Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 18. März 2004 – 1Z BR 044/03 Ehegattentestament: Wirksamkeit einer Verwirkungsklausel; Voraussetzungen einer konkludenten Befreiung des Vorerben; Unwirksamkeit einer Ermächtigung des Vorerben zur Auswahl eines geeigneten Nacherben für die Bewirtschaftung von Grundbesitz

Juni 15, 2019

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 18. März 2004 – 1Z BR 044/03
Ehegattentestament: Wirksamkeit einer Verwirkungsklausel; Voraussetzungen einer konkludenten Befreiung des Vorerben; Unwirksamkeit einer Ermächtigung des Vorerben zur Auswahl eines geeigneten Nacherben für die Bewirtschaftung von Grundbesitz
1. Zur Wirksamkeit einer für den Fall des Streites der Erben oder Nacherben testamentarisch angeordneten Verwirkungsklausel.
2. Zu den Voraussetzungen einer nicht ausdrücklich angeordneten Befreiung der Vorerben.
3. Unwirksamkeit einer testamentarischen Klausel, dass „der Vorerbe berechtigt sein sollte, aus den Abkömmlingen den für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes geeignetsten Nacherben auszuwählen“.
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluss des Landgerichts Landshut vom 8. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben die dem Beteiligten zu 4 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 221.513, 27 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der verwitwete Erblasser ist im Jahr 1994 im Alter von 87 Jahren verstorben. Die Beteiligten zu 3 und 4 sind die zwei jüngeren aus der Ehe des Erblassers mit seiner 1984 vorverstorbenen Ehefrau hervorgegangenen drei Söhne, der älteste Sohn aus dieser Ehe ist von einem Bruder der Ehefrau des Erblassers am 20.1.1969 adoptiert worden.
Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die beiden Kinder des Beteiligten zu 4, die Beteiligten zu 5, 6 und 7 sind die drei Kinder des Beteiligten zu 3.
In gemeinschaftlichen Testamenten vom 10.6.1955 und 4.3.1960 setzten sich der Erblasser und seine Ehefrau gegenseitig zu Alleinerben ein und trafen für den Fall des Ablebens des Überlebenden letztwillige Verfügungen. Die für den letztgenannten Fall getroffenen Verfügungen änderten der Erblasser und seine Ehefrau mit gemeinschaftlichem Testament vom 3.3.1969 ab und bestimmten, dass die Beteiligten zu 3 und 4 zu gleichen Teilen Erben des Letztversterbenden werden sollten und der vom Bruder der Ehefrau des Erblassers adoptierte Sohn auf den Pflichtteil gesetzt werde. Außerdem wurde Testamentsvollstreckung angeordnet.
Mit gemeinschaftlichem Testament des Erblassers und seiner Ehefrau vom 18.12.1973 wurde die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 aus dem Testament vom 3.3.1969 dahingehend abgeändert, dass die Beteiligten zu 3 und 4 jeweils nur Vorerben sein sollten. Als Nacherben wurden bestimmt die Abkömmlinge der Vorerben zu gleichen Stammesanteilen. Zur Nacherbfolge enthält das Testament vom 18.12.1973 u.a. folgende Bestimmung:
„Bezüglich des vorhandenen Grundbesitzes werden die Nacherben von den gesetzlichen Beschränkungen nicht befreit. Bezüglich des gesamten übrigen Nachlasses werden dieselben jedoch von allen gesetzlichen Beschränkungen ausdrücklich befreit.“
Keiner der Beteiligten hat in Zweifel gezogen, dass es in der oben zitierten Testamentsbestimmung statt „Nacherben“ richtig „Vorerben“ heißen muss. Auch der beurkundende Notar hat auf gerichtliche Anfrage am 26.4.2002 erklärt, bei dem Wort „Nacherben“ liege ein offensichtliches Schreibversehen vor.
In einem weiteren gemeinschaftlichen Testament vom 7.2.1975 bestätigten der Erblasser und seine Ehefrau ihre gemeinschaftlichen Testamente vom 3.3.1969 und 18.12.1973 und trafen ergänzende Verfügungen zum Pflichtteilsrecht. Hierzu verfügten der Erblasser und seine Ehefrau mit weiterem gemeinschaftlichen Testament vom 24.11.1975 folgendes:
„Unser früheres Gemeinschaftliches Testament ergänzen wir dahingehend, dass der Vorerbe zu keiner Verfügung über den Nachlass und zu keiner Verwaltungsbestimmung über den Nachlass der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts bedarf. Soweit eine solche notwendig wäre, tritt an die Stelle des Vormundschaftsgerichts jeweils die Zustimmung des Testamentsvollstreckers.
Unser Wunsch ist, dass der Testamentsvollstrecker einer Verfügung oder Verwaltungsbestimmung des Vorerben nachkommt, wenn der Vorerbe für seinen Lebensunterhalt anderweitig aufkommen kann.
Der Vorerbe ist berechtigt, aus unseren Abkömmlingen denjenigen auszuwählen als Nacherben, der am geeignetsten für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes ist.“
Ein weiteres gemeinschaftliches Testament des Erblassers und seiner Ehefrau ist datiert auf den „7. Juni 1978 und den 13. Dezember 1981“. Darin werden die früheren gemeinschaftlichen Testamente aufrechterhalten und neben Teilungsanordnungen, Vermächtnissen, Auflagen sowie Bestimmungen zum Pflichtteilsrecht und zur Testamentsvollstreckung u.a. folgende weitere Verfügungen getroffen.
Ziffer II 4:
„Die Erben haben sich jeweils gegenseitig das Vorkaufsrecht auf den gesamten Grundbesitz, der an sie fällt, einzuräumen. Dieses Vorkaufsrecht ist in den jeweiligen Grundbüchern einzutragen.“
Ziffer II 10:
„Wenn einer unserer Erben anders als durch Kauf zum angenäherten Verkehrswert oder durch Tausch gegen gleichwertigen Grundbesitz Grund und Boden erwirbt oder als Erbe oder Vermächtnisnehmer erhält, der am 1. Januar 1945 Eigentum von M. war, ist der Wert eines so erworbenen Grundbesitzes voll auf seinen Erbteil, den er auf Grund unserer letztwilligen Verfügungen erhalten soll, anzurechnen. Dies soll nur in dem Fall nicht gelten, in dem einer unserer Erben oder beide zu gleichen Teilen ehemaliges oder derzeitiges M.- Eigentum in unbefreiter Vorerbschaft erhält bzw. als solches erhalten und zudem sichergestellt ist, dass dieses Eigentum spätestens bei Eintritt des Nacherbfalls ohne eine den Vorerben dafür zukommende Gegenleistung an ein Mitglied der Familien des M. zurückfallen soll.“
Ziffer III 1:
„Sollte unserem ältesten Sohn nach dem Tod des Letztverstorbenen von uns noch ein Pflichtteilsanspruch zustehen, auf den er nicht verzichtet, so sollen zur Befriedung dieses Anspruchs weder ein Teil des Immobiliarbesitzes noch ein Teil des Kapitalvermögens noch auch alte Familienstücke in Silber, Porzellan usw. an Nichtmitglieder unserer Familie (…) veräußert werden dürfen.“
In Ziffer IV. des Testaments ist bei Streitigkeiten wegen Bewertung des Nachlasses die Erholung des Schiedsgutachtens einer Schätzungskommission vorgesehen. Danach ist in Ziffer V. u.a. Folgendes bestimmt:
„Sollte einer der von uns als Erben eingesetzten Söhne auch nach einer Entscheidung der Schätzungskommission sich mit der Bewertung irgendeines Teils unseres Nachlasses nicht zufrieden geben, sollte einer von ihnen wegen unseres Testaments oder wegen der Testamentsvollstreckung mit einem anderen Erben bzw. Ersatz- oder Nacherben oder mit einem der Testamentsvollstrecker bzw. mit beiden Testamentsvollstreckern außergerichtlich oder gerichtlich streiten oder sollte einer unserer Erben sich bei der Abwicklung unseres Nachlasses nach Ansicht des bzw. der Testamentsvollstrecker in einer dem Ansehen und der Tradition unserer Familie nicht entsprechenden Weise benehmen, so ist er auf den Pflichtteil gesetzt; unter der gleichen Voraussetzung sollen nicht pflichtteilsberechtigte Ersatz- oder Nacherben von der Erbschaft ausgeschlossen sein.“
Am 30.11.1994 erteilte das Nachlassgericht auf Antrag der Beteiligten zu 3 und 4 einen Erbschein, demzufolge der Erblasser von den Beteiligten zu 3 und 4 je zur Hälfte beerbt worden ist. Der Erbschein enthält u.a. Angaben zur Anordnung der Vor- und Nacherbschaft und in diesem Zusammenhang die Bestimmung „der Vorerbe ist zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt“.
Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragten am 12.4.2002 die Einziehung des am 30.11.1994 erteilten Erbscheins, weil dieser zu Unrecht eine Befreiung des Vorerben ausweise. Das Nachlassgericht wies den Einziehungsantrag mit Beschluss vom 9.7.2002 zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 wurde mit Beschluss des Landgerichts vom 8.5.2003 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beteiligten zu 1 und 2 mit ihrer weiteren Beschwerde.
II.
1. Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 und 4, § 20 FGG). Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 1 und 2 ergibt schon daraus, dass ihre Erstbeschwerde zurückgewiesen worden ist (vgl. BayObLGZ 2000, 48/51; Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 10).
2. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, als Nacherben seien die Beteiligten zu 1 und 2 beschwerdeberechtigt, da ihre Rechtsstellung beeinträchtigt wäre, wenn gemäß ihrem Vorbringen keine befreite Vorerbschaft vorläge und der Erbschein im Gegensatz hierzu eine Befreiung der Vorerben ausweise. Auch die Bestimmung in Ziffer V. des Testaments vom 13.12.1981, dass Nacherben von der Erbschaft ausgeschlossen sein sollten, die sich wegen des Testaments gerichtlich streiten, führe nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde, da den Nacherben die Möglichkeit verbleiben müsse, ihre Rechte zu wahren.
Zutreffend sei im Erbschein angegeben, dass die Vorerben zur freien Verfügung über den Nachlass berechtigt seien. Der Umstand, dass in dem Testament vom 18.12.1973 die Vorerben bezüglich des vorhandenen Grundbesitzes von den gesetzlichen Beschränkungen zunächst nicht befreit worden seien, stehe der Annahme einer befreiten Vorerbschaft nicht entgegen. Gemäß § 2258 Abs. 1 BGB werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament nämlich insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Das Testament vom 18.12.1973 sei hinsichtlich der Frage, ob befreite Vorerbschaft vorliege, nicht mehr maßgeblich, weil die folgenden Testamente in ihrer Gesamtschau eindeutig ergäben, dass Wille der Testierenden eine befreite Vorerbschaft gewesen sei. Im Testament vom 24.11.1975 sei bestimmt, dass der Vorerbe zu keiner Verfügung über den Nachlass und zu keiner Verwaltungsbestimmung über den Nachlass der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts bedürfe und dass, falls eine solche notwendig wäre, an die Stelle einer Zustimmung des Vormundschaftsgerichts jeweils die Zustimmung des Testamentsvollstreckers treten sollte. Im Testament vom 13.12.1981 sei bestimmt, dass die Vorerben sich jeweils gegenseitig ein Vorkaufsrecht in Bezug auf den gesamten ererbten Grundbesitz einzuräumen hätten. Außerdem enthalte das Testament vom 13.12.1981 die Bestimmung, dass eine Anrechnungsverpflichtung für solchen Grundbesitz bestehe, der nicht durch Kauf zum angenäherten Verkaufswert oder durch Tausch gegen gleichwertigen Grundbesitz erworben würde. Weiter sei im Testament vom 13.12.1981 bestimmt, dass ein etwaiger Pflichtteilsanspruch des ältesten Sohnes des Erblasses nicht durch die Veräußerung von Immobilienbesitz erfüllt werden dürfe. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich ein Wille der Testierenden dahingehend, dass die zu Vorerben eingesetzten Söhne zur Veräußerung von Grundstücken befugt sein sollten.
3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.
a) Das Landgericht hat die Erstbeschwerde zutreffend als zulässig angesehen. Insbesondere begegnet die Annahme, die Verwirkungsklausel in Ziffer V. des Testaments vom 13.12.1981 führe nicht zum Ausschluss der Beteiligten zu 1 und 2 von der Nacherbfolge und somit auch nicht zum Ausschluss von deren Beschwerdebefugnis, im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.
Der Erblasser kann testamentarische Zuwendungen grundsätzlich unter die Bedingung stellen, dass der Bedachte nichts erhält, wenn er gegen den letzten Willen des Erblassers vorgeht. Sind die Formulierungen einer solchen Verwirkungsklausel wie hier unbestimmt, ist im Einzelfall durch Auslegung zu bestimmen, welches Verhalten des Bedachten die Verwirkungsfolge auslösen soll (vgl. BayObLGZ 1962, 47/56; Palandt/Edenhofer BGB 63. Aufl. § 2075 Rn. 7; Staudinger/Otte BGB (2003) § 2074 Rn. 57; Soergel/Loritz BGB 13. Aufl. § 2075 Rn.6; Erman/Schmidt BGB 10. Aufl. § 2074 Rn. 7; Bamberger/Roth/Litzenburger BGB § 2074 Rn. 5; AnwK-BGB/Beck § 2074 Rn. 16). Einen Ausschluss des Bedachten von der testamentarischen Begünstigung haben Angriffe des Bedachten gegen die letztwillige Verfügung in der Regel nur dann zur Folge, wenn diese eine Auflehnung gegen den wahren Willen des Erblassers darstellen und aus einem bewussten Ungehorsam gegen den Willen des Erblassers entspringen (BGH FamRZ 1985, 278/280; BayObLGZ 1962, 47/57; 1990, 58/62). Ausgenommen werden müssen Verhaltensweisen, die nicht darauf gerichtet sind, gegen den Willen des Erblassers zu verstoßen, sondern nach hinreichend sorgfältiger Prüfung dem wahren Willen des Erblassers gerade zur Geltung verhelfen sollen (vgl. Palandt/Edenhofer § 2075 Rn. 9; MünchKommBGB/Leipold 3. Aufl. § 2074 Rn. 25, Erman/Schmidt § 2074 Rn. 7; AnwK-BGB/Beck § 2074 Rn. 18).
as nach diesen Grundsätzen für die Auslösung der Verwirkungsklausel erforderliche „subjektive Element“ (vgl. BayObLG NJW-RR 1996, 266/263) liegt nicht vor. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben sich mit ihren Anträgen im Erbscheinseinziehungsverfahren nicht gegen den Erblasserwillen aufgelehnt, sondern im Gegenteil geltend gemacht, die im Erbschein vom 30.11.1994 dokumentierte Erbrechtslage entspräche in Bezug auf die Befreiung der Vorerben nicht dem Erblasserwillen. Da sich die Beteiligten zu 1 und 2 für ihren Rechtsstandpunkt bezüglich des zum Nachlass gehörenden Grundbesitzes immerhin auf den Wortlaut des Testaments vom 18.12.1973 stützen können, besteht aus der Sicht der Beteiligten zu 1 und 2 für diese Auffassung wenigstens ein Anhaltspunkt von solchem Gewicht, dass ein bewusster Ungehorsam gegen den Willen des Erblassers nicht festgestellt werden kann.
b) In der Sache ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die im Testament vom 18.12.1973 getroffene Bestimmung, die Vorerben seien bezüglich des vorhandenen Grundbesitzes von den gesetzlichen Bestimmungen nicht befreit, gemäß § 2258 Abs. 1 BGB durch die späteren Testamente insoweit aufgehoben werden konnte, als Bestimmungen in dem späteren Testament mit der einschlägigen Bestimmung in dem früheren Testament in Widerspruch stehen. Einen solchen Widerspruch hinsichtlich der Frage, ob eine Befreiung der Vorerben auch bezüglich des vorhandenen Grundbesitzes erfolgen sollte, hat das Landgericht im Wege der Auslegung der späteren Testamente festgestellt.
aa) Zutreffend hat das Landgericht die späteren Testamente als auslegungsbedürftig angesehen; denn sie enthalten keine eindeutige Aussage, ob die mit dem früheren Testament als Vorerben teilweise befreit eingesetzten Beteiligten zu 3 und 4 nunmehr als vollständig befreite Vorerben eingesetzt werden sollten. Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung eines Testaments der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Die Testamentsauslegung selbst ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung im Wege der weiteren Beschwerde ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen wurden, ob ein wesentlicher Umstand übersehen wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden kann (BGHZ 121, 357/363; BayObLG FamRZ 2002, 269/270; MünchKommBGB/Leipold § 2084 Rn. 84).
bb) Die Auslegung des Landgerichts wird diesen Kriterien gerecht. Es konnte auf der Grundlage der vorhandenen letztwilligen Verfügungen zu dem Ergebnis kommen, die dem Testament vom 18.12.1973 nachfolgenden Testamente ergäben in ihrer Gesamtschau, dass die vollständige Befreiung der Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen den Willen der Testierenden entspreche. Die Rechte und Pflichten, die den Vorerben in den Testamenten vom 24.11.1975 und 13.12.1981 eingeräumt wurden, lassen nämlich die Annahme zu, dass die Vorerben anders als in dem Testament vom 18.12.1973 zunächst vorgesehen nunmehr auch hinsichtlich des Grundbesitzes von den insoweit ihnen vom Gesetz auferlegten Beschränkungen befreit sein sollten (§ 2136 BGB).
Eine Befreiung des Vorerben muss nicht ausdrücklich angeordnet werden. Es genügt vielmehr, wenn der Befreiungswille im Testament selbst irgendwie zum Ausdruck kommt, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt (BGH FamRZ 1970, 192/193; BayObLGZ 1974, 312/314). In der Gesamtschau der vom Landgericht für einen solchen Befreiungswillen angeführten Gesichtspunkte findet das vom Landgericht gefundene Ergebnis eine hinreichende Stütze.
(1) Das Landgericht konnte aus der den Vorerben auferlegten Verpflichtung, „sich jeweils gegenseitig das Vorkaufsrecht auf den gesamten Grundbesitz, der an sie fällt, einzuräumen“, den Schluss ziehen, diese Verpflichtung setze grundsätzlich voraus, dass die Vorerben von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB befreit sind. Eine Verpflichtung zur Einräumung eines Vorkaufsrechts ergibt nämlich nur dann einen Sinn, wenn der Verpflichtete zur Verfügung über das Grundstück befugt ist. Hauptanwendungsfall einer solchen Verfügungsbefugnis ist die Befreiung des Vorerben nach § 2136 BGB. Auch wenn daneben noch andere Fälle einer den Vorerben eingeräumten Verfügungsbefugnis, etwa die Verfügung mit Zustimmung des Nacherben (vgl. Palandt/Edenhofer § 2113 Rn. 6 m.w.N.), in Betracht kommen, gibt die vom Landgericht erkannte indizielle Bedeutung der Verpflichtung zur Einräumung eines Vorkaufsrechts für eine Befreiung der Vorerben zu Beanstandungen keinen Anlass.
(2) Die testamentarische Bestimmung, mit der den Erben für den Fall, dass sie „durch Tausch gegen gleichwertigen Grundbesitz Grund und Boden erwerben“, eine Anrechnungsverpflichtung auferlegt wurde, setzt voraus, dass den Vorerben die Befugnis eingeräumt wurde, ererbtes Grundvermögen gegen anderes Grundvermögen zu tauschen und somit im Sinne des § 2113 Abs. 1 BGB über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Hiervon ist das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgegangen.
(3) Ebenfalls ohne Rechtsfehler konnte das Landgericht die testamentarische Bestimmung, dass zur Befriedigung eines Pflichtteilsanspruchs des ältesten Sohnes des Erblassers Immobiliarbesitz nicht einmal teilweise veräußert werden dürfe, als Beleg dafür heran ziehen, dass die mit dem Pflichtteilsanspruch belasteten Vorerben (vgl. § 2301 Abs. 1 Satz 1, § 2100 BGB) grundsätzlich von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB befreit sind, da es für den insoweit nicht befreiten Vorerben eines gesonderten Veräußerungsverbots für den Fall der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs nicht bedurft hätte. Der Umstand, dass für die Nacherben bei nicht befreiter Vorerbschaft gegebenenfalls gemäß § 2120 BGB eine Verpflichtung bestehen kann, zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses, insbesondere zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten, zu einer Grundstücksveräußerung durch den Vorerben einzuwilligen und das testamentarische Veräußerungsverbot für den Fall der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs sich auch auf nach § 2120 Satz 1 BGB einwilligungspflichtige Verfügungen beziehen konnte, ist zwar geeignet, der das Veräußerungsverbot enthaltenden Testamentsklausel eine weitere Bedeutung zu geben, steht aber nicht in einem zwingenden Gegensatz zu der vom Landgericht angenommenen Indizwirkung der Testamentsklausel für befreite Vorerbschaft.
(4) Die Bestimmung im Testament vom 24.11.1975, dass der Vorerbe zu keiner Verfügung über den Nachlass und zu keiner Verwaltungsbestimmung über den Nachlass der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts bedürfe und dass, falls eine solche notwendig wäre, an die Stelle einer Zustimmung des Vormundschaftsgerichts jeweils die Zustimmung des Testamentsvollstreckers treten sollte, wurde vom Landgericht zusammen mit dem im unmittelbaren Anschluss daran geäußerten Wunsch der Testierenden, dass der Testamentsvollstrecker einer Verfügung oder Verwaltungsbestimmung des Vorerben nachkommen möge, wenn der Vorerbe für seinen Lebensunterhalt anderweitig aufkommen kann, als Abbedingung des für die minderjährigen Nacherben geltenden § 1821 BGB verstanden; diese Abbedingung sei jedoch im Hinblick auf den zwingenden Charakter des § 1821 BGB (vgl. Palandt/Diederichsen § 1821 Rn. 8) unzulässig. Das Landgericht hat den Bestimmungen aber eine gleichwohl wirksame Willensäußerung der Testierenden dahingehend entnommen, dass den Vorerben grundsätzlich Verfügungen über den Nachlass möglich sein sollten. Ob diese Annahmen des Landgerichts zutreffen, kann letztlich ebenso wie die im Verlauf des Verfahrens von den Beteiligten erörterte Frage, ob in das Testament bei richtigem Verständnis nach dem Wort „Lebensunterhalt“ das Wort „nicht“ einzufügen sei mit der Folge, dass der Testamentsvollstrecker nach dem Willen der Testierenden entgegen dem Wortlaut des Testaments einer Verfügung des Vorerben dann nachzukommen hätte, wenn der Vorerbe für seinen Lebensunterhalt nicht anderweitig aufkommen kann, dahinstehen. Den hier einschlägigen testamentarischen Verfügungen sind nämlich jedenfalls keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die im Gegensatz zur Annahme des Landgerichts als Begründung für einen Fortbestand der sich aus § 2113 Abs. 1 BGB ergebenden Beschränkungen der Vorerben herangezogen werden könnten.
In ihrer Gesamtheit ist die Auslegung des Landgerichts, die dem Testament vom 18.12.1973 nachfolgenden gemeinschaftlichen Testamente des Erblassers und seiner Ehefrau böten hinreichende Anhaltspunkte für den Willen der Testierenden, die Vorerben von den ihnen vom Gesetz auferlegten Beschränkungen zu befreien, möglich, wenn nicht nahe liegend, und somit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
4. Die im Rahmen der Überprüfung der Richtigkeit des Erbscheins geäußerte Auffassung des Landgerichts, die Ergänzungen im Testament vom 24.11.1975 des Inhalts, dass der Vorerbe berechtigt sein sollte, aus den Abkömmlingen den für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes geeignetsten Nacherben auszuwählen, sei wegen Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB unwirksam und führe daher unter dem Gesichtspunkt, dass in dem Erbschein vom 30.11.1974 die Beteiligten zu 1 und 2 sowie 5, 6 und 7 als Nacherben bezeichnet seien, nicht zur Unrichtigkeit des Erbscheins, gibt zu Beanstandungen keinen Anlass. Der Erblasser darf die Bestimmung der Person des Nacherben nicht den Vorerben überlassen (§ 2065 Abs. 2 BGB). Nur die Bezeichnung nicht die Bestimmung der Person darf einem Dritten übertragen werden. Dann müssen aber die Hinweise im Testament so genau sein, dass den Bedachten eine jede mit genügender Sachkunde ausgestattete Person bezeichnen kann, ohne dass deren Ermessen auch nur mitbestimmend ist (BGHZ 15, 199/202; BayObLG FamRZ 1991, 610/611). Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen. Es hat darauf abgestellt, dass der Vorerbe als bestimmender Dritter angesichts der Unschärfe des Auswahlkriteriums „Geeignetheit für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes“ den Nacherben nicht nur bezeichnen, sondern ihn vielmehr tatsächlich wählen könne. Das hierdurch eröffnete Auswahlermessen führt wegen Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit der Bestimmungsklausel mit der Folge, dass es bei der im Erbschein zutreffend angegeben Nacherbenstellung der Beteiligten verbleibt.
5. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst, da sich die Kostenfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.
Am Verfahren der weiteren Beschwerde hat sich neben den Beschwerdeführern lediglich der Beteiligte zu 4 beteiligt. Diesem haben die Beteiligten zu 1 und 2 gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
Die Festsetzung des Geschäftswerts erfolgt in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts und beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 KostO.

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