BFH, Urteil vom 15. Juli 1998 – II R 23/97

August 5, 2020

BFH, Urteil vom 15. Juli 1998 – II R 23/97
Keine Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft aus Verkäufen, bei denen regelmäßig derselbe Preis vereinbart wird – Stuttgarter Verfahren: Einwendungen gegen Schätzergebnisse im Revisionsverfahren, Zulässigkeit des Zuschlags zum Einheitswert
Tatbestand
I. Streitig ist, ob der gemeine Wert der Anteile an der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) aus Verkäufen abzuleiten oder nach dem sog. Stuttgarter Verfahren zu schätzen ist.
Die Klägerin betreibt einen Großmarkt für Land- und Gartenbauprodukte. Das Stammkapital der Klägerin ist gegliedert in Anteile für Erzeuger von Blumen und Zierpflanzen, für Erzeuger von Gemüse, Kartoffeln und Obst, für Großhändler mit Blumen und Zierpflanzen, für Großhändler mit Gemüse, Kartoffeln, Obst und Südfrüchten.
Diese Aufgliederung ist nach dem Gesellschaftsvertrag zu wahren. Die Veräußerung von Geschäftsanteilen bedarf nach dem Gesellschaftsvertrag der schriftlichen Zustimmung des Verwaltungsrats. Sie ist nach ihrer Erteilung von der Geschäftsführung auszusprechen. Anteile der Erzeuger dürfen nur an Erzeuger, Anteile der Großhändler nur an diese veräußert werden. Veränderungen bzw. Verletzung der Parität zwischen Erzeugern und Großhändlern sind nach dem Vertrag unverzüglich wieder auszugleichen. Besitzt ein Erwerber (z.B. im Wege der Zwangsvollstreckung, des Konkurses oder der Erbfolge) die erforderliche Erzeuger- oder Großhändlereigenschaft nicht, so ist der betreffende Geschäftsanteil gegen angemessene Entschädigung von der Geschäftsführung einzuziehen.
Der Klägerin steht ein Erbbaurecht an einem Grundstück zu, das ihr auf einem Grundstück der Stadt X eingeräumt worden ist.
In ihren Erklärungen zur Feststellung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften auf den 31. Dezember 1982 und auf den 31. Dezember 1985 gab die Klägerin jeweils als gemeinen Wert den Nennwert der Anteile an. Durch Bescheid vom 16. Dezember 1983 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) den gemeinen Wert der Anteile entsprechend dem Nominalwert mit 100 DM je Anteil fest. Durch Bescheid vom 21. Januar 1987 stellte er den gemeinen Wert der Anteile auf den 31. Dezember 1985 ebenfalls auf 100 DM je Anteil fest. Beide Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat das FA nunmehr die Auffassung, daß der gemeine Wert der Anteile an der Klägerin zu beiden Stichtagen nach dem Stuttgarter Verfahren zu schätzen sei. Durch Bescheide vom 8. Dezember 1987 stellte es den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin auf den 31. Dezember 1982 auf … DM und auf den 31. Dezember 1985 auf … DM für je 100 DM des Stammkapitals fest. Diese Bescheide änderten die vorangegangenen Bescheide auf denselben Stichtag. Die Änderung wurde jeweils auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt.
Die mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Es sei nicht möglich, den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin aus den jährlichen Verkäufen abzuleiten. Diese Verkäufe hätten nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden. Daher sei der gemeine Wert der Anteile gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu schätzen gewesen. An den streitigen Stichtagen noch nicht vorhandenes, erst künftig entstehendes Aktiv- oder Passivvermögen könne bei der Vermögensermittlung nicht berücksichtigt werden.
Auf die dagegen eingelegte Revision hob der Senat die Entscheidung wegen unterlassener notwendiger Beiladung auf. Im zweiten Rechtsgang holte das FG die Beiladung nach und wies die Klage wiederum ab. Mit der erneuten Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung trägt sie vor, die Verkäufe von Anteilen hätten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden. Im übrigen fänden sich wegen bereits zu den streitigen Stichtagen eingetretener struktureller Veränderungen bei der Vermarktung von Gemüse und Obst keine Anteilserwerber mehr, die bereit wären, mehr als den Nominalwert zu zahlen. Ferner wurde der für die Bewertung der Betriebsgrundstücke angesetzte Zuschlag dem Streitfall nicht gerecht. Der in die Substanzbewertung eingeflossene gemeine Wert für die Betriebsgrundstücke halte einer Wertermittlung unter Ertragsgesichtspunkten in keinem Fall stand.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung, die Änderungsbescheide vom 8. Dezember 1987 über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin auf den 31. Dezember 1982 und auf den 31. Dezember 1985 aufzuheben und den Wert der Anteile zu den streitigen Stichtagen mit deren Nominalwert festzustellen, hilfsweise, den Zuschlag auf die Einheitswerte des Grundvermögens bei der Feststellung des Vermögenswerts außer Ansatz zu lassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat die Klage ohne Rechtsverstoß abgewiesen.
1. Zutreffend hat das FG angenommen, daß der gemeine Wert der Anteile an der Klägerin unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Klägerin zu schätzen ist. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG in der an den Stichtagen geltenden Fassung sind Anteile an Kapitalgesellschaften, für die am Stichtag kein Börsenkurs i.S. von § 11 Abs. 1 BewG notiert ist, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Läßt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Die Voraussetzungen für eine Ableitung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin aus Verkäufen liegen zu den streitigen Stichtagen nicht vor. Die Verkäufe, auf die sich die Klägerin zur Stützung ihres Klagebegehrens bezieht, sind nicht zu berücksichtigen; der bei diesen Verkäufen vereinbarte Preis ist nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt worden.
Nach den Feststellungen des FG bestand die Gepflogenheit, die Anteile an der Klägerin zum Nominalwert zu übertragen. Es kann dahingestellt bleiben, worauf diese Gepflogenheit zurückzuführen ist. Für das Entscheidungsergebnis ist es jedenfalls unerheblich, ob dies auf bloßer freiwilliger Rücksichtnahme der Marktbeteiligten untereinander oder (auch) auf dem Zustimmungserfordernis durch die Klägerin beruht. Die regelmäßige Vereinbarung desselben Preises (= des Nominalwerts) zeigt, daß die Beteiligten den Preis gerade nicht unter den Bedingungen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter Heranziehung objektiver Wertmaßstäbe, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehören, gebildet haben (vgl. dazu Senatsurteil vom 30. März 1994 II R 101/90, BFHE 174, 94, BStBl II 1994, 503, 504). Der Vortrag der Klägerin, daß die Beteiligten mit dem Erwerb und dem Halten der Anteile keinerlei Renditeerwartung verbinden und auch sonst kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse (z.B. Beteiligung an einem Liquidationserlös) verfolgten, steht dieser Schlußfolgerung nicht nur nicht entgegen, sondern bestätigt diese. Wenn die Gesellschafter die Gesellschaftsrechte –wie die Klägerin vorträgt– in erster Linie erwerben, um auf die Marktordnung und auf die Investitionen der Klägerin Einfluß zu nehmen, zeigt dies gerade, daß der tatsächliche Wert und der vereinbarte Preis für den Erwerb der Anteile von völlig untergeordneter Bedeutung für die Beteiligten sind. Die Schlußfolgerung des FG, daß die auf diese Art und Weise zustande gekommenen Preise nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt und damit für § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG nicht zu berücksichtigen sind, ist daher rechtlich zutreffend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 14. Oktober 1966 III 281/63 BFHE 87, 218, BStBl III 1967, 82).
Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, wenn –wie die Revision behauptet– die Jahresergebnisse der Klägerin vom FG nicht völlig zutreffend wiedergegeben sein sollten. Entscheidend ist allein, daß die entsprechend der Gepflogenheit vereinbarten Preise erkennbar ohne jegliche Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Klägerin zustande gekommen sind.
2. Die nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG vorzunehmende Schätzung des gemeinen Werts unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft erfolgte im Interesse einer möglichst gleichmäßigen und praktikablen Wertermittlung an den streitigen Stichtagen nach dem in Abschn. 76 f. der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1983 geregelten Stuttgarter Verfahren. Nach dieser Bewertungsmethode ist maßgebende Größe der Vermögenswert, der aufgrund der Ertragsaussichten korrigiert wird. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung das Stuttgarter Verfahren als ein geeignetes Schätzungsverfahren anerkannt, von dem mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur abgewichen werden könne, wenn es im Ausnahmefall zu offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 174, 94, BStBl II 1994, 503, m.w.N.).
Im Streitfall hat das FG die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens durch das FA überprüft und für zutreffend gehalten. Einwendungen gegen die Schätzungsergebnisse, und zwar sowohl hinsichtlich der einzelnen Wertansätze als auch der Einhaltung der Schätzungsmethode und der sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen tatsächlicher Art sind im Revisionsverfahren auf zulässige und begründete Revisionsrügen beschränkt (Senatsurteil vom 6. Februar 1991 II R 87/88, BFHE 163, 471, 473, BStBl II 1991, 459). Derartige Einwendungen liegen im Streitfall nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht zu beanstanden, daß das Erbbaurecht (vgl. § 92 BewG) mit dem in Abschn. 77 Abs. 3 VStR 1983 vorgesehenen Zuschlag zum Einheitswert angesetzt worden ist. Ziel der Schätzung nach dem Stuttgarter Verfahren ist die Feststellung des gemeinen Werts. Bei der Ermittlung des Vermögenswerts ist zwar vom Einheitswert des Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft auszugehen, soweit der Einheitswert aber in aller Regel nicht dem gemeinen Wert des Gesellschaftsvermögens entspricht, sind insoweit Korrekturen erforderlich, als die Wertansätze einzelner Wirtschaftsgüter in der Vermögensaufstellung in erheblichem Umfang von den gemeinen Werten dieser Wirtschaftsgüter abweichen. Dies gilt insbesondere für Betriebsgrundstücke, die in der Vermögensaufstellung nur mit dem um 40 v.H. erhöhten Einheitswert erfaßt werden. Der nach Abschn. 77 Abs. 3 VStR 1983 vorgesehene Zuschlag zum Einheitswert ist daher zulässig (Senatsurteil vom 13. April 1994 II R 57/90, BFHE 174, 177, BStBl II 1994, 505). Zwar liegen einzelne Umstände vor, die den Wert des Erbbaurechts (möglicherweise) negativ beeinflussen (z.B. baugestaltungsmäßige und vertragliche Beschränkung auf eine bestimmte Nutzungsart, Übergang des Gebäudes auf den Grundstückseigentümer nach Ablauf der Erbbaurechtszeit gegen Entschädigung in Höhe eines Drittels des gemeinen Werts). Für sich betrachtet belegen diese Umstände jedoch nicht, daß der nach dem Stuttgarter Verfahren für das Erbbaurecht angesetzte Wert objektiv zu niedrig und das Schätzungsergebnis dadurch zu Lasten der Klägerin offensichtlich unrichtig geworden ist. Eine zulässige und begründete Rüge mangelnder Sachaufklärung ist nicht erhoben.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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