ZR 333/07 -, Rn. 16, juris; Urteil vom 09. März 2016 – IV ZR 168/15 -, Rn. 38, juris; Senat aaO). Hinzukommen müssen besondere Umstände, die die Einbuße als besondere Härte erscheinen lassen. Solche Umstände – etwa aus Besonderheiten in der Erwerbsbiografie des Versicherten – festzustellen, obliegt dem Tatrichter im jeweiligen Einzelfall. Dies gilt auch bei durch eine Familienstandsänderung bedingten erheblichen Renteneinbußen. Allgemeingültige Maßstäbe lassen sich insoweit – wie auch sonst für die Ausfüllung des Grundsatzes von Treu und Glauben – nur begrenzt aufstellen (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – IV ZR 182/10 –, Rn. 17, juris).
73

Eine Korrektur unter Härtefallgesichtspunkten ist nicht auf Bestandsrentner und rentennahe Versicherte beschränkt. Zwar kommt dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eine umso größere Bedeutung zu, je weniger der von einer Systemumstellung Betroffene Gelegenheit hat, sich auf die geänderten Umstände – etwa durch private Vorsorge – einzustellen. Daher gilt für Bestandrentner, die sich eine weitere Altersversorgung nicht mehr aufbauen können ein besonderes Schutzniveau (Senat, Urteil vom 28. Dezember 2012 – 12 U 113/12 -, unter II B. 2. – nicht veröffentlicht). Auch ist bei der Härtefallprüfung für rentennahe Versicherte zu berücksichtigen, dass diesen durch die Systemumstellung keine Einbußen entstehen sollten (Senat, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 12 U 100/06 –, Rn. 58, juris). Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass bei den Anwartschaften rentenferner Versicherter Härtefälle ausgeschlossen sind. Der Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht das gesamte Rechtsleben und in besonderem Maße das Versicherungsverhältnis (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – IV ZR 163/17 –, Rn. 18, juris m.w.N.). Einzelfallbezogen kann daher auch bei rentenfernen Versicherten ein Härtefall vorliegen. Allerdings dürfen bei der Härtefallprüfung nur solche Umstände herangezogen werden, die wirklich eine Ausnahme darstellen, d.h. den Kläger in besonderem, bei der abstrakt-typisierenden Entscheidung des Gesetzgebers nicht berücksichtigtem Ausmaß betreffen (Senat, Urteil vom 19. Mai 2017 – 12 U 136/16 –, Rn. 51, juris).
74

Eine Härtefallprüfung war bei den rentenfernen Versicherten bislang nicht möglich, da die Satzungsregelungen zur Startgutschrift rentenferner Versicherter unwirksam waren und damit keine Grundlage für eine Einzelfallprüfung vorhanden war. Mangels feststehender Regelung zur Startgutschrift konnte nicht beurteilt werden, wie hoch die Einbuße des jeweiligen Klägers aufgrund der Stichtagsregelung war (Senat, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 12 U 104/14 –, Rn. 72, juris). Die Feststellung einer – erheblichen – Einbuße ist jedoch unabdingbares Element einer Härtefallprüfung. Diese Feststellung kann im hiesigen Ausnahmefall getroffen werden, bevor über die allgemeine Wirksamkeit der Regelungen der 23. Satzungsänderung zur Startgutschrift für die rentenfernen Jahrgänge entschieden ist, weil der Kläger die Geltung der jetzigen Fassung der Satzung abstrakt ihm gegenüber anerkannt hat.
(2)
75

Bei der Prüfung des Vorliegens einer unangemessenen Härte ist zunächst festzustellen, ob sich bei dem Vergleich der tatsächlichen Betriebsrente mit der Rente, die ohne den Eingriff zu erwarten wäre, ein unverhältnismäßiger Nachteil ergibt (Senat, Urteil vom 05.06.2007 – 12 U 121/06 -, unter 2 d). Der Kläger akzeptiert die aktuelle Satzungsregelung zur Systemumstellung grundsätzlich. Er macht allerdings geltend, die Anwendung der Stichtagsregelung sei in seinem Falle treuwidrig.
76

Der Kläger hat aufgrund der Neuberechnung der Startgutschrift durch die 23. Satzungsänderung beim Renteneintritt Anspruch auf eine Betriebsrente in Höhe von 603,88 EUR brutto (Mitteilung vom 23.09.2018, AH II, BK 9). Nach seinen Berechnungen, denen die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten ist, hätte er bei einer Berechnung der Startgutschrift unter Anwendung der Steuerklasse III/0 Anspruch auf eine Betriebsrente in Höhe von 963,54 EUR. Die systemimmanente Einbuße des Klägers hinsichtlich seiner Betriebsrente aufgrund der Anwendung der Steuerklasse I/0 beläuft sich damit auf 37,32 Prozent. Diese Einbuße ist erheblich.
(3)
77

Da die Stichtagsbestimmungen des § 78 Abs. 2 VBLS Teil des Übergangsrechts sind, mit dem die im alten System erworbenen Rentenanwartschaften in das neue Punktesystem überführt werden, ist aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch in den Blick zu nehmen, welche Versorgung der Kläger nach dem alten Gesamtversorgungssystem erhalten hätte.
78

Bei den bislang vom Bundesgerichtshof zur Härtefallproblematik entschiedenen Fällen hat dieser als Vergleichspunkt auf die Rente „bei Anwendung des alten Satzungsrechts“ abgestellt (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – IV ZR 176/10 –, Rn. 20, juris; BGH, Beschluss vom 10. März 2010 – IV ZR 333/07 –, Rn. 16, juris). Auch der Senat hat bei seinen Entscheidungen – soweit ersichtlich – einen Vergleich zwischen der Betriebsrente nach neuem Recht und derjenigen Rente durchgeführt, die bei einem Systemverbleib zu erwarten war, und eine Härtefallkorrektur abgelehnt, wenn sich so kein oder ein nur geringer Nachteil ergab (OLG Karlsruhe, Urteil vom 05. März 2015 – 12 U 157/11 (13) –, Rn. 14, juris; Urteil vom 05. März 2015 – 12 U 75/11 –, Rn. 9, juris). Allerdings war bei den Fällen rentennaher Versicherter zu berücksichtigen, dass diese durch den Systemwechsel möglichst keine Nachteile erleiden sollten. Dies sprach in besonderem Maße für die Heranziehung der Versorgungsrente unter Geltung der alten Satzungsregelungen bei der Frage der Beurteilung eines Härtefalls.
79

Auch bei der Beurteilung von Härtefällen rentenferner Versicherter dürfte für die Frage, ob ein Versicherter durch die Übergangsregelungen der VBL-Satzung unbillig getroffen wird, jedenfalls auch die Erwägung heranzuziehen sein, wie die Versorgungssituation des Versicherten ohne die Systemumstellung ausgesehen hätte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie im vorliegenden Fall seitens der Beklagten – behauptet wird, der Kläger profitiere von einer anderen Regelung des Übergangsrechtes, nämlich dem Näherungsverfahren (Schriftsatz der Beklagten vom 23.07.2018, S. 6).
80

Die Stichtagsregelung des § 78 Abs. 2 VBLS ist eine von mehreren Regelungen zur Übertragung der Anwartschaften im Rahmen der Systemumstellung. Dieser Kontext ist auch im Rahmen der Billigkeitskontrolle zu beachten. Profitiert der Versicherte von einer Regelung des Übergangsrechtes in erheblichem Umfang (hier dem Näherungsverfahren), so erscheint es fraglich, ob der Beklagten die Anwendung einer anderen Regelung (hier der Stichtagsregelung zur Steuerklasse) als treuwidrig untersagt werden kann, weil diese Regelung – isoliert betrachtet – für den Kläger erhebliche Nachteile mit sich bringt.
81

Allerdings steht nach dem Vortrag der Parteien nach Hinweis des Senats vom 22.02.2019 fest, dass der Kläger durch die Berechnung der Startgutschrift aufgrund der Regelungen der 23. Satzungsänderung auch im Vergleich mit einer Beibehaltung des Systems der Gesamtversorgung erhebliche Nachteile erlitten hat. Darauf, dass die Berechnung einer möglichen Versorgungsrente am 01.03.2012 auf Basis der Satzungsregelungen vor der Systemumstellung ganz erheblichen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten begegnet, haben beide Parteien zu recht hingewiesen. Die Beklagte errechnet unter Berücksichtigung dieser Unwägbarkeiten einen Anspruch des Klägers auf eine fiktive Versorgungsrente nach altem System am 01.03.2012 unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 in Höhe von 975 EUR. Der Kläger errechnet eine fiktive Versorgungsrente in Höhe von 1.199, 54 EUR. Ob die Berechnung der Beklagten oder des Klägers zutreffend ist, kann dahinstehen, da der Kläger auch bei Annahme einer fiktiven Versorgungsrente nach altem System von lediglich 975 EUR unter Berücksichtigung der beim Renteneintritt tatsächlich vorliegenden Steuerklasse III/0 sowie der gesetzlichen Rente des Klägers zum Renteneintritt aufgrund des Übergangsrechtes unter Einschluss der Stichtagsregelung eine Einbuße von 38,11 Prozent hinzunehmen hätte. Es kann also keine Rede davon sein, dass die erheblichen Einbußen des Klägers durch die Anwendung der Stichtagsregel durch andere Regelungen der Systemumstellung – etwa durch die Anwendung des Näherungsverfahrens – kompensiert werden.
82

Bei der Vergleichsberechnung sind nicht die Werte zum 31.12.2001 heranzuziehen. Zwar kann geschütztes Vertrauen nur hinsichtlich derjenigen Berechnungsgrößen entstanden sein, die bis zur Systemumstellung sicher feststanden (BGH, Urteil vom 02. Dezember 2009 – IV ZR 279/07 –, Rn. 20, juris; Beschluss vom 25. November 2010 – IV ZR 106/10 –, juris). Sinn der Vergleichsberechnung mit der sich im Einzelfall des Klägers voraussichtlich ergebenden Rente nach altem System ist jedoch nicht die Bestimmung eines möglichen Anspruchs des Klägers. Vielmehr geht es darum festzustellen, ob der Einwand der Beklagten, der Kläger habe von der Systemumstellung aufgrund der Anwendung des Näherungsverfahrens erheblich profitiert, berechtigt ist.
(4)
83

Bei dem Kläger liegen auch in seiner Erwerbsbiografie begründete außergewöhnliche Umstände vor, die über die im Rahmen einer zulässigen Stichtagsregelung hinzunehmenden Härten hinausgehen.
84

Der Senat hat in der Vergangenheit einen besonderen Umstand bei einem rentennahen Versicherten dann angenommen, wenn die Betriebsrente nach den am 31. Dezember 2001 geltenden steuerlichen Verhältnissen berechnet worden ist, obwohl diese nicht denjenigen Verhältnissen entsprechen, die die Biografie des Versicherten geprägt hatten (Senat, Urteil vom 27. Juli 2010, 12 U 202/09 -, BeckRS 2012, 21666, unter II 3.a). Dies sei dann der Fall, wenn der Versicherte in einem weniger als 3 Jahre dauernden Zeitraum über den Stichtag hinweg nicht verheiratet war (Senat aaO). Die Betrachtung anhand abstrakter Kriterien – Einbuße über 30 Prozent und weniger als 3 Jahre einschließlich des Stichtages nicht verheiratet – hat der Bundesgerichtshof allerdings nicht gebilligt, sondern eine Einzelfallbetrachtung gefordert (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – IV ZR 176/10 –, Rn. 21, juris).
85

Im Rahmen der Einzelfallbetrachtung ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger nur einen sehr geringen Anteil seiner Gesamtversicherungszeit nicht verheiratet war. Die steuerlichen Verhältnisse am 31.12.2001 haben die Biografie des Klägers während der Dauer seiner Zusatzversicherung bei der Beklagten nicht geprägt. Der Kläger war vielmehr von den über 39 Jahren seiner Versicherungszeit bei der Beklagten nur 2 Jahre und 4 Monate nicht verheiratet. Dies entspricht einem Anteil von 6 Prozent. Betrachtet man die Gesamtdauer der Versicherungszeit des Klägers erscheint damit die Einstufung in Steuerklasse III/0 gleichsam zufällig (Senat, Urteil vom 27. Juli 2010 – 12 U 202/09 –, BeckRS 2012, 21666, unter Ziff. II.3 a). Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch, wenn man nur die Versicherungszeit bis zur Systemumstellung in Betracht zieht, wofür manches spricht. Der Kläger war bis zur Systemumstellung 27 Jahre und 5,5 Monate seiner Versicherungszeit verheiratet. 1 Jahr und 6,5 Monate war er bis zur Systemumstellung verwitwet. Dies entspricht ca. 5 Prozent der Versicherungszeit bis zur Umstellung.
86

Die lange von der Steuerklasse III/0 geprägte Versicherungszeit des Klägers bis zur Systemumstellung, der schicksalhafte Tod seiner ersten Ehefrau verbunden mit der hohen Einbuße des Klägers durch die steuerliche Zuordnung am Stichtag, die nicht durch andere Wirkmechanismen der Systemumstellung kompensiert wird, rechtfertigen daher die Annahme einer besonderen Härte im Einzelfall des Klägers.
(5)
87

Voraussetzung der Annahme eines Härtefalls ist nicht, dass der Kläger aufgrund der nachteiligen Satzungsbestimmung existenziell gefährdet ist. Zwar hat der Senat im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung auch der Tatsache Bedeutung beigemessen, dass die Anwendung der Satzungsbestimmung dazu führt, dass die Renteneinkünfte des Betroffenen nicht mehr auskömmlich sind (Senat, Urteil vom 28.12.2012 – 12 U 113/12 –, unter II. B. 2. – nicht veröffentlicht). Dies ist jedoch nur ein Aspekt, der im Rahmen der Einzelfallbetrachtung zu berücksichtigen ist. Dem Aspekt der existenziellen Gefährdung kommt besondere Bedeutung bei Bestandsrentnern zu, die – anders als noch im Erwerbsleben befindliche Versicherte – keine weitere Altersvorsorge mehr betreiben können.
88

Im Hinblick auf den Entgeltcharakter der Betriebsrente ist eine existentielle Gefährdung jedoch nicht unabdingbare Voraussetzung der Annahme eines Härtefalls (OLG Karlsruhe, Urteil vom 05. Juni 2007 – 12 U 121/06 –, Rn. 34, juris). Vielmehr ist erforderlich, aber auch hinreichend, dass infolge besonderer Umstände, die über die gesetzgeberische Entscheidung hinausgehen, eine besondere unzumutbare Härte vorliegt (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – IV ZR 163/17 –, Rn. 18, juris).
III.
89

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat auch die Kosten der ersten Instanz zu tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen. Die abstrakten Grundsätze zur Prüfung eines Härtefalls sind geklärt, deren Anwendung und die Beurteilung im Einzelfall obliegt dem Tatrichter.

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