Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 04. November 1997 – 1Z BR. 1 169/97

April 6, 2019

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 04. November 1997 – 1Z BR. 1 169/97

1. Bestehen aufgrund der Umstände keine ernsthaften Zweifel daran, daß die Erblasserin ein privatschriftliches Testament selbst verfaßt hat, so ist der Tatrichter nicht verpflichtet, das Gutachten eines Schriftsachverständigen zur Echtheit des Testaments einzuholen, auch wenn das Testament in einzelnen Beziehungen Auffälligkeiten aufweist.
2. Zur Auslegung mehrerer Änderungsvorbehalte in einem Erbvertrag.
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Juli 1997 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 437.500 DM festgesetzt wird.
II. Die Beteiligte zu 3 hat dem Beteiligten zu 1 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 437.500 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die im Alter von 81 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Ihr Ehemann ist im April 1983 vorverstorben. Aus seiner ersten Ehe stammte ein Sohn, H. Von den Geschwistern der Erblasserin lebt nur noch die Beteiligte zu 5. Die Beteiligten zu 1, 2 und 3 sind die Kinder von Geschwistern der Erblasserin. Der Beteiligte zu 4 ist ein Verwandter des Ehemanns der Erblasserin und mit der Beteiligten zu 3 verheiratet. Zum Nachlaß gehören ein Wohnhaus sowie ein landwirtschaftliches Anwesen in S., das aus dem Nachlaß des Ehemannes der Erblasserin stammt, ferner mehrere landwirtschaftliche Grundstücke in O., die aus dem Besitz der Familie der Erblasserin stammen.
In einem Erbvertrag vom 10.2.1975 hatten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und den Stiefsohn der Erblasserin H. ohne vertragsmäßige Bindung zum Schlußerben bestimmt. Der in O. gelegene Grundbesitz der Erblasserin sollte vermächtnisweise nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge an ihre Verwandten fallen.
In einem weiteren Erbvertrag vom 25.3.1983 hielten die Eheleute die gegenseitige Erbeinsetzung ausdrücklich aufrecht. Abweichend von dem früheren Erbvertrag setzten sie den Stiefsohn der Erblasserin lediglich zum Vorerben ein und beriefen die Beteiligten zu 3 und 4 zu Nacherben jeweils zur Hälfte. In diesem Zusammenhang ist in Abschnitt I.2 des Erbvertrages folgendes bestimmt:
Sollte ich, der Ehemann …. der Erstversterbende von uns sein und H. gesetzliche Pflichtteilsansprüche gegen meine Ehefrau … geltend machen, so entfallen gleichzeitig die vorstehend getroffenen Anordnungen von Vorerbeinsetzung und Nacherbeinsetzung. In diesem Falle ist die längerlebende Ehefrau somit berechtigt, unbeschränkte neue Verfügungen von Todes wegen ohne Berücksichtigung des Sohnes H. zu treffen.
Der Ehemann setzte für den Fall seines Todes verschiedene Vermächtnisse aus, u.a. wandte er den Beteiligten zu 1 und 3 Grundstücke zu. Die Erblasserin hielt ihr im Erbvertrag vom 10.2.1975 angeordnetes Vermächtnis aufrecht und setzte ein weiteres Vermächtnis zugunsten des Beteiligten zu 1 aus. Für den Fall, daß H. Vorerbe werden sollte, ordneten die Eheleute Testamentsvollstreckung an. In Abschnitt I.6 des Erbvertrages erklärten die Ehegatten zur Bindungswirkung der getroffenen Verfügungen außerdem:
Sollte die Ehefrau die Zweitversterbende von uns sein, so ist diese berechtigt, weitere Verfügungen von Todes wegen zu treffen. Gebunden ist sie in diesem Fall lediglich insoweit, als unserem Sohn H. als Vorerben der derzeit im Eigentum des Ehemannes in S. gelegene Grundbesitz verbleiben muß.
Nach dem Tod des Ehemannes verlangte H. von der Erblasserin den Pflichtteil, der ihm im Dezember 1984 ausgezahlt wurde.
Nach dem Tod der Erblasserin übersandte deren Bank dem Nachlaßgericht einen verschlossenen Umschlag, der auf der Vorderseite die Aufschrift “Mein Testament”, auf der Rückseite den Namen der Erblasserin trägt. Er enthielt ein Schriftstück, das auf der Vorderseite mit dem Datum 18.5.1985 versehen ist, einen in deutscher Schrift gehaltenen Text aufweist und darunter den in lateinischer Schrift, offenbar mit einem anderen Kugelschreiber geschriebenen Namenszug der Erblasserin trägt. Dieser Namenszug findet sich auch auf der Rückseite des Schriftstücks unter der in deutscher Schrift gehaltenen Datumsangabe “U. den 18.5.1985”. Das Schriftstück hat folgenden Inhalt:
Testament!
Was ich hier niederschreibe ist mein letzter Wille. Alles was ich nach meinem Tote hinterlasse, vermache ich meinen beiden Neffen … (Beteiligte zu 1 und 2) zu gleichen Teilen. Haben aber auch die Verpflichtung, nach meinem Tote unser Familien Grab mit Platten abdecken zu lassen. Das Haus behalte ich mir, falz ich Alt und Pflegebedürftig werde, vermache ich es dem Altenheim. Mitt der Auflage es nicht an die derzeitigen Mieter oder deren Nachkommen zu vermieten oder zu verkaufen, denn sie machen mir das Leben sehr schwer es ist nicht mehr auszuhalten. Familie … die mir immer zur Seite stehen, vermache ich das Grundstück in S.
Im Verlauf des Erbscheinsverfahrens übergab der Beteiligte zu 1 dem Nachlaßgericht ein nach dem Inhalt der Verfügungen mit dem bereits erwähnten Testament im wesentlichen übereinstimmendes, allerdings sprachlich und juristisch einwandfrei formuliertes Schriftstück. Dieses ist auf den 11.6.1992 datiert und trägt ebenfalls den Namenszug der Erblasserin. Es ist jedoch teilweise in Maschinenschrift gehalten. Bei den Akten befindet sich ferner die Fotokopie einer von der Erblasserin am 25.4.1994 unterzeichneten Bescheinigung der Bank, wonach der verschlossene Umschlag, der das mit 18.5.85 datierte Testament enthielt, ab 11.6.1992 bis auf weiteres bei der Bank verwahrt werden und nach dem Tod der Erblasserin an das Nachlaßgericht weitergeleitet werden solle.
Die Beteiligten zu 1 und 2 berufen sich auf das mit 18.5.1985 datierte privatschriftliche Testament und haben einen Erbschein beantragt, der sie je zur Hälfte als Erben ausweisen soll. Demgegenüber bezweifelt die Beteiligte zu 3 die Echtheit dieses Testaments und macht außerdem geltend, daß die Erblasserin jedenfalls hinsichtlich der aus dem Vermögen ihres Ehemannes stammenden Grundstücke in S. von der Nacherbeneinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 in dem Erbvertrag vom 25.3.1983 nicht habe abweichen können.
Das Nachlaßgericht hat mit Vorbescheid vom 15.10.1996 einen dem Antrag der Beteiligten zu 1 und 2 entsprechenden Erbschein angekündigt. Die Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen diese Entscheidung hat das Landgericht zurückgewiesen und den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 169 000 DM festgesetzt. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 vom 29.8.1997. Das Nachlaßgericht hat bereits am 26.8.1997 den beantragten Erbschein erteilt.
II. 1. Die weitere Beschwerde ist lediglich mit dem Ziel der Einziehung des inzwischen erteilten Erbscheins zulässig (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 1447/1448). Sie ist in diesem Sinn auszulegen. An ihren im Rechtsbeschwerdeverfahren zunächst gestellten weitergehenden Anträgen hält die Beteiligte zu 3 offensichtlich nicht mehr fest.
2. Das Landgericht hat ausgeführt, das Testament vom 18.5.1985 sei von der Erblasserin eigenhändig geschrieben und unterschrieben. Ein Vergleich mit den eingereichten Schriftstücken ergebe keine gegenteiligen Anhaltspunkte, ebensowenig die Verwendung verschiedener Schreibgeräte für Datum und Unterschrift einerseits, den Testamentstext andererseits. Mit einer Fälschung brauche nicht gerechnet zu werden, da die Erblasserin das Testament selbst bei der Bank in Verwahrung gegeben habe.
Die Erblasserin habe entsprechend dem Testament verfügen dürfen und sei durch den Erbvertrag vom 25.3.1983 nicht gebunden gewesen. Die Vorerbeneinsetzung des Stiefsohnes und die Nacherbeneinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 seien gemäß Abschnitt I.2 des Erbvertrages entfallen, weil der Stiefsohn nach dem Tod des Ehemannes gegenüber der Erblasserin seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht habe. Aus Abschnitt I.6 des Erbvertrages ergebe sich nichts anderes. Diese Bestimmung habe nur den Stiefsohn, nicht die Nacherben schützen sollen und trete gegenüber der Sonderregelung in Abschnitt I.2 des Erbvertrages zurück. Das Testament sei erst nach dem Erbvertrag und dem Pflichtteilsverlangen abgefaßt und daher für die Erbfolge maßgeblich. Danach seien die Beteiligten zu 1 und 2 zu Erben eingesetzt.
3. Die Entscheidung des Landgerichts hält, von der Geschäftswertfestsetzung abgesehen, der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).
a) Das Landgericht durfte das auf den 18.5.1985 datierte Testament ohne weitere Ermittlungen als wirksam ansehen. Es ist nicht zu beanstanden, daß es angenommen hat, die Erblasserin habe das Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben. Diese Tatsachenfeststellung ist gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 561 Abs. 2 ZPO für den Senat grundsätzlich bindend. Sie kann im Verfahren der weiteren Beschwerde nur dahin überprüft werden, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat (§ 12 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB), ob die Vorschriften über die Form der Beweisaufnahme (§ 15 FGG) verletzt worden sind oder ob die Beweiswürdigung fehlerhaft ist (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 1419 und BayObLGZ 1993, 389/ 397, ständige Rechtsprechung des Senats). Ein solcher Fehler liegt nicht vor. Denn über die Art und den Umfang der Ermittlungen entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BayObLG NJW-RR 1996, 583/584); die ihm hierbei gesetzten Grenzen (vgl. zur Überprüfung BayObLG aaO) hat das Landgericht beachtet.
aa) Das Landgericht durfte davon absehen, einen Schriftsachverständigen hinzuzuziehen. Die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit eines eigenhändigen Testaments ist nur in Zweifelsfällen geboten (BayObLG FamRZ 1991, 962/964; OLG Köln NJW-RR 1994, 396). Einen solchen Zweifelsfall mußte das Landgericht hier nicht annehmen. Liegen keine besonderen Umstände vor, die gegen eine eigenhändige Errichtung eines privatschriftlichen Testaments sprechen, genügt es, wenn der Tatrichter selbst die Schriftzüge des ihm vorliegenden Testaments mit anderen Schriftproben vergleicht und das Ergebnis würdigt (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 1419 f.). Hier hat das Landgericht weitere Schriftproben herangezogen und in sich stimmig begründet, warum nach seiner Ansicht die abweichend vom Text, der in deutscher Schrift niedergelegt ist, in lateinischer Schrift gehaltene Unterschrift ebenfalls von der Erblasserin stammt. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, daß auch andere bei den Akten befindliche, zweifelsfrei von der Erblasserin unterschriebene Schriftstücke von dieser in lateinischer Schrift unterzeichnet worden sind, während sie den Text einiger Schriftstücke in deutscher Schrift verfaßt hatte. Auch die möglicherweise mit dem Zeitpunkt des Abschlusses der Testamentserrichtung nicht zusammenpassende Datumsangabe sowie die Verwendung unterschiedlicher Kugelschreiberpasten hat das Landgericht gewürdigt. Es hat festgestellt, daß die Erblasserin selbst den verschlossenen Umschlag mit dem Testament bei ihrer Bank in Verwahrung gegeben hat. Dies ergibt sich auch aus dem in Ablichtung bei den Akten befindlichen Verwahrungsvertrag zwischen der Bank und der Erblasserin vom 25.4.1994. Dieser Vertrag wie auch der Umschlag tragen im übrigen die Unterschrift der Erblasserin, und zwar ebenfalls in lateinischer Schrift. Der verschlossene Umschlag wurde bei der Bank bis zum Tod der Erblasserin aufbewahrt. Unter diesen Umständen brauchte das Landgericht aufgrund des Inhalts und der äußeren Gestalt des Testaments keine ernsthaften Zweifel an dessen Echtheit zu haben.
bb) Zu solchen Zweifeln nötigt auch nicht das teils in Maschinenschrift, teils in Handschrift der Erblasserin gehaltene Testament vom 11.6.1992. Dieses Schriftstück bringt, wenn auch juristisch korrekter formuliert, inhaltlich im wesentlichen nur das zum Ausdruck, was die Erblasserin bereits in dem auf den 18.5.1985 datierten Testament bestimmt hatte. Das weitere Testament ist zwar formunwirksam. Das gibt aber keinen Anlaß zu Zweifeln daran, ob die Erblasserin in dem vollständig handschriftlichen Testament ihren Willen selbst niedergelegt und unterzeichnet hat. Es ist ohne weiteres möglich, daß die Erblasserin zunächst nur dieses Testament verfaßt hat, dann aber dem darin niedergelegten Inhalt eine juristisch korrektere Formulierung geben wollte und sich deshalb von dritter Seite einen maschinenschriftlichen Entwurf hat anfertigen lassen.
cc) Eine zutreffende Datumsangabe ist, wie § 2247 Abs. 5 BGB zeigt, nicht Voraussetzung der Wirksamkeit eines Testaments (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 111/112). Daher mußte das Landgericht der Frage, zu welchem Zeitpunkt das handschriftliche Testament tatsächlich abschließend verfaßt worden war, nicht weiter nachgehen. Bedeutung könnte diesem Zeitpunkt allenfalls dann zukommen, wenn er vor dem Pflichtteilsverlangen des Sohnes lag, weil die Erblasserin dann zu einem Zeitpunkt verfügt hätte, zu dem sie wenigstens teilweise noch an den Erbvertrag vom 25.3.1983 gebunden war. Daß dies nicht der Fall ist, hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt.
b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, daß die in dem Erbvertrag vom 25.3.1983 getroffenen Verfügungen der Wirksamkeit der in dem handschriftlichen Testament enthaltenen Regelungen nicht entgegenstehen (§ 2289 Abs. 1 BGB).
aa) In Abschnitt I.2 des Erbvertrages ist am Ende ausdrücklich bestimmt, daß sowohl die Vorerbeneinsetzung des Stiefsohnes wie auch die Nacherbeneinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 entfallen soll, wenn bei Vorversterben des Ehemannes der Stiefsohn Pflichtteilsansprüche gegen die Erblasserin geltend machte. Diese zulässige auflösende Bedingung (§ 2075 BGB; vgl. BayObLGZ 1990, 58/60 und 1994, 164/167) ist eingetreten, da der Stiefsohn den Pflichtteil verlangt und im Dezember 1984 auch ausgezahlt erhalten hat.
bb) Eine solche Klausel kann schon ganz allgemein dahin auszulegen sein, daß der Überlebende an seine eigene vertragliche Schlußerbeneinsetzung nicht mehr gebunden ist (vgl. BayObLGZ 1990, 58/60). Hier ist diese Rechtsfolge sogar ausdrücklich im Vertrag vorgesehen. Denn der letzte Absatz des Abschnitts I.2 des Erbvertrags bestimmt, daß die Erblasserin bei Entfallen der Vor- und Nacherbschaft berechtigt sein soll, unbeschränkt neue Verfügungen von Todes wegen ohne Berücksichtigung des Stiefsohnes zu treffen. Ein solcher Änderungsvorbehalt ist ebenfalls zulässig. Er bewirkte hier, daß die Erblasserin mit dem Eintreten der im Erbvertrag genannten Voraussetzung, dem Pflichtteilsverlangen des Stiefsohnes, wirksam vom Erbvertrag abweichende Verfügungen treffen konnte (vgl. BGHZ 26, 204/208 f.; BayObLG FamRZ 1996, 826/827).
cc) Die Einwendungen, die die Beteiligte zu 3 hiergegen erhebt, greifen nicht durch. Die Auslegung des Erbvertrags, die das Landgericht insoweit vorgenommen hat, ist aus Rechtsgründen (vgl. zum Umfang der Überprüfung BayObLG FamRZ 1994, 196) nicht zu beanstanden.
(1) Abschnitt I.6 des Erbvertrages spricht nicht gegen diese Auslegung. Danach war die Erblasserin berechtigt, nach dem Tod des Ehemannes weitere Verfügungen von Todes wegen zu treffen, allerdings nur in einem eingeschränkten Umfang. Die Regelung hatte daher neben der Befreiung von der Bindung in Abschnitt I.2 des Erbvertrages eine eigene selbständige Bedeutung. Denn sie galt auch für den Fall, daß der Stiefsohn seinen Pflichtteil nicht verlangte. Verlangte er seinen Pflichtteil, so konnte es aus der Sicht der Vertragschließenden durchaus angebracht sein, die Erblasserin über Abschnitt I.6 hinaus völlig von ihrer Bindung freizustellen. Denn sie mußte dann den Pflichtteilsanspruch des Stiefsohnes erfüllen und hierfür die erforderlichen Mittel aus dem Nachlaß bereitstellen. Ganz abgesehen davon war sie ohnehin mit den in Abschnitt I.3 des Erbvertrages vorgesehenen Vermächtnissen beschwert.
(2) Die Deutung, die die Beteiligte zu 3 dem Abschnitt I.6 des Erbvertrages geben möchte, ist schon aus Rechtsgründen nicht möglich. Eine Vorerbschaft des Stiefsohnes (und damit auch die Nacherbfolge der Beteiligten zu 3 und 4) müßte sich auf den gesamten Nachlaß der Erblasserin erstrecken. Eine Ausgrenzung bestimmter Nachlaßteile, wie sie die Beteiligte zu 3 für angebracht hält, wäre mit dem Prinzip der Universalsukzession (§§ 1922, 1967 BGB) nicht zu vereinbaren. Eine Vorerbschaft nur für den Grundbesitz des Ehemannes in S. ist daher ausgeschlossen. Daß die Eheleute im Fall eines Pflichtteilsverlangens des Stiefsohnes ein Fortbestehen der Vorerbschaft und damit auch der Nacherbschaft in vollem Umfang aber gerade nicht wollten, ergibt sich eindeutig aus Abschnitt I.2 des Erbvertrages.
Im übrigen würde, folgt man dem Verständnis der Beteiligten zu 3, der Änderungsvorbehalt in Abschnitt I.2 des Erbvertrages leerlaufen. Über den außerhalb von S. gelegenen Grundbesitz durfte die Erblasserin bereits nach Abschnitt I.6 des Erbvertrages vollständig frei von Todes wegen verfügen. Der (bedingte) Änderungsvorbehalt in Abschnitt I.2 ergibt nur dann einen Sinn, wenn dadurch der Erblasserin über Abschnitt I.6 hinausgehend auch hinsichtlich des in S. gelegenen Grundbesitzes die Verfügungsfreiheit verschafft wurde.
c) Gegen die Auslegung, die das Landgericht dem Testament selbst gegeben hat, bestehen keine Bedenken. Die Erblasserin hat den Beteiligten zu 1 und 2 “alles vermacht”, was sie nach ihrem Tod hinterließ und lediglich verfügt, daß zwei im Wert keinesfalls überwiegende Grundstücke an Dritte gehen sollten. Darin konnte das Nachlaßgericht rechtsfehlerfrei eine Einsetzung nur der Beteiligten zu 1 und 2 zu Erben sehen.
4. Einer Entscheidung über die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde bedarf es nicht. Wer diese zu tragen hat, ergibt sich aus dem Gesetz. Gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG hat die Beteiligte zu 3 die dem Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten. Die weiteren Beteiligten sind im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht hervorgetreten.
5. Für den gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO festzusetzenden Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde kommt es in erster Linie auf das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten zu 3 am Erfolg ihres Rechtsmittels an (vgl. näher BayObLGZ 1993, 115/117). Dieses Interesse richtet sich nach dem Wert des Grundbesitzes der Erblasserin in S., der der Beteiligten zu 3 nach ihrer Auffassung zusammen mit ihrem Ehemann, dem Beteiligten zu 4, zufallen soll. Der Senat berücksichtigt bei seiner Festsetzung, daß eines der in S. gelegenen Grundstücke an einen Dritten vermacht ist, und bezieht, abweichend vom Landgericht, auch den Gebäudewert sowie den der Erblasserin zustehenden altrechtlichen Nutzanteil am Güterwald mit ein. Daraus ergibt sich auf der Grundlage der Berechnungen des Kostenbeamten ein Wert von ca. 875.000 DM, von dem die Hälfte auf die Beteiligte zu 3 entfällt.
Die Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts für das Beschwerdeverfahren wird entsprechend abgeändert (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).

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Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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