Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 21. Februar 1996 – 1Z BR 35/96 Rechtsmittelziel nach Erteilung eines Erbscheins; Widerruf eines Testamentswiderrufs; Erbenstellung des nichtehelichen Halbbruders bei gesetzlicher Erbfolge

April 22, 2019

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 21. Februar 1996 – 1Z BR 35/96
Rechtsmittelziel nach Erteilung eines Erbscheins; Widerruf eines Testamentswiderrufs; Erbenstellung des nichtehelichen Halbbruders bei gesetzlicher Erbfolge
1. Nach der Erteilung eines Erbscheins durch Hinausgabe einer Ausfertigung ist die Beschwerde nur mit dem Ziel der Einziehung dieses Erbscheins statthaft. Ein Rechtsmittel gegen die Erteilungsanordnung ist entsprechend umzudeuten.
2. Hat der Erblasser ein Testament in Widerrufsabsicht zerrissen, so kann der darin liegende Widerruf nicht widerrufen werden (hier: erneutes Zusammenkleben des Schriftstücks).
3. Wird der Erblasser in gesetzlicher Erbfolge durch seine Geschwister beerbt, so ist auch ein nichtehelicher Halbbruder Erbe. BGB § 1934a ist nicht entsprechend anzuwenden.
vorgehend LG Memmingen, 6. Dezember 1995, 4 T 1864/95
vorgehend AG Memmingen, 10. Oktober 1995, VI 1489/94
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Memmingen vom 6. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 155.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der ledige und kinderlose Erblasser ist im Jahr 1994 verstorben. Aus der Ehe seiner vorverstorbenen Eltern stammt außerdem eine Schwester, die Beteiligte zu 1. Der im Jahr 1956 geborene Beteiligte zu 2 ist der nichteheliche Sohn des Vaters des Erblassers.
Die Beteiligte zu 3, die frühere Lebensgefährtin des Erblassers, übergab dem Nachlaßgericht eine mit “Testament” überschriebene, in zahlreiche Teile zerrissene und mittels Klebestreifen zusammengesetzte Urkunde vom 30.9.1992, in der der Erblasser die Beteiligte zu 3 als Erbin seines Hauses in M. sowie die Beteiligte zu 1 als Erbin seines Bauplatzes in O. und seiner “Geldersparnisse” eingesetzt hatte.
Der Nachlaß besteht aus dem Wohnhaus in M., dessen Wert das Nachlaßgericht mit rund 327.000 DM errechnet hat, dem Bauplatz in O., dessen Wert nach den Berechnungen des Nachlaßgerichts rund 45.000 DM betragen soll, sowie aus Bankguthaben von rund 238.000 DM. Die Nachlaßverbindlichkeiten belaufen sich nach den Angaben der Beteiligten zu 1 auf rund 7.500 DM.
Die Beteiligte zu 1 hält das Testament für ungültig, so daß die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Sie beantragte daher mit Schriftsatz ihrer früheren Verfahrensbevollmächtigten vom 12.4.1995, ihr einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen. Der Beteiligte zu 2 beantragte einen Erbschein, der die Beteiligte zu 1 als Erbin zu 3/4 und ihn als Erben zu 1/4 ausweisen sollte. Mit Verfügung vom 4.9.1995 stellte die Nachlaßrichterin fest, daß die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei und übertrug die Erteilung eines Erbscheins dem Rechtspfleger. Dieser bewilligte am 6.9.1995 den vom Beteiligten zu 2 beantragten Erbschein und erteilte ihm eine Ausfertigung. Die Beteiligte zu 1 legte beim Nachlaßgericht Beschwerde “gegen den Erbschein vom 6.9.1995” ein, beantragte dessen Einziehung und wiederholte “vorsorglich” den Erbscheinsantrag vom 12.4.1995. Der Rechtspfleger half mit Beschluß vom 10.10.1995 der Beschwerde nicht ab (Nr. 1) und wies den Einziehungsantrag zurück (Nr. 2). Gegen die Nr. 2 dieser Entscheidung legte die Beteiligte zu 1 vorsorglich Erinnerung ein, der vom Rechtspfleger und von der Nachlaßrichterin nicht abgeholfen wurde. Der Beteiligte zu 2 äußerte sich hierzu nicht.
Das Landgericht wies mit Beschluß vom 6.12.1995 die Beschwerde der Beteiligten zu 1 “gegen den Erbschein vom 6.9.1995” zurück, ordnete an, daß die Beteiligte zu 1 die dem Beteiligten zu 2 im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten habe, und setzte den “Beschwerdewert” auf 155.000 DM fest. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. Sie beantragt, den Beschluß des Nachlaßgerichts vom 10.10.1995 aufzuheben, den Erbschein vom 6.9.1995 einzuziehen und ihr einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen. Den Beteiligten zu 2 und 3 wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben; sie haben sich nicht geäußert.
II.
Die zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Das “offenbar” vom Erblasser zu einem nicht bekannten Zeitpunkt zerrissene und von der Beteiligten zu 3 in zusammengeklebter Form vorgelegte Testament vom 30.9.1992 sei gemäß § 2255 BGB widerrufen worden, so daß die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Gesetzliche Erben seien die Beteiligte zu 1 zu 3/4 und ihr Halbbruder, der Beteiligte zu 2, zu 1/4. Die Vorschrift des § 1934a BGB sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Da somit der Erbschein vom 6.5.1995 richtig sei, seien die Anträge der Beteiligten zu 1, ihn einzuziehen und ihr einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen, gegenstandslos.
2. Die Beschwerdeentscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.
a) Mit Recht hat das Landgericht die Beschwerde der Beteiligten zu 1 für zulässig angesehen. Sie war allerdings nach Erteilung des Erbscheins durch Hinausgabe einer Ausfertigung an den Beteiligten zu 2 (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 55. Aufl. § 2353 Rn. 34) nur mit dem Ziel statthaft, den Erbschein gemäß § 2361 BGB einzuziehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BayObLG FamRZ 1976, 101/103 und NJW- RR 1990, 1481; Palandt/Edenhofer aaO Rn. 36; Keidel/Winkler FGG 13. Aufl. Rn. 4, Bassenge/Herbst FGG/RPflG 7. Aufl. Rn. 25, jeweils zu § 84 FGG). Dahin ist die Beschwerde gegen die Erteilungsanordnung umzudeuten (BayObLG aaO; OLG Zweibrücken OLGZ 1984, 3/5; Keidel/Winkler und Bassenge/Herbst, jeweils aaO). Im übrigen hatte das Nachlaßgericht auch über den wahlweise zulässigen (vgl. Keidel/Winkler aaO) Einziehungsantrag entschieden, so daß die Sache auch insoweit dem Beschwerdegericht angefallen war.
b) Die Entscheidung ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.
aa) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß das die Beteiligte zu 3 begünstigende Testament vom 30.9.1992 durch Zerreißen der Urkunde widerrufen wurde (§ 2255 BGB). Den Feststellungen des Landgerichts kann entnommen werden, daß es trotz seiner Formulierung “offenbar” (d.h. vermutlich) davon überzeugt war, die Urkunde sei vom Erblasser selbst zerrissen worden. Es hat insoweit auf das Nachlaßgericht Bezug genommen, nämlich auf eine Verfügung der Richterin vom 18.4.1995, es stehe fest, daß das Testament vom Erblasser in Widerrufsabsicht zerrissen worden sei. Zu dieser Feststellung konnte das Gericht im Hinblick auf die Aussage der Beteiligten zu 3 kommen, das Testament habe sich in einer Schulmappe des Erblassers befunden. Befand sich eine veränderte Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers und fehlen Anzeichen für Handlungen eines Dritten, so sind die Beweisanforderungen dafür, daß sie vom Erblasser selbst verändert wurde, nicht zu hoch anzusetzen (vgl. BayObLGZ 1983, 204/208). Hinzu kommt, daß die Beteiligte zu 1 vor dem Nachlaßgericht bekundet hat, der Erblasser habe wiederholt davon gesprochen, daß er ein Testament wieder zerrissen habe. Es ist daher zu vermuten, daß der Erblasser die Aufhebung des Testaments vom 30.9.1992 beabsichtigt habe (§ 2255 Satz 2 BGB). Zutreffend führt das Landgericht schließlich aus, daß ein Widerruf gemäß § 2255 BGB nicht dadurch widerrufen werden könne, daß die zerrissene Urkunde wieder zusammengeklebt wird (vgl. Palandt/Edenhofer § 2255 Rn. 14), zumal nicht geklärt werden konnte, ob der Erblasser selbst in dieser Weise tätig geworden war. Da auch die Beteiligte zu 3, zu deren Lasten diese Annahme des Landgerichts geht, und die entgegen der Auffassung des Rechtspflegers schon aus diesem Grund am Verfahren beteiligt werden mußte, insoweit keine Einwendungen erhoben hat, sind weitere Ausführungen hierzu entbehrlich.
bb) Gesetzliche Erben sind sonach die Beteiligten zu 1 und 2 als Abkömmlinge der vorverstorbenen Eltern des Erblassers (§ 1925 BGB, Art. 12 § 10 NEhelG), wobei der Beteiligte zu 2 als Halbbruder des Erblassers nur “mit einer Hand” erbt (vgl. Palandt/Edenhofer § 1925 Rn. 4), also zu 1/4.
cc) Entgegen der Meinung der Beteiligten zu 1 kann der Beteiligte zu 2 nicht auf einen Erbersatzanspruch (§ 1934a BGB) verwiesen werden. Dies wäre gemäß § 1934a Abs. 1 zweite Alternative BGB nur dann der Fall, wenn er beim Tod seines “väterlichen Verwandten”, zu denen ein Halbbruder gehört (vgl. MünchKomm/Leipold BGB 2. Aufl. Rn. 22, Soergel/Stein BGB 12. Aufl. Rn. 9 a.E., jeweils zu § 1934a), neben ehelichen Abkömmlingen oder dem überlebenden Ehegatten des Erblassers berufen wäre. Das ist hier gerade nicht der Fall. Die Regelung des § 1934a Abs. 1 BGB verhindert keineswegs in allen Fällen das Entstehen einer Erbengemeinschaft, in der das nichteheliche Kind mit ehelichen Abkömmlingen seines Vaters zusammentrifft (MünchKomm/ Leipold aaO Rn. 25). Mit Recht hat das Landgericht eine entsprechende Anwendung des § 1934a Abs. 1 BGB auf die vorliegende Fallgestaltung abgelehnt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind nicht alle möglichen Fälle erfaßt, in denen die Miterbengemeinschaft durch miterbende nichteheliche Verwandte eine andere Gestaltung erfährt (vgl. BGB-RGRK/Kregel 12. Aufl. § 1934a Rn. 6). Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus kommt nicht in Betracht, zumal die Verfassungsmäßigkeit der geltenden Regelung in Zweifel gezogen (vgl. Soergel/Stein Rn. 13, MünchKomm/Leipold Rn. 27, jeweils zu § 1934a) und deren ersatzlose Streichung im Gesetzgebungsverfahren angestrebt wird (vgl. Palandt/Edenhofer § 1934a Rn. 4 und § 1924 Rn. 12).
3. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlaß. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich aus der Kostenordnung. Eine Erstattungsanordnung gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG ist nicht geboten, weil die Beteiligten zu 2 und 3 im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht hervorgetreten sind (vgl. Keidel/Zimmermann § 13a Rn. 16).
4. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO war der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde – in Übereinstimmung mit der Festsetzung des Landgerichts für das Beschwerdeverfahren – auf 155.000 DM festzusetzen.

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